Cutting Edge: Schlafen für die Zukunft 

Perfect Sleep / Tega Brain (AU), Sam Lavigne (US), Photo: Ars Electronica

„Perfect Sleep“ zeigt, wie mehr Schlaf zu weniger Konsum und CO₂-Ausstoß führen kann und damit ein einfaches Gegenmodell zum Wachstumszwang bietet.

Seit 1979 leistet Ars Electronica Pionierarbeit – sie baut Brücken zwischen Disziplinen, dient als Plattform für neue Allianzen und setzt Impulse für einen offenen, inklusiven Dialog über unsere Zukunft. In Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus aller Welt realisieren und präsentieren wir Projekte, die Konventionen infrage stellen und Entwicklungen vorwegnehmen. 

Für diese Serie bitten wir Mitglieder des Ars Electronica Teams, in unser Archiv – das weltgrößte seiner Art – einzutauchen und ein Projekt auszuwählen, das sie persönlich berührt, inspiriert oder zum Nachdenken angeregt hat und uns zu erzählen, warum dieses Projekt heute relevant ist. Gemeinsam begeben wir uns auf eine Reise zu Meilensteinen der sogenannten digitalen Revolution. Meilensteine, die „Cutting Edge“ waren. 

In dieser Ausgabe gibt uns Laura Welzenbach, Head of Ars Electronica Export, Einblick in ein Projekt, das auf originelle Weise ein scheinbar privates, alltägliches Phänomen in den Mittelpunkt rückt und als mögliche Strategie im Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit untersucht.

Perfect Sleep / Tega Brain (AU), Sam Lavigne (US), Foto: Tom Mesic

Welches Projekt hast du ausgesucht? 

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich durch das umfangreiche Archiv der Ars Electronica gearbeitet hatte, denn es bietet eine Fülle inspirierender und beeindruckender Projekte. Ich habe mich für das Projekt „Perfect Sleep“ von Tega Brain und Sam Lavigne aus dem Jahr 2021 entschieden. Es wurde im folgenden Jahr mit dem „Award of Distinction“ in der Kategorie „Interactive Art +“ des „Prix Ars Electronica“ ausgezeichnet.

Erzähl uns, worum es in diesem Projekt geht? 

Tega und Sam sagen selbst: „Perfect Sleep investigates sleep and dreaming as a potential climate engineering technology.“ Climate Engineering meint technische Eingriffe in das Klimasystem. Als ich zum ersten Mal den Ausdruck „sleep as a technology for climate engineering“ las, war ich sofort hellwach. Die Idee klingt faszinierend einfach: den Planeten retten, indem man mehr schläft.

Doch wie lässt sich so eine Vision in eine greifbare Erfahrung übersetzen? Stell dir vor, du schlenderst durch eine Ausstellung und plötzlich stehen da zwei Holzliegestühle, umrahmt von eleganten, runden Holzrohren. Sie wirken wie kleine Inseln der Behaglichkeit. Auf jedem Stuhl liegt ein Kopfhörer, als würde er dich persönlich einladen: „Komm, lehn dich zurück und hör zu.“

An der linken Wand breiten sich bunte Tortendiagramme wie überdimensionale Muster aus, an der rechten stößt du auf geheimnisvolle Zahlenreihen, die an Datums- und Zeitstempel erinnern. Du setzt die Kopfhörer auf. Eine Stimme begrüßt dich – leise, fast wie ein Flüstern – getragen von einer sanften Klanglandschaft, die die Umrisse des Raumes verschwimmen lässt. Langsam, fast unmerklich, gleitest du in einen leichten Schlaf.

Wenn du wieder aufwachst, wandert dein Blick zurück zu den Diagrammen. Sie zeigen Zusammenhänge zwischen mehr Schlaf und geringeren CO₂-Emissionen, zwischen Wachstum und Entschleunigung, zwischen Arbeitszeit, Freizeit und psychischer Gesundheit. Du entdeckst, dass es eine App gibt, mit der du mehr über deinen Schlaf erfahren kannst. Ihr Ziel? Jeden Tag ein kleines bisschen länger schlafen – ein stilles Ritual, das Schritt für Schritt zu einer leisen, aber wirksamen Form des Widerstands wird.

Perfect Sleep / Tega Brain (AU), Sam Lavigne (US), Foto: Ars Electronica / Magdalena Sick-Leitner

Warum ist dieses Projekt so herausragend?  

Es ist klug, tiefgründig und macht Spaß. Als Besucher*in werde ich eingeladen, in ein komplexes Thema einzutauchen – nicht mit schwer verständlichem Fachjargon, sondern über ein humorvolles Erlebnis. Sofort wird mir klar: mehr Schlaf bedeutet weniger Konsum. Weniger Konsum bedeutet, dass ich etwas Gutes für die Welt tue.

Und wenn ich mir erlaube, noch tiefer einzutauchen, eröffnet sich ein ganzer Kosmos an Zusammenhängen: die Klimakrise in all ihrer Dringlichkeit, Fragen von Gerechtigkeit, Macht und Wohlstand. Es wird deutlich, dass in der scheinbar einfachen Idee des “sleeping more” weit mehr steckt als nur ein nettes Experiment.

Perfect Sleep / Tega Brain (AU), Sam Lavigne (US), Foto: Ars Electronica

Inwiefern ist es heute relevant?   

Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist der Kapitalismus: seine ausbeuterische, extraktivistische Natur und die absurde, ja fatale Vorstellung, dass endloses Wachstum möglich und wünschenswert sei. „Perfect Sleep“ bricht genau mit diesem Mythos. Stattdessen eröffnet das Projekt eine andere Perspektive: Lösungen entstehen nicht durch immer mehr, sondern durch weniger – durch Reduktion, Entschleunigung und bewusste Begrenzung.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Künstliche Intelligenz. Angesichts des enormen CO₂-Fußabdrucks, den KI-Technologien in Zukunft hinterlassen werden, drängt sich eine Frage auf: Brauchen wir wirklich für jede Herausforderung eine KI? Oder könnten wir in manchen Fällen auch auf andere, ressourcenschonendere Technologien zurückgreifen – und dennoch zum gleichen Ergebnis gelangen?

Besonders inspirierend finde ich Tegas Konzept des “eccentric engineering”. Dahinter steckt ein forschender Geist, der bestehende Systeme nicht nur kritisch hinterfragt, sondern auch Raum für kreative Gegendesigns und visionäre Lösungen schafft. Es ist eine Einladung, Technologie neu zu denken – spielerisch und doch immer mit einem klaren Ziel: Wandel möglich zu machen.

Laura Welzenbach – vielen Dank! 

Laura Welzenbach

Laura Welzenbach produziert und leitet Projekte in den Bereichen Kunst, Technologie und Politik. Sie ist eine strategische Planerin, die Dinge in Bewegung setzt. Sie ist Zukunftsoptimistin, glaubt fest an den Wandel und ist eine Macherin. Ihre derzeitige Superkraft: die Liebe zur sozialen Wirkung von Kunst. Als Leiterin von Ars Electronica Export schafft Laura Erlebnisse durch die Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Diese internationalen Kollaborationen nehmen durch Ausstellungen, Workshops und Kunst-Wissenschafts-Residenzen Gestalt an. 

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