„Perfect Sleep“ zeigt, wie mehr Schlaf zu weniger Konsum und CO₂-Ausstoß führen kann und damit ein einfaches Gegenmodell zum Wachstumszwang bietet.
Seit 1979 leistet Ars Electronica Pionierarbeit – sie baut Brücken zwischen Disziplinen, dient als Plattform für neue Allianzen und setzt Impulse für einen offenen, inklusiven Dialog über unsere Zukunft. In Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus aller Welt realisieren und präsentieren wir Projekte, die Konventionen infrage stellen und Entwicklungen vorwegnehmen.
Für diese Serie bitten wir Mitglieder des Ars Electronica Teams, in unser Archiv – das weltgrößte seiner Art – einzutauchen und ein Projekt auszuwählen, das sie persönlich berührt, inspiriert oder zum Nachdenken angeregt hat und uns zu erzählen, warum dieses Projekt heute relevant ist. Gemeinsam begeben wir uns auf eine Reise zu Meilensteinen der sogenannten digitalen Revolution. Meilensteine, die „Cutting Edge“ waren.
In dieser Ausgabe gibt uns Laura Welzenbach, Head of Ars Electronica Export, Einblick in ein Projekt, das auf originelle Weise ein scheinbar privates, alltägliches Phänomen in den Mittelpunkt rückt und als mögliche Strategie im Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit untersucht.

Welches Projekt hast du ausgesucht?
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich durch das umfangreiche Archiv der Ars Electronica gewühlt habe. Als eines der weltweit größten Archive zur digitalen Medienkunst, das seit 1979 kontinuierlich erweitert wurde, bietet es eine Vielzahl inspirierender und beeindruckender Projekte. Meine Wahl fiel schließlich auf das Projekt „Perfect Sleep” von Tega Brain und Sam Lavigne aus dem Jahr 2021. Es wurde im darauffolgenden Jahr mit einem „Award of Distinction” in der Kategorie „Interactive Art +” des „Prix Ars Electronica” ausgezeichnet.
Erzähl uns, worum es in diesem Projekt geht?
Tega Brain und Sam Lavigne bringen es auf den Punkt: „Perfect Sleep investigates sleep and dreaming as a potential climate engineering technology.“ Unter Climate Engineering versteht man technische Eingriffe in Klimasysteme – und als ich zum ersten Mal die Worte “sleep as a technology for climate engineering” las, war ich auf einen Schlag hellwach. Die Idee klingt fast wie ein Widerspruch und ist doch bestechend einfach: den Planeten retten, indem wir mehr schlafen.
Doch wie verwandelt man so eine Vision in eine greifbare Erfahrung? Stell dir vor, du schlenderst durch eine Ausstellung und öffnest die Tür zu einem Raum, der auf den ersten Blick vertraut wirkt und doch voller Rätsel steckt. Links breiten sich bunte Tortendiagramme aus wie überdimensionale Muster auf Tapete, rechts stolperst du über geheimnisvolle Zahlenreihen, die an Datums- oder Zeitstempel erinnern. Im Zentrum des Raumes stehen zwei hölzerne Liegestühle, umrahmt von eleganten runden Gestellen, die wie kleine Inseln der Geborgenheit wirken. Auf jedem Stuhl liegt ein Paar Kopfhörer, fast so, als würden sie dich persönlich einladen: Komm, lehn dich zurück und hör zu.
Du setzt die Kopfhörer auf. Eine Stimme begrüßt dich, weich, fast wie ein Flüstern, getragen von einer sanften Klanglandschaft, die den Raum um dich herum verschwimmen lässt. Langsam, fast unmerklich, gleitest du in einen leichten Schlaf.
Und dann, wenn du wieder aufwachst, wandert dein Blick zurück zu den Diagrammen. Sie zeigen die Verbindung zwischen mehr Schlaf und weniger CO₂-Emissionen, zwischen Wachstum und Entschleunigung, zwischen Arbeitszeit, Freizeit und mentaler Gesundheit. Du entdeckst, dass es eine App gibt, die dir hilft, mehr über deinen Schlaf zu erfahren. Ihr Ziel? Dich jeden Tag ein kleines Stück länger schlafen zu lassen – ein kleines Ritual, das Schritt für Schritt zu einer leisen, aber wirkungsvollen Form des Widerstands wird.

Warum ist dieses Projekt so herausragend?
Es ist klug, tiefgründig und macht Spaß. Als Besucher*in werde ich eingeladen, in ein komplexes Thema einzutauchen – nicht mit schwer verständlichem Fachjargon, sondern über ein humorvolles Erlebnis. Sofort wird mir klar: mehr Schlaf bedeutet weniger Konsum. Weniger Konsum bedeutet, dass ich etwas Gutes für die Welt tue.
Und wenn ich mir erlaube, noch tiefer einzutauchen, eröffnet sich ein ganzer Kosmos an Zusammenhängen: die Klimakrise in all ihrer Dringlichkeit, Fragen von Gerechtigkeit, Macht und Wohlstand. Es wird deutlich, dass in der scheinbar einfachen Idee des “sleeping more” weit mehr steckt als nur ein nettes Experiment.

Inwiefern ist es heute relevant?
Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist der Kapitalismus: seine ausbeuterische, extraktivistische Natur und die absurde, ja fatale Vorstellung, dass endloses Wachstum möglich und wünschenswert sei. „Perfect Sleep“ bricht genau mit diesem Mythos. Stattdessen eröffnet das Projekt eine andere Perspektive: Lösungen entstehen nicht durch immer mehr, sondern durch weniger – durch Reduktion, Entschleunigung und bewusste Begrenzung.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Künstliche Intelligenz. Angesichts des enormen CO₂-Fußabdrucks, den KI-Technologien in Zukunft hinterlassen werden, drängt sich eine Frage auf: Brauchen wir wirklich für jede Herausforderung eine KI? Oder könnten wir in manchen Fällen auch auf andere, ressourcenschonendere Technologien zurückgreifen – und dennoch zum gleichen Ergebnis gelangen?
Besonders inspirierend finde ich Tegas Konzept des “eccentric engineering”. Dahinter steckt ein forschender Geist, der bestehende Systeme nicht nur kritisch hinterfragt, sondern auch Raum für kreative Gegendesigns und visionäre Lösungen schafft. Es ist eine Einladung, Technologie neu zu denken – spielerisch und doch immer mit einem klaren Ziel: Wandel möglich zu machen.
Laura Welzenbach – vielen Dank!

Laura Welzenbach
Laura Welzenbach produziert und leitet Projekte in den Bereichen Kunst, Technologie und Politik. Sie ist eine strategische Planerin, die Dinge in Bewegung setzt. Sie ist Zukunftsoptimistin, glaubt fest an den Wandel und ist eine Macherin. Ihre derzeitige Superkraft: die Liebe zur sozialen Wirkung von Kunst. Als Leiterin von Ars Electronica Export schafft Laura Erlebnisse durch die Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Diese internationalen Kollaborationen nehmen durch Ausstellungen, Workshops und Kunst-Wissenschafts-Residenzen Gestalt an.