Ziemlich genau vier Jahre ist es nun her, als wir das Ars Electronica Center unter dem Titel „Compass – Navigating the Future“ neu eröffneten. Fast kein Stein blieb auf dem Anderen und die Ausrichtung des Museums der Zukunft richtete sich vom Fernrohr, das den Blick in die Zukunft öffnete, hin zum Kompass – ein Begleiter im Hier und Jetzt. So ist es nur folgerichtig, wenn wir nun – 4 Jahre und um die Erfahrung einer Pandemie, die zu einem massiven Digitalisierungsschub geführt hat, reicher – den „Kompass neu kalibrieren“.
Die Themen Künstliche Intelligenz, Neuro-Bionik, Gen- und Biotechnologie und die weitreichenden globalen Veränderungen, die wir bereits 2019 aufgegriffen haben, sind heute aktueller denn je. Technologische Neuentwicklungen in den genannten Bereichen werfen neue Fragen über deren Auswirkungen auf unseren Alltag und deren Folgen für uns als Gesellschaft auf. Mehr denn je bedarf es daher eines Grundverständnisses dieser Technologien und ihrer Funktionsweisen.
Dies ist Ansporn und Auftrag zugleich, die neuesten Entwicklungen in unseren Ausstellungen zu thematisieren und einige der Stationen von Grund auf zu erneuern und zu aktualisieren. „Compass reloaded!“ sozusagen. Am DO 11.5.2023, 18:00 eröffnen wir die neu adaptierten Ausstellungen im Ars Electronica Center! Navigiert mithilfe unseres neu kalibrierten Kompasses durch die aktuellen Themen unserer Zeit und entdeckt die neuadaptierten Bereiche. Wir laden euch ein, gemeinsam mit uns auf eine aufregende Entdeckungsreise zu gehen!
Einige Highlights verraten wir euch bereits jetzt.
Understanding Artificial Intelligence
In unserer Hauptausstellung „Understanding AI“ steht der Mensch und seine Beziehung zur Maschine im Zentrum. In vielen Installationen und Applikationen beschäftigen wir uns mit der Frage, was uns Menschen von Maschinen unterscheidet, untersuchen, wie Maschinen „denken“, wie sie „lernen“ und was eigentlich Künstliche Intelligenz ist und welche Auswirkungen KI-Systeme auf uns als Gesellschaft haben? Speziell die Entwicklungen im Bereich Machine Learning und KI-Systeme haben in letzter Zeit rasant an Fahrt aufgenommen und sind mitten in unserem Alltag angekommen.
ChatGPT
OpenAI
Bereits vor vier Jahren zeigten wir mit GPT-2 ein Vorgänger-System von ChatGPT. GPT-2, das vom amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelte KI-Sprachmodell, war zu der Zeit bereits in der Lage, zusammenhängende Textparagrafen zu generieren. Damals schon extrem beeindruckend! Doch mit ChatGPT (GPT steht für Generative Pre-trained Transformer) sind die Entwickler*innen von Open AI 2023 einen großen Schritt weitergegangen. ChatGPT ist ein prototypischer Chatbot, der mit Künstlicher Intelligenz funktioniert und im Chat Fragen beantworten kann. Die Qualität der Antworten ist schwankend – doch scheinbar findet ChatGPT auf alles eine Antwort und hat international einen wahren Hype ausgelöst. Doch welche Vor- und Nachteile birgt die Möglichkeit dieser neuen Mensch-Maschine-Kommunikation? Wie wird unser Leben, unser Schul- und Arbeitsalltag davon beeinflusst? Wie wird sich diese Technologie künftig weiterentwickeln? Diese und andere Fragen thematisieren wir in der neuadaptierten Hauptausstellung, in der unsere Besucher*innen ChatGPT nunmehr selbst ausprobieren und mehr über die Funktionsweise dieses Systems erfahren können.
Stable Diffusion
Angesichts der neuen Entwicklungen im Bereich KI und Machine Learning stellt sich die Frage: „Kann KI Kunst?“ Diese Debatte möchten wir anhand des KI-Bildgenerators Stable Diffusion anregen. Stable Diffusion ist ein Bildgenerator, der auf Basis eingegebener Textbeschreibungen fotorealistische Bilder erzeugen kann.
Zeitenwende – The Almost Dead Artist: The Almost Alive Artificial Intelligence
Richard Kriesche (AT)
Bei dieser, mithilfe von ChatGPT generierten Ausstellung, geht Richard Kriesche nicht nur einem aktuellen Phänomen digitaler Informationstechnologie nach, die das Leben entscheidend verändern wird, sondern knüpft an seine Forschungen zu Künstlicher Intelligenz seit den 1990er-Jahren an. Die konzeptuelle Textarbeit fragt nach einer gegenwärtigen Veränderung des Kunstbegriffes, in der Künstler*innen und KI gemeinsam agieren und damit „eine neu aufgestellte Beziehung zwischen Kunst, Künstler und Künstlicher Intelligenz aufzeigen“ (Kriesche). Dabei geht es um das Verständnis von Kunst, Autorschaft, Werk und Wissen bzw. der endgültigen Überwindung des Begriffs der „Meisterschaft“ oder menschlichen Vorherrschaft in einer Zeit digitalisierter Wissensauslagerung. Nur durch Zusammenarbeit werden sich – nach ChatGPT – sowohl der Mensch als auch die Maschine produktiv weiterentwickeln.
I, HUMAN
Saint Machine (RO)
„I, Human“ ist eine modulare Medienskulptur, die einem neuronalen Netzwerk ähnelt. Die Installation erkennt die Emotionen der Besucher*innen und wandelt ihre Empathie in kohärentes Licht um, das die lebenswichtigen biologischen Prozesse von Mikroorganismen beeinflusst, als Symbol für die Zerbrechlichkeit des Ökosystems unseres Planeten, dessen Ãœberleben vom menschlichen Zusammenhalt abhängt. Die miteinander verbundenen Module analysieren die Emotionen der Besucher*innen aus TimiÈ™oara (Rumänien) und Linz (Österreich) und übertragen den Grad ihrer Empathie in Laserlichtimpulse, die eine Euglena-Population in einem bio-photonischen Echtzeit-Experiment im Centre for Advanced Laser Technologies (RO) ernähren.
Neuro-Bionik
Präzisere Messgeräte, neue Visualisierungsmethoden und ein gezieltes Eingreifen in immer kleinere Zellstrukturen zeugen von der rasanten technologischen Entwicklung auch im Bereich der Neurologie. Der Versuch, neurologischen Krankheiten wie etwa Alzheimer auf die Spur zu kommen oder den großen Geheimnissen von Intelligenz und Bewusstsein nachzuspüren, wirft viele – auch ethische – Fragen auf. Die 2019 eröffnete Ausstellung Neuro-Bionik erfährt im Bereich der Brain-Computer-Interfaces ein umfangreiches Update. Zahlreiche neue Stationen geben unseren Besucher*innen die Möglichkeit, sich mit den aktuellen Themenfeldern von Neuromarketing bis hin zu Neuroethik auseinanderzusetzen und sich dazu selbst eine Meinung zu bilden.
BCI-Sensor
Ars Electronica Solutions (AT), g.tec medical engineering GmbH (AT) & Erika Mondria (AT)
In unserer Auseinandersetzung mit der Umwelt gibt es sowohl aufwändige, bewusste kognitive Prozesse zur Meinungsbildung, als auch unmittelbare, unbewusste. Diese Gehirnaktivitäten können über ein Brain-Computer-Interface erfasst werden. Das „Unicorn Brain Interface“ ist ein tragbares Elektroenzephalografie (EEG)-Headset, das mittels EEG-Elektroden bioelektrische Signale an der Großhirnrinde misst und analysiert. Relevant sind hier die erreigniskorrelierten Potenziale (ERP), die im Zusammenhang mit kurz dargebotenen Bildern auftreten. Die Software ordnet Bilder nach der Reaktion der Gehirnwellen der Proband*innen. Die Anwendungsfelder der Technologie sind breit gefächert und reichen von der Forschung über den Einsatz für Assistenzsysteme bis hin zu Neuromarketing.
The NeuroRight Arcades
Roel Heremans (BE)
Die Innovation bei Neuro-Wearables und Brain-Computer-Interfaces (Gehirn-Computer-Schnittstellen) schreitet schneller voran, als die sie umgebenden sozialen und ethischen Rahmenbedingungen.
Forscher*innen der Columbia University haben daher fünf „NeuroRights“ entwickelt (Geistige Privatsphäre, persönliche Identität, Willensfreiheit, gleichberechtigter Zugang zu geistiger Augmentation und Schutz vor algorithmischer Parteilichkeit). Von diesen „NeuroRights“ inspiriert, entwickelten Roel Heremans und sein Team eine interaktive Installation, eine Arcade-Maschine, um jedes dieser „Neuro-Rechte“ greifbar zu machen und den Besucher*innen die Möglichkeit zu geben, unbeantwortete Fragen über die ethische Zukunft der Neurotechnologie zu erkunden. Dabei tragen die Besucher*innen ein BCI-Headset und werden an der Installation durch eine ästhetische Erfahrung geführt. Damit erhofft das Team, eine viszerale Reaktion hervorzurufen, so dass die Teilnehmer*innen auf einer persönlichen Ebene die Notwendigkeit von NeuroRights erkennen können. Auf Wunsch erhalten die Besucher*innen einen über QR-Code herunterzuladenden digitalen Ausdruck ihrer aufgezeichneten Gehirnströme. Gerade wenn man den Eindruck hatte, ethisch gestärkt worden zu sein, könnte man zu der unheimlichen Erkenntnis gelangen, dass die Installation genau das gemacht hat, wovor sie eine/n gewarnt hat …
Future Ink
Life Ink / Bio Ink / AI Ink / Space Ink
Future Ink ist ein gemeinsames Forschungsprojekt von Wacom, dem weltweit führenden Anbieter von Grafiktablets, interaktiven Stift-Displays und digitalen Interface-Technologien und dem Ars Electronica Futurelab. Das 2020 begonnene Forschungsprojekt zielt darauf ab, das kreative Potential von Tinte als Ausdrucksmöglichkeit aus verschiedensten Blickwinkeln zu erforschen und anhand von Prototypen (Bio Ink / AI Ink / Space Ink), die Zukunft der Kreativität zu ergründen. Die neueste Entwicklung, die 2022 erstmals präsentiert wurde, ist Life Ink. Dabei geht es um das Konzept des „kreativen Funken“ und um die Frage: Können der menschliche Geist und Körper zu jener Feder werden, aus der unsere Emotionen und Kreativität wie Tinte fließen? Um in Echtzeit Gehirnströme und Körpersignale zu erfassen, entwickelte das Forschungsteam Geräte, die am Kopf und am Körper getragen werden können. Auf Basis der von den Sensoren übermittelten Live-Daten wird eine neue Art von Tinte, die sogenannte Life Ink, entwickelt.
AI x Music
„AI x Music“ ist eine Ausstellung über die Begegnung von Künstlicher Intelligenz und Musik und über das Aufeinandertreffen von menschlicher Kreativität und technischer Innovation.
Solar Synthesizer 0.4
Klaus Dieterstorfer (AT), Alex Minichmair (AT), Rupert Huber (AT), Felix Minichmair (AT)
Angesichts der Herausforderungen der Klimakrise und dem Traum von einem energieunabhängigen Leben, ist das team um Klaus Dieterstorfer der Frage nachgegangen, wie elektronische Musik energieautark gespielt werden kann. Mit dem „Solar Synthesizer 0.4“ wurde nun der erste Versuch gestartet, Klänge mit der Energie der Sonne zu erzeugen. Auf diese Weise kann elektronische Musik erstmals energieautark gespielt werden. Bei einer vollkommenen Bestrahlung durch die Sonne oder einer anderen Lichtquelle entsteht eine harmonische Klanglandschaft, die sich verändert, sobald ein Mensch sich zwischen Sonne und Photovoltaikzellen stellt. Anstatt Tasten zu drücken, bewegt man die Hand zum Panel hin oder von diesem weg.
Being
Rashaad Newsome (US)
„Being“ (2022) ist eine soziale humanoide KI, die durch eine Kombination aus 3D-Animation, Game-Engines, geskripteten Antworten, generativen Grammatiken und speziellen Machine-Learning-Modellen entwickelt wurde. Being agiert in unterschiedlichen Rollen, leitet partizipative Workshops zum Thema Dekolonisierung, fungierte auch schon als Tour-Guide in einer von Newsomes Ausstellungen, verfasst und trägt kontinuierlich Gedichte vor, die von der Arbeit des Queer-Poeten Dazié Rustin Grego-Sykes inspiriert und von einem ASMR-Soundscape begleitet sind.
Der mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2022 in der Kategorie Computer Animation für Being ausgezeichnete Künstler Rashaad Newsome vereint in seiner Arbeit verschiedenste künstlerische Praktiken. Er schöpft aus der Welt der Werbung, des Internets, der Kunstgeschichte, der Schwarzen und der Queer-Kultur.
Am Donnerstag, 11. Mai 2023 um 18:00 laden wir euch herzlich zur Eröffnung von Compass reloaded! Navigating the Future ein!