Hoffnung ist kein Ersatz für Handlungen. Vielmehr ist sie eine Grundlage des Handelns, für die wir uns bewusst entscheiden – inmitten von Zynismus, Ignoranz und Gleichgültigkeit. Eine Einladung zu fühlen, zu handeln, zu berühren und berührt zu werden.
Die Themenausstellung, die es während der fünf Tage des Ars Electronica Festival 2024 für Groß und Klein zu erleben gibt, entpuppt sich als Reise in zweierlei Dimensionen. Einerseits als tatsächliche Reise in das unterirdische Labyrinth des Betonbunkers der POSTCITY, dessen Architektur 24 Kunstprojekten einen beeindruckenden Rahmen bietet, andererseits als metaphorische Reise in eine Welt der Hoffnung. Oder besser gesagt: in eine Umgebung, die Hoffnung weckt, kultiviert und ihr Publikum zum aktiven Handeln auffordert. Die ausgedehnte Erkundung gliedert sich in einen Prolog im Eröffnungsbereich des Festivals, gefolgt von drei Kapiteln, die den Windungen der unterirdischen Bauarchitektur folgen, und endet mit einem Epilog, kurz bevor das Publikum aus den Tiefen der POSTCITY wieder zurückkehrt. Zurück in die Realität. Voller Hoffnung und neuer Ideen. Voller Drang, selbst ein Teil der Veränderung sein zu können. Voller Zuversicht.
Doch woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Was aktiviert die Hoffnung in uns? Wer schafft es, uns in Zeiten der Ungewissheit neue Möglichkeiten aufzuzeigen? Wir wissen doch schon alles. Oder?
Während der Ausstellung „HOPE: the touch of many“ verfolgt das Publikum die Frage, welche gemeinschaftlichen Ansätze zu mitfühlenden und nachhaltigen Veränderungen in unserer Gesellschaft führen können – oder bereits führen. Durch das hautnahe Erleben vielfältiger Projekte, die unterschiedlichen künstlerischen Untersuchungen und Forschungsbereichen entspringen, wird dem Publikum die eigentliche „Superkraft“ von Künstler*innen bewusst – nämlich Hoffnung zu entfachen und Gleichgültigkeit zu beseitigen. Sie aktivieren unsere Fantasie, lösen Emotionen aus und wirken dadurch auf unseren gesamten Sinneskörper. Sie erzählen uns Geschichten. Und ja, darin finden wir neue Antworten. Oder wie es Ursula Le Guin sagt: „Die Geschichte ist eines der grundlegenden Werkzeuge, die der menschliche Verstand erfunden hat, um Verständnis zu erlangen.“
Ein Kunstprojekt, auf das die Besucher*innen schon in der Welcome Area treffen, ist z.B. La Machine a Tubes. Ein Projekt, das sich unserer Unterhaltungskultur widmet. Noch bevor man sich in die Tiefen der POSTCITY wagt, heißt es also bereits: Mitmachen erwünscht!
Hitverdächtig?
Bastien Bron, alias My name is Fuzzy, erforscht mit La Machine a Tubes die Fantasien und Grenzen künstlicher Intelligenz: Anstatt zu hinterfragen, ob KI die Menschheit retten oder zerstören wird, testet er lieber ihre Fähigkeit, uns zu unterhalten.
Obwohl der Film „Die Hitmaschine“ genannt wird, gibt es keine Garantie, dass sie einen einzigen Hit produzieren wird. Unaufhaltsam probiert die Maschine unendlich viele Kombinationen von Noten und Texten, ohne zu wissen, ob sie Erfolg haben wird. Gefüttert von Melodien und Themen, die sich der Künstler ausgedacht hat – nun aber von der KI verwendet werden, versucht sie, neue Inhalte zu erschaffen. Das Publikum ist eingeladen, mit der Maschine zu interagieren und Entscheidungen zu treffen, damit immer wieder neue Lieder von dem digitalen Ich des Künstlers live gespielt werden. Das Werk wirft einen ironischen Blick auf die Algorithmen, die unseren Geschmack und unsere Wünsche beeinflussen.
Hoffnung vs. Gleichgültigkeit
Scheint, als war es nie herausfordernder und spannender als heute, Künstler*in zu sein. Sie entwerfen Zukunftsvisionen und spekulieren darüber, wie sich fiktive Gesellschaften entwickeln könnten. Sie schaffen Utopien und zeigen, wie wir unser Leben gestalten könnten. Ob Malerei, Musik, Literatur, Film oder Animation, Performance oder Installation – Künstler*innen ermächtigen uns dazu, radikale Möglichkeiten zu erkennen, uns zu engagieren und zu entwickeln – für eine kollektive Transformation in unseren realen Alltagswelten.
Artist Spotlights
Im Fokus der Themenausstellung stehen die Artist Spotlights. In vier ausgewählten Räume, werden die Besucher*innen eingeladen, durch die Brille der Künstler*innen Tega Brain, Anab Jain von Superflux, LaJuné McMillian und dem Kollektiv Time’s Up zu schauen. Was sie dort erwartet? Sie werden an den Schnittpunkt von Denkweisen, Arbeitsweisen und Möglichkeiten des Zusammenseins geführt. Eine weitere Chance, endgültig ins Fühlen, ins Hoffen und Handeln zu kommen – und ins Verstehen. Denn hier geht es vor allem darum, Zusammenhänge besser verstehen zu können. Die Artist Spotlights laden ein, künstlerische Forschung neu zu überdenken. Künstler*innen versetzen uns in die Lage, Wissen neu zu konzeptualisieren, sodass wir die ökologischen und gesellschaftlichen Probleme, die wir fühlen, auch bewältigen können.
Ãœber den Tellerrand: in drei Kapiteln
Während sich das Publikum also durch das Labyrinth bewegt, fordern sämtliche Künstler*innen sowohl die sensorischen als auch die emotionalen Kapazitäten ihrer Besucher*innen. Die gesamte Themenausstellung strebt danach, die reine Ästhetik des Betrachtens und Zuhörens zu überwinden. Sie will Mitgefühl und achtsame Koexistenz fördern. Und indem Künstler*innen die Ungewissheit der Zukunft in ein Gefühl der Verbundenheit verwandeln, kommen wir ins Fühlen, ins Hoffen und Handeln. Indem sie die Sinne der Menschen durch ihre greifbaren Welten wie auch durch ihre konstruierten Utopien auf eine Weise erreichen, die wissenschaftliche Argumente alleine offenbar nicht durchdringen – wie es uns die Dringlichkeit des Klimawandels zeigt.
Es geht also darum, sich darauf einzulassen, über die Grenzen des Bestehenden hinauszudenken, sich auf das Ungewöhnliche einzulassen. Dafür muss aber erst das, was in unserem Blickfeld sein sollte, hervorgehoben und in weiterer Folge aktiviert werden. Die Ausstellung zeigt uns durch verschiedene Strategien und Methoden also eine Art der Anleitung zur Erweiterung unserer Sinne.
Gegliedert in die drei thematischen Kapitel, Entanglements of Knowing, Sensing Environments und Ecologies of Action, zeigen sich Kunstprojekte, die Mut und neues Bewusstsein säen. Sie geben uns Einblick in die Verflechtungen zwischen Menschen, Pflanzen, Politik und Macht, hinterfragen, wann und warum wir aus dem Gleichgewicht geraten sind, und verdeutlichen, dass wir Teil einer größeren Ökologie sind – nicht getrennt von der Natur.
Kapitel 1: Entanglements of Knowing
Was das konkret bedeutet, erleben die Besucher*innen beispielsweise durch die Installation AI and the Art of Historical Reinterpretation – ein Kunstprojekt des ersten Kapitels: Entanglements of Knowing.
Der Versuch einer inklusiven Geschichte
Die Installation kritisiert die Verzerrung der Geschichtsschreibung, die von politischen Interessen geleitet und von persönlichen Vorlieben, einseitigen Erzählungen oder der Marginalisierung von Ereignissen geprägt sind. Dabei liegt der Fokus im Besonderen auf FLINTA*-Personen, also auf Geschlechtsidentitäten, die patriarchal diskriminiert werden, deren Geschichtsbeiträge häufig übersehen wurden und werden.
KI-Technologien, insbesondere Modelle zur Bilderzeugung, können die Geschichte neu schreiben, unser Verständnis für Vergangenheit verbessern und Lücken, die vor allem im Geschlechterverhältnis bestehen, schließen. Durch die Schaffung eines wachsenden fiktionalen Bildarchivs in einem kulturellen, sozio-politischen und wissenschaftlichen Kontext, interpretiert das Projekt die Vergangenheit neu und inklusiv. Auf diese Weise werden KI-Modelle trainiert, um eine ausgewogene Perspektive zu gewährleisten. Diese Sammlung wird über digitale Plattformen verteilt und fördert ein tieferes Verständnis für die Geschichte wie auch für die Auswirkungen auf künftige KI-Entscheidungen. Um das Gefühl eines historischen Bildarchivs zu erzeugen, kommen für die Präsentation der ausgewählten Bilder ein Diaprojektor samt alter Projektionsleinwand zum Einsatz.
Auch zwei Projekte der Artist Spotlights sind bereits im ersten Kapitel der Ausstellung zu finden. Einerseits: das Projekt des Kollektivs Time’s Up: Just asking for a friend. Es stellt die Frage, die möglicherweise in manchen Köpfen bereits durch den Titel der Themenausstellung aufkommt. Nämlich: Wie können wir es wagen, in Zeiten wie diesen, hoffnungsvolle Visionen aufrechtzuerhalten? Und so viel darf schon jetzt verraten werden: Hier darf sich das Publikum auf spannende Antworten freuen, auch wenn sie dem widersprechen, was wir alle zu wissen glauben.
Andererseits: das Kunstprojekt von Tega Brain, das darauf hinweisen will, dass jeder von uns eine Rolle in der Klimakrise spielt. Hier erlebt das Publikum eine Kunst, die mit der Neugestaltung des Systems experimentiert und Vorstellungswelten für Klimaschutz und Klimaanpassung kultiviert.
Kapitel 2: Sensing Environments
Das zweite Kapitel der Ausstellung widmet sich der bewussten Wahrnehmung unserer Umgebung. Wie z.B. das Kunstprojekt Cascade, das das Publikum eindrucksvoll an die entscheidende Bedeutung der Erhaltung der oft unsichtbaren Elemente der Natur erinnert – und zwar durch eine multisensorische Erfahrung.
Der Mensch – das Maß aller Dinge?
Wasserfälle senden Infraschallfrequenzen aus, die für die Navigation bestimmter Vögel essenziell sind. Sie nutzen diese während ihren Wanderungen als eine Art Kompass – der mittlerweile durch die Lärmbelästigung, verursacht durch die Industrialisierung, bedroht ist. Cascade versucht die Infraschall-Aufnahmen verschiedener Wasserfälle mit kleinen Lautsprechern, die nicht in der Lage sind, tiefe Frequenzen zu übertragen, zu reproduzieren. Diese Fehlfunktion aktiviert eine optische Faser, durch die der Schall „fällt“. Was dadurch entsteht, ist ein Lichtvorhang, der die Schallwellen visualisiert und somit eine alternative Form des Hörens ermöglicht. Dies fordert das menschliche Gehör und die Wahrnehmungsfähigkeiten heraus: Solche Schwingungen können mit der Haut gesehen, gefühlt und berührt werden. Durch das Erleben am eigenen Körper entsteht ein tatsächliches Mitfühlen mit anderen Spezies. Eine tiefere Verbindung.
Kapitel 3: Ecologies of Action
Im dritten Kapitel der Ausstellung treffen Besucher*innen auf Projekte, die künstlerische Praktiken mit Wirkung in den Vordergrund stellen. In diesem Rahmen betritt das Publikum auch den dritten Raum der Artist Spotlights und erhascht einen Blick durch die Linse von Anab Jain, Mitbegründerin von Superflux. Sie lädt dazu ein, unsere Fähigkeit, Dinge hinterfragen zu können, zu aktivieren. Auch wenn es schwer erscheint, sich mit dem Unbehagen der Ungewissheit zu arrangieren und offen zu sein für mehrere Sichtweisen auf die Welt, besteht sie darauf, Mehrdeutigkeit und Zweifel zuzulassen. Ihr Projekt verändert unsere Wahrnehmung der Welt und macht eindringlich bewusst, dass unsere Meinung eben nur unsere Meinung ist – keine Tatsache. Dadurch wird in uns das Wissen geweckt, dass die Dinge nicht so sein müssen, wie sie immer waren. Achtung: Hier wird versucht, Fragen zu stellen, anstatt lediglich Antworten zu finden.
Fließende Grenzen
Um auf die Superkraft der Künstler*innen zurückzukommen: Durch ihr Bestreben, unsere Welt und die herrschenden Probleme verstehen zu lernen, neue Perspektiven zu entwickeln und eine breite Diskussion darüber anzustoßen, verinnerlichen Künstler*innen nicht nur Veränderungsprozesse im einzelnen Geist, sondern schließen auch ungewöhnliche Allianzen.
„Während wir uns durch das Betonlabyrinth bewegen, dehnen die Künstler*innen unsere sinnlichen und emotionalen Grenzen, so weit sie können. Die Kraft und Wirksamkeit dieser Einflüsse muss über die bloß ästhetische Erfahrung des Sehens und Hörens hinausgehen. Sie soll Mitgefühl, Zusammenarbeit und bewusstes Zusammenleben inspirieren, die in Solidarität und Verwandtschaftsgefühl verwurzelt sind“, so Kuratorin Olga Tykhonova. „Die Künstler*innen übersetzen die Unsicherheiten unserer Zukunft in gegenwärtige Entscheidungen, wir begegnen ihren greifbaren und erdachten Welten. So entdecken wir vielleicht unsere individuelle und unsere gemeinsame Handlungsmacht, und entwickeln so ein sowohl emotionales als auch politisches Verständnis von Gemeinschaft.“
Diese Haltung spiegelt sich im kuratorischen Rahmen der Themenausstellung wider. Außerdem macht sie die vielfältigen kollaborativen Partnerschaften und Engagements der Ars Electronica sichtbar:
Ein Teil der Ausstellung, die im Rahmen des Projekts European Digital Deal präsentiert wird, wird vom Programm Creative Europe der Europäischen Union kofinanziert. Der European Digital Deal sieht sich aufgrund der rasanten Verwebung der digitalen Welt in das Gefüge unserer Gesellschaften gezwungen, darüber nachzudenken, was dies für unsere Demokratien bedeutet. Das Projekt beleuchtet die Risiken und Möglichkeiten, die neue Technologien mit sich bringen, um eine bewusstere technologische Zukunft zu konstruieren. Aktuell fungiert Ars Electronica als Residency host für die Künstlerin Martyna Marciniak und ihr Projekt Anatomy of Non-Fact, ebenso Teil der Themenausstellung.
Zudem zeigt die Ausstellung Werke der EMAP (The European Media Art Platform) Residencies, die im Rahmen des European Media Artist in Residence Exchange (EMARE) unterstützt werden, wie z.B. das Projekt Compost as Superfood von EMAP Residency Künstler*in ist masharu. Weiters wird das Kunstprojekt Fu(n)ga von Tiziano Derme, Nadine Schütz ausgestellt, das mit dem ArTS (Art, Technology, Society) Production Grant für Schweizer Künstler*innen gefördert wurde, ein Stipendium der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und ein Projekt, das mit dem Ars Electronica Award for Digital Humanity ausgezeichnet wurde und vom österreichischen Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten unterstützt wird. Zudem wurde von Ars Electronica und dem National Taiwan Museum of Fine Arts ein Projekt im Rahmen des TAICCA x Ars Electronica Art Thinking Programms entwickelt: das Project Patching—Ti hoeh koe von Dimension Plus.
Epilog
Die Erkundung durch Architektur, Medien & Methoden und die Berührung vieler endet mit einem Epilog – und führt die Besucher*innen zur Macht der Geschichten und des Geschichtenerzählens zurück.
Hier betritt das Publikum auch den letzten Raum der Artist Spotlights, wo LaJuné McMillian damit experimentiert, Raum für neue Weisen des Seins zu erschaffen. Sie navigiert, kritisiert und verbiegt digitale Systeme und nutzt sie als Mechanismus, um sich mit den Grenzen der Technologie auseinanderzusetzen, insbesondere im Hinblick darauf, wie sie Schwarzen Menschen schaden, sie isolieren, einschränken und ihre Bedürfnisse ignorieren kann. Es zeigt uns klar: Um hoffnungsvoll sein zu können, ohne dabei wirklichkeitsfremd zu scheinen, brauchen wir Klarheit über die Komplexität und die Probleme unserer Welt. Erst dann kann kollektiver Wandel aus gemeinsamer Kraft möglich werden.
Beides verdeutlicht die gesamte Reise durch den Bunker der POSTCITY: die Unsicherheit unserer Zukunft und die Möglichkeit, jetzt aktiv handeln zu können. Und ja, es sind Künstler*innen, die diese scheinbaren Gegenpole durch das Erzählen ihrer ungewöhnlichen Welten zusammenführen und uns ein emotionales wie auch politisches Verständnis von Gemeinschaft ermöglichen. Sie sind es, die es schaffen, Ignoranz zu beseitigen und Veränderungsprozesse in uns zu aktivieren. Sie sind es, die unaufhaltsam hinterfragen, wie wir Machtdynamiken so umstrukturieren können, dass wir als Nutzer von Technologie die uns zur Verfügung stehenden Werkzeuge nicht nur gebrauchen, sondern auch zu ihnen beitragen und sie gestalten können. Sie sind es, die uns ermutigen, uns zu entscheiden: für die Hoffnung.
Die Themenausstellung „HOPE: the touch of many“ kann im Rahmen des Ars Electronia Festival von 4. bis 8. September ind der POSTCITY in Linz besucht werden. Tickets dafür gibt es hier.