Wem gehört die Welt?

, Foto: Art+Com

Internet, künstliche Intelligenz, Deep Fakes. Diese in sich technologischen Hilfsmittel sind viel mehr als das, sie sind zu einem sozialen Raum avanciert und haben ein Eigenleben entwickelt, sind nicht gesund gewachsen und in die Gesellschaft eingebettet worden. Vielmehr wurden den enormen technologischen Entwicklungen kaum gesellschaftliche, menschliche oder kulturelle Spielregeln entgegengesetzt und so wuchs der digitale Raum abseits staatlicher Normen. Das zeigt sich in der Macht mancher transnationaler Konzerne, die wie mittelalterliche Lehensherren ihre digitalen Ländereien verleihen. Wer ihre Dienste nutzen will, muss ihre Regeln akzeptieren und die eigenen Daten preisgeben. Denn Daten sind das neue Gold. Und damit sind die Menschen nicht mehr Kunden, sondern das Produkt selbst. Willkommen im digitalen Feudalismus.

Mit der Entscheidung Einzelner ist es natürlich nicht getan. Soziale Medien, das Internet und die Algorithmen dahinter haben die Macht, unsere Wahrnehmung zu ändern und nutzen dies auf kommerzielle Weise, aber auch zur Ausübung sozialer Kontrolle. Mit einer Internet-Armee kann die Wahl der USA beeinflusst werden, was dem Terminus „personalisierte Werbung“ rasch einen schalen Beigeschmack gibt. Welche Art von politischer, ökonomischer und sozialer Zukunft ist in einer Welt möglich, in der die Bedingungen nicht mehr von Nationalstaaten, sondern von Technologiekonzernen festgelegt werden? Wem gehört die digitale Welt? Wer streift die Gewinne ein, wer zahlt für Verluste? Wie können Einzelne solche Macht anhäufen, die von keinerlei Verantwortung begleitet wird?

Das Ars Electronica Festival widmet sich unter dem Titel „A New Digital Deal“ diesen Fragen, diskutiert die Theorie, bringt viele praktische Beispiele und zeigt ein weiteres Mal, dass Kunst ein wichtiger gesellschaftlicher Parameter ist, um auf Missstände hinzuweisen und Wege in eine bessere Zukunft zu (er)finden. Begleiten Sie uns durch die verschiedenen Projekte in unterschiedlichen Formaten – von Installation über Konferenz zu Ausstellung und Animation.

AI x Feudalism
Die „Mutter“ der Themen-Veranstaltungen hierzu ist die Konferenz „AI x Feudalism. Digitale Leibeigenschaft in der Welt von Big Data, zwischen Eigentumsrechten, Ermächtigung und Inhaltskontrolle“. Reales Gemeingut ist ständig von Auflösung bedroht, nicht weniger umkämpft sind die Territorien des digitalen Raums, wo ein ständiges Ringen um das Eigentum großer Teile der Datenlandschaft herrscht. Von Erlösung und Befreiung bis hin zu Einschränkung, wenn nicht gar Gefangenschaft – dieselben Datensätze können für verschiedene Menschen sehr unterschiedliche Dinge bedeuten. Allgemein gesprochen: Daten sind Macht. Aber von wessen Macht sprechen wir?

One Vision, One World. Whose World Then?, Foto: Vândria Borari

One Vision, One World. Whose World Then?
Der dieses Jahr erstmalig vergebene Ars Electronica Award for Digital Humanity suchte Projekte, die die Bedeutung des kulturellen Austauschs und der Zusammenarbeit für die Entwicklung einer gesellschaftsorientierten, digitalen Welt demonstrieren. Vergeben wird er an das Branch Magazine mit „A Sustainable and Just Internet for All“ (nachhaltiges und gerechtes Internet für alle). Ihre Vision? Das Internet soll unserer kollektiven Befreiung dienen und ökologischer Nachhaltigkeit verpflichtet sein. Basierend auf diesen Grundsätzen hat das Branch Magazine eine Konferenzlinie zusammengestellt, die der Frage nachgeht, was es braucht, um ihre Vision umzusetzen. Ein spannender Beitrag kommt dabei von Vândria Borari and Camila Nobrega mit „One Vision, One World. Whose World Then?” Den Ausgangspunkt bildet das 14. Internet Governance Forum in Berlin, das im November 2019 unter dem Slogan „One Vision, One Net, One World“ stattfand. Um dieser hehren Absichten gerecht zu werden, bedarf es zunächst einer Klärung, welche Werte, Grundsätze und Regeln aus der analogen Welt in die digitale Welt transferiert werden sollen. Und vor allem, wer diese bestimmt. Ist es vor allem der globale Norden, der die Regeln bestimmt? Oder sprechen wir von einem digitalen Raum, der auch die Rechte und Traditionen indigener Völker schützt? Die grundlegende Frage ist doch, wie „alle“ zusammenarbeiten und etwas aufbauen können, obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen stammen.

Disconnected Experiences, Foto: Steffen Köhn, Nestor Siré

Disconnected Experiences
Einen spannenden, weil anderen Blick bietet der 2021 neu hinzugestoßene Garden Cuba. Lange Zeit gab es auf Kuba kaum oder kein Internet und durch diese verzögerte Entwicklung haben sich dort alternative Phänomene herausgebildet, wie digitale Kunst produziert, präsentiert und verbreitet wird. Vor allem im künstlerischen Bereich sind Produkte der sozialen Kreativität entstanden, die in „Disconnected Experiences“ präsentiert werden. Das populärste Beispiel ist „Paquete Semanal“ (Wochenpaket), ein ein Terabyte großes Datenpaket mit einer breiten Palette digitaler Unterhaltungsmedien, das von Person zu Person weitergereicht wird. Mit „!!!Sección ART“ enthält es auch einen digitalen Ausstellungsraum. Parallel zu seiner Online-Präsenz in der Ars Electronica wird „Disconnected Experiences“ offline in der Paquete Semanal von !!!Sección ARTE mit einer Reichweite von ca. 10.000 Nutzer*innen in Kuba ausgestellt.

Made to Measure
Das Format „Ars Electronica Journeys“ ist 2020 entstanden und dem hybriden Festivalansatz geschuldet. Die Idee besteht darin, Künstler*innen, Forscher*innen und kreative Produzent*innen um Bereitstellung von Videoreisen zu bitten, um dem Publikum interaktive Führungen ohne physische Anwesenheit zu ermöglichen. Die Journeys des European ARTificial Intelligence Lab1 werfen ein Schlaglicht auf aktuelle Themen und Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ein besonders spannendes Projekt ist „Made to Measure“ der Künstler*innengruppe Laokoon. Hier stellen sie die Frage, ob alleine anhand der Google-Daten einer Person ihre Doppelgängerin erschaffen werden kann. Unter Verwendung von Daten einer ihnen unbekannten Person kreieren sie diese und erzählen aus ihrem Leben. Erlebbar wird der spektakuläre Versuch auf einer interaktiven Website inklusive Reaktionen und Eindrücke des Publikums und Auszüge aus den Interviews mit Expert*innen. Wie austauschbar sind Menschen? Wie werden ihre Schwächen, Krankheiten oder andere Defizite eruiert und ausgewertet, um daraus Profit zu schlagen?

Made to Measure , Foto: Konrad Waldmann

Von den virtuellen bzw. hybriden Formaten wechseln wir nun ins physische Linz. Im Rahmen der traditionellen Ausstellung „Interface Cultures“ der Kunstuniversität Linz. Unter dem Titel „Infinite Nows“ werden studentische Projekte der Zürcher Hochschule der Künste gezeigt, in denen Handlungsmöglichkeiten des Miteinander Ausdruck finden, seien diese menschlich-sozial oder menschlich-nicht menschlich. Die Themen sind vielfältig angelegt, von artenübergreifender Interaktion über Selbstwahrnehmung bei Deep Fakes, integrativen Wahlsystemen und antisozialen Medienplattformen sowie weiterer interaktiver Technologien, die Momente des Teiles, der Präsenz und der Fürsorge erzeugen.

So untersucht etwa „Deep Vision“ von Florian Bruggisser das maschinelle Sehen und seine Umsetzung in Visualisierungen, die Schnittstelle zwischen künstlicher und menschlicher Wahrnehmung. Das Publikum erhält die Möglichkeit, nicht nur das Innenleben der Maschine zu verstehen, sondern auch über die sich ständig weiterentwickelnde Interdependenz zwischen Nutzer*in und Technologie nachzudenken.

Deep Vision , Foto: Florian Bruggisser

„2.0 – Diskurse aus der digitalen Welt“ von Daniel Huber ist eine intermediale Zeitschrift für digitale Weltdiskurse, deren erste Ausgabe sich mit Virtualität und Unsterblichkeit beschäftigt. Durch interaktive Elemente und virtuelle Ebenen wird das traditionelle Printmedium zu einem analog-digitalen Hybridmedium. Ziel der Publikation ist es, die sich rasch verändernden sozialen und gesellschaftlichen Realitäten und Abgründe zu erkunden.

Es ist nur ein kurzer Weg von der Kunstuni über die Donau ins Ars Electronica Center, wo im Deep Space 8K Animationen gezeigt werden. Peter Burrs Installation „Dirtscraper“ ist zugleich eine generative Animation als auch ein Computerspiel und wurde bereits in unterschiedlichen Formen, als Life-Stream oder Mehrfachprojektion ausgestellt. Das Kunstwerk skizziert mit Text-Pop-ups und audiovisuellen Rastern eine dystopische Welt, in der das Individuum im Kampf gegen gegebene Strukturen scheinbar zugrunde geht.

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Das war eine Auswahl an Formaten und Veranstaltungen rund um das Thema „Digitaler Feudalismus“, dem die Ars Electronica innerhalb des „New Digital Deal“ einen wichtigen Part widmet. Die benötigte Differenziertheit in der Betrachtung kann völlig unterschiedlichen Outputs ergeben, führt aber klar die Notwendigkeit vor Augen, den Machtinteressen nichtstaatlicher Konzerne neben größerem politischen Engagement eine starke und diverse Zivilgesellschaft entgegenzusetzen.

Mehr über das Ars Electronica Festival könnt ihr laufend hier auf unserem Blog, auf der Website sowie auf unseren Social Media Kanälen – auf Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn nachlesen.

1 The European ARTificial Intelligence Lab is co-funded by the Creative Europe Programme of the European Union and the Austrian Federal Ministry for Arts, Culture, Civil Service and Sport.

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