Wir hätten uns wohl keinen schöneren Tag für unsere Ernte aussuchen können: es ist Dezember, der Duft von Schnee liegt in der Luft, das Eis knirscht unter unseren Schuhen und die tief stehende Wintersonne lässt zumindest einige ihrer Strahlen auf den gefrorenen Boden fallen. Und von all dem bekommen wir hier mitten im fensterlosen Ausstellungsbereich des Ars Electronica Center gar nichts mit.
Gerste gehört zu den ersten Getreidearten, die wir Menschen selbst angebaut haben. Sie hat relativ niedrige Anforderungen, wenn es um das Wachsen geht. Obwohl die vielen Inhaltsstoffe unserer Gesundheit zugute kommen, ist das Getreide heutzutage etwas in den Hintergrund getreten.
Es ist Erntezeit! Es gab so gut wie keine Trockenperioden im Museum, der Niederschlag oder eher gesagt die Bewässerung war ausgeglichen, genauso wie die Zimmertemperatur. Keine Wolke stellte sich in den vergangenen drei Monaten vor das energiebringende UV-Licht.
Wir haben uns mit Infotrainer Philipp Gartlehner wenige Tage vor Weihnachten hier in der Ausstellung „There is no Planet B!“ getroffen, um unser ein Quadratmeter großes Gerstenfeld abzuernten. Er hat dazu auch die Sichel seines Großvaters mitgenommen.
Schön sind sie gewachsen, die etwa einen Meter hohen Getreidehalme mit ihren symmetrisch angeordneten, goldgelben Ähren, an dem die Gerstenkörner sitzen.
Überschaubar ist es, dieses Gerstenfeld, das in mehrere Blumentöpfe aufgeteilt und mitten im dunklen Raum positioniert ist. Konzipiert haben es DISNOVATION.ORG und Baruch Gottlieb. Dank künstlichem Licht, künstlicher Bewässerung, künstlicher Wärme, künstlichem Wind und Nährstoffen wurde das „Life Support System” die vergangenen drei Monate am Leben gehalten.
Philipp war beim Beackern des Feldes im September schon mit dabei und hatte seitdem mehrmals die Woche ein Auge auf die Anlage, die grundsätzlich selbst darauf ausgerichtet ist, die notwendigen Mengen an Energie den Pflanzen zuzuführen. Seine Expertise aus der Zeit vor Ars Electronica, LED-Beleuchtung im Bereich Horticulture, haben ihn bei der Pflege der Pflanzen natürlich auch geholfen.
Die LEDs an der Decke versorgen die Gerste mit dem notwendigen UV-Licht. Aus dem riesigen Kanister gelangt mittels kleiner Pumpen in mehreren Plastikschläuchen das unverzichtbare Wasser in die Töpfe. Vier Ventilatoren versorgen die Gerste mit Wind. Mit Wind? Ja, sogar der Wind hat seine Bedeutung bei diesem Versuchsaufbau – ohne ihn wären die Halme zu schwach, um am Ende die volle Ähre zu tragen und nicht umzuknicken.
Eine Webcam verfolgt das Wachstum der Gerste im Zeitraffer. Auf dem Bildschirm werden zusätzliche Informationen dieses Projekts aufgeschlüsselt:
- 1.400 kWh an elektrischem Strom haben wir für diese Ernte verbraucht. Das sind etwa 230 Euro, die uns dieser eine Quadratmeter Gerste gekostet hat, obwohl wir eigentlich eine energiesparende Technologie dafür eingesetzt haben.
- 300 Liter Wasser sind von September bis Dezember vergossen worden, einiges davon ist natürlich auch wieder über die Luft verdunstet.
- Über 2.000 Euro hat uns die Hardware dazu gekostet, die wir wahrscheinlich noch fünf Jahre weiterverwenden können.
Alles zusammengezählt hat uns diese Ernte also mehr als 430 Euro gekostet. Ein Brot können wir daraus aber noch nicht backen, oder gar ein Getränk brauen. Dazu müssten wir dann noch buchstäblich die „Spreu vom Weizen“ trennen, die Gerste zu Mehl malen, und die Arbeitszeit für all das Handwerk ist da auch noch lange nicht miteinberechnet.
Das „Life Support System” gibt uns aber einen gewaltigen Denkanstoß und lässt uns die Größenordnung der Leistung einschätzen, die unser Ökosystem für uns „einfach so“ zur Verfügung stellt. Schnell wird uns bewusst, dass wir eher bedacht sein sollten, die Natur „da draußen“ zu schützen, anstatt kostenintensive Energie in etwas zu stecken, das sich wirtschaftlich in keinster Weise bezahlt macht.
Diese Pflanze ist groß geworden, ohne je in der Natur gewesen zu sein. Sie hat überlebt, weil sich Mensch und Computer um sie rund um die Uhr gekümmert haben.
Mit dieser einen Ernte eines Quadratmeters Gerste, das sind höchstens 800 Gramm, kann ein erwachsener Mensch einen einzigen Tag ihren oder seinen Kalorienbedarf decken. Alle 3,5 Monate können wir diesen einen Quadratmeter ernten, denn das Wachsen und Gedeihen braucht auch seine Zeit.
Etwas mehr als drei Tage im Jahr wäre mit diesem Quadratmeter ein einzelner Mensch ernährt, wenn dieser etwa 1.000 Euro dafür ausgegeben hätte. Ist es den Aufwand wirklich wert?