Seit den 80ern ist Fadi Dorninger kulturinteressierten Linzerinnen und Linzern ein Begriff, er agiert spartenübergreifend und sieht schon mal voraus, wohin sich Trends drehen. Wir hatten das außerordentliche Vergnügen, mit Fadi über seinen Preis, das bevorstehende Konzert, sein künstlerisches Denken, eine ausgestorbene Kultur in den USA und die Apathie der Moderne zu sprechen. Das Konzert am 1. Dezember wird auf Ars Electronica Home Delivery (powered by LINZ AG) übertragen, das Programm und seine Akteur*innen können sich sehen lassen:
DRKMBNT: Wolfgang Dorninger (selbstgelötete Klangerzeuger)
JOSEF K. NOYCE: Peter Androsch (Gitarre), Geza Eisserer (Percussions und Keyboard), Wolfgang Dorninger (Gesang)
DORNINGER – „Apatheia“ aus der Trilogie „Verschwinden – Perspektive – Utopia“: Wolfgang Dorninger (Electronics, Visuals), Nadja Schütz (Gesang)
DORNINGER – „Die Romantische Remixed“: Wolfgang Dorninger (Electronics), Didi Bruckmayr (Realtime-3D, Visuals)
WIPEOUT: Didi Bruckmayr (Gesang, Visuals), Wolfgang Dorninger (Electronics)
Gratulation, du hast den Kunstwürdigungspreis der Stadt Linz erhalten! Wie fühlt sich das an?
Wolfgang Fadi Dorninger: Überrascht und freudig. Ich habe nie damit gerechnet, einen Preis zu erhalten, weil ich oft zwischen den Stühlen sitze – im Theater halten sie mich für einen Künstler, im Kunstfeld für einen Musiker und im Musikfeld finden zwar viele gut, was ich mache, aber andere empfinden mich auch als zweifelhaft, weil ich für die „Hochkultur“ arbeite. Heuer hatte ich das Glück, dass die Jury meine künstlerische Arbeit und Motivation sehr gut kennt. Bei der Ausstellung „Cassette Culture Node.Linz“ zum Beispiel habe ich über drei Wochen täglich die Ausstellung aufgesperrt und geschlossen. Ich habe das Motto der Cassette Culture „Contact, Document und Exchange“ vor Ort gelebt und vermittelt. Bei Ars Electronica 2015 habe ich in der Gleishalle nicht nur die akustische Qualität des riesigen Ortes zum Leben in die Partitur einfließen lassen, sondern auch eine zukünftige Stadt akustisch entworfen, dem Namen PostCity als Ort eine akustische Zukunft mitgegeben („Post City – An Aural Fiction“). Die Jury konnte das geschlossene Werk sehen und nicht das vermeintlich weitläufige.
Ich sehe den Preis nicht für mein Lebenswerk, sondern als Anerkennung und Motivation weiterzumachen. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, die jungen Leute „anzuzünden“. (lacht) Ich hab ja nur gute Erfahrungen mit jungen Menschen, vor allem in den Vorlesungen – sie sind richtig gut drauf, interessiert, organisiert. Ich würde mir nur wünschen, dass es mehr Mut zu Brüchen gibt.
Wie bist du zur Musik gekommen?
Wolfgang Fadi Dorninger: Meine musikalische Herkunft ist im Pop zu sehen. Als Kind hab ich zwar im Chor vom Blatt gesungen und bin mit Klassik groß geworden. Erst mit 14 Jahren bin ich auf Jimi Hendrix gestoßen, was mir eine völlig neue Welt eröffnet hat. Doch ich musste mich erst von den strengen Vorgaben der Klassik befreien und meine eigene Richtung finden. Punk fand ich zwar politisch und menschlich gut, aber ästhetisch weniger. Meine modifizierten Kassettenrecorder mit selbstgelöteten Hallgeräten und Verzerrern waren wohl eher das, was später als Industrial bezeichnet wurde. Richtig los ging es mit meiner Art des Musikmachens erst später, nach einem Konzert von Kraftwerk und als ich die verspielten Hybride aus Pop und Avantgarde wie The Residents und Snakefinger kennenlernte. Da wurde mir klar, dass ich auch Musik mit dieser Luftigkeit machen möchte.
Meine eigenen musikalischen Vorlieben sind sehr breit gefächert: Sixties Psychodelic, Industrial, Klassik, eine gewisse Art des Jazz, schwarze Astralkultur wie Jimi Hendrix, Sly Stone, Sun Ra oder Love. Ich hab also ein wirklich breit aufgestelltes Œuvre und damit ist es noch viel schwieriger, Preise zu gewinnen.
Statt einer physischen Preisverleihung trittst du am Dienstag im Deep Space 8K des Ars Electronica Center auf, das auf Home Delivery übertragen wird. Wie bist du an dieses Event herangegangen?
Wolfgang Fadi Dorninger: Ich will das Publikum auf hohem Niveau mit Hingabe unterhalten und inspirieren. Es geht nicht nur um mich, den Künstler, sondern um den Dialog, den ich mit den Menschen haben kann. Und wenn sie bleiben und am Ende gut „angefüllt“ sind, dann hab ich eine gute Aufführung gemacht.
Als Gerfried Stocker mich gefragt hat, ob ich – weil eben keine Preisverleihung für den Kunstwürdigungspreis möglich ist – im Deep Space spielen will, war mir klar, dass ich ein Set zusammenstellen muss, das mit der gesamten Zeitspanne meines Schaffens zu tun hat. Ich hab versucht, mir Inhalte zu überlegen, wo der Zeitstempel der alten Stücke nicht so spürbar wird. Wo ein Stück aus den 80ern noch Tragkraft hat, ich es heute noch genauso umsetzten würde. Die Wahl fiel auf „The Rape of Lucrece“ von Josef K. Noyce (1989) und „Apatheia“ (2001), ein Stück aus meiner Trilogie „Verschwinden – Perspektive – Utopia“.
Im Video von Apatheia heißt es „Wir werden informiert, aber wir empfinden nichts mehr“. Das mag aus 2001 sein, klingt aber durchaus aktuell…
Wolfgang Fadi Dorninger: Genau. Wir leben in einer Zeit, in der wir immens viel Information erhalten, aber nur mehr wenig wahrnehmen. Durch die Algorithmen der Suchmaschinen finden die Menschen immer das, was sie finden wollen und weil sie es in einer so großen Menge finden, wird es zu ihrer Realität. Und plötzlich gibt es Menschen, die glauben, dass ihnen mit einer Impfung ein Mikrochip implantiert wird. Diese Information würde in einer Bibliothek so nicht gefunden werden.
Aber nicht nur Suchmaschinen, auch traditionelle Medien sorgen für Apathie, indem sie manches im Loop wiederholen. Wenn du willst, dass die Menschen ihre Menschlichkeit verlieren, dann zeigst du ihnen regelmäßig Bilder von Unmenschlichkeiten. Denn irgendwann wollen sie das nicht mehr sehen, nichts damit zu tun haben und verschließen sich. Sie werden unmenschlich, weil sie es nicht mehr bewältigen können. Anders war es bei dem berühmten Foto einer Hinrichtung eines Zivilisten mittels Kopfschuss im Vietnam-Krieg, das als Titelbild im Time Magazine eigentlich den Vietnamkrieg beendet hat. Die Menschen waren schockiert über die gezeigte Brutalität, die sie so nicht kannten und deshalb konnten sie Empathie empfinden. Und so kam das Stück „Apatheia“ in dieses Set.
Das Video zu „Apatheia“ auf dorf tv.
Für mich bedarf es in Kunst und Kultur einer Geschichte, einer Handlung, in die ich eintauchen und in der ich letztlich mitleben kann. Wie ist das für dich? Was interessiert dich? Wie entsteht ein Werk, ein Stück, ein Set bei dir?
Wolfgang Fadi Dorninger: 2001 hab ich eine Trilogie begonnen, die ich 2009 fertigstellen konnte: Verschwinden – Perspektive – Utopia. Für jeden Teil der Trilogie brauchte ich einen emotionalen Anker, damit überhaupt eine Geschichte für mich entstehen konnte.
Der erste Anker und der Grund für den Titel „Hisatsinom, über das Verschwinden“ war ein Aufenthalt in den USA, bei dem ich zufällig auf die Kultur der Hisatsinom (Anasazi) stieß. Diese Hochkultur hatte ein enormes astronomisches Wissen und ein kosmologisches Weltbild. Ihre Bauten waren nicht nur Wohn- und Kultstätten, sondern auch Sternen- und Sonnenkarten, mit denen sie die Zeit der Aussaat und Ernte bestimmten. Doch im 14. Jahrhundert verschwand diese Kultur innerhalb weniger Generationen und beschwor damit viele Mythen herauf, von einer großen, langen Hungersnot, von räuberischen, carnivoristischen Horden aus Mexiko bis hin zu Sternentoren. Und genau das war mein Ankerpunkt für den Themenkomplex Verschwinden.
2005 wurde das Rätsel gelöst: Der Monsun verschob sich – wahrscheinlich durch einen Vulkanausbruch oder Ähnliches – um zwei Monate nach hinten, verringerte die Erträge drastisch und der Glaube an das Allwissen der oberen Kaste brach. Und so verschwand eine Hochkultur und wurde durch eine andere, bodenbezogene „Religion“, den Kachinismus, abgelöst. Das war der erste Teil der Trilogie.
Der zweite Teil 2005 hatte die Perspektive zum Thema und der Anker waren die Nasca-Linien in Peru. Das Spannende an diesen Linien ist, dass die Nasca, die Erbauer, sie in der gesamten Dichte nicht sehen konnten. Die Anzahl der Linien und Trapezoide ist gewaltig. Ich empfinde es als poetisch und schön, dass es bis heute nur unzählige Spekulationen gibt, wofür sie von dieser technoaffinen Bauerngesellschaft überhaupt gemacht wurden. Vermessungstechniker rätseln immer noch, wie sie 10 Kilometer lange Linien so gerade anlegen konnten.
Das Video zu „Nasca, on Perspective“ auf dorf tv.
Der dritte Teil 2009 widmete sich dem Nicht-Ort und da war meine Verankerung Shangri-La. Ich plante eine Expedition nach Tibet, um den möglichen Ort von Shambala (Shangri-La) aufzusuchen. Die Unruhen in Tibet anlässlich der Olympiade in Peking ließen das nicht zu. So entschied ich mich auf den Spuren von Michael Peissel für eine Chora durch das Königreich Mustang. Dort lernte ich ein paar der 2.300 Geister der Tibeter kennen, quasi einen riesigen Nicht-Ort, wo es für alles einen Geist gibt.
Das Video zu „Shangri-La“ auf dorf tv.
Bei der Rezeption deiner Werke und Texte hab ich mich gefragt, wie du an deine Themen herangehst. Ist das Interesse spirituell? Kulturell? Und wie geht es dann weiter?
Wolfgang Fadi Dorninger: Eher wie ein Wissenschaftler, wie ein Suchender. Und immer ist der Zufall mit im Spiel.
Ich erzähle kurz, wie ich zum Beispiel zur Trilogie kam. In einer Vorlesung auf der Angewandten sollten wir drei Themen aufschreiben, über die wir in den nächsten 20 Jahren Projekte machen wollten. Ich hab „Verschwinden“, „Perspektive“ und „Nicht-Ort“ aufgeschrieben. Durch Zufall bin ich bei meinem Aufenthalt in den USA 1999 auf die Hisatsinom-Kultur gestoßen, hab mich total in deren Historie vertieft und die Recherche zog immer größere Kreise, bis ich dann „unter Strom“ mit dem Skript, der Komposition und dem Video begann.
Ich hatte schon Angst, dass ich für die „Perspektive“ und den „Nicht-Ort“ keinen Aufhänger finden würde, worüber ich mit einem Freund und seiner Familie sprach, als ich zu Besuch in Denver war. Beim Frühstück am nächsten Tag zeigte mir seine Mutter plötzlich Fotos von den Nasca-Linien, die sie selbst bei ihren Flügen darüber in den späten 50ern gemacht hatte. Ab da war klar, dass mir diese wunderbare Frau den Aufhänger zur „Perspektive“ schenkte. Und ein Jahr später war ich in Nasca und flog selbst über die Linien.
Mein Zugang zu einem Thema ist also immer eine Mischung aus Zufall, Neugier und Theorien, die ich verfolge.
Ein weiteres Werk, das präsentiert wird, ist DRKMBNT. Was bedeutet das?
Wolfgang Fadi Dorninger: Dark Ambient. Die Abkürzung kommt daher, dass ich weder dem „dark“ noch dem „Ambient“ zu viel Bedeutung schenken wollte. Ein Musikprojekt basierend auf selbst gelöteten Klangerzeugern und Effekten.
Macht es mehr Spaß, wenn man das selbst hergestellt und gelötet hat?
Wolfgang Fadi Dorninger: Ja, sehr viel Spaß. Das selber löten erzeugt schon eine eigene künstlerische Dynamik. Und selbst reparieren kann ich sie auch. Am meisten gefällt mir aber, dass Freunde von mir diese Tools entwickelt haben, mit denen ich sehr oft gemeinsam löte. Löten in Gruppen liebe ich und es inspiriert mich.
Das Video zu drkmbnt auf dorf tv.
Die wichtigste Frage zum Schluss: Warst du 89 bei Nirvana in der Kapu?
Wolfgang Fadi Dorninger: Ja! Ich war dort und ich kann mit Sicherheit sagen, dass nicht alle dort waren, die das behaupten. (lacht) Sie waren gemeinsam mit TAD auf Tour und mussten erfahren, dass immer die Band, die als Headliner am Plakat stand, die besondere Aufmerksamkeit bekam. Und so haben sie sich abgewechselt, damit jeder mal der Star sein kann. In der Kapu in Linz waren TAD die Headliner, im U4 in Wien dann Nirvana. Beide waren gut, aber man konnte da schon das Potential im Gesang und im Songbau von Nirvana erkennen.
Ein paar Tage später war ich in Wien und hab eine Bekannte getroffen, die gleich meinte: „Hast du Nirvana gesehen? Die werden ganz groß!“
Wolfgang Fadi Dorninger startete 1983 seine musikalische Laufbahn mit Bandprojekten wie ROI (Rythmik of Industry), Der Hammerschmied oder Monochrome Bleu. 1983 gründete er das Tape Label Die Ind. Mit Monochrome Bleu tourte er durch halb Europa und drei Mal quer durch die USA. Die erste Tour 1986 veränderte seinen künstlerischen und kulturellen Kompass nachhaltig. Retour in Linz startete Dorninger lokale (Fadi Sampler Linz) wie internationale (Tape Report) Musik-Netzwerke, basierend auf den Prinzipien der Cassette Culture. Er propagierte das freie Radio, publizierte in Fanzines und gründete Community-Labels wie 7inch12 oder die Musikdatenbank SR-Archiv österreichischer Popularmusik. In der Kunst ist Dorninger meist im öffentlichen Raum tätig, arbeitet dort mit flüchtigen Medien oder nutzt den Klang dieser Räume als Instrument. Als Musiker und Komponist ist er für das Theater und Film, in Bands und in der Sound Art tätig. DIY, Open Source und offene Strukturen sind Antrieb und ständige Erneuerung in seinem künstlerischen Wirken. An der Kunstuniversität Linz unterrichtet Dorninger im Bereich Klangerzeugung und Sound Design. (Foto: Max Bauer)
Na, neugierig geworden? Wir freuen uns, wenn ihr in den nächsten Wochen bei „Ars Electronic Home Delivery“ powered by LINZ AG mit dabei seid! Lasst euch von den vielen Ideen für die Zukunft inspirieren, lauscht den tollen Klavierkonzerten, bastelt mit, diskutiert mit und vor allem löchert uns mit euren Fragen, postet eure Anregungen und Ideen und lasst uns wissen, welche Zukunft euch vorschwebt!