Merlic trifft Klimt – das Frauenbild damals und heute

Merlic, GLITCHBODIES, Rebecca Merlic, 2021

Für diese Kooperation hat uns das Belvedere und Google Arts and Culture nicht nur herausragendes Bildmaterial von bedeutenden Klimt-Werken zur Verfügung gestellt, vielmehr wird mit dem Kurator Franz Smola auch ein international renommierter Klimt-Forscher die Arbeiten und den Künstler vorstellen, an aktuelle kunsthistorische Fragestellungen und Forschungsdiskurse heranführen , informiert uns Projektleiterin Michaela Wimplinger über diesen Abend. Zugleich werden Klimts Werke den Arbeiten der preisgekrönten Künstlerin Rebecca Merlic gegenübergestellt. Rebecca Merlic wird persönlich Einblicke in die Techniken und Konzeption ihrer Arbeiten geben und liefert damit einen wichtigen Impuls zur Auseinandersetzung mit dem heutigen Frauenbild im Bereich der zeitgenössischen Kunst. Verpasst also nicht diese einmalige Gelegenheit, bei der die Verbindung von Werken aus dem Bereich „Cultural Heritage“ und der zeitgenössischen Medienkunst hautnah analysiert wird.

Wie unterscheidet sich das damalige Frauenbild von dem heutigen Frauenbild?

Smola: Gustav Klimt lebte in einer Zeit, in der das Frauenbild sehr stark von einem weitgehend vorgegebenen Rollenverständnis geprägt war. Nur langsam und mit vielen persönlichen Opfern haben es starke Frauenpersönlichkeiten zu Klimts Zeit geschafft, sich von diesem Rollenbild zu lösen und andere, neue Wege zu gehen. In Klimts Frauenbildnissen wird dieser Konflikt allerdings nie thematisiert. Klimt belässt vielmehr die Frau in ihrer traditionellen Rolle als weitgehend passive Repräsentantin einer finanziell privilegierten Gesellschaft, als ein Wesen, das Gelassenheit, Würde und vor allem Schönheit vermittelt. Das war sicherlich Klimts primäres Anliegen: die Ästhetisierung der Frauen. Um die Psyche, um die emotionelle Befindlichkeit oder gar um die gesellschaftliche Rolle scheint er sich kaum Gedanken gemacht zu haben, zumindest kommt das in seinen Bildern nicht rüber.

Das heutige Frauenbild hingegen hat sich in vielen Bereichen von diesem traditionellen Rollenverständnis gelöst, und dieser Prozess dauert bis heute an. Insofern steht meiner Meinung nach der Begriff eines für sich allein stehenden Frauenbildes gar nicht mehr im Vordergrund, es sei denn, es geht speziell um Diskriminierungen, die es leider nach wie vor gibt.

„Meine Kunst beschäftigt sich mit einem starken und sensiblen Zusammenspiel mit dem alles entscheidenden Thema der Gleichberechtigung aller Geschlechter, der Transformation und der Definition.“ – Rebecca Merlic

Merlic: Die Geschichte der Frauenrechte ist noch relativ jung und befindet sich im stetigen Wandel. Manchmal ist es erschreckend zu sehen, wie kurz der Zeitraum ist, seitdem Frauen gesetzlich gleichberechtigt sind und die Realität unserer Gesellschaft dem hinterherhinkt. Das portraitieren von starken emanzipierten aktivistischen Frauen habe ich mir zur Aufgabe gemacht, wodurch es mir möglich ist, neue Personen zu treffen und ihre Lebensgeschichten zu erfahren. Für mich ist es besonders wichtig, co-kreativ und inklusiv zu arbeiten sowie vertrauensvolles Verhältnis mit den Protagonist*innen aufzubauen. Diese starken Personen rücke ich in meinen Arbeiten in den Fokus. Meine Kunst beschäftigt sich mit einem starken und sensiblen Zusammenspiel mit dem alles entscheidenden Thema der Gleichberechtigung aller Geschlechter, der Transformation und der Definition.

Auf der Suche nach potentiellen Protagonist*innen begebe ich mich auf einen ergebnisoffenen Pfad und finde Künstler*innen, Mütter, Musiker*innen, Performer*innen, die aus klassischen Rollenbildern fallen und dadurch der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten können, der an den antiquierten Rollenverständnissen rüttelt und ihnen eine gelebte und erfahrene Alterative aufzeigt. Meine Kunst soll Denkweisen neu positionieren, welche in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert und verfolgt werden und damit hoffe ich, kann ich etwas zu dem Diskurs der Frauenbildnisse beitragen.

Gustav Klimt, Die Braut (Details), 1917/18 (unvollendet), Klimt-Foundation, Wien (Foto: Johannes Stoll, Belvedere)

Sehen Sie eine Gemeinsamkeit in den Werken von Klimt und Rebecca Merlics bzw. Ihren Werken?

Smola: Auf dem ersten Blick kaum, schließlich handelt es sich auch um völlig unterschiedliche Medien. Aber auf der Ebene der Wahrnehmung fallen mir gewissen Parallelen auf, etwa darin, dass die Arbeiten sowohl von Klimt als auch von Merlic eine besondere Faszination haben und eine Neugierde wecken, vielleicht auch einen Überraschungseffekt auslösen können. Bei Klimt bin ich persönlich immer wieder überrascht, welches Geheimnis in seinen Darstellungen steckt, sie haben gleichsam eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann, man möchte immer wieder und immer genauer das Bild betrachten und fragt sich, weshalb mich das Bild so anspricht. Auch bei den Arbeiten von Merlic habe ich das Gefühl, dass ich die Werke näher kennenlernen möchte, dass ich nicht auf den ersten Blick verstehe, was die Bilder eigentlich vermitteln, dass ich mir das näher ansehen muss, um die Raffinesse, mit der die Werke geschaffen sind, zu begreifen. Und im Gespräch mit der Künstlerin hat sich mein Eindruck bestätigt, dass hier sehr viele Aspekte verarbeitet sind, sowohl technischer Art, aber auch soziologische und andere Aspekte, die man schon irgendwie erahnt, wenn man sich ihre Werke ansieht. Es steckt also ziemlich viel Arbeit und Know-How in den Werken von Merlic, Faktoren, die sich nicht auf den ersten Blick zeigen. Und bei Klimt wissen wir, wie lange er an einem einzigen Bild gearbeitet hat, wie viel Aufmerksamkeit er der Komposition, der Farbwahl, jedem Detail, gewidmet hat. Und wie schwer er sich letztlich von seinen Werken dann auch getrennt hat.

Merlic: In meiner Recherche bin ich auf die gemeinsame Inspiration aus der japanischen Kunst gestoßen. Für mich als Künstlerin war meine Zeit in Tokyo und Japan stark prägend und ist es auch weiterhin.  Auch das Studium auf der Tokyo Geidai unter Atsushi Kitagawara-san war eine der spannendsten Zeiten meines bisherigen Lebens. Die reichhaltige japanische Kunst und Kultur ist mit Sicherheit eine tiefe Quelle meiner Inspiration, aber auch sie sollte stets sehr kritisch betrachtet werden, denn ich möchte kein stereotypisches Denken unterstützen. Eine andere Gemeinsamkeit könnte im Sujet der Frauenbildnisse gesehen werden. Dabei beschäftige ich mich jedoch nicht ausschließlich mit Frauen, sondern auch mit marginalisierten Personen, welche co-kreativ an der Entwicklung der Projekte beteiligt sind.

Dadurch werden ihre Bildnisse um gewisse Dimensionen erweitert, da sie nicht nur durch ihre Abbildung im Werk erscheinen – das war bei Klimt wahrscheinlich nicht der Fall.. Mein aktuelles Projekt GLITCHBODES wurde co-kreativ mit über 47 Protagonist*innen aus Wien, Berlin, Hamburg, München, Zagreb und Bangkok erarbeitet. In den 3D-Scan-Prozess sind alle Beteiligten miteinbezogen und es werden alle weiteren Schritte diskutiert und abgesprochen.

Abschließend könnte die Obsession neue Produktionsweisen zu entwickeln und sich von zeitgenössischer Kunstproduktion loszulösen als mögliche Gemeinsamkeit gesehen. Diese Gemeinsamkeit finde ich spannend und freue mich in unserem Dialog mehr darüber zu erfahren, da ich mich noch nicht detailliert über Klimts Produktionsweise informiert habe.

„Die riesenhafte Vergrößerung von perfekt erarbeiteten Aufnahmen vermitteln das Gefühl der Zufriedenheit, jetzt endlich das Bild wirklich gut sehen zu können! Und zugleich gibt es auch einen gewissen immersiven Charakter, wie er zum Beispiel im Deep Space mit dieser riesigen Projektionsfläche erreicht wird.“ – Franz Smola

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Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat das Digitale, wenn es um die Betrachtung von Kunst einerseits, aber auch um die Schaffung neuer Formate geht bzw. welche Rolle spielt der Deep Space in diesem Fall?

Smola: Digitale Tools ermöglichen uns Betrachter*innen, Kunstwerke auf eine Weise kennen zu lernen, wie dies vor dem Original im Museum zumeist nicht möglich ist – weil die Beleuchtung nicht optimal ist, weil du nicht so nah an das Bild herangehen kannst, weil du es nur hinter Glas siehst und ähnliches mehr. Die riesenhafte Vergrößerung von perfekt erarbeiteten Aufnahmen vermitteln das Gefühl der Zufriedenheit, jetzt endlich das Bild wirklich gut sehen zu können! Und zugleich gibt es auch einen gewissen immersiven Charakter, wie er zum Beispiel im Deep Space mit dieser riesigen Projektionsfläche erreicht wird. Hier bekommt man eine ganz neue Möglichkeit, das Kunstwerk zu erleben, weil man vielleicht überwältigt ist von der Wucht der Farben, von der Qualität der Details. Insofern tragen die digitalen Tools dazu bei, Kunstwerke nicht nur genauer kennen zu lernen, sondern auch das fulminante Können der Kunstschaffenden noch mehr wertzuschätzen.

Merlic: World-building und das Nutzen von Computerspielen als Medium in der Kunst, sind für mich spannende Prozesse. Ich sehe die Game Engine, in der ich meine Arbeiten interaktiv gestalte, als Mutter und das Computerspiel als sicheren Rückzugsort.

Das Finden von neuer und durch den Fortschritt von digitaler Technologie beeinflusster Kunstproduktion ist der Hauptfokus meines Schaffens. Der Deep Space ist ein grandioser Ort um digitale Kunst auf einzigartige Weise einem breiteren Publikum erfahrbar zu machen, denn darin scheinen Betrachter*in und Werk regelrecht zu verschmelzen. Durch Orte wie den Deep Space kann ich, als digitale Künstlerin, die Kunst wieder in die Realität zurückholen und den Betrachter*innen in einer unglaublichen Qualität erfahrbar machen.

Franz Smola ist seit 2017 Kurator für die Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts am Belvedere in Wien. Von 2009 bis 2017 war er als Sammlungskurator im Leopold Museum, Wien, tätig. Von 2013 bis 2015 übte er dort auch die Funktion des interimistischen Museologischen Direktors aus. Smola kuratiert und mit-kuratiert regelmäßig Ausstellungen mit Themenschwerpunkten internationale klassische Moderne sowie Wien um 1900. Zuletzt erarbeitete Smola die Schau Klimt. La Secessione e l´Italia, Museo di Roma, Rom, Oktober 2021 bis März 2022.

Rebecca Merlic, *1989 in Deutschland, Rückzugsmöglichkeiten in Tokio, München und Wien. Sie schloss kürzlich ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste, wo sie bei Wolfgang Tschapeller, Francois Roché und Michael Hannsmeyer studierte, mit Auszeichnung ab. In ihrem Studium spezialisierte sie sich auf analoge und digitale Kunst sowie auf Architektur. Ihre Arbeit ist stark von alternativen Gesellschaftsformen und der Überschreitung sozioökonomischer Konventionen sowie von neuen Formen der Architekturproduktion unter Einsatz neuer Technologien geprägt. Während ihres Masterstudiums konnte sie am Astushi KITAGAWARA Lab an der Tokyo University of the Arts GEIDAI studieren. Sie ist Preisträgerin des Marianne-von-Willemer-Preises 2020 für digitale Medien und Stipendiatin des Leistungsstipendiums der Stadt Wien. Gegenwärtig arbeitet sie mit Lead Artist Rashin Fahandej bei American Arts Incubator – Austria zum Thema soziale Eingliederung. Ihre Arbeit ist auch bei ADAF Athens Digital Arts 2020 in Griechenland zu sehen.

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