Data Art transformiert komplexe Daten in interaktive, ästhetische Kunstwerke. Das Berliner Duo Quadrature nutzt in „Pulse of the EPO“ Patentdaten, um gesellschaftliche und kosmische Grenzen zu erforschen.
Data Art, eine Kunstform, die Daten als Hauptmedium zur Schaffung ästhetischer Kunstwerke verwendet, wird vielfältig interpretiert und definiert. Künstler*innen nutzen dabei verschiedene Technologien wie z.B. Virtual Reality, KI oder Datenvisualisierungssoftwares, um diese in visuelle und interaktive Formen zu übersetzen, von digitalen Animationen bis hin zu physischen Installationen. Diese Kunstform bietet nicht nur visuelle Faszination, sondern ermöglicht auch neue Einsichten in komplexe Daten aus Umwelt, sozialen Netzwerken oder der Wirtschaft. Die Werke sind oft interaktiv gestaltet, erlauben Publikumsinteraktion und stellen durch ihre Aufarbeitung der Daten kritische Fragen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Es gibt viele unterschiedliche Ansichten und Meinungen darüber, was Data Art genau ist und welche Aspekte sie umfassen sollte, was diese künstlerische Praxis zu einem dynamischen und sich ständig weiterentwickelnden Feld macht.
Mit ihrer Arbeit „Pulse of the EPO“ verbinden die in Berlin ansässigen Künstler*innen Juliane Götz und Sebastian Neitsch unter dem Namen Quadrature auf faszinierende Weise Daten und Technologie, um Realitäten zu erfassen und neu zu gestalten. Mit einem breiten, transdisziplinären Ansatz, der von zeitbasierter Performance über Installationen bis hin zu klassischer Bildhauerei und zweidimensionalen Werken reicht, loten sie (bis 2016 zusammen mit Jan Bernstein) die Grenzen zwischen Welt und Kosmos aus. Durch den Einsatz verschiedener Methoden und Erzählweisen erschaffen sie einzigartige künstlerische Ausdrucksformen. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf ihre jüngste Arbeit, die Grenzen von Patentdaten und Kunst, sowie die transformative Kraft von Data Art.
Catalyst lab – The Making of Tomorrow
Um den 50. Jahrestag des Europäischen Patentübereinkommens zu feiern, lud das Europäische Patentamt (EPO) Ars Electronica Export ein, gemeinsam einen zentralen Bereich im Untergeschoss der EPO-Hauptverwaltung zu kuratieren. Dieser nahezu 1.000 Quadratmeter umfassende Raum, der einst als Archiv für Patentanmeldungen diente, verlor seine ursprüngliche Funktion durch die Umstellung auf digitale Patentvergabeverfahren. Diese Transformation bot eine einzigartige Gelegenheit, den Raum nicht nur physisch, sondern auch konzeptionell zu überdenken. Die Kollaboration zielte darauf ab, ein Konzept zu entwickeln, das sowohl die historische Bedeutung des Raumes als Archiv bewahrt als auch eine neue, zukunftsorientierte Nutzung einführt. Durch diese strategische Neuausrichtung wurde ein Umfeld geschaffen, das die kulturelle und historische Identität des Ortes respektiert, während es gleichzeitig als inspirierender Raum für Mitarbeiter*innen und Besucher*innen des EPO dient.
Kreative Visionen aus Patentdaten
„Pulse of the EPO“ nutzt die transformative Kraft der Kreativität in Wissenschaft und Technologie und greift auf die umfangreichen technischen Informationen und Dokumente des Europäischen Patentamtes zurück. Die Installation, die sich über 11 Meter erstreckt, präsentiert sich in einer hochauflösenden 3 x 4k-Darstellung. Sie visualisiert Daten aus zehn Millionen Patentanmeldungen, die gemäß dem Y02-Tagging-System des Europäischen Patentamtes für klimarelevante Technologien klassifiziert sind.
Die immense Datenmenge aus der globalen Patentdatenbank PATSTAT der EPO inspiriert zu einer Serie von Erzählungen, die den globalen Einfluss der EPO widerspiegeln. Dabei vermischen sich Ansätze, die auf echten Daten basieren, mit subjektiven Spekulationen und poetischer Freiheit. Ästhetik und Dramaturgie des Werks werden durch verschiedene Parameter aus den Datenbanken der EPO geformt, einschließlich des Anmeldedatums, des Herkunftsortes der Patentanmeldung, der Zeit zwischen Anmeldung und Genehmigung bzw. Ablehnung, technischer Felder, Anwendungstitel, Statusereignisse und Patentfamilien. In jeder individuellen Erzählung werden Klang und Bild synchron zu den Datensätzen der EPO erzeugt, was die Bedeutung dieser Technologien im Kontext der globalen Nachhaltigkeit hervorhebt.
Innovation durch Kollaboration
Im Gespräch mit Juliane Götz und Sebastian Neitsch erfahren wir mehr über die Entstehung des Projekts. Im Zentrum des Projekts stand die Auseinandersetzung mit Patentdaten, die metaphorisch als „Ideenverwaltungsmaschine“ umschrieben wurden – ein Begriff, der die Exklusivität und Zugangsbeschränkung von Wissen, wie sie durch Patente entsteht, kritisch reflektiert. Trotz dieser kritischen Betrachtungsweise erkannten die Künstler*innen auch die positive Seite: Patente als eine immense Wissensbibliothek und Plattform für Innovation. Angesichts des engen Zeitrahmens und der Herausforderung, die Daten aus verschiedenen visuellen Perspektiven zu betrachten, verfolgte das Team einen Ansatz, der sowohl technisch als auch visuell auf Einfachheit und Abstraktion abzielte. Ziel war es, einen umfassenden Überblick zu schaffen, indem zunächst basale Daten visualisiert wurden, wie die einfache Unterscheidung, ob ein Patent erteilt wurde oder nicht. Weiterhin experimentierte das Team mit der Darstellung von bis zu 4000 Patenten pro Frame, um eine effektive Visualisierung von insgesamt 1 Million Patenten zu erreichen, wobei jedem Patent ein individuelles Geräusch zugewiesen wurde.
“Die Diversität in der Verarbeitung von Daten zeigt, dass nahezu jedes Datenset als Grundlage für interessante künstlerische Projekte dienen kann.”
Juliane Götz
Doch was haben die Künstler*innen in den Daten herausfinden können? “Daten können als künstlerisches Material fungieren, wobei die Besonderheit oft darin liegt, dass sie sowohl auf der faktischen Ebene als auch auf einer Metaebene existieren. Die Metaebene wirft Fragen auf wie: Wer hat diese Daten erhoben und was bedeuten sie eigentlich? Diese Daten liegen selten in ihrer Rohform vor, sie wurden bereits bearbeitet, gefärbt oder interpoliert. Dies führt zu einer faszinierenden Herausforderung: Es geht nicht nur darum, das Datenset selbst zu betrachten, sondern auch das Umfeld, in dem diese entstanden sind.” meint Juliane Götz. Es gibt Daten, die sich relativ einfach und direkt für künstlerische Projekte nutzen lassen, während andere mehr Interpretationsarbeit erfordern. Juliane betont auch, dass sie sich ohne spezifischen Anstoß vermutlich nicht mit Patentdaten beschäftigt hätten. Die Auseinandersetzung mit solchen Informationen erfordert eine tiefe analytische Herangehensweise. Trotz der Herausforderungen zeigt sich, dass nahezu alle Datenarten das Potential haben, in interessante künstlerische Projekte transformiert zu werden; der notwendige Aufwand variiert allerdings je nach Datenart.
Auf die Frage, wie Daten und Kunst generell ineinandergreifen, bzw. sich bereichern kann, meint Sebastian, dass es eine Kombination aus verschiedenen Faktoren ist. Die Art und Weise, wie man an die Sache herangeht, spielt eine entscheidende Rolle. Zunächst einmal ist Datenmaterial an sich ein Rohmaterial. Die Herausforderung besteht darin, die richtige Technik und den passenden Kontext für die Arbeit mit diesem Material zu finden. Wie bei jedem Material kommt es darauf an, wie man es sowohl konzeptionell als auch technisch verarbeite. “Daten sind gesellschaftlich äußerst relevant, da sie immer omnipräsenter werden und eine Wechselwirkung mit der Gesellschaft entsteht, die dann wiederum die Daten beeinflusst. Diese Dynamik finde ich gesellschaftlich sehr spannend”, so Sebastian Neitsch.
Daten bieten eine zugängliche Basis, um technische, soziale und politische Fragen zu beleuchten. Ein verbreitetes Problem in der Arbeit damit ist allerdings ihre technische Beschaffenheit. In der Medienkunst tendiert die Technologie dazu, eine dominante Rolle einzunehmen, besonders bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz, was zweifellos ein relevantes Thema darstellt. “Für Künstler*innen sind Daten vor allem ein Rohmaterial, das auf vielfältige Weise bearbeitet werden kann. Sie können direkt mit ihnen arbeiten, sie konzeptionell verwenden, ihren Einfluss analysieren und kritisch hinterfragen, woher sie stammen, wie viel Wahrheit sie enthalten, welche Statistiken vertrauenswürdig sind, welche möglicherweise manipuliert wurden, und in welchem Maß sie die Realität widerspiegeln können. Existiert eine absolute Wahrheit? Daten können verschiedene Wahrheiten darstellen. Entscheidend ist, wann es angebracht ist, mit Daten zu arbeiten und wie dies am besten geschieht. Diese Fragen erfordern stets eine individuelle Betrachtung und Antwort.”. Daher bleibt die Nutzung von Daten in der Medienkunst eine stetige Herausforderung und eine unverzichtbare Gelegenheit, den Diskurs über die Wechselwirkungen zwischen Technologie und Gesellschaft weiter zu vertiefen und zu bereichern.
Globale Vernetzung an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft
Das Catalyst Lab, kuratiert von Ars Electronica Export, beleuchtet globale Themen und Herausforderungen unserer Zeit, untersucht die Auswirkungen von Technologien auf die Gesellschaft und dokumentiert den rasanten Wandel der Welt durch Innovation und technologischen Fortschritt. Mit mehr als 40 Jahren Erfahrung an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft engagiert sich Ars Electronica Export weltweit in der Förderung von Wissen durch Ausstellungen, Veranstaltungen, Mentoring, Residencies sowie Vorträge und Workshops. Das Angebot umfasst sowohl maßgeschneiderte Lösungen als auch kosteneffiziente Komplettpakete, die genau auf die spezifischen Bedürfnisse und Ressourcen der Partner abgestimmt sind. Die Projekte, die thematisch, technologisch oder historisch ausgerichtet sein können, zielen darauf ab, inspirierende Vorhaben zu entwickeln, die an bestehende Erfolge anknüpfen und wichtige Entwicklungen in den Bereichen Kunst, Technologie und Gesellschaft beleuchten, um den Diskurs über zukünftige Innovationen weiter zu bereichern.
Mehr Informationen zu den Projekten von Ars Electronica Export findest du hier.