Tränen für das Meer

Kasia Molga, Credit: Kasia Molga

[infobox]EMAP/EMARE – Die Europäische Medienkunstplattform ist eine von Creative Europe finanzierte europäische Plattform für digitale Medien. Ihr Ziel ist es, in diesem Bereich tätige Künstler*innen zu unterstützen, insbesondere aufstrebende europäische Künstler*innen, die kritisch und innovativ mit (digitalen, aber nicht nur) Technologien arbeiten. 2020 wurde Kasia Molga für ihre Residency mit Ars Electronica ausgewählt, die Ergebnisse aller bisherigen EMAP/EMARE-Residencies seit 2018 werden beim Werkleitz Festival von 17. Juni bis 4. Juli 2021 in Halle an der Saale in Deutschland gezeigt.[/infobox]

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Kasia Molga lässt sich ungern in bestimmte Kategorien einordnen. Sie bezeichnet sich selbst als „Designfusionistin“ und „Serienanfängerin“, also als jemanden, der viel zu viele Dinge dieser Welt interessant findet und immer wieder neue Themengebiete von neuem für sich entdeckt. Im Herbst vor einem Jahr hat sie der Verlust von mehreren ihr nahestehenden Menschen dazu veranlasst, sich mit dem Thema der Trauer auch in ihrer Arbeit näher auseinanderzusetzen. Nach der Zusage für eine EMAP/EMARE-Residency gab der Lockdown durch COVID-19 im Frühling ihr den nächsten Impuls für das Projekt „How to make an Ocean?“ und überarbeitete ihre ursprünglichen Pläne.

Im Interview stellt Kasia Molga den Weg zu ihrem Projekt vor – von dem Sammeln ihrer Tränen bis hin zu einem weinenden Bot, der uns allen helfen soll, ein paar Tränen zu vergießen – und spricht über die Rolle der Kunst, die ihrer Ansicht nach am besten Zusammenhänge aufzeigen kann als rein didaktisch zu sein. Es geht aber auch über die Trennung von Menschlichem und Nicht-Menschlichem, und sie gibt ehrliche Ratschläge für angehende Medienkünstler*innen.

Welche Themen liegen dir am Herzen (und warum)?

Kasia Molga: Das große zentrale Thema, das in meiner Arbeit immer präsent ist, sind die Beziehungen zwischen menschlichen und „nicht-menschlichen“ Makern, die immer mehr über verschiedene technologische Zugänge sichtbar gemacht werden können.

Mit „nicht-menschlichen“ Makern meine ich andere als menschliche Bewohner*innen dieser Erde – Organismen, andere Tiere, Prozesse oder organische Formen der Intelligenz, die das Leben auf diesem Planeten ausmachen. Und unter „Beziehungen“ verstehe ich die Art und Weise, in der wir alle von Natur aus und untrennbar miteinander verbunden sind und wie wir gemeinsam den Lauf der Dinge und der Ereignisse in unserer Biospähre beeinflussen, die letztlich uns alle und alles betrifft.

Während das Thema Umwelt in meiner Arbeit – oder eigentlich in meinem Leben – immer präsent war, ist das Erforschen dieser Beziehung, die wir mit der sogenannten „Natur“ haben, meiner Meinung nach seit mindestens drei Jahrzehnten eines der dringlichsten Themen. Deswegen fokussiere ich mich auch auf diese verschiedenen technologischen Zugänge, betrachte sie kritisch, und versuche, den Menschen aus diesem Zentrum zu rücken. Erst dadurch lassen sich die Präsenz und die Stimmen dieser „nicht-menschlichen“ Maker verstärken und gleichzeitig Verbindungspunkte finden.

„Die Natur ist damit Partner und Mitarbeiter, und nicht ein Produkt. Ich arbeite sehr oft mit Echtzeitdaten aus der Umwelt und verstehe diese als Mittel, diese Beziehungen zwischen den „Nicht-Menschen“ und uns Menschen aufzuzeichnen.“

Bild von der Artist’s Journey, ein Film im Auftrag der Ars Electronica für das Ars Electronica Festival, Credit: Kasia Molga

An welchen Projekten arbeitest du gerade?

Kasia Molga: Es gibt nur wenige Dinge, an denen ich derzeit arbeite: „How to Make an Ocean“, das ist mein aktuelles EMAP/EMARE-Residency-Projekt bei Ars Electronica. Parallel dazu arbeite ich zusammen mit meinem Kollegen Robin Rimbaud alias Scanner an verschiedenen Arten unseres Projekts „By the Code of Soil“ – das ursprünglich ein vor einem Jahr freigesetzter Computervirus war – in Zusammenarbeit mit dem GROW-Observatorium als Teil der STARTS-EU-Residency.

Dabei handelte es sich um ein über das Web verteiltes Kunstwerk, das als eine Art audio/visuelles Ereignis in Erscheinung trat und die Computer der Teilnehmer*innen für etwa zwei Minuten in Beschlag nahm, sobald der Satellit Sentinel 1A den Standort überflog. Die Ton- und Bildaufnahmen entstanden auf der Grundlage der Daten von Bodenfeuchtesensoren, die das GROW-Oberservatorium in Europa verteilt positioniert hat. Das Projekt ist jetzt abgeschlossen, und das Virus ist nicht mehr aktiv, aber Robin und ich arbeiteten an der Version des Projekts für Galerien sowie an einer Performance.

Eines der Dinge, die ich in dieser Arbeit untersucht habe, war, wie wir unsere Verbindungen mit so grundlegenden, aber lebenswichtigen, wesentlichen und lebensbejahenden Dingen wie dem Boden wieder herstellen oder kurieren können – über die sehr verbreitete Schnittstelle, wie wir heute Informationen gewinnen können, über den Computer.

Screenshot aus einer der vielen Erscheinungen von By the Code of Soil, Credits: Kasia Molga

Daran habe ich weitergearbeitet, begann über Code, CGI, digitale Technologien, die Art und Weise, wie wir unsere digitalen Geräte nutzen, die Daten, die wir produzieren und konsumieren, nachzudenken, und fing an, andere Ausdrucksformen und Verbindungen mit der natürlichen Welt durch die von unseren Computern verfügbaren Schnittstellen zu entdecken. So erhielt ich auch vom UK Arts Council ein Stipendium, um meine Forschung und Arbeit fortzusetzen und zu erweitern.

Eine Arbeit, die derzeit entsteht, ist „Natural Glitch“ – ein gemeinsam mit meinem Künstlerkollegen Ivan Henriques geschriebener Roman, dessen erstes Kapitel von FACT in Liverpool in Auftrag gegeben wurde. Der erste Teil wurde beim diesjährigen Ars Electronica Festival online als eine Art audiovisuelles Leseerlebnis vorgestellt. Diese Arbeit war auch das Ergebnis des Überdenkens meiner eigenen Beziehung zur Natur, der Wissenschaft und meiner eigenen Kreativität während des Corona-Lockdowns, und ich bin sicher, dass Ivan Henriques‘ Inspiration dazu von einem ähnlichen Ort ausging.

Natural Glitch, Screenshot aus der interativen Online-Story, Credit: Kasia Molga

Du hast „Human Sensor LDN“ am Ars Electronica Festival 2018 präsentiert und beschäftigst dich mit dem Thema Luftverschmutzung. Siehst du in der Medienkunst ein Mittel, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf die aktuellen (Umwelt-)Probleme zu lenken?

Kasia Molga: Ich habe „Oil Compass“ als Teil von „Protei“ im Jahr 2012 vorgestellt, für das wir beim Prix Ars Electronica eine Anerkennung in der Kategorie Hybird Art erhalten haben. Während sich „Human Sensor LDN“ mit Luftverschmutzung und deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper befasst, ging es bei „Protei“ und „Oil Compass“ um die Offshore-Ölverschmutzung.

„Meiner Meinung nach ist es nicht die primäre Rolle der Kunst, sei es Medienkunst oder bildende Kunst, didaktisch zu sein und sie sollte nie als „Werbeträger“ für irgendein Thema eingesetzt werden. Für mich geht es in der Kunst darum, menschliche und nicht-menschliche Bedingungen und Erfahrungen zu kommentieren, verborgene Zusammenhänge aufzudecken, Erzählungen über Komplexitäten zu schaffen, die normalerweise verdeckt sind, und schlussendlich alternative Szenarien vorzuschlagen.“

Ich erinnere mich gut daran, als ich an meiner Universität während des Kunstgeschichtestudiums über religiöse Ikonenmalerei gelernt habe, dass unabhängig vom Glauben oder Nicht-Glauben der Künstler*innen wir alle wie Ikonenmaler*innen sind – über unsere Handlungen öffnen wir ein Fenster zu einem alternativen Universum durch welches wir unsere gegenwärtige Position reflektieren können. Das ist für mich die mächtigste Rolle der Kunst.

Die Medienkunst kann aufgrund ihrer Werkzeuge und Themen und ihres interdisziplinären Charakters – durch den Mix aus Kunst, Design, Technologie und Wissenschaft – in der Tat eine Plattform für beispielsweise, wenn ich von meiner Arbeit ausgehe, Echtzeitdaten aus verschiedenen Umweltprozessen bieten, mit all den Luftturbulenzen und unsichtbaren Partikeln um uns. Oder sie ermöglicht es uns, in Echtzeit auf die Ölteppiche weit entfernter Orte zu zoomen.

Kasia Molga, Human Sensor LDN, 2018, Credit: Angela Dennis, courtesy of Invisible Dust

Das Vermischen von wissenschaftlichen Werkzeugen zur Erforschung der Umwelt mit einer künstlerischen Art und Weise, die Ergebnisse dieser Untersuchungen darzustellen und zu interpretieren, erlaubt es mir, einen Blick auf das vernetzte Geflecht aller lebenden und nichtlebenden Wesen zu werfen. Hier beziehe ich mich auf Timothy Mortons Definition von Geflecht und Vernetzung und seinem ökologischen Gedanken.

Und es erlaubt mir, meine eigene – menschliche – Position innerhalb dieses Geflechts zu hinterfragen, die oft von Menschen gemachten System gestört wird, von Produkten, Technologien oder Regeln, sodass selbst winzige Erkenntisse über diese Zusammenhänge verwehrt werden. Damit wird die Aufmerksamkeit nicht nur auf die natürliche Umgebung gelenkt sondern auch auf von Menschen geschaffene Städte, digitale Räume usw. Auf diese Weise hoffe ich, zumindest durch das, was ich tue, eine informierte und vielleicht, in Ermangelung besserer Worte, eine emotionale Beteiligung an diesen Themen zu fördern und daraus sinnvolle Schlüsse ziehen zu können.

Was sind deine Pläne für den bevorstehenden EMAP/EMARE-Aufenthalt hier bei uns? Was willst du in dieser Zeit tun?

Kasia Molga: Ich habe Anfang März begonnen, diese Frage nach meinen Plänen zu beantworten, die ich Anfang des Jahres aufgestellt hatte. Natürlich erübrigt es sich jetzt, darauf hinzuweisen, dass sich seitdem viel geändert hat.

Mein Konzept „How to Make an Ocean“ ist tief verwurzelt in der Trauer über den Verlust von drei mir nahestehenden Menschen im Herbst 2019. Ich habe deswegen in den Wintermonaten sehr viel geweint, und irgendwann begann ich, die Tränen meiner Trauer in einem kleinen Behälter zu sammeln. Ich las zu diesem Zeitpunkt auch das Buch „Flights“ von der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk – in einer ihrer Kurzgeschichten fand sich genau diese Frage. Sie hat mich deswegen angesprochen, weil ich meine Kindheit auf dem offenen Meer verbracht habe, ich lebe am Meer und das Meer ist ein großer Teil meines Lebens.

Und in meiner künstlerischen Tätigkeit suche ich, wie ich bereits erwähnt habe, nach diesen sehr schwachen, aber lebenswichtigen Verbindungen zwischen uns – den Menschen und der natürlichen Umwelt. Und so kam ich zu meinem ersten Gedanken, ob ich, während ich so viele Tränen erzeugte – die ja schließlich eine Flüssigkeit sind -, nicht irgendwie etwas zum Wachstum und zur Erhaltung des Meeresökosystems beitragen könnte.

Darauf aufbauend begann ich, mich auch mit dem Verlust und der Angst vor der Umwelt zu beschäftigen und zu untersuchen, wie sich dies auf viele Menschen auswirkt; und die Rolle der Technologie – zum Beispiel der KI – bei der Erstellung von Erzählungen, die durch das Zusammensammeln von Nachrichten das lähmende Gefühl der Angst verstärken könnten (d.h. die Untergangsszenarien der „Echokammern“ wie z.B. Facebook, wenn man beginnt, Nachrichten über die Umwelt zu lesen). Das heißt nicht, dass es das Ausmaß der Umweltzerstörung nicht gäbe, aber die Art und Weise, wie darüber beispielsweise in meinem „Newsfeed“ erzählt wurde, bedeutete, dass wir nichts anderes tun konnten, als aufzugeben und auf eine unausweichliche Apokalypse zu warten.

Mikroskopische Aufnahme eines Tropfens Meerwasser, gemischt mit einem Tränentropfen der Künstlerin

Ich begann mich zu fragen, ob es eine andere Möglichkeit gibt, Technologien zu nutzen, um einen Raum zu schaffen, in dem die emotionale Reaktion auf diesen Verlust durch eine Art kathartisches Ritual zum Ausdruck gebracht werden kann, bei dem Tränen und Weinen ein Teil davon sein können, bei dem Verwundbarkeit nicht ein Zeichen von Schwäche und Aufgeben wäre, sondern Echtheit und Ermächtigung. Es ist auch eine Art Untersuchung des Ortes der Fürsorge und des Mitgefühls, während gleichzeitig emotionalen Turbulenzen Raum gegeben wird, die in den Debatten über die Rolle von „Technologie und Innovation“ normalerweise nicht vorkommen.

Und es ist eine Verbindung zu merkwürdigen und faszinierenden „Berufen“ aus der Vergangenheit – wie z.B. zu einem Moirologen – ein professioneller Trauernder, der eingeladen wird, an Totenwachen und Beerdigungen teilzunehmen, um anderen zu helfen, über den geliebten Verstorbenen zu trauern.

Es gibt eine weithin dokumentierte Forschung über den Nutzen von Tränen – von der Beseitigung der Giftstoffe, die durch Angst oder Stress entstehen, bis hin zur Erlangung geistiger Klarheit oder zur Linderung körperlicher Schmerzen – so enthalten Tränen, die durch körperliches Leiden verursacht werden, eine natürliche Form von Schmerzmitteln. In Japan gibt es zum Beispiel eine Praxis namens „rui-katsu“ (Tränensuche), die oft in Unternehmen praktiziert wird, um das Stressniveau der Mitarbeiter*innen zu senken.

Für mich geht es bei dieser Arbeit aber vor allem darum, wie wir – die Menschen – bei gleichzeitiger Zerstörung der Umwelt zu deren Regeneration beitragen können, indem wir die Grenzen unseres eigenen Selbst – unseres Körpers – nutzen. Und sie berührt auch das Konzept der „Kreislaufwirtschaft“ – die Tränen sind das Ergebnis von Reizen, die oft durch Dinge, die in unserer Umgebung geschehen, hervorgerufen werden, so dass ihre „Qualität“ oder chemische Zusammensetzung variiert.

Kann unser menschlicher Körper ein Anfang eines externen Ökosystems sein – und wenn ja, wie würde er aussehen? Abgesehen davon, dass ich es liebe, alle erstaunlichen unsichtbaren Lebewesen des menschlichen Auges unter dem Mikroskop zu entdecken und zu beobachten, habe ich das Gefühl, ein Geheimnis zu lüften – eine Art Matrix, die unermüdlich daran arbeitet, unsere Biosphäre am Leben zu erhalten. Und so wollte ich meine Faszination nutzen, um diese verborgenen Welten und die Auswirkungen, ob gut oder schlecht, die wir auf sie haben könnten, aufzudecken.
Die Residency sollte in zwei Teilen durchgeführt werden – im ersten Teil wollte ich menschliche Tränen und ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften sowie welche Meerestiere sie helfen könnten untersuchen. Ich plante auch, ein Gerät zum Sammeln von Tränen zu schaffen – eine moderne Form des Tränenapparats, um meine eigenen Tränen und die Tränen anderer Menschen zu sammeln. Im zweiten Teil der Residency geht es darum, einen KI-Moirologen zu bauen – einen weinenden Bot, der uns allen helfen soll, Tränen zu vergießen.

Dieser ursprüngliche Plan ist natürlich durch COVID-19 und die internationalen Blockaden verändert worden, aber er brachte auch einen neuen Blickwinkel in diese Arbeit, während er meiner Meinung nach die Notwendigkeit eines Ortes zum Weinen, Trauern und zur Bewältigung des Verlustes in unserer technologisch vermittelten Realität verstärkt hat – und jetzt noch mehr durch so viele Dinge und Erfahrungen, die stark mit der Online-Welt verknüpft sind.

„Es gibt zunehmend Angst, nicht nur wegen der Angst, an COVID-19 zu erkranken, sondern wegen der Veränderungen, die wir alle für diese neue Weltordnung ertragen mussten. Eine neue Weltordnung, die durch ein winziges unsichtbares Wesen verursacht wurde, das durch unsere eigene rücksichtslose Zerstörung der natürlichen Umwelt ausgesetzt wurde.“

Bild von der Artist’s Journey, ein Film im Auftrag der Ars Electronica für das Ars Electronica Festival, Credit: Kasia Molga

Deshalb konnte ich natürlich leider nicht persönlich nach Linz kommen, um meine Residency in den Laboren der Ars Electronica durchzuführen, also musste ich in meinem Atelier ein eigenes provisorisches Labor einrichten und gleichzeitig versuchen, die Online-Version meiner Arbeit zu planen.

Das Schaffen von „How to Make an Ocean“ ging viel langsamer voran als ich ursprünglich angenommen hatte. Aber es ist eine gute Sache, weil es mir ermöglicht hat, all diese neuen Entwicklungen und Beobachtungen zu berücksichtigen. In meinem Kopf sehe ich bereits eine vielseitige Installation, die eine Vielzahl an Medien im physischen und im Online-Bereich kombiniert und hoffentlich 2021 in Halle Premiere haben wird.

Wenn du auf deine ersten Medienkunstwerke zurückblickst und sie mit heute vergleichst, was hat sich verändert – oder besser gesagt, welche Tipps möchtest du aufstrebenden Medienkünstlern mit auf den Weg geben?

Kasia Molga: Das ist eine gute Frage, die mich dazu veranlasst hat, auf dieses Interview nicht mehr zu antworten und stattdessen ein paar Tage nachzudenken. Ich schätze, es ist schwierig, sie ohne den Kontext – d.h. wie ich in die sogenannte „Medienkunstwelt“ gekommen bin – richtig zu beantworten. Im Allgemeinen versuche ich es zu vermeiden, meine Arbeit zu „kategorisieren“, vor allem, weil ich mich innerhalb ziemlich vieler Disziplinen bewege – und Anleihen bei jeder von ihnen mache. Andererseits arbeiten die meisten meiner Zeitgenossen auf ähnliche Weise. Ich nenne mich selbst eine Designfusionistin, weil ich viele verschiedene Rollen einnehme, und auch „Serienanfängerin“, weil ich mich scheinbar weigere, mich auf etwas zu spezialisieren, weil ich zu viele Dinge zu interessant finde.

Soweit ich mich erinnere, habe ich mich schon immer mit der Idee der Vernetzung beschäftigt, und die ersten Installationen (in einer eher traditionellen Form) befassten sich mit Animationen und einzelnen Zellen von Animationen, die so auf der ganzen Welt verteilt werden sollten, dass ich eine Animation um die Erde spannen konnte. Das wurde dann in eine netzwerkbasierte Arbeit – unter Verwendung von MMS und SMS – umgesetzt, in der ich die Ästhetik vernetzter Plattformen und der Echtzeitverbindung untersuchte. Ich sah mir auch an, wie sie meine Ausdrucksform beeinflussen und den Zuschauer*innen/Teilnehmer*innen eine gewisse Kontrolle über die Erfahrung geben kann.

Im Allgemeinen spielte ich, wenn ich jetzt zurückblicke, bis zu einem gewissen Grad mit der Idee einer Demokratisierung des Kunstwerks, bei der ein Teil der Bedeutung durch Beiträge aus dem Publikum vermittelt wird. Zu Beginn ging es mir, glaube ich, auch mehr um die Untersuchung der kreativen Möglichkeiten neu entstehender technologischer Geräte – während dieses Thema der Zusammenhänge also immer präsent ist, war es doch eher in Richtung der Technologie, die ich verwenden wollte, verzerrt.

Der größte Teil meiner ersten Arbeit ist bildschirmbasiert oder es waren 2D-Visualisierungen (ich habe Bildende Kunst und Design studiert), aber dann begann ich mich mehr in Richtung einer kritischen Annäherung an die Technologie im Allgemeinen zu bewegen. Ich dachte darüber nach, wie man sie hacken kann, um für Betrachter*innen/Benutzer*innen verborgene Funktionen aufzudecken, die unsere Sichtweise oder unsere Beziehung zum System, zur Umgebung und zueinander beeinflussen könnten; und jetzt bin ich, ehrlich gesagt, meistens auf das konzentriert, was ich vermitteln möchte, und kümmere mich nicht so sehr um Technologie – sie ist jetzt nicht das Hauptthema, aber wenn es passt, kann sie Teil der Erzählung und eine Plattform werden, um etwas zu zeigen.

Ich habe weniger Angst davor, nicht etikettiert zu werden – es interessiert mich eigentlich nicht mehr. Ich lerne ständig dazu – und bin oft frustriert über neue Teile des Codes, die ich nicht verstehen kann. Aber mit der Zeit ist es mir auch gelungen, ein fabelhaftes Team von Leuten zusammenzustellen, mit denen ich regelmäßig zusammenarbeite – etwas, was ich vorher nicht hatte. Und so wandelte sich auch meine Rolle von Do-It-All-By-Myself zu einer Art Art-Director, und so ist meine Arbeit oft das Ergebnis einer intensiven und tiefen Zusammenarbeit mit anderen.

(De)Compositions by Kasia Molga & Scanner, in collaboration with GROW Observatory, supported by STARTS EU. Photo from the State Studio exhibition Near+Futures+Quasi+Worlds, Berlin, 2020

Was ich nicht nur den angehenden Medienkünstler*innen sagen möchte, ist, dass dieser Bereich nicht gerade leicht ist und anstrengend sein kann. Viele Menschen in diesem Bereich sind am Rande eines Burnouts oder haben einen erlebt – und das ist falsch. Ein Grund dafür ist, dass wir – aus der Perspektive einer Künstlerin oder eines Künstlers, aber auch aus der Perspektive von institutionellen Kulturarbeiter*innen – nicht zu wissen scheinen, wie wir unsere künstlerische Arbeit bewerten sollen. Kürzlich begann ich fest daran zu glauben, dass die Wertschätzung unserer Arbeit als Künstler*innen eine elementare Lektion in jeder Kunst-/Design-/Kreativschule sein muss. Und so lautet mein Rat an jüngere Menschen, niemals zuzustimmen, umsonst auszustellen oder zu arbeiten – Ihre Arbeit ist wichtig, gültig und kraftvoll. Besonders jetzt – wenn man sieht, was unmittelbar nach dem Lockdown geschieht und wie viele Menschen im Kunst- und Kultursektor mit dem Kampf konfrontiert sind, sich über Wasser zu halten – müssen wir uns zusammenschließen und Respekt für das fordern, was wir tun – es ist ein Job wie jeder andere, und wir verdienen finanzielle Sicherheit.

Ein weiterer Ratschlag wäre, aus der eigenen Komfortzone herauszukommen – geht zu Themen, zu denen ihr normalerweise nicht gehen würdet, und seid bereit für eine gute konstruktive Kritik. Ablehnungen sind Teil der Vorbereitungen – also nehmt diese auch an und versucht es weiter. Verschwendet auch keine Minute auf Menschen mit zu übertriebener Selbstgefälligkeit, die nicht zuhören – ihr werden nie etwas Wertvolles von ihnen lernen.

Seid professionell – leiht euch die Arbeitsethik eines regulären Unternehmens – schätzt eure Zeit, lernt, wie man etwas verrechnet und bezahlt, respektiert Teams, die euch helfen können, eure Arbeit zu erledigen – das sind eure Mitarbeiter*innen oder Institutionen, die eure Arbeit produzieren oder ausstellen; lernt, wie man Aufträge schreibt und auf sie reagiert und wie man die Zeit und das Eigentum anderer respektiert.

Und das Wichtigste ist, zu wissen: die Werkzeuge und Technologien, die ihr heute vielleicht benutzt, sind morgen veraltet. Aber macht euch keine Sorgen, sondern lernt, wie ihr eure Arbeit als eine Einheit erhalten könnt (d.h. speichert Betriebssystem-, Hardware- und
Softwareversionen). Gleichzeitig solltet ihr die Open-Source- und Hardware-Communities respektieren und schätzen – wer könnte euch helfen, wenn eure Technologie verschwindet! Gebt immer etwas zurück und arbeitet gemeinsam.

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EMAP

Kasia Molga (PL/UK) ist eine Designfusionistin, eine „Serienanfängerin“ und „Meisterin des Nichts“, die die Auswirkungen von Technologie auf die Umwelt und ihre Rolle in unserer Beziehung und Wahrnehmung zu „nicht-menschlichen“ Makern in Frage stellt. Sie bewegt sich disziplinübergreifend, um komplexe Ideen durch greifbare multisensorische hybride Installationen zu vermitteln. Sie hat weltweit ausgestellt, präsentiert und publiziert regelmäßig. Sie ist außerdem lizenzierte Taucherin, begeisterte Luftbildfotografin und verbrachte ihre Kindheit auf Handelsschiffen.

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