Es geht wieder los! Studierende des Bachelorstudiengangs Zeitbasierte und Interaktive Medien der Kunstuniversität Linz präsentieren ihre Projekte bei uns im Ars Electronica Center. Die Kunstuniversität Linz und Ars Electronica stehen seit vielen Jahren in enger Verbindung. Im Rahmen der Ausstellungsreihe TIME OUT stellt das Ars Electronica Center jungen Medienkünstler*innen Raum für ihre Arbeiten zur Verfügung.Ob Film, Ton, Programmierung oder Interfacetechnologie, die Studienrichtung “Zeitbasierte und Interaktive Medien“ lässt ihren Studierenden viel Freiraum, sich kreativ auszudrücken. So abwechslungsreich wie das Studium selbst sind auch die daraus entstehenden Arbeiten — eine Auswahl davon wird ab 6. April 2022 im Ars Electronica Center unter dem Titel “TIME OUT .10“ präsentiert. Der diesjährige Fokus liegt vor allem auf interaktiven Arbeiten für den Deep Space 8K, sowie den Boden des AEC-Lifts. Im Interview erzählt uns Studienleiter Gerhard Funk mehr über die Arbeiten der Studierenden, den Begriff der Kooperativen Ästhetik und gibt einen Ausblick auf die kommende, im Sommer stattfindende Edition.
2012 wurde die Ausstellungsreihe Time Out ins Lebens gerufen, um Studierenden der Studienrichtung „Zeitbasierte und Interaktive Medienkunst“ eine Möglichkeit und Chance zu bieten, ihre Arbeiten im Ars Electronica Center einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Können Sie die Studienrichtung ein bisschen erklären?
Gerhard Funk: Zeitbasiert sind alle künstlerischen Richtungen wo der Faktor Zeit ein Gestaltungselement ist. Sprich wenn es darum geht, zeitliche Abläufe zu gestalten oder eine Dramaturgie zu entwickeln. Video ist klar zeitbasiert und auch die Audioebene ist eine klare zeitbasierte Ebene. Wir haben uns damals ganz bewusst dagegen entschieden, diese Studienrichtung irgendetwas mit Video zu nennen, weil wir es allgemeiner formulieren wollten. Sie kommt aus der Geschichte her vom audiovisuellen Diplomstudium aus den 90er Jahren. Es geht zum einem um Filmproduktion, filmische Arbeiten, durchaus im klassischen erzählerischen Kurzfilm, Experimentalfilm und Videoinstallationen. Das Ganze ist erweitert durch die Komponente der Interaktion der interaktiven Arbeiten die ja in Linz sehr stark durch die Ars Electronica eingeführt wurde. Unsere Studierenden bekommen eine fundierte Grundausbildung im Filmischen, das geht von Kamera, Drehbuchentwicklung, Lichtgestaltung, Ton usw. erweitert durch die Interaktion, das heißt, das die Benutzer*innen die Möglichkeit haben, auf den zeitlichen Ablauf einer Arbeit Einfluss zu nehmen. Das Feld der Interaktion ist auch ein weites Feld. Es kann rein screen-based sein, das heißt man interagiert z. B. mit dem Computerbildschirm über Maus und Tastatur, es geht aber auch sehr stark um die Entwicklung von Interfaces. Die Studierenden bekommen auch eine Grundlage in Programmieren, ein Pflichtfach von Anfang an, Elektronik, Arbeiten mit Mikrocontrollern und Löten. Alle diese Basisfertigkeiten die man braucht, um selbst kleine Interfaces zu entwickeln und diese dann mit z. B. einer Videoarbeit zu verknüpfen. Oft ist gar kein Bildschirm das Ausgabemedium und man spürt nicht mehr, dass irgendwo ein Computer in der Arbeit versteckt ist, wenn man mit dieser interagiert. Das Ziel für mich ist es, dass am Ende des Studiums die Studierenden wissen, was sie interessiert und in was für eine Richtung sie sich weiterentwickeln möchten.
Bei Time Out .10 werden 11 Projekte zur Kooperativen Ästhetik für den Deep Space des Ars Electronica Centers präsentiert. Was genau versteht man unter dem Begriff „Kooperativer Ästhetik“?
Gerhard Funk: Dieser Begriff beinhaltet für mich zum einen ein gemeinsames ästhetisches Erlebnis der Benutzer*innen im Deep Space, in dem sie miteinander interagieren, in Wechselwirkung treten und damit ein für sich audiovisuelles Erlebnis. Neben dem Ästhetischen beinhaltet dieser Begriff auch eine starke gruppendynamische, soziale Komponente. Die Möglichkeiten des Deep Space, die 2009 geschaffen wurden sind durch das Tracking System wunderbar geeignet, weil es so ein niederschwelliges nicht spürbares Interface ist. Man betritt den Raum und schon ist man Teil des Ganzen und kann mit dem Raum interagieren. Für mich war immer Ziel dieser Reihe, dass die Besucher*innen anfangen zu kommunizieren und sich in ihren Bewegungen abzustimmen.
Es wird auch neue Videos für den Lift im Ars Electronica Center geben. Was kann man hier erwarten?
Gerhard Funk: Im ersten Ars Electronica Center 1996 war dieser Lift bereits eingebaut, die Bodenprojektion, welche von unten bespielt wird, das war damals eine große Attraktion. Christoph Kremer hat uns vor ein paar Jahren angesprochen, ob wir denn nicht was Neues für den Lift machen wollen. Wir haben das als Anlass genommen, um in unserer Einführungslehrveranstaltung „Ideenfindung, Konzeption“ im ersten Semester uns mit den Studierenden darüber Gedanken zu machen, was mögliche Videos wären, die genau mit der Liftbewegung beeinflusst werden könnten. Es entstanden sehr viele Ideen und nach einer Auswahl an Arbeiten die im ersten Semester realistisch umsetzbar sind, wurden diese in der Gruppe realisiert. Was wir bei TIME OUT .10 sehen werden, sind Arbeiten von zwei Jahrgängen, die leider auf Grund von Corona schon lange herumliegen, da ja gedacht war, diese Ausstellung schon 2020 zu präsentieren. Erwarten kann man sehr unterschiedliche Arbeiten wie z. B. die Arbeit von Celina Altmann welche eine Serie aus drei Arbeiten bildet. Bei dieser Serie wurden jeweils eine Erdbeere, Heidelbeere und Himbeere mit einer Glasplatte niedergedrückt bis sie völlig zerquetscht waren. Wenn man im Ars Electronica Center nun durch den Lift durchfährt, kann man diesen Prozess des Zerquetschens der Frucht nachmachen. Eine weitere Arbeit von Elena Richtsfeld zeigt ihren Hund Bailey, welcher versucht durch Hüpfen an einen Ball zu gelangen. Die Projekte sind alle sehr unterschiedlich und es gibt keine klare Linie. Eine weitere spannende Arbeit ist „Liftknopf“ von Lisa Studener. Bei dieser Arbeit wurden die Liftknöpfe abgenommen und die Bakterien, die sich darauf befinden im BioLab des Ars Electronica Centers ausgewertet. Man sieht also im Lift ganz groß die Bakterien, die sich auf den unterschiedlichen Oberflächen befinden.
Corona-bedingt findet Time Out .10 mit zwei Jahren Verspätung statt. Wie hat sich die Pandemie auf die Arbeiten der Studierenden ausgewirkt?
Gerhard Funk: Die Arbeiten, die wir bei TIME OUT .10 zeigen, sind alle davor entstanden. Bei den Deep Space arbeiten hatten wir die Gelegenheit, diese schon beim Festival zu präsentieren, jedoch auch nur ein einziges Mal. Einige der Arbeiten wurden auch schon in das laufende Programm integriert, wir haben uns aber dafür entschieden, diese Arbeiten auch abseits vom Festival nochmal alle gesammelt vorzustellen.
Am 14. Juni findet bereits die nächste Time Out im Ars Electronica Center statt. Können Sie uns einen kleinen Ausblick auf die kommende Ausstellung geben?
Gerhard Funk: Bei TIME OUT .11 wird sich der Fokus wieder stark auf den Bereich der interaktiven Installationen legen. Wir werden neun sehr unterschiedliche Arbeiten zeigen, welche in der letzten Zeit entstanden sind. Eine sehr schöne Arbeit ist „STRANGE_FACES“ von Thomas Guggenberger, welcher damit den Lentos Freunde Kunstpreis 2021 gewonnen hat. Wenn man sich der Arbeit nähert, sieht man drei kleine, sich bewegende Spiegel vor einem stehen. Wenn man in das sensible Feld hineintritt, dann drehen sich die Spiegel so, dass man sich in allen drei Spiegeln sieht. Wenn jetzt aber eine zweite, oder dritte Person den sensiblen Bereich betritt, dann drehen sich die Spiegel so, dass man sich nicht mehr selber im Spiegel sieht, sondern die anderen Personen. Das heißt, wenn ich mit einer anderen Person in der Installation stehe, dann sehe ich in allen drei Spiegeln die andere Person. Eine Kinect-Kamera, welche Kopfpositionen, sowie die Distanz erkennen kann, agiert als Sensorium. Dabei wird ein Winkel errechnet wie sich der Spiegel drehen muss, dass genau ich die andere Person erkenne. Die inhaltliche Komponente ist die, das man nicht immer nur auf sich fokussiert ist und nur sich selbst im Spiegel sieht. Das Thema des Lentos Freunde Kunstpreis war Solidarität und genau das sollte die Installation zum Ausdruck bringen. Eine Arbeit die ich ganz fantastisch finde, welche dann auch in der Main Gallery des Ars Electronica Centers auf Dauer ausgestellt werden soll, ist „Watermap“ von Daniel Fischer. Bei dieser Arbeit sieht man die Weltkarte auf einer großen Platte vor sich liegen. Die Kontinente sind allle mit Sand gefüllt und über der Platte befindet sich ein System mit Wasserbehältern. Daniel nimmt permanent die Wetterdaten der Welt ab und überall dort wo es regnet lässt das System einen Tropfen fallen. Man erkennt mit dieser Arbeit sehr gut, wo auf der Welt es viel regnet und wo es weniger oft regnet.
Wir versuchen bei der Auswahl der Arbeiten immer eine sehr ausgewogene Verteilung von Männern und Frauen zu haben. Durch eine sehr konkrete Politik nach außen und durch bestimmte Akzentuierungen die wir gezielt gesetzt haben, haben wir mittlerweile mehr Frauen als Männer in unserer Studienrichtung, obwohl es ein eher sehr technisches Studium ist. Ich finde es sehr gut, dass sich das in den Jahren seit dem es diese Studienrichtung gibt so gedreht hat. Bei TIME OUT .11 sind Arbeiten von fünf Frauen und 4 Männern dabei. Alice Hulan’s Arbeit „Grammophon — Unerhörtes – Zitate von 1924-2018“ wurde schon letztes Jahr beim Ars Electronica Festival auf der Johannes Kepler Universität gezeigt. Durch Betätigung der Kurbel des Grammophons werden von der Künstlerin nachgesprochene Zitate aus politischen Parteien der 20er und 30er Jahre, als auch Zitate aus den Reihen gegenwärtiger Regierungsparteien hörbar. Beim Zuhören ist nicht mehr klar, aus welcher Zeit welches Zitat stammt. Elisabeth Prast hat sich in ihrer Bachelorarbeit sehr stark mit der Genschere CRISPR auseinandergesetzt und einen Graphic Novel entwickelt in dem es um eine Zukunftsvision geht, in der Selbstoptimierung durch Gentechnik zum Alltag gehört. Alle Arbeiten von TIME OUT stehten für sich und nehmen nicht aufeinander Bezug. Wir geben bei den Semesterprojekten keine Themen vor. Die Studierenden müssen sich ihre Themen selbst definieren, weil wir der Meinung sind, wenn ich eine kunstschaffende Person werden will, dann muss ich auch was zu sagen haben bzw. wissen, was ich sagen will. Dieser Prozess des Selbstdefinierens kann ein schwieriger sein, doch das Ergebnis ein umso breit gefächertes und individuelles.
Gerhard Funk, geboren 1958, studierte Mathematik und Kunstpädagogik in Linz und promovierte in Theoretischer Computer Science am RISC Linz. 1993 wechselte er an die Kunstuniversität Linz, wo er das Lehrangebot für alle Studierenden der Universität im Bereich der digitalen Medien aufbaute. Seit 2004 ist er Professor am Institut für Medien und leitetet bis Oktober 2021 das von ihm konzipierte Bachelorstudium „Zeitbasierte und interaktive Medienkunst“. In den letzten Jahren entwickelte er für den Deep Space des AEC das Konzept der „Kooperativen Ästhetik“. Dabei können die Besucher*innen durch ihre Bewegungen und durch Kooperation ein gemeinsames ästhetisches Raumerlebnis schaffen.