Ars Electronica: eine europäische Plattform für digitalen Humanismus

, WeSteam Methodology Workshop_phase of incubation, Credit: Mario Schmidhumer_Ars Electronica

von Vanessa Hannesschläger, Andrew Newman

Mit dem Sitz in Linz befindet sich Ars Electronica nicht nur im geografischen Herzen Europas, sondern positioniert sich als Partnerinstitution in zahlreichen EU-geförderten Kooperationsprojekten als zentraler Knotenpunkt der europäischen Kulturlandschaft. Diese internationalen Kooperationen mit anderen Institutionen und Organisationen des Kultur- und Kreativsektors inspirieren und ermöglichen spannende Allianzen zwischen Künstler*innen, Forscher*innen und Industrievertreter*innen in multidisziplinären Projekten – ganz im Sinne eines vereinten Europas.

Die Entwicklung und Umsetzung von europäischen Kulturkooperationsprojekten im Rahmen von Creative Europe, Horizon 2020 / Horizon Europe und Erasmus+ sind zu einem Eckpfeiler des Engagements von Ars Electronica in diesem Sektor geworden. Unser Selbstverständnis in diesen kollaborativen Ansätzen ist das einer European Platform for Digital Humanism, ein Raum für Gespräche und Reflexion, um die Entwicklung und die Ergebnisse der künstlerischen Auseinandersetzung mit Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft zu fördern.

Die Bemühungen von Ars Electronica konzentrieren sich einerseits auf den Austausch innerhalb der Branche, andererseits auf den Diskurs zwischen Branche und Gesellschaft auf Augenhöhe. Der kritische künstlerische Diskurs über Technologien, die gesellschaftliche Diskussion durch transdisziplinäre Kulturpraktiken und die Reflexion der Kultur- und Kreativwirtschaft über ihre digitale Zukunft im Kontext der Next Renaissance-Bewegung und darüber hinaus – das sind Schwerpunkte, anhand welcher man sieht, wie der digitale Humanismus Gesellschaften in eine lebenswerte Zukunft führen kann.

Next Renaissance

Die Welt steht an der Schwelle zu einer seltenen Gelegenheit, unsere Systeme und unsere Art zu denken, zu planen und zu handeln dramatisch zu verändern, da sich Umbruchsstimmung breit macht. Die Lösungen liegen in der Luft und eine Erneuerung ist möglich. Vielleicht eine Wiedergeburt – eine Next Renaissance, in der wir unsere kollektive Vorstellungskraft und Intelligenz nutzen, in der wir Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen wie Wissenschaft, Kunst, Geisteswissenschaften und Technologie miteinander verbinden und in der wir über diese Wissensformen hinweg arbeiten. So können wir neu darüber nachdenken, wie wir unsere Wirtschaft nach anderen Prinzipien organisieren und unsere Gesellschaft auf eine Grundlage stellen, die über das reine Eigeninteresse hinausgeht. Auch unser Verhältnis zur Natur können wir angesichts der Gefahr eines Klimakollapses neu definieren.

Next Renaissance ist eine Bewegung und eine Plattform, die darauf aufmerksam machen will, dass wir unsere ethischen Grundsätze, Werte und Prioritäten bei der Bewältigung der großen Probleme unserer Zeit grundlegend überdenken müssen. Der Kreativ- und Kultursektor – insbesondere die Verbindung von wissenschaftlichem, technologischen, kulturellen und künstlerischen Wissen – kann ein Katalysator sein, um sich mögliche Zukunftsszenarien vorzustellen und sie zu verwirklichen. Um das große Potenzial des Sektors für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu erschließen, müssen wir Infrastrukturen und Unterstützungssysteme bereitstellen, die radikale neue Denkansätze sowohl für Künstler*innen als auch für die Industrie erleichtern und ermöglichen.

Ars Electronica beteiligt sich an zwei groß angelegten Initiativen der Europäischen Kommission, die mit der Vision der Next Rennaissance übereinstimmen und Innovation und Cross-Innovation durch die Kultur- und Kreativwirtschaft als Schlüssel für die Zukunft Europas sieht. Die STARTS-Initiative und das EIT Culture & Creativity bieten einen Rahmen, innerhalb dessen ein Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir denken, planen und handeln, möglich wird. Die Leitinitiative Next Rennaissance des EIT bildet die Basis für diese beiden Ansätze.

Beim diesjährigen Ars Electronica Festival wird die Konferenz am STARTS Day auf die Ziele der Initiative Next Rennaissance abgestimmt. Darüber hinaus wird das EIT Culture & Creativity die Auftaktveranstaltung zur Next Rennaissance auf dem Festival ausrichten.

Zukunftsvisionen für die Kunst- & Kreativindustrie

Der europäische Kultursektor ist ein vielfältiger, sich ständig weiterentwickelnder Bereich mit einer umfangreichen Geschichte, auf der man aufbauen kann. Mit der Digitalisierung der europäischen Gesellschaften ändern Kultureinrichtungen ihre Strategien und Ansätze, um nicht nur über regionale und nationale Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, sondern auch sektorübergreifend: Der Austausch und die Zusammenarbeit mit der Kreativindustrie wird zu einem Eckpfeiler für Innovation in diesem Bereich. Die Vorteile liegen auf der Hand: Theater übernehmen Ansätze der Spiele- und Filmindustrie, Streaming-Plattformen entwickeln Inhalte, die Daten des kulturellen Erbes enthalten und Museen arbeiten mit Anbietern technischer Lösungen zusammen, um ihr Publikum zu binden – um nur einige Beispiele zu nennen.

Ars Electronica bietet den Sektoren einen Raum, um sich zu treffen, voneinander zu lernen und sich mit neuen Ansätzen auseinanderzusetzen, beteiligt sich aber auch aktiv an den Innovationsprozessen des Kultursektors, indem es sich bei Initiativen engagiert, die die digitale Zukunft von Theatern, Museen und der Zusammenarbeit von Kultur- und Kreativwirtschaft gestalten. Indem wir den Sektor für unsere digitale Gegenwart und Zukunft fit machen, stellen wir sicher, dass Kultureinrichtungen ihre Rolle als Räume des demokratischen Diskurses über die Herausforderungen, denen wir als Gesellschaft gegenüberstehen, selbstbewusst wahrnehmen können.

Im Rahmen des Projekts ACuTe beteiligt sich Ars Electronica an der Entwicklung digitaler Theaterproduktionen, von denen einige im DeepSpace und beim Ars Electronica Festival gezeigt werden.

Für den Kultursektor konzentriert sich das Projekt CCI Thrive auf nicht-finanzielle, wertorientierte Geschäftsmodelle. Auf der diesjährigen Ars Electronica erörtern Expert*innen bestehende Ansätze von Kultureinrichtungen zur Schaffung von gesellschaftlichem, ökologischem und bildungsbezogenem Mehrwert und arbeiten an Empfehlungen für Kulturschaffende und politische Entscheidungsträger*innen zur Gestaltung der Zukunft der kulturellen Wertschöpfung in einer datengesteuerten Welt.

Credits: Data Space SAP Berlin

Das Projekt DOORS – Digital Incubator for Museums unterstützt diejenigen, die im Wettlauf der Branche mit der Digitalisierung zurückbleiben könnten: kleine und mittlere Museen. Die Endergebnisse des Projekts werden im Anschluss an das diesjährige Ars Electronica Festival im September präsentiert.

Transdisziplinäre Kulturpraktiken

Wir stehen an der Schwelle zu einer unvorstellbaren Zukunft. Expert*innen warnen davor, dass wir entweder bereits einen kontinuierlichen Verfall der menschlichen Zivilisation erleben oder kurz davor stehen, wenn wir nicht dringend auf unsere Umweltprobleme reagieren. Wir müssen die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben, indem wir durch Bildung und wissenschaftliches Engagement transdisziplinäre Kulturpraktiken fördern, um das nötige Fachwissen zu erwerben, sodass verschiedenen Arten von Wissen, die für einen transformativen Wandel und die Schaffung einer nachhaltigen Zukunft erforderlich sind, vermittelt und umgesetzt werden können.

Die Klimakrise und ihre Definition als scheinbar unbeherrschbares „super böses Problem“ unterstreicht die Dringlichkeit, umfassende Strategien einzusetzen, die Erkenntnisse über die komplizierten Beziehungen zwischen menschlichen, nicht-menschlichen und übermenschlichen Systemen berücksichtigen. Aktivist*innen, engagierte Gemeinschaften und vor allem junge Menschen haben die Dringlichkeit der Situation auf angemessenere Weise als die Politik und die breite Öffentlichkeit erkannt.

Durch die Förderung einer Kultur der Transdisziplinarität im gesamten Europäischen Forschungsraum führen Ars Electronica und ihre europäischen Partnerinstitutionen Projekte durch, die sich auf die Förderung von kollaborativen und transdisziplinären Kulturpraktiken in Bildung und Wissenschaft konzentrieren. Transdisziplinarität ist ein wichtiges Mittel, um mögliche Wege aus scheinbar unlösbaren Dilemmas aufzuzeigen. Indem wir verschiedene Interessengruppen zusammenbringen, können wir eine Gesellschaft gestalten, die gemeinsam auf eine nachhaltige Zukunft hinarbeitet.

More-than-Planet will eine langfristige Wirkung erzielen, indem es in Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern einen Weg in das Framework der European Cultural Outer-Space Activities (ECOSA) entwickelt. Die Ergebnisse werden im Rahmen des diesjährigen Ars Electronica Festivals sowie in anderen kulturellen und öffentlichen Räumen, einschließlich spezifischer kritischer Zonen, in Form neuartiger Umweltgeschichten verbreitet.

IMPETUS vergibt den European Union Prize for Citizen Science im Namen der Europäischen Kommission. Citizen Science soll besonders anerkannt und das disziplinäre Engagement gefördert werden, indem kollaborative und vielfältige Ansätze ausgezeichnet werden, die die Zivilgesellschaft und die Bürger*innen in der Entwicklung der Zukunft stärken. Beim diesjährigen Festival verleiht Ars Electronica den European Union Prize for Citizen Science zum allerersten Mal.

Zu den von WeSTEAM entwickelten praktischen Werkzeugen gehört ein Kompetenzrahmen, mit dem Frauen* in der MINT-Branche ihre Fähigkeiten im Bereich des künstlerischen Denkens selbst einschätzen und Bereiche mit Verbesserungsbedarf identifizieren können. WeSTEAM entwickelt auch eine Trainingsmethodik, die sowohl von MINT-Lehrkräften als auch von Studentinnen* selbst genutzt werden kann. Diese wird im Rahmen des diesjährigen Ars Electronica Festival präsentiert und getestet. Zudem wird sie durch ein VR-basiertes Lernspiel unterstützt.

Das Critical ChangeLab zielt darauf ab, durch ein flexibles Modell der Demokratieerziehung in den Bildungseinrichtungen in Europa zur Verbesserung der Demokratie in Europa beizutragen. Indem jungen Menschen Macht und Handlungsfähigkeit verliehen wird, können sie zu direktem Handeln für eine nachhaltige und sozial gerechte Zukunft inspiriert werden. Ars Electronica wird dieses Bildungsmodell in den kommenden Jahren in ihr create your world Programm einbinden.

Credit: Ars Electronica – Magdalena Sick-Leitner

Kritische Technologien

Im Zeitalter der Technologie, in dem KI und Big Tech die soziale und technologische Landschaft umgestalten, ist die Notwendigkeit eines stärker auf den Menschen ausgerichteten Ansatzes für die digitale Transformation von größter Bedeutung. Schlimme Folgen wie die Aushöhlung der Privatsphäre, die Verbreitung von falschen Informationen und Datenmonopole unterstreichen diese Notwendigkeit.

Ars Electronica führt seit vielen Jahren europäische Projekte durch, die auf kreativem und kritischen Denken von Künstler*innen basieren. Gesellschaftliche und ethische Überlegungen werden bei diesen Projekten in den Vordergrund der technologischen Entwicklung gerückt und stehen im Einklang mit der allgemeinen Politik der Europäischen Union zur digitalen Transformation. In zahlreichen Projekten, die durch diesen Ansatz gefördert wurden, haben Künstler*innen ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, Normen in Frage zu stellen, kritische Reflexion anzuregen und eine auf den Menschen ausgerichtete Perspektive in den digitalen Bereich einzubringen. Ihre kreativen Interventionen dienen als Katalysatoren, um etablierte Paradigmen in Frage zu stellen, neue Möglichkeiten zu eröffnen und ein tieferes Verständnis für die kulturellen, sozialen und ethischen Dimensionen der Technologie zu fördern.

Die wechselseitige Befruchtung von künstlerischer Kreativität mit Wissenschaft und Technologie, gekoppelt mit gesellschaftlichen und ethischen Überlegungen, bildet eine zentrale Strategie im Umgang mit dem zukünftigen Potenzial der digitalen Transformation. Ein solcher humanistischer Ansatz für die digitale Transformation, den Ars Electronica und ihre Partner vertreten, bietet einen Fahrplan für eine Zukunft, in der die Technologie unserem kollektiven Wohl dient und es aufrechterhält.

European Digital Deal setzt Ars Electronicas Untersuchung darüber fort, wie die beschleunigte, aber manchmal unbedachte Einführung neuer Technologien – wie künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Blockchain und algorithmische Verarbeitung – demokratische Prozesse verändern oder untergraben kann. Durch eine Reihe von Programmen schafft European Digital Deal ein neuartiges öffentliches Forum, in dem Kulturinstitutionen, Kunstschaffende, Forscher*innen und Pädagog*innen zusammenkommen, um darüber nachzudenken, wie ein Deal aussehen könnte, der die demokratischen Werte im digitalen Bereich schützt, und welche Rolle sie bei seiner Gestaltung spielen können.

Im Mittelpunkt dieses Forums stehen zwölf Künstlerresidenzen, um Gespräche über die Bedenken, Risiken und potenzielle Zukunft digitaler Technologien anzuregen – von den gegenwärtigen ethischen Bedrohungen, die sie im Zusammenspiel mit den Medien und der öffentlichen Verwaltung darstellen, bis hin zu Visionen für nachhaltige und ethische Technologien für die Zukunft. Beim diesjährigen Ars Electronica Festival werden Expert*innen und Künstler*innen gemeinsam die Themen für diese Residenzen erarbeiten.

Die European Media Art Platform (EMAP) befasst sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Technologie und vereint verschiedene Perspektiven. Geleitet von den innovativen und kritischen Köpfen der Künstler*innen stehen gesellschaftliche und ethische Fragen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Technologie. Regelmäßig finden in ganz Europa und im Rahmen des Ars Electronica Festival Veranstaltungen statt, bei denen die in Residenzen entstandenen Arbeiten präsentiert werden.

Realities in Transition (RiT) bringt eine aktive und kritisch denkende Gemeinschaft von XR-Künstler*innen und Praktiker*innen zusammen, um auf diese Herausforderungen zu reagieren. Das Projekt bündelt bestehende Initiativen, um XR als ein gemeinsames Gut zu demonstrieren. Beim diesjährigen Ars Electronica Festival wird das Common XR Manifesto (CXRM) von RiT zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die vorgestellten Projekte sind Teil des Ars Electronica Festival 2023 und können im Rahmen dessen besichtigt werden. Details zu den Highlights werden laufend online veröffentlicht.

More-than-Planet, Realities in Transition, ACuTe, EMAP, CCI Thrive und European Digital Deal werden durch das Creative Europe Programm der Europäischen Union kofinanziert.
EIT Culture & Creativity wird vom Europäischen Institut für Innovation und Technologie (EIT) unterstützt und von der Europäischen Union finanziert.
Der STARTS-Preis wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung Nr. 956603 finanziert.
STARTS in the City wird von der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung LC-01984766 im Rahmen der Initiative STARTS – Science, Technology and Arts der GD CNECT kofinanziert.
STARTS4Africa wird von der Europäischen Union im Rahmen der Initiative STARTS – Science, Technology and Arts der GD CNECT kofinanziert (GA-Nr. LC-01960720).
DOORS wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung Nr. 101036071 finanziert.
IMPETUS wird von der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung Nr. 101058677 – HORIZON-WIDERA-2021-ERA-01 finanziert.
Critical ChangeLab wird von der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung Nr. 101094217 – HORIZON-CL2-2022-DEMOCRACY-01-04 finanziert.
WeSTEAM wird durch das Erasmus+ Programm der Europäischen Union kofinanziert.

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