Können wir Daten fühlen?
Data Sentience verbindet Datenwissenschaft mit generativer Kunst und stellt die Frage: Welche neuen Wege können wir finden, um große, komplexe Informationsströme mit unseren Sinnen, Gefühlen und spielerischer Neugier in Beziehung zu setzen – und wie kann uns das helfen, uns in einer Welt zurechtzufinden, die zunehmend von automatisierten Messungen und Entscheidungen geprägt ist?
Dieses Forschungsgebiet untersucht das sich verändernde Verhältnis zwischen Gesellschaft und Daten durch künstlerische Explorationen. Dabei werden die Eigenschaften der Daten selbst sichtbar gemacht, aber auch jene Systeme und Strukturen, die sich mit diesen Technologien entwickeln, kritisch diskutiert. Ästhetisch-emotionale Aspekte datenbasierter Kunstwerke und ihr Gegensatz zu anderen Formen der Darstellung und Betrachtung von Informationen werden bewusst eingesetzt und reflektiert: Wie sprechen wir über Daten im Sinne von „Fühlen“ und „Spüren“ zusätzlich zum Wissen und Verstehen? Brauchen wir vielleicht nicht nur „Data Science“, sondern auch „Data Sentience“, um die Vermessung unserer Welt wirklich erfassen zu können?
Die Aufmerksamkeit der Welt richtet sich auf die Sprünge, die KI-Systeme in den letzten Jahren gemacht haben. Dies ist auf die Kombination aus verfeinerten Algorithmen, verbesserter Hardwareleistung und dem Ertrag aus der enormen Datenökonomie zurückzuführen, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat. Die KI-Revolution funktioniert nur, weil unsere Gesellschaft immer geschickter darin wird, Daten in allen möglichen Bereichen zu sammeln, zu speichern, zu verarbeiten und zu interpretieren: Von der Luftverschmutzung bis zu Gehirnströmen und von Musikvorlieben bis zu Aktienwerten. Diese Daten können nachgeschlagen werden, sie können in Machine-Learning-Systeme eingespeist werden, die uns bei Entscheidungen beraten (oder selbst entscheiden), und sie können visualisiert und für Präsentationen aufbereitet werden, die eine Agenda haben (oder versuchen, keine zu haben).
Sie können auch zu der Substanz werden, aus der Kunst gemacht wird: Eingebettet in generative Prozesse können Daten sowohl das Wissen repräsentieren, das einem Kunstwerk zugrunde liegt, als auch ein wesentlicher Faktor für dessen Erscheinungsbild. Wenn Menschen sich mit dem Werk beschäftigen, treten sie in eine Beziehung mit den zugrunde liegenden Daten, die sich grundlegend von einer Datenbank-Abfrage oder dem Betrachten einer Datenvisualisierung unterscheidet. Das Ziel ist nicht, die Daten so klar wie möglich zu verstehen oder sie auf eine Antwort zu reduzieren. Daten als Substanz und Inhalt sprechen uns ästhetisch und emotional an und erlauben uns, unsere eigenen Interessen, Beobachtungen und Faszinationen innerhalb des vom Künstler oder von der Künstlerin konstruierten Ausdrucksrahmens zu finden. Dieser Ansatz bedeutet, zugleich einen Schritt zurück und einen nach vorne zu machen – vom maschinellen Lernen zum maschinellen Staunen, von der Informationsvisualisierung zu Informations-Formationen und von der Datenanalyse zur Datenpoesie.
Meine Aufmerksamkeit richtet sich vorwiegend auf die generative Datenkunst: Im Gegensatz zu einer sorgfältigen Auswahl und Verwendung von Daten als Inspiration wird den Daten erlaubt, ästhetische Merkmale und Details direkt durch algorithmische Prozesse zu bestimmen. Ein solches System kann auf neue Datensätze aktiviert werden und wird immer ein anderes Ergebnis hervorbringen, das auch mehr ist als nur eine direkte Repräsentation der Eingabedaten.
Forschungsschwerpunkte
Im Rahmen dieser Forschung werden die folgenden Fragen behandelt:
- Wie reagieren Menschen auf Kunstwerke, die Informationen über die Welt vermitteln?
- Was kann Datenkunst tun, um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich wichtigen Themen zu fördern?
- Wie ist das Verhältnis von Künstler*in und Publikum zu generativen Prozessen?
- Welche Rolle spielt die sich schnell verändernde Landschaft des maschinellen Lernens und ihr gesellschaftlicher Einfluss als „künstliche Intelligenz“ für die Möglichkeiten von Kunst und kritischer Reflexion?
Gesellschaft und Daten
Sich in der „Datenkunstforschung“ zu engagieren, bedeutet auch, eine Schnittstelle zwischen der breiten Öffentlichkeit einerseits und den Datensammler*innen, „Datenbesitzer*innen“ und den technischen Infrastrukturen andererseits zu werden. Es ist dringend notwendig, nicht nur die Akteur*innen zu beleuchten, die Daten sammeln und verbreiten, die uns oft persönlich betreffen (und durch wessen Autorität sie dazu befugt sind), sondern auch den Apparat, der erforderlich ist, um mit all diesen Daten umzugehen, und die geopolitischen Implikationen ihrer Komplexität. Schließlich wird die Art und Weise, wie Datenkünstler*innen mit ihrem Rohmaterial arbeiten, sichtbar und offen gemacht. Das Ziel: mehr Menschen den Zugang zu den Daten zu ermöglichen, zu denen sie bereits Zugang haben, und sie zu ermutigen, sich an dem Diskurs über die Daten-Policies zu beteiligen, die wir in unserer Gesellschaft verankern wollen.
Kunst und Wissenschaft verbinden
Datenkunst hat das Potenzial, Kunst und Wissenschaft wirklich zu verbinden: Für die Wissenschaft kann sie Denkweisen erweitern und Verbindungen zwischen Spezialdisziplinen schaffen. Auf der anderen Seite können Datenkunstwerke auf vielen Ebenen diskutiert werden: Ihr ästhetischer Wert, das von den Daten repräsentierte Thema, ihre künstlerische Interpretation dieses Themas oder ihre Art und Weise, den Dateninhalt selbst zu vermitteln. Aus diesem Grund kann Datenkunst Menschen anziehen, die sich normalerweise nicht intensiv mit Kunst beschäftigen, und sie kann über die Art von Beziehung hinausgehen, die Betrachter*inne mit Kunst eingehen, die rein auf subjektivem Ausdruck beruht.
Techniken und Interdisziplinarität
Data Sentience baut seine praxisorientierte Forschung auf Wissen in den Bereichen Datenwissenschaft, maschinelles Lernen, digitale Kunst, Datenvisualisierung, Echtzeitgrafik, generative Algorithmen, Klangsynthese, Informationsdesign und Mensch-Computer-Interaktion sowie auf viele andere Bereiche und je nach Projekt auch auf fachspezifisches Wissen. Der Forschungsbereich kann auf die einzigartige Mischung von Talenten und Hintergründen des Futurelab- und Ars-Electronica-Ökosystems zurückgreifen.