Wir sehen es, wir fühlen es und wir hören es: Unsere Welt verändert sich. Und wir verändern uns mit ihr. Wir sehen die Dringlichkeit, mit der die Zukunft unseres Planeten – wie wir ihn kennen – auf unseren Schultern ruht. Doch wie schaffen wir es, hier aktiv zu werden und Raum zu schaffen, um vorwärts zu kommen? Was müssen wir tun, damit wir die Angst und damit die ängstliche Starre hinter uns lassen können, damit wir zuversichtlich und respektvoll die nächsten Schritte in Richtung einer wohlwollenden Gesellschaft gehen und das gesunde Funktionieren der Ökosysteme der Erde unterstützen können?
LOOPS OF WISDOM, so der Titel der heurigen Ausstellung der Kunstuniversität Linz im Rahmen des Ars Electronica Festival, will keine Lösung sein, sondern ein möglicher Handlungsleitfaden: ein durchdachtes Set von inspirierenden Ausstellungen, Präsentationen, Performances, Interventionen, Workshops und Laborsettings sowie eine diskursive Plattform, gestaltet von Studierenden und Lehrenden. Das hört sich an, als füge es sich wunderbar ins Thema „A New Digital Deal“ ein und als gäbe es zu dem Titel noch viel mehr zu erzählen. Deshalb haben wir Manuela Naveau, Kuratorin des Projekts sowie Professorin für Critical Data am Interface Culture Department, ein paar Fragen dazu gestellt.
Ganz organisatorisch gesprochen: Welche Locations werden heuer bespielt, wo gibt es was zu sehen und in welchem Umfang?
Manuela Naveau: Ich muss jetzt gleich mal vorwegschicken: Der Kunstuni Campus zum Ars Electronica Festival 2021 ist dieses Mal so groß wie noch nie. Christa Sommerer, die Institutsleitung von Interface Cultures und Initiatorin dieser Zusammenarbeit, hat uns vor kurzem wissen lassen, dass die erste Ausstellung von Interface Cultures vor 17 Jahren genau acht Kunstwerke zeigte. Nun, 2021, sind drei künstlerische Arbeiten in der Themenausstellung zum Ars Electronica Festival an der JKU untergebracht, aber nicht ganz 100 Ausstellungsexponate mit circa 190 beteiligten Künstler*innen, Forscher*innen und Performer*innen werden in den Räumlichkeiten der Kunstuni Linz am Hauptplatz gezeigt. Noch nie waren 10 Institute der Kunstuniversität Linz am Ars Electronica Festival beteiligt. Das gesamte Erdgeschoß in den Brückenkopfgebäuden Hauptplatz 6 und Hauptplatz 8 sowie die Strafsachengallerie sind Ausstellungsorte, die täglich von mittags 12:00 bis 20:00 Uhr offen sind. Genauso das splace, die Galerie der Kunstuni am Hauptplatz: Im splace ist unsere Partneruniversität, die ZhdK (Züricher Hochschule der Künste) untergebracht und wir feiern mit ihnen 20 Jahre IAD – Interaction Design Department. Ganz besonders stolz bin ich auf die Akademie der Gedanken (Courtyard Hauptplatz 8). Ein öffentlicher Innenhof zum Verweilen, Beobachten, Mitdenken, Mitmachen, ein Festivalzentrum mitten in der Stadt mit Bar, Papier, Stiften, Mikrofonen, Lautsprechern, einem Baum und einer von Studierenden von Architektur und Urban Studies gestalteten Bühne. Enrique Tomás hat wieder ein geniales Musik-, Dj- und Soundperformance-Programm zusammengestellt, das sich mit inspirierenden Talks und Roundtables abwechselt. Von Mittwoch bis Samstag (auch hier) von 12:00 bis 20:00 Uhr soll gedacht, gemacht und getanzt werden. Wenn man also von der JKU in die Innenstadt kommt, dann einfach vorbeischauen.
Kannst du uns ein bisschen mehr zum Titel/Thema der heurigen Ausstellung „Loops of Wisdom“ verraten?
Manuela Naveau: Also inspiriert dazu hat mich ein Paper von Geoff Mulgan, einem Professor für Collective Intelligence am University College London. Er spricht von „Loops for Wisdom: How to bridge the wisdom gaps in the life of citizens, governments and societies“ und im Zuge meiner Vorlesung zu Critical Data habe ich seine Gedanken verarbeitet und bin zu dem Entschluss gekommen, dass Loops of Wisdom – vor dem Hintergrund und der Frage, was Wissen an einer Kunstuniversität bedeutet, wie Wissen hier generiert wird und was dies mit Weisheit zu tun hat – auch wunderbar als Titel der heurigen Beiträge zum Ars Electronica Festival passt. Wissen in der Kunst entsteht nicht nur aus Denkprozessen, sondern vor allem auch aus dem praktischen Tun, dem spielerischem Experimentieren und dem gleichzeitigen Ausloten von Grenzen. Und es schließt respektvolles Handeln und Verhalten mir selbst, den anderen und unserer Umwelt gegenüber, ein. Daher sehen wir Loops of Wisdom als einen Handlungs- und Verhaltensvorschlag mit vielen Windungen und Schlaufen und auf keinen Fall als ein Innovationskonzept. Im Gegenteil, wir möchten ja bestehende Denkmuster hinterfragen und gemeinsam mit meinen Kolleg*innen Julia Nüsslein, Giacomo Piazzi und Sylvia Leitner haben wir gesehen, dass Loops of Wisdom genau diese Fragestellungen zu Handlungen und Verhalten als Wissensimplikatoren beinhaltet.
Anschließend an das Festivalthema „A New Digital Deal“, wie reihen sich die Projekte hier thematisch ein?
Manuela Naveau: Letztens in einem Gespräch mit meinem Mann, der ja im Ars Electronica Futurelab arbeitet, haben wir überlegt, wie man einen NEW DIGITAL DEAL als Anstoß für eine neue Denk- und Verhaltensweise sehen kann. Denn unsere Welt beruht auf Berechnungen und Annahmen, auf Kalkulationen, die unser Leben bestimmen, es vermessen, es normieren, es vergleichbar machen und kontrollierbar – ob von uns selbst oder von anderen. Immer mit dem eigentlich zutiefst menschlichen Ziel, mehr Wissen über uns selbst zu generieren und es mit anderen zu teilen. Aber etwas ist schiefgelaufen, denn durch Kalkulationen alleine werden wir nicht weiser. Und da sind wir dann schon bei unserer Ausstellung LOOPS OF WISDOM. Ich glaube, dass ein NEW DIGITAL DEAL die LOOPS OF WISDOM mitaufnehmen muss. Das ist in einer wahnsinnig beschleunigten, da digitalisierten, und auf Profit ausgerichteten Umgebung nur dann machbar, wenn z.B. langfristig wieder geplant wird, wenn Gewinn andere Wertzuschreibungen erfährt und wenn zur Beurteilung nicht nur automatisiert generierte Daten herangezogen werden, sondern eine neue Generation der Care-Systems entsteht. Man muss dann schon einige Loops und Twists in Kauf nehmen und die sind sicher nicht leicht zu nehmen und schon gar nicht schnell. Und vielleicht kommt man bei der einen oder anderen Gelegenheit drauf, dass manche Wege nicht gegangen werden sollen, oder lieber nochmals, oder eben anders,…
Für dich persönlich, was sind die Highlights der heurigen Ausstellung, warum sollte man das keinesfalls verpassen als Besucher*in?
Manuela Naveau: Das wird jetzt schwierig und du weißt, dass ich jetzt am liebsten von jedem Institut eine Arbeit erwähnt haben möchte, aber das geht wahrscheinlich nicht, oder?
Das wird schwierig, aber vielleicht kannst du uns trotzdem noch ein paar spannende Projekte anteasern?
Manuela Naveau: Ok, also unbedingt muss die Ausstellung auf Hauptplatz 8 besucht werden. „Interface Cult“ geht der Frage nach, welchen Stellenwert Handwerk und Rituale in unserer Kultur innehaben und wie eine Diversität an Kulturen und Traditionen in den hegemonialen digitalen Filtern verschwinden. Ein Beispiel dafür und eine besondere Arbeit ist für mich dabei „The CNC Punch Needle Machine MK-1“ von Hess Jeon und Seo Son. Normalerweise besticken Maschinen im Eiltempo Textilien. Nicht jedoch diese Maschine, denn sehr langsam sucht die Nadel ihren Weg durch das auf einem Rahmen aufgespannte Textil. Das Durchbrechen der Nadel durch die textile Leinwand wird nicht nur hörbar, sondern sogar spürbar. Jeder einzelne Stich bekommt seine Wichtigkeit und der Inhalt der gestickten Information tritt für den Zweck des Stickens in den Hintergrund, wodurch der Prozess des Stickens – des Setzen eines Loops – übermäßig große Wichtigkeit bekommt. Außerdem kommt die Arbeit mit einer Bauanleitung und Information wird Open Source und im Sinne textiler Traditionen weitergegeben.
Am Hauptplatz 6 erwarten die Besucher*innen jene Ausstellungsbeiträge, die vor allem mit Formen von Metamorphosen zu umschreiben sind. Die Wandel- und Verwandelbarkeit in unserer Welt, ja sogar Anpassung, aber auch das Hacken, das Unterwandern und Auflösen wird metaphorisch dargestellt. Bei der Arbeit „Tape Walk“ von Susanne Hinterberger wird ein Magnetband aus seiner Kassette genommen und an der Wand angebracht. Um die Soundinformation abzulesen, wurde ein Walkman gehackt, um sein Lesegerät freizulegen. Das Magnetband enthält einen selbst komponierten Track mit Geräuschen aus dem täglichen Leben einer Person. Der gehackte Walkman erlaubt es dem Benutzer, die Oberfläche zu berühren und direkt zu hören. Es entsteht eine Metamorphose des Hörerlebnisses, bei der die „Arbeit“ des Abspielens manuell stattfindet.
Aber auch auf die Arbeit von Joachim Iseni „Nach dem Guten suchen“ freue ich mich schon. Eyetracking, normalerweise für Produktplatzierungen genützt, wird interaktiv den Verlauf eines Videos steuern. Verhaltensmuster werden auf den Kopf gestellt und Bewegungen (in diesem Fall die Augenbewegungen) müssen neu kontrolliert und bewusst eingesetzt werden.
Andere Arbeiten spielen mit dem Thema der Visualisierung: Bei der „watermap“ von Daniel Fischer regnet es nur, wenn irgendwo auf der Welt entsprechend viele Wassertropfen zu Boden gehen. Denn genau dann treffen Wassertropfen auf eine Welt aus Sand, bis das alles wieder auftrocknet und nur Spuren der Wassertropfen erkennbar bleiben. Bettina Mörz hingegen befasste sich mit der „Vielfalt des Sonnenlichts“ und untersucht, wie sich die Vielfalt des Sonnenlichts zeitlich und geografischen darstellen lässt.
Und von unseren Partnern der ZhdK bin ich schon gespannt auf das „Taste Lab“ von Erika Marthins, Stella Speziali und Juan Garc. Eine Versuchsanordnung als multisensorisches Experiment mit Geschmack, Klang und Berührung. Dieses Experiment nutzt VR als Medium, um unser Gehirn und Sinne beim Schmecken und Essen auszutricksen.
Aber auch so viele andere Arbeiten klingen sehr spannend und ich freue mich schon, wenn ich nicht nur die Dokumentationen dazu sehe, sondern endlich auch die Arbeiten mitsamt den Kunstschaffenden dahinter in unseren Ausstellungsbereichen antreffen kann.
Manuela Naveau, PhD, ist eine österreichische Künstlerin, Forscherin und entwickelte als Kuratorin von Ars Electronica Linz gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter Gerfried Stocker die Ars Electronica Export. Sie ist Professorin an der Universität für künstlerische Gestaltung Linz und lehrte an der Paris Lodron Universität Salzburg und der Donau-Universität Krems. Ihre Forschung untersucht die Arbeit mit Netzwerken, Plattformen und Daten im epistemologischen Kontext einer künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungspraxis und an der Schnittstelle von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Ihr Buch „Crowd and Art – Kunst und Partizipation im Internet“ ist 2017 im transcript Verlag erschienen. Das Buch basiert auf ihrer Dissertation, für die sie 2016 mit dem Staatspreis des österreichischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ausgezeichnet wurde. Credit: Anette Friedl www.manuelanaveau.at www.crowdandart.at