Seit ihrer Einführung im Jahr 2022 würdigen die Cisneros Fontanals Art Foundation (CIFO) x Ars Electronica Awards herausragende Positionen aufstrebender und etablierter Künstler*innen aus Lateinamerika, die mit innovativen technologischen Ansätzen die Felder der Medien- und Digitalkunst maßgeblich weiterentwickeln.
Zur Realisierung ihrer Projekte erhalten die diesjährigen Preisträger*innen insgesamt 45.000 US-Dollar. Ihre Werke werden erstmals beim Ars Electronica Festival in Linz (Österreich) vom 9.–13. September 2026 präsentiert und danach in die renommierte Cisneros Fontanals Art Foundation (CIFO) Sammlung aufgenommen, die auf moderne und zeitgenössische lateinamerikanische Kunst spezialisiert ist.
In ihrer fünften Ausgabe gehen die Auszeichnungen an Berenice Olmedo Peña (MX) und Lorena Solís Bravo (PE), ausgewählt aus über 100 Einreichungen aus 11 lateinamerikanischen Ländern. Die hochkarätige Jury – bestehend aus Sergio Fontanella (Director of Operations & Collection, CIFO), Mónica Bello (Kunsthistorikerin und Kuratorin; ehemalige Leiterin von Arts at CERN), Enrique Rivera Gallardo (Executive Director, Museo Interactivo Mirador), Christl Baur (Head of Ars Electronica Festival) und Laura Welzenbach (Head of Ars Electronica Export) – prüfte sämtliche Vorschläge eingehend. Ihre intensive Diskussion stellte sicher, dass die ausgezeichneten Projekte zu den überzeugendsten und visionärsten künstlerischen Ansätzen des Jahres zählen.
Neben den Preisträger*innen würdigte die internationale Jury zwei weitere Konzepte, die es in die letzte Auswahlrunde geschafft haben: ein Projekt von Indira Montoya sowie eines der Kollektive Arte+Ciencia und Bios ex Machina. Ihre herausragenden Beiträge überzeugten durch starke Themen und kritische Auseinandersetzung und unterstreichen die Vielfalt und Innovationskraft der lateinamerikanischen Kunstszene.
Preisträger*innen 2026

Sinécdoque / Berenice Olmedo Peña (MX)
$30.000,- Preisgeld
Das Projekt von Berenice Olmedo stellt den hartnäckigen westlichen Mythos des Menschen als autonomes, in sich geschlossenes Ganzes radikal infrage. Ausgehend von Disability Studies und Cyborg-Theorien versteht sie Behinderung als eine grundlegende menschliche Bedingung – als etwas, das unsere tiefgreifende strukturelle Verwobenheit mit anderen, mit Technologien und mit Sorge- und Unterstützungsnetzen sichtbar macht. In ihrer Perspektive ist der Mensch von Natur aus prothetisch: Wir kommen unvollständig zur Welt und erfinden uns fortwährend neu – durch Werkzeuge, Geräte und Beziehungen. Prothesen und künstliche Organe sind daher keine „Zugaben“, sondern materielle Ausdrucksformen unserer Fähigkeit zur Transformation.
Seit 2018 arbeitet Olmedo in Rehabilitationszentren, orthopädischen Werkstätten und Kliniken in Mexiko. Dort entwickelt sie mechatronische Skulpturen aus gebrauchten HKAFO-Orthesen, Körperabgüssen von Patient*innen sowie digitalen Scans von Amputationsstümpfen und Torsi. Ihre Praxis macht die politischen und sozialen Dimensionen von Behinderung sichtbar – in einem Land, das von massiver medizinischer Ungleichheit, prekären Gesundheitsstrukturen, hohen Amputationsraten und chronischem Transplantationsmangel geprägt ist. Parallel dazu kooperiert sie mit dem Biomedizintechniker Oliver Peters (Berlin Heart) und integriert Wissen aus aktuellen Organunterstützungstechnologien.
Für diese neue Projektphase lässt sich Olmedo von der ex vivo-Perfusion inspirieren – einem hochmodernen medizinischen Verfahren, bei dem Herzen, Lebern, Lungen oder Nieren außerhalb des Körpers mittels zirkulierender, sauerstoffreicher Flüssigkeit am Leben erhalten werden. Diese radikale Form der Lebenserhaltung verwischt die Grenzen zwischen Organismus und Maschine und wirft drängende Fragen über die Zukunft von Körperlichkeit auf. In ihrer Installation übersetzt Olmedo diese Themen in skulpturale Formen, indem sie pneumatische Systeme, orthopädisch-prothetische Materialien sowie rekonstruierte oder modifizierte medizinische Geräte aus historischen Archiven und gegenwärtigen Technologien kombiniert.
Photo: Michel Mallard
Berenice Olmedo (geb. 1987 in Oaxaca, lebt in Mexiko-Stadt) ist bekannt für ihre Skulpturen und kinetischen Objekte, in denen sie Prothesen, Orthesen und medizinische Materialien integriert. Ihre Arbeiten hinterfragen Vorstellungen körperlicher Ganzheit und thematisieren die politischen Dimensionen von Behinderung, Krankheit und Pflege. Durch die Wiederverwendung technischer Formen und Geräte untersucht sie die Grenzen zwischen Körper, Technologie und gesellschaftlicher Normativität. Ihre Werke wurden unter anderem in der Kunsthalle Basel, am ICA Boston, im Museo Tamayo und MUCA (Mexiko-Stadt), im CAPC Bordeaux, MMK Frankfurt, Dortmunder Kunstverein, der Boros Collection (Berlin), im TEA Teneriffa, der ERES Stiftung (München), dem Bemis Center (Omaha) und dem Krannert Art Museum gezeigt.
jan-kaps.com/artists/berenice-olmedo


Entre Barros y Fragmentos / Among Mud and Fragments / Lorena Solís Bravo (PE)
$15.000,- Preisgeld
Entre barros y fragmentos ist ein dekoloniales, queer-archäologisches Projekt, das die ausgelöschten Geschichten von Intimität und Körperlichkeit innerhalb der Moche-Kultur aus Nordperu neu belebt. Ausgehend von der kolonialen Zerstörung und Zensur ihrer erotischen Keramiken – von denen viele nicht-binäre und gleichgeschlechtliche Intimität darstellen – untersucht die Künstlerin anhand archivarischer Recherchen, andiner Wissensformen und queer-feministischer Theorie, wie heteronormative und koloniale Vorurteile archäologische Klassifikationen geprägt haben. Das Projekt nutzt künstliche Intelligenz als Werkzeug zur Erstellung von Gegenarchiven: Ein GAN-Modell wird mit Bildern von Huacos, Feldzeichnungen, Museumsdokumentationen, kolonialen Chroniken und mündlichen Überlieferungen trainiert, um spekulative neue Keramikformen zu erzeugen, die eine Vergangenheit imaginieren, welche einst durch katholische Moral ausgelöscht wurde. Anstatt eine „Wahrheit“ zu rekonstruieren, versteht die Arbeit Spekulation als politisches Mittel, historische Gewalt sichtbar zu machen und verdrängte Formen von Begehren, Körperlichkeit und Wissen wiederherzustellen.
Photo: Lorena Solís Bravo (PE)
Lorena Solís Bravo (1991, Lima) ist eine in Amsterdam lebende* visuelle Künstler*in, deren Praxis Film, Installation, Skulptur und Forschung verbindet. Nach einem Filmstudium am London College of Communication und einem Bachelor an der Royal Academy of Art (KABK) vertiefte Solís Bravo 2025 das eigene Verständnis dekolonialer und indigener Wissenssysteme im Rahmen des Diplomado en Pensamiento Andino y Feminismos Decoloniales (GLEFAS). Mit starken Forschungsschwerpunkten in Südamerika arbeitet Solís Bravo regelmäßig mit Wissenschaftler*innen, lokalen Künstler*innen und kulturellen Institutionen zusammen; viele Projekte entstehen aus Feldforschung im Amazonasgebiet und in den Anden. Die Arbeiten wurden international in New York, Bogotá, Amsterdam und Brno gezeigt und von Organisationen wie dem Mondriaan Fonds, Stroom und dem AFK gefördert. Solís Bravo absolvierte Residencies in Kolumbien, der Slowakei und Südkorea, steuert einen Beitrag zu einer kommenden Publikation über Queere Ökologie bei Valiz bei und lehrte bzw. hielt Vorträge an Institutionen wie der Rietveld Academy, Kunstinstituut Melly, Waag Amsterdam und Artez.
www.lorenasolisbravo.com


Über die Cisneros Fontanals Art Foundation (CIFO)
Ella Fontanals-Cisneros gründete die gemeinnützige Cisneros Fontanals Art Foundation (CIFO) im Jahr 2002. Die Stiftung hat die Aufgabe, das kulturelle Verständnis und den Bildungsdialog zwischen lateinamerikanischen Künstler*innen und dem globalen Publikum zu unterstützen und zu fördern. CIFO dient als Plattform für aufstrebende, mittlere und etablierte lateinamerikanische Künstler*innen durch das Stipendien- und Auftragsprogramm, einschließlich des neuen CIFO-Ars Electronica Award, die CIFO-Sammlung und andere damit verbundene Kunst- und Kulturprojekte in den Vereinigten Staaten von Amerika und international.
