by Ana-Maria Carabelea, Communications Manager Regional S+T+ARTS Centers
Die Klimakrise steht mehr denn je auf der Tagesordnung aller, von Politiker*innen über den privaten Sektor bis hin zu den Bürger*innen. Für viele Länder weltweit ist Kohlenstoffneutralität zum großen Ziel der nächsten Jahrzehnte geworden. Im Jahr 2019 veröffentlichte die Europäische Union den EU Green Deal mit dem Ziel, als erster Kontinent bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden.
Der Weg zu Kohlenstoffneutralität ist die Umgestaltung bestehender linearer Ökonomien in Kreislaufwirtschaften. Die Umsetzung einer solchen Wirtschaft erfordert erhebliche Veränderungen in der Gesellschaft. Ein von Springer Link im vergangenen Jahr veröffentlichter Bericht warnt, dass eine Kreislaufwirtschaft „radikale Innovationen, Verbrauchererziehung und vor allem politische Bereitschaft“ erfordert. Nur eine synchronisierte, konzertierte Anstrengung in all diesen Bereichen kann uns einer Kreislaufwirtschaft näher bringen, die die Formen unserer bestehenden Praktiken durchbricht und schließlich zur Kohlenstoffneutralität führt.
Um dieses Problem anzugehen, hat Ars Electronica gemeinsam mit Greiner Innoventures ein Stipendium im Bereich von Repairing the Present – ein von der Europäischen Kommission im Rahmen ihrer S+T+ARTS-Initiative gefördertes Projekt – mit dem Titel Circular Futures ins Leben gerufen. Greiner ist einer der weltweit führenden Anbieter von Kunst- und Schaumstofflösungen, Greiner Innoventures ist der Innovations-Hub, kollaboriert mit Start Ups und beobachtet Trends. Für die Dauer des Stipendiums wird ein*e Künstler*in Teil des Design- und Entwicklungsprozesses eines Prototyps sein, der Veränderungen in der Art und Weise vorschlägt, wie wir Kunststoff herstellen, verwenden und entsorgen. Wir sprachen mit Maria Molina, Head of Corporate Foresight bei Greiner Innoventures, über den Innovationsansatz des Unternehmens, die Erwartungen an die Zusammenarbeit mit Künstler*innen und ihre Sicht auf die Zukunft.
Erzählen Sie ein wenig über den Innovationsansatz von Greiner Innoventures.
Maria Molina: Greiner Innoventures ist ein Unternehmen, das Produkte und Lösungen für morgen entwickelt, d.h. Produkte, die über die aktuellen Kerngeschäfte, Märkte und Technologien hinausgehen. Wir sind gewissermaßen ein Labor, in dem wir Ideen konzipieren, ausprobieren und skalieren. Wir tun dies, indem wir die Zukunft in die Gegenwart holen, Signale des Wandels erkennen, Trends und aufkommende Technologien zusammenfassen und mit internen und externen Partnern offen über die Auswirkungen und Möglichkeiten diskutieren, die die Zukunft mit sich bringen könnte.
Unser Fokus liegt auf der langfristigen Perspektive. Dafür setzen wir eine Reihe von intelligenten Verfahren ein, um die Entwicklungszyklen zu beschleunigen. Im Gegensatz zu traditionellen Innovationsansätzen vermeiden wir Geheimniskrämerei und entscheiden uns dafür, intensiv mit externen Partner*innen zu arbeiten und unsere Ideen zu diskutieren, um Unsicherheiten zu verringern. Unser oberstes Ziel ist es, zukunftsfähige Ideen in die Realität umzusetzen, d.h. neue Unternehmen aufzubauen, die in das Greiner-Universum eingebettet sind.
Ihre Rolle ist einzigartig in der Branche. Können Sie uns ein wenig darüber und über Ihre Arbeit bei Greiner Innoventures erzählen?
Maria Molina: Ich leite den Bereich Corporate Foresight bei Greiner Innoventures, bin also im Wesentlichen für die Initiation unserer Inkubationsprojekte verantwortlich. Dieses Konzept der Vorausschau bezieht es sich auf die Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren, die treibenden Kräfte zu erkennen, die aktuelle Bedingungen zu verändern und zu verstehen, wie zukünftige Szenarien aussehen könnten. Meine Aufgabe ist es, die Instrumente und Methoden festzulegen, mittels derer wir Erkenntnisse aus der Zukunft ziehen können, seien es neue Technologien oder soziale und Markttrends. Durch Vorausschau identifizieren wir vielversprechende Innovationsfelder, in denen neue und radikale Ideen das Potenzial zur Entstehung haben.
Änderungen müssen in mehreren Phasen des Lebenszyklus von Kunststoffen vorgenommen werden, angefangen bei der Herstellung. Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Änderungen, die wir jetzt in der Kunststoffproduktion vornehmen müssen, und wie arbeiten Sie bei Greiner daran, diese Änderungen umzusetzen?
Maria Molina: Ich würde sogar vor der Herstellung beginnen. Die wichtigste Veränderung muss in den frühen Phasen der Produktentwicklung stattfinden: im Design. Wir müssen bereits bei der Konzeption des Produkts für eine rationelle Nutzung der Ressourcen eintreten. Vielleicht müssen wir sogar eine neue ästhetische Sprache entwickeln – die nicht unbedingt minimalistisch sein muss -, die Ökodesign-Prinzipien wie Zerlegbarkeit, Austauschbarkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit fördert.
In der Produktion haben wir uns intensiv mit der Umstellung auf grüne Energie und allgemein mit der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs beschäftigt. Wir haben unsere Emissionen überwacht und uns das Ziel gesetzt, sie in jedem Greiner-Werk weltweit zu reduzieren. Das sind über 60 Standorte.
Die Produktion ist nicht das einzige Problem. Die folgenden Phasen des Lebenszyklus von Kunststoffen und die Art und Weise, wie wir sie verwenden und entsorgen, sind potenziell noch problematischer. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um den gesamten Lebenszyklus besser zu gestalten?
Maria Molina: Auch hier müssen wir das Konzept des Lebensendes bereits in den frühen Phasen der Produktentwicklung berücksichtigen. Wenn ein Produkt nicht von Anfang an so konzipiert ist, dass es recycelt werden kann, wird es am Ende seiner Nutzungsphase auch nicht recycelt werden. Während der Produktentwicklungsphase muss eine Lebenszyklusanalyse durchgeführt werden, um den Fußabdruck und die Folgen des Produkts vollständig zu verstehen.
Andererseits muss die Recycling-Infrastruktur ausgebaut werden und es muss ein Konsens in der Kunststoffindustrie hinsichtlich der Materialauswahl erzielt werden, um höhere Quoten für recycelbare Stoffe zu erreichen. Denken Sie an den Recyclinganteil: Neue Materialien sind weitaus billiger als recycelte, was auf die geringe Verfügbarkeit von Recyclinganteilen zurückzuführen ist. Das sollte nicht der Fall sein. Daher ist es dringend erforderlich, kollektive Lösungen für ein Problem zu finden, das die Allgemeinheit und nicht nur den Einzelnen betrifft.
In den letzten Jahren wurden neue Technologien und Anwendungen wie digitale Wasserzeichen oder sogar die Blockchain in Verbindung mit kostengünstigen Sensoren entwickelt, die die Rückverfolgbarkeit des Lebenszyklus eines Produkts und sogar die Sortierung in der Recyclinganlage erleichtern sollen. Dennoch ist die Verbreitung dieser Technologien noch begrenzt, und einige haben noch keinen kommerziellen Maßstab erreicht. Ich wette, dass wir in naher Zukunft mehr von diesen Lösungen sehen werden.
In einer Welt in der Klimakrise zeigen viele Finger auf Kunststoffe als einen der Mitverursacher dieser Krise. Ein im November 2020 von Springer Link veröffentlichter Artikel über die zunehmende Kunststoffverschmutzung während COVID-19 kritisiert die Haltung der Industrie und der politischen Entscheidungsträger*innen. Dennoch endet er mit den Worten: „Kunststoffe sind wichtig, weil sie viele Vorteile bieten. Anstatt sie zu verteufeln, sollten wir einen verantwortungsvollen Umgang mit ihnen lernen.“ Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um die Kultur rund um die Verwendung von Kunststoffen zu ändern, und wer ist dafür verantwortlich?
Maria Molina: Ich stimme dieser Aussage zu. Kunststoffe haben viele Vorteile gegenüber anderen Materialien, und in vielen Fällen sind sie sogar nachhaltiger, wenn sie verwendet werden. Diesbezüglich gibt es zahlreiche wissenschaftliche Beweise, die diese Annahme untermauern. Wenn Kunststoffe jedoch nach ihrem Gebrauch nicht gesammelt und wiederaufbereitet werden, sind die Folgen tragische Bilder von Tüten, Flaschen und anderen Kunststoffprodukten, die ganze Ökosysteme schädigen. In diesem Sinne muss Recycling zur Norm werden. Obwohl ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist. Die Welt ist in vielen Bereichen von Kunststoffen abhängig geworden, doch die Verfügbarkeit von Recycling-Infrastrukturen und einer ordnungsgemäßen Abfallbewirtschaftung ist rund um den Globus ziemlich unausgewogen.
Und ja, Kunststoffe sind wertvolle Materialien, das wissen die Müllsammler, die jeden Tag in den Straßen von MedellÃn oder Neu-Delhi unterwegs sind, seit Jahrzehnten. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt damit, das zu sortieren, was andere nur für Müll halten. Ich möchte also betonen, dass wir Lösungen finden müssen, die sich an die unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten anpassen, und das setzt eine gemeinsame Arbeit der verschiedenen Interessengruppen voraus, einschließlich lokaler und staatlicher Behörden, Hersteller, Recycler, Wissenschaftler und Verbraucher.
Sollten die diesbezüglichen Bemühungen scheitern, müssen wir mit dem Aufkommen anderer Materialien rechnen, die ähnliche Eigenschaften wie Kunststoffe aufweisen, aber ein freundlicheres und gesünderes Ende der Lebensdauer haben.
Die Klimakrise ist heute in den Medien allgegenwärtig. Einige Stimmen sagen, dass wir bei der Bewältigung der Krise Fortschritte machen, während andere behaupten, wir täten nicht genug. Sind Sie optimistisch oder pessimistisch, was die Zukunft angeht? Wer tut Ihrer Meinung nach genug und wer sollte mehr tun?
Maria Molina: Ich habe gemischte Gefühle. Auf der einen Seite bin ich optimistisch, ich sehe starke Stimmen, die auf sich aufmerksam machen und mehr Maßnahmen fordern, ich sehe selbstorganisierte Gemeinschaften, die die Natur wiederherstellen, ich sehe jeden Tag neue Start-ups, die auf die Entwicklung sauberer Technologien und neuer Materialien aus erneuerbaren Ressourcen setzen. Ich sehe Newcomer, die traditionelle und nicht nachhaltige Geschäftsmodelle durchkreuzen, und ich sehe viele Unternehmen, die sich konkrete Ziele setzen und über ihren Fußabdruck nachdenken.
Dennoch scheinen die Antarktis oder der Amazonas für die meisten von uns zu weit entfernt zu sein, um zu erkennen, wie sich diese Ökosysteme als Folge des Klimawandels verändern. Ich komme jedoch aus einem der vielfältigsten Länder (Kolumbien); ich habe die raschen Eingriffe in die Natur und die daraus resultierende Vertreibung ganzer Gemeinschaften gesehen und erlebt. Wir müssen definitiv mehr tun. Die Emissionen nehmen zu, und die Wissenschaftler*innen des IPCC haben uns gewarnt: Wir müssen sie drastisch reduzieren, wenn wir katastrophale Folgen vermeiden wollen.
Wer sollte mehr tun? Nun, es braucht uns alle, um unsere Gegenwart zu reparieren. Wie jüngste Studien jedoch gezeigt haben, haben die großen Volkswirtschaften und Industrienationen in der Vergangenheit einen größeren Beitrag zu dieser Klimakrise geleistet. Daher sollten diese Länder meiner Meinung nach ehrgeizige Initiativen vorantreiben, um die Wiederherstellung unseres Planeten ganz oben auf ihre Agenda zu setzen, und natürlich die dafür erforderlichen Mittel bereitstellen. Die Unternehmen hingegen müssen viel proaktiver und weniger risikoscheu werden. Es ist notwendig, Kapital bereitzustellen, um den Übergang zu sauberen Verfahren, nachhaltigen Produkten und Geschäftsmodellen zu beschleunigen. Der Wettlauf um Innovation ist der Wettlauf um Nachhaltigkeit.
Was hat Sie dazu bewogen, gemeinsam mit Ars Electronica ein Stipendium zu veranstalten und Künstler*innen in den Innovationsprozess einzubeziehen?
Maria Molina: Nun, gerade weil Ars Electronica diese Mischung von Disziplinen in ihrer DNA hat, um gemeinsam über die Wege der Zukunft zu diskutieren, ist sie ein Knotenpunkt, an dem Technologie, Gesellschaft und Kunst zusammenkommen, um neue Formen des Denkens zu stimulieren. Wie ich bereits zu Beginn dieses Interviews erwähnt habe, sind wir daran interessiert, Signale des Wandels zu entdecken und zu verstehen, und das kann die Integration von Perspektiven bedeuten, die vielleicht nicht so offensichtlich erscheinen, wie etwa die Sichtweise von Künstler*innen.
Das diesjährige Stipendium umfasst ein Konsortium von verschiedenen Akteuren aus der Region Oberösterreich, was uns die Möglichkeit gibt, Synergien zu schaffen, Wissen auszutauschen und im Laufe des Prozesses zu lernen. In meiner Rolle als Vertreterin der Industrie freue ich mich besonders darauf, Teil eines Projekts zu sein, das kein klares Ergebnis hat, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.
Welchen Beitrag können Künstler*innen Ihrer Meinung nach zu Innovationsprozessen leisten?
Maria Molina: Bei der Innovation geht es oft um eine Neuausrichtung. Und Künstler*innen, die sich den Praktiken und Zwängen der Industrie nicht bewusst sind, haben die Freiheit, sich völlig neue Konzepte auszudenken, um Kunststoffe in einen Kreislauf zu bringen. Da sie aus einem anderen Kontext kommen, können Künstler*innen neue Perspektiven und Überlegungen einbringen, die uns vielleicht gar nicht bewusst sind. Das könnte ein herausfordernder Prozess sein. In jedem Fall werden wir gemeinsam einen Lernweg beschreiten, und wir freuen uns darauf, diese Reise zu beginnen!
Maria Molina ist in Bogotá, Kolumbien, geboren. Industriedesignerin an der Universidad Nacional de Colombia, MSc an der Fachhochschule Oberösterreich, forscht derzeit im Rahmen ihrer Promotion an der Johannes Kepler Universität Linz zu Corporate Foresight. Bei Greiner Innoventures ist Maria für den Prozess der Beobachtung und Analyse der Kräfte, die unsere Zukunft formen, und deren Auswirkungen auf Greiner verantwortlich. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, mögliche Wege in eine widerstandsfähige Zukunft in der Organisation zu verbreiten und zu diskutieren. In dieser Rolle interessiert sie sich nicht nur für die technischen, wissenschaftlichen oder sozialen Veränderungen, die unsere Welt verändern, sondern auch für Trends und Bewegungen, die am Rande entstehen und das Potenzial haben, Wellen des globalen Wandels auszulösen (z. B. kulturelle Manifestationen oder Initiativen lokaler Gemeinschaften).