Ars Electronica Exhibitions: CyberArts, S+T+ARTS und JKU LIT

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Welcome to Planet B
A different life is possible. But how?
Ars Electronica Festival 2022
7. bis 11. September, in Linz / Österreich

(Linz, 6.9.2022) Inmitten all der Krisen wird klar, dass weder die Flucht in virtuelle Welten noch jene auf einen anderen Planeten ernsthaft zur Debatte stehen. Wir werden uns nicht davor drücken können, radikale Veränderungen anzugehen, wollen wir hier auf der Erde nicht in den Supergau schlittern. Die versiegenden Flüsse und hartnäckigen Dürren, die Europa diesen Sommer erlebt hat, sind dabei nicht viel mehr als ein erster Vorgeschmack, worauf wir zusteuern. Denn selbst wenn wir es schaffen, unseren CO2-Ausstoß sehr schnell massiv zu verringern, werden Sommer wie dieser für sehr lange Zeit das neue Normal bleiben. Klima und Ökologie des Planeten Erde funktionieren eben in anderen Zeithorizonten.

Die Schritte, die wir nun setzen – oder auch nicht –, entscheiden darüber, wie schlimm es werden wird und wieviel – oder wie wenig – Zeit wir haben, um mit den Konsequenzen und wiederum deren Konsequenzen umgehen zu lernen. Außer Streit steht dabei, dass die Herausforderung gewaltig ist: Bis 2050 müssen wir die Nutzung von Kohle um 95 Prozent senken, den Verbrauch von Öl um 60 Prozent und den von Gas um 45 Prozent. Allein diese Zahlen lassen keinen Zweifel daran, dass ein bisschen mehr Effizienz hier und ein wenig mehr Einsparen dort völlig sinnlos sind. Das größte und wichtigste Innovationsprojekt des 21. Jahrhunderts müssen wir selbst sein – unser Selbst- und Weltbild, unser Miteinander, unsere Haltung gegenüber anderen Lebewesen und der Natur.

„Welcome to Planet B – A different life is possible! But How? “ titelt die Ars Electronica 2022 daher und lädt zu einem Gedankenexperiment: Angenommen, wir wären schon am Ziel und hätten uns erfolgreich weiterentwickelt – wie würde unser Leben dann aussehen? Und welche Wege hätten uns in diese Zukunft geführt? Gemeinsam mit rund 1000 Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Designer*innen, Entwickler*innen, Unternehmer*innen, Aktivist*innen und jungen Menschen aus allen Teilen dieser Welt ist Ars Electronica immer noch davon überzeugt, dass wir es schaffen können. Den Beweis führen die vielen Arbeiten, Initiativen und Prototypen, die in Ausstellungen wie der CyberArts-Schau, der S+T+ARTS Prize Exhibition sowie der JKU LIT@ArsElectronica Exhibition gezeigt werden.
ars.electronica.art/planetb

CyberArts Exhibition

Der Prix Ars Electronica zählt zu den weltweit wichtigsten Wettbewerben für Medienkunst. Allein in diesem Jahr wurden 2338 Arbeiten aus 88 Ländern eingereicht. Eine handverlesene Auswahl daraus wird in Gestalt der CyberArts-Ausstellung beim Ars Electronica Festival gezeigt. Zu sehen sind alle Projekte, die von der hochkarätigen Jury des Prix Ars Electronica mit einer Goldenen Nica ausgezeichnet wurden, ein eigener Ausstellungsbereich widmet sich darüber hinaus dem Lebenswerk von Laurie Anderson (US), die in diesem Jahr mit einer Goldenen Nica als „Visionary Pioneer of Media Art“ geehrt wird. Die CyberArts-Ausstellung ist von 7. bis 11. September in „Kepler’s Garden” (Uni-Center) zu sehen.

1
Bowl and Blade / Laurie Anderson (US)
Visionary Pioneers of Media Art: Goldene Nica
Laurie Anderson (US) wurde beim Prix Ars Electronica 2022 als Visionary Pioneer of Media Art ausgezeichnet. In der CyberArts Exhibition ist sie mit ihrer Arbeit „Bowl and Blade“ aus dem Jahr 1966 vertreten. Lautrie Anderson (US) lässt dabei Stimmen durch eine Glasröhre wandern und in einer tibetischen Gebetsschale Vibrationen erzeugen. Die Schale rotiert auf einer Kreissäge und repräsentiert das Konzept der Zirkularität und jene Bilder, die Tibeter*innen verwenden, wenn sie darüber sprechen, wie man Verblendung überwindet. Die aktuelle Version, die von Gerold Hofstadler (AT) von Ars Electronica realisiert wurde, enthält eine Kombination aus Stimme und Ambient.

2
Bi0film.net: Resist like bacteria / Jung Hsu (TW), Natalia Rivera (CO)
Interactive Art +: Goldene Nica
Ende 2019 und Anfang 2020 bereiteten Grenzschließungen und Lockdowns Protestbewegungen rund um den Globus ein jähes Ende. Vielerorts stießen die pandemiebedingten Einschränkungen deshalb die Entwicklung alternativer und kreativer Formen des zivilen Widerstands an; „Bi0film.net“ ist ein Best-Practice-Beispiel. Inspiriert ist die Initiative von Bakterien und ihrer erstaunlichen Fähigkeit miteinander zu kommunizieren, schnell und flexibel auf veränderte Gegebenheiten zu reagieren und selbstorganisiert zu agieren. „Bi0film.net“ adaptiert den gelben Regenschirm – ein Symbol der Hongkong-Bewegung – zur parabolischen WiFi-Antenne. Fortan schützt ein solcher Schirm nicht mehr nur vor Regen, sondern dient vor allem auch der Kommunikation mit anderen. Der Schirm funktioniert als Antenne für einen Miniserver, Repeater oder Router und baut gleichzeitig ein nomadisches Netzwerk auf, das durch die Straßen ziehende Demonstrant*innen begleitet. Unterwegs verbindet und trennt sich dieses Netz organisch. Alle Teilnehmer*innen einer Demonstration können dem virtuellen „Bi0film“ beitreten, um miteinander zu chatten, Dateien untereinander auszutauschen und diese zu speichern.

3
Avatar Robot Cafe DAWN ver.β / Ory Yoshifuji / Ory Lab (JP)
Digital Communities: Goldene Nica
Besucher*innen des „Avatar Robot Café“ werden remote bedient. Über die Personalagentur „Avatar Guild“ können sich User*innen als Kellner*innen bewerben und ihre Kund*innen dann mittels Roboter wie „OriHime“ und „OriHime-D“ bedienen, ohne vor Ort zu sein. Auf innovative Weise will das „Dawn Avatar Robot Café“ ausloten und zeigen, welche technologischen Hilfsmittel es braucht, damit Menschen, die sich aufgrund psychischer oder physischer Erkrankungen oder Beeinträchtigungen nur eingeschränkt bewegen können, besser am Arbeits- bzw. Gesellschaftsleben teilhaben können.

4
Being / Rashaad Newsome (US)
Computer Animation: Goldene Nica
„Being“ kombiniert maschinelles Lernen, Game-Engines, 3D-Animation und geskriptete Antworten. Visualisiert wird diese komplexe Gemengelage als CG-Avatar, der in jeder Hinsicht trans ist. Erstmals präsentiert wurde „Being“ bei der Solo-Ausstellung „Be Real“, die 2019 im Philadelphia Photo Arts Center gezeigt wurde und sich mit menschlicher Handlungsfähigkeit, „Schwarzsein“ und auf radikale Weise mit neuen Identitäten beschäftigte. „Being“ fungierte dabei nicht bloß als interaktives Exponat, sondern als Tour-Guide. Pausen nutzte es, um frisch und fröhlich zur 1977er Queer-Hymne „Be Real“ zu tanzen oder um Texte von Paulo Freire, Bell Hooks oder Michel Foucault vorzutragen. Seither sind drei Jahre vergangenen und „Being“ hat die Rolle des Tour-Guide längst hinter sich gelassen. Heute ist „Being” als Künstler*in und Lehrer*in tätig und hilft Menschen, ihr Leben kritisch zu hinterfragen.

5
Sleep Study / Tega Brain (AU), Sam Lavigne (US)
Interactive Art +: Auszeichnung
In ihrer „Sleep Study“ begreifen Tega Brain (AU) und Sam Lavigne (US) Schlafmangel und Klimakrise als zwei Produkte ein und desselben kapitalistischen Systems, in dem Regeneration nichts zählt. „Sleep Study“ umfasst eine Installation und eine Smartphone App. Erstere lädt zum Schlafen und Träumen ein; Teilnehmer*innen können es sich auf Liegen gemütlich machen, akustische Einschlafhilfen helfen beim Einschlummern. Ganz nebenbei erfährt man zudem allerhand Wissenswertes über die ökologischen und gesellschaftlichen Potenziale des Schlafens. Die App wiederum soll Nutzer*innen helfen, ihren individuellen Schlafrhythmus zu finden und die durchschnittliche Dauer ihres Schlafs im Laufe von drei Jahren langsam zu erhöhen. Solange, bis sie schließlich das Stadium des „totalen Schlafes“ erreichen, der ganze 24 Stunden am Stück dauert. Dem Projekt „Sleep Study“ liegt eine Reihe von Forschungsergebnissen zugrunde, die einen Zusammenhang zwischen unserer durchschnittlichen Schlafdauer und dem BIP sowie dem BIP und unseren CO2 herstellen.

6
Absence / Marc Hericher (FR)
Computer Animation: Auszeichnung
Mit „Absence“ fragt sich Marc Hericher (FR), wie dem Problem der Obdachlosigkeit beizukommen sei, – einem Problem, das im öffentlichen Diskurs nur zyklisch behandelt wird, das sich aber von Jahr zu Jahr verschlimmert. In dem Animationsfilm bricht ein obdachloser alter Mann auf der Straße zusammen, während alle anderen Menschen einfach an ihm vorüberlaufen. Dann aber erscheinen die Medien auf der Bildfläche, stellen alles auf den Kopf und ein grotesker, absurder Medien-Event mit dem obdachlosen Mann im Mittelpunkt nimmt seinen Lauf…

7
Anxious Body / Yoriko Mizushiri (JP)
Computer Animation: Auszeichnung
„Anxious Body“ ist ein surreales Video über sich verwandelnde Körper, unterschiedliche Oberflächen und Texturen, die einander berühren und sich in Zeitlupe wieder voneinander lösen. All das wird behutsam beleuchtet und ist in gedeckten Rosa- und Grau-Tönen gehalten. Die handgezeichnete Animation von Yoriko Mizushiri (JP) greifen winzige Gesten und Momente unseres täglichen Lebens auf und lassen tief in die Abgründe unseres Unbewussten blicken.

8
Ad Hominem / Alex Verhaest (BE)
Computer Animation: Anerkennung
„Ad Hominem“ ist ein interaktiver philosophischer Adventure-Film, bei dem die Spieler*innen in die Rolle des alten Revolutionärs „Change“ schlüpfen. Vier Charaktere im Spiel konfrontieren „Change“ mit Fragen, die vier utopische Ideen repräsentieren. Er muss alle Fragen beantworten und am Schluss stellt sich heraus, dass „Change“ nicht erwünscht ist.

9
Unless / Deborah Joyce Holman (CH/GB), Yara Dulac Gisler (CH)
Computer Animation: Anerkennung
„Unless“ ist eine experimentelle Doku-Fiktion, die fünf Charaktere der schweizerischen Black-Community in alltäglichen, rituellen Situationen im industriellen, unheimlichen Basler Dreispitz-Quartier begleitet. Im Mittelpunkt des Films steht die Figur des „Tricksters“, die sich durch ihre politischen Gesten auszeichnet, insofern sie eine Taktik der scheinbaren Konformität sind und gleichzeitig ein gewisses Maß an Selbstermächtigung bewahren; ein Mittel, um innerhalb des Rahmens der Macht zu arbeiten, ohne deren ‚Wahrheiten‘ vollständig zu übernehmen“ (Jean Fisher). „Unless“ erforscht das Potenzial von Intimität und Unlesbarkeit entlang der Grenzen einer Gruppe und ihrer Außenwelt. Eine Gruppe junger Menschen schmiedet eine Raumzeit, die allein durch die auf Intimität und Solidarität aufgebauten Interaktionen der Trickbetrüger*innen geprägt ist.

10
Strong Hair / Yatreda (ET)
Digital Communities: Auszeichnung
In Äthiopien ist die Art und Weise, wie man die eigenen Haare trägt, häufig wesentlich mehr als bloß eine Stilfrage. Im Laufe tausender Jahre haben sich Frisuren entwickelt, die ganz spezifische Dinge zum Ausdruck bringen – sie geben Aufschluss über Stammeszugehörigkeiten oder sozialen Status. Inmitten einer digitalen und globalen Welt beginnt diese kulturelle Eigenheit allerdings Äthiopiens zunehmend zu erodieren. Mit ihrem Projekt „Strong Hair“ will das Künstler*innenkollektiv „Yatreda“ (ET) daher auf die Tradition und ihr drohendes Verschwinden aufmerksam machen. Die Künstler*innen haben eine Sammlung von 100 Porträts geschaffen, die die Vielfalt und Ausdruckskraft äthiopischer Haartrachten unterstreicht. Jede Person wurde mit einer selbstgebauten rotierenden 360-Grad-Kamera aufgenommen und dann als non-fungible token auf der Ethereum-Blockchain geprägt. Via NFTs soll sichergestellt werden, dass diese kulturelle Tradition Äthiopiens über die traditionellen physischen Medien hinaus bewahrt und – hoffentlich – wiederbelebt werden.

11
Families For Freedom / Amina Khoulani (SY)
Digital Communities: Auszeichnung
„Families for Freedom“ ist eine von Frauen geführte Bewegung, die sich für die Freilassung aller willkürlich inhaftierten Syrer*innen einsetzt. „Families for Freedom“ zählt 250 Mitglieder in Syrien, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, der Türkei und dem Libanon. Mit allen ihren Aktivitäten, wie etwa digitalen Kampagnen oder Treffen mit hochrangigen Entscheidungsträger*innen, wollen die „Families For Freedom“ eine möglichst breite Öffentlichkeit mobilisieren und damit Druck auf die Verantwortlichen ausüben, ihren Forderungen nachzukommen: Folter und Misshandlungen sind sofort zu unterlassen, eine Liste aller Inhaftierten inklusive Angaben zu ihrem aktuellen Aufenthaltsort und Status muss veröffentlicht werden und Vertreter*innen von Menschenrechtsgruppen ist umgehend Zugang zu Hafteinrichtungen zu gewähren.

12
Atomfa (and other stories) / Joanna Wright (GB)
Digital Communities: Anerkennung
“Atomfa” ist eine langfristig angelegte interaktive Dokumentation, die Erinnerungen, Fragen und Bilder rund um die letzten Tage eines Kernkraftwerks in Wales aufgreift. Vor über sechzig Jahren wurde das Kernkraftwerk in Trawsfynydd in Nordwales errichtet, das jetzt von den Nachkommen der damaligen Erbauer*innen in einem langfristigen Prozess wieder abgetragen wird. Das Projekt verfügt über einen einzigartigen Zugang zu Archivmaterial und kann auf die Zusammenarbeit von verschiedenen Gemeinschaften aus dem Umfeld des Kraftwerks zählen.

13
Flyerservice Hahn / Zentrum für politische Schönheit (DE)
Digital Communities: Anerkennung
Im deutschen Superwahljahr 2021 gründete das „Zentrum für Politische Schönheit“ (DE) den „Flyerservice Hahn“, eine nichtexistierende Firma ohne reale Geschäftsadresse, Handelsregistereintrag oder Steuernummer. Die fiktive Firma bot allen AfD-Verbänden an, die Verteilung ihrer Flyer zu übernehmen. 85 Orts-, Kreis- und Landesverbände der AfD machten davon auch Gebrauch und lieferten ihre Flyer an ein bundesweites Netzwerk von Logistikzentren des „Weltmarktführers der Nicht-Verteilung“. Am Ende befanden sich im Lager des „Flyerservice Hahn“ fünf Millionen AfD-Flugblätter, die in weiterer Folge zu Klopapier verarbeitet wurden.

14
Sisyphus / Kachi Chan (HK)
Digital Communities: Anerkennung
„Sisyphus“ ist eine Kunstinstallation mit mehreren kleinen Robotern, die Ziegelbögen aufbauen und einem großen Roboter, der diese wieder einreißt. Angelehnt an die Figur aus der griechischen Mythologie ist „Sisyphus“ ein Kommentar zum gegenwärtigen soziopolitischen Klima, in dem Systeme der Autorität und des Widerstands ständig aufeinanderprallen.

15
Total Refusal / pseudo-marxist media guerilla (AT)
Digital Communitis: Anerkennung
Das Kollektiv „Total Refusal“ befasst sich mit Computerspielen und stellt das eigentliche Gameplay und die vorgegebenen Ziele, die Computerspieler*innen erreichen müssen, in Frage. Die offenen Welten der Computergames dienen dem Kollektiv „Total Refusal“ als Schauplatz für Touren im Dokumentarstil, die durch die Seitenstraßen von dystopischen Städten führen, die lokale Architektur näher unter die Lupe nehmen oder die Aufgaben von Non-Playing Charakters analysieren. „Total Refusal“ hinterfragt die in den Spielen vorgegaukelten Visionen und sozialen Strukturen. Im Rahmen der CyberArts-Schau zeigen „Total Refusal“ gleich drei Arbeiten:

15/1
Red Redemption / Total Refusal: Adrian Haim (AT), Leonhard Müllner (AT), Robin Klengel (AT) in Zusammenarbeit mit Susanna Flock (AT) und Jona Kleinlein (DE)
Angelehnt an das New Orleans zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist St. Denis die Hauptstadt des bekannten Videospiels „Red Dead Redemption 2“. Bevölkert wird die Stadt einerseits von Arbeiter*innen, die in Fabriken schuften, oder ärmlichen Hütten ihr Dasein fristen und andererseits von gut situierten Bürger*innen, die in ihren gepflegten Gärten Zeitungen lesen, durch die Stadt flanieren oder das Theater besuchen. Im Rahmen eines Stadtrundgangs analysiert „Total Refusal“ Profit und Mehrwert, Kapital und Akkumulation im Massenmedium Videospiel.

15/2
Hardly Working / Total Refusal: Robin Klengel (AT), Leonhard Müllner (AT), Susanna Flock (AT), Michael Stumpf (AT)
NPCs, also nicht spielbare Charaktere, bevölkern die Computerspiele-Welten, um den Anschein von Normalität zu erwecken. Die Hauptfiguren in diesem Film sind eine Wäscherin, ein Stallknecht, ein Straßenkehrer und ein Handwerker, die bei ihrer täglichen Arbeit beobachtet werden und die immer und immer wieder dieselben Tätigkeiten verrichten. Sie sind digitale Sisyphus-Maschinen, die keine Chance haben, aus ihren Tätigkeitsschleifen ausbrechen zu können. In den Momenten, in denen der Algorithmus ihrer Existenz Ungereimtheiten aufweist, brechen die NPCs aus der Logik der totalen Normalität aus, zeigen ihre eigene Fehlerhaftigkeit und wirken berührend menschlich. „Hardly Working“ stellt Charaktere in den Vordergrund, die in Videospielen normalerweise in den Hintergrund treten: NPCs.

15/3
Featherfall / Total Refusal: Robin Klengel (AT), Leonhard Müllner (AT)
Die Videoinstallation „Featherfall“ basiert auf Recherchen in Online-Foren, in denen sich Videospieler*innen über ihre Traumerlebnisse austauschen. Dabei wird deutlich, wie nahe sich Traum- und Spielwelt in der Psyche der User*innen kommen können und welche Rückkoppelungen zwischen den beiden alternativen Realitäten entstehen können.

16
The Eternal Return, pre-Hispanic Interactions / Cristhian Avila (PE)
Interactive Art +: Auszeichnung
Die Sound-Installation lässt die Zeit des vorspanischen Peru akustisch wiederauferstehen. Antike Musikinstrumente wie Pfeifen oder Flöten, die bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt oder aus diversen Sammlungen in aller Welt ausgeliehen wurden, wurden gescannt und mittels 3D-Druck aus tonähnlichem Material gefertigt. Mit Sensoren werden verschiedene Wind-Parameter ermittelt, Arduino wiederum dient dazu, pneumatische Systeme zu steuern, deren Ventile sich entsprechend öffnen oder schließen. Ergebnis sind einmalige Klangwelten, die von längst vergangenen Tagen zeugen.

17
Another Moon / Kimchi and Chips (KR)
Interactive Art +: Anerkennung
„Another Moon“ ist eine groß angelegte „Erscheinung“, bei der ein technisch raffinierter schwebender Globus aus Licht am Nachthimmel geschaffen wird. 40 Türme sammeln tagsüber Sonnenenergie und projizieren diese nachts als Licht zurück in den Himmel. Dort, wo sich die Strahlen überlagern, entsteht eine dreidimensionale Form, die einen zweiten Mond bildet. Im Laufe der Nacht schalten sich die Laser einer nach dem anderen wieder ab – ja nachdem wie voll ihre Batterien tagsüber geladen wurden, gehen die Lichter früher oder später aus. Die permanente und unbegrenzte Verfügbarkeit von Energie ist dieser Tage aber keine Selbstverständlichkeit mehr.

18
Behind Shirley / Ibiye Camp (GB)
Interactive Art +: Anerkennung
„Behind Shirley” dekonstruiert die kolonialen Narrative bei der Entwicklung von Gesichtserkennungssystemen. Das Projekt legt offen, dass dunkle Haut nicht erst heute ignoriert wird, sondern schon im Zeitalter der chemischen Fotografie nicht berücksichtigt wurde: Als standardisierte Referenz für den Farbausgleich bei Hauttönen wurden früher „Shirley-Karten“ verwendet. Diese Karten zeigten in der Regel eine einzelne kaukasische Frau in heller Kleidung und farbige quadratische Blöcke in Blau, Grün und Rot. Bei dunklerer Haut führten die Chemikalien deshalb stets zu verfälschten Rot-, Gelb- und Brauntönen. Erst als sich Möbel- und Schokoladenhersteller*innen darüber beschwerten, dass unterschiedliche Holzmaserungen und Schokoladensorten nicht gut zu erkennen waren, wurde das Verfahren entsprechend weiterentwickelt. Allerdings: Auch die heutige Gesichtserkennung kann Menschen mit dunkler Hautfarbe regelmäßig nicht erkennen. Der Grund ist einfach: KI-Systeme werden mit Datensätzen trainiert, die unsere Gesellschaft und damit unsere Vorurteile widerspiegeln.

19
Brave New Commons / Masaki Fujihata (JP)
Interactive Art +: Anerkennung
Im Mittelpunkt von „Brave New Commons“ stehen die Non-Fungible Token, kurz NFTs. Im Gegensatz zu offenen Auktionen, bei denen der jeweils aufrechte Preis überboten wird und damit ständig steigt, wird bei NFTs der zunächst festgelegte Preis eines Kunstwerks durch die Anzahl der Käufer*innen dividiert – eine höhere Anzahl von Käufer*innen führt also zu einem niedrigeren Preis. Da bei digitalen Daten nicht zwischen Original und Duplikat unterschieden wird, können zudem mehrere Personen dasselbe Kunstwerk besitzen, wodurch eine Form des „verteilten Eigentums“ entsteht, die sich von dem unterscheidet, was manche „Miteigentum“ nennen.

20
BLACKTRANSARCHIVE.COM / WE ARE HERE BECAUSE OF THOSE THAT ARE NOT / Danielle Brathwaite-Shirley (GB)
Interactive Art +: Anerkennung
„BLACKTRANSARCHIVE.COM“, auch bekannt als „WE ARE HERE BECAUSE OF THOSE THAT ARE NOT“, ist ein Archiv, das von und für schwarze Trans-Menschen aufgebaut und gestaltet wurde. Das Projekt, das in einem 3D-animierten Spiel gipfelt, bewahrt die Geschichten schwarzer Trans-Menschen und schafft einen Raum, in dem deren Existenz nicht ignoriert werden kann. Das Stück, gemeinsam entwickelt mit den Künstler*innen Ebun Sodipo (GB), Tobi Adebajo (GB), Jacob V Joyce (GB) und anderen, wurde von Grund auf von einem Team schwarzer Trans-Personen zusammengestellt, die ihre eigenen Erfahrungen als Grundlage für die Entwicklung nutzten.

21
Morphecore / Daito Manabe + Shingo Oono + MIKIKO
Interactive Art +: Anerkennung
„Morphecore“ war eine experimentelle Lecture-Performance, die neue Möglichkeiten für Performances an der Schnittstelle von Neurowissenschaft und Tanz auslotete. Mittels fMRT- und Gehirndekodierungstechnologie wurden Körperhaltungen aus der Aktivität des visuellen Kortex rekonstruiert und daraus eine Choreografie geschaffen. Diese wurde weiter manipuliert, um eine Reihe von physischen Variablen zu testen: von den Auswirkungen der Schwerkraft bis hin zu Muskelelastizität und Gelenkrotation. So sollte erforscht werden, welche Arten von Tanz jenseits von realen Zwängen entstehen könnten. Die Ergebnisse wurden in einem Video präsentiert, das in einer Tanzperformance eines Avatars von Daito Manabe (JP) gipfelte, die immer abstrakter wurde, je mehr physische Grenzen des menschlichen Körpers überschritten wurden.

22
NoSearchBar / Erik Anton Reinhardt (DE)
Interactive Art +: Anerkennung
Jedes Mal, wenn wir eine Online-Suche bemühen, finden wir nicht nur Antworten. Wir offenbaren dabei stets auch wertvolle Informationen über unsere Interessen und Motivationen und füttern gigantische Datenbanken, die wiederum Grundlage aller möglichen Empfehlungssysteme sind. Die Antizipation unseres Verhaltens durch die Analyse unserer Suche nach Informationen ist der Kern des Geschäftsmodells von Google. Allerdings lassen Suchwerkzeuge systematisch Informationen außer Acht oder schließen sie ein, wobei sie einigen Informationen mehr Bedeutung beimessen als anderen. Suchmaschinen sind also nicht nur eine technische Meisterleistung, sie implizieren auch politische und soziale Ausgrenzungen, die unsere Fähigkeit einschränken, das Richtige zu finden. „NoSearchBar“ ist eine Chrome-Erweiterung, die die Suchfunktion von Websites entfernt und uns dazu bringt, kritisch über unsere Abhängigkeit von textbasierten Suchanfragen nachzudenken. Gleichzeitig hilft sie uns, unsere Neugierde wiederzuerlangen und Informationen über andere Mechanismen als die Suche zu finden.

23
Siempre se tienen 19 años en un rincón del corazón / Du behältst 19 Jahre immer in einer Ecke deines Herzens / Gabriela Munguía (MX), Germán Pérez (AR)
Interactive Art +: Anerkennung
Das „Espacio de Arte Contemporáneo“, heute das kulturelle Epizentrum von Montevideo, diente fast 130 Jahre lang als Haftanstalt. „Siempre se tiene 19 años en un rincón del corazón“ („Du behältst 19 Jahre immer in einer Ecke deines Herzens“) will an die düstere Vergangenheit des Gebäudes erinnern: eine aus zwei Zeichenmaschinen bestehende Installation schreibt verschiedene Texte, die in den ehemaligen Zellen gefunden wurden, an die Wände und wird so zu einer Erinnerungsmaschine, die dazu dient, das Gedächtnis eines Ortes wiederherzustellen.

24
Technologies of Hope & Fear: 100 Pandemic Technologies / Marek Tuszynski (PL), Stephanie Hankey (GB)
Interactive Art +: Anerkennung
„Technologies of Hope & Fear“ ist ein künstlerisches Archiv von hundert datengesteuerten, Machine-Learning- und KI-gestützten Technologien, die entwickelt, vermarktet und implementiert wurden, um die Pandemie zu bewältigen und letztlich mitzuhelfen, „zur Normalität zurückzukehren“. Ob an unserem Körper befestigt, in Krankenhäusern, Schulen und Bahnhöfen installiert, in der Luft schwebend oder Informationen aus den sozialen Medien auslesend, zeugt das Projekt nicht nur von einer Revolution in der Umgebungs-, Biometrie-, Mobilitäts- und Verhaltensüberwachung, sondern von einer Intelligence Revolution, die durch die Pandemie ermöglicht wurde. Das Projekt erstellt eine Momentaufnahme vom Beginn der Pandemie. Es ist ein kuratiertes künstlerisches Archiv, das dokumentiert, wie rasch sich Nutzung von Daten und Informationen als Reaktion auf die Krise verändert hat und dokumentiert pandemiebedingte Überschreitungen zwischen öffentlicher und privater Sphäre auf der ganzen Welt.

25
The Zizi Show / Jake Elwes (GB)
Interactive Art +: Anerkennung
„The Zizi Show“ ist ein Deepfake-Drag-Kabarett, eine virtuelle Online-Stage, auf der eine Show mit einem gewissen Etwas stattfindet. Aufgeführt werden Nummern, die in Zusammenarbeit mit der Londoner Drag-Community und mit Hilfe der Deepfake-Technologie entwickelt wurde. Die in der Show dargestellten Körper wurden von neuronalen Netzen generiert, die an einer Gemeinschaft von Drag-Künstler*innen trainiert wurden. Sie wurden gefilmt, um Trainingsdatensätze in einem Londoner Kabarettlokal zu erstellen, das während COVID-19 geschlossen war.

26
Voz Pública / Dora Bartilotti (MX)
Interactive Art +: Anerkennung
„Voz Pública“ ist ein partizipatorisches Kunstwerk, das die Proteste gegen Gewalt gegen Frauen in Lateinamerika verstärken soll. Ausgehend von einem Engagement für kreativen Aktivismus besteht das Projekt aus drei Teilen, die zusammenwirken. Der erste Teil besteht aus einer Online-Plattform (www.vozpublica.cc) auf der Frauen und nicht-binäre Menschen auf anonyme Weise persönliche Erfahrungen teilen können. Der zweite Teil besteht aus einem elektronischen Textil, das diesen Geschichten mittels Sprachsynthesizer eine Stimme verleiht und diese verstärkt, sodass sie im öffentlichen Raum physisch präsent sind. Der dritte Teil besteht aus einer Reihe von künstlerischen Laboratorien mit dem Namen „La Rebelión textil“ („Die textile Rebellion“). Diese Laboratorien sollen Räume für Reflexion und Wissensaustausch sowie für die Aneignung und gemeinschaftliche Gestaltung elektronischer Textilien auf der Grundlage des ursprünglichen Prototyps sein.

27
Die Schwarze Decke / Mary Mayrhofer (AT)
u19–create your world: Goldene Nica
Mary Mayrhofers (AT) „die Schwarze Decke“ ist ein versteiftes Textilobjekt, das die Charakteristiken einer Depression symbolisiert und für Nicht-Betroffene (be-)greifbar machen will. Gestützt auf Faktoren wie Schrift oder Farbe wird die Depression als eine tiefschwarze Hülle gezeigt, die Menschen vom Genuss des Lebens abkapselt. Unter der Decke scheint ein Mensch zu liegen, dessen Umrisse mithilfe eines Gitters geformt wurden. Für ihre Arbeit verwendete Mary Mayrhofer (AT) eine Baumwolldecke, auf der ein von ihr verfasstes Gedicht aufgedruckt ist, das an einem emotionalen Tiefpunkt der Künstlerin entstand.

S+T+ARTS Prize Exhibition

Was dürfen, ja was müssen wir von zeitgemäßer Innovation erwarten? Bloß „neu“ und „gewinnbringend“ zu sein, darf uns heute längst nicht mehr reichen. Als innovativ darf im 21. Jahrhundert nur mehr gelten, was ökonomischen, ökologischen und sozialen Mehrwert erschließt – nicht „oder“, sondern „und“. Dass, und vor allem wie das geht, zeigt die S+T+ARTS Prize Ausstellung. Was hier präsentiert wird weder Luftschloss noch Wunschdenken, sondern sind ausschließlich bereits umgesetzte Projekte und Initiativen, die äußerst erfolgreich laufen. S+T+ARTS leitet sich ab von Science, Technology und Arts und ist eine Initiative der Europäischen Kommission, die damit Projekte fördern will, die das Potenzial haben, zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Weiterentwicklung in Europa beizutragen. Die S+T+ARTS Prize Ausstellung ist von 7. bis 11. September in „Kepler’s Garden“ (Uni-Center) zu sehen.

1
Antarctic Resolution / Giulia Foscari (IT), UNLESS
Grand Prize – Innovative Collaboration
„Antarctic Resolution“ will mehr Aufmerksamkeit auf die Antarktis als eines unserer wenigen globalen Gemeingüter lenken und eine Interessenvertretung für diesen einzigen Kontinent ohne Bevölkerung aufbauen. Die Botschaft: Der Schutz der Antarktis ist der Schutz unserer eigenen Spezies. Die von Giulia Foscari (IT) initiierte „Antarctic Resolution“ ist ein transnationales und multidisziplinäres Gemeinschaftsprojekt und wurde anlässlich des zweihundertsten Jahrestages der ersten aufgezeichneten Landung von Menschen auf dem Kontinent als 1000-seitiges Buch veröffentlicht. Verfasst wurde die Erklärung von 150 führenden Antarktis-Expert*innen und herausgegeben vom Lars Müller Verlag. Die enzyklopädische Publikation fokussiert auf das wissenschaftliche Potenzial des Kontinents, seine geopolitische Bedeutung und sein außergewöhnliches Besiedlungsmodell. Der Band beinhaltet zahlreiche wissenschaftliche Studien, fotografische Essays, datengestützte Infografiken, Karten und Architekturzeichnungen.

2
Holly+ / Holly Herndon (US)
Grand Prize – Artistic Exploration
Mit „Holly+“ hat die Künstlerin Holly Herndon (US) ihren digitalen Zwilling erschaffen, den jede*r nutzen kann, um Musik zu machen. Erst müssen mehrstimmige Audiodaten auf einer Website hochgeladen werden, gleich darauf erhält man eine mit Hollys (Herndons) Stimme gesungene Version davon – die aktuelle Version von „Holly+“ funktioniert sogar in Echtzeit und kann damit für Performances eingesetzt werden. „Holly+“ ist jedoch nicht nur ein neues digitales Instrument, „Holly+“ ist ein umfassendes Kunst- und Forschungsprojekt, das auch ökonomische Aspekte in den Fokus nimmt. Hunderte von Menschen sind Teil der „Holly+ DAO“ (Dezentralisierte Autonome Organisation) und können mitbestimmen, für welche Zwecke das Instrument genutzt werden soll und für welche nicht. Jedes Stück, das als unangemessen bewertet wird, kann von den stimmberechtigten Stewards zurückgewiesen werden. Wird ein Werk genehmigt und verkauft, wird der Gewinn zwischen den Ersteller*innen (50%), der DAO (40%) und Holly Herndon (US) selbst (10%) aufgeteilt.

3
Cleaning Emotional Data / Elisa Giardina Papa (IT)
Honorary Mention STARTS PRIZE ’22
„Cleaning Emotional Data“ ist eine Drei-Kanal-Videoinstallation, die sich den schlecht bezahlten Mikroarbeiter*innen in aller Welt widmet. Zu den Aufgaben dieser Mikroarbeiter*innen zählen das Beschriften, Kommentieren und Validieren großer Datenmengen, die das Funktionieren von KI-Systemen überhaupt erst möglich machen. 2019 arbeitete die Künstlerin selbst von Palermo aus für mehrere nordamerikanische Unternehmen, die „saubere Datensätze“ bereitstellen. Zu ihren Aufgaben gehörte die Kategorisierung von Emotionen, die Beschreibung von Gesichtsausdrücken und das Aufnehmen von Selbstportraits, mit denen dreidimensionale Figuren animiert wurden. The „Cleaning of Emotional Data“ dokumentiert diese Mikroaufgaben und zeichnet gleichzeitig eine Geschichte der Emotionen nach, die die Methoden und psychologischen Theorien hinterfragt, die dem Mapping von Gesichtsausdrücken zugrunde liegen.

4
Digital Violence: How the NSO Group Enables State Terror / Forensic Architecture (GB)
Honorary Mention STARTS PRIZE ’22
Mit „Digital Violence: How the NSO Group Enables State Terror” widmet sich das Künstler*innenkollektiv „Forensic Architecture“ (GB) der Malware Pegasus, die von der israelischen Cyberwaffenfirma NSO Group entwickelt und weltweit gegen (Menschenrechts-) Aktivist*innen und Journalist*innen eingesetzt wird. „Forensic Architecture“ (GB) entwickelten eine navigierbare digitale Plattform, auf der sie in zahlreichen Videos die Geschichten von Personen erzählen, die mit Pegasus ins Visier genommen wurden. Für ihre umfangreiche Recherche nahmen sie Filmemacherin Laura Poitras (US) mit ins Boot, die mit Aktivist*innen aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko, Indien, Palästina, Ruanda, Mexiko und Togo Interviews führte. Darüber hinaus wurden Ermittler*innen von „The Citizen Lab“ und “Amnesty International“ sowie Whistleblower Edward Snowden (US) und Musiker Brian Eno (GB) engagiert, um die globale Landschaft der heutigen Cyber-Überwachung zu kartieren. Mit „Digital Violence“ haben „Forensic Architecture“ (GB) zum ersten Mal Aktivitäten von NSOs weltweit erfasst, neue Zusammenhänge zwischen digitaler und physischer Gewalt aufgezeigt und die Art und Weise offengelegt, in der sich die digitale Infektion wie eine Ansteckung innerhalb von Netzwerken und persönlichen Beziehungen bewegt.

5
The Plant Intelligence Plan / Tianyi Zhang (CN)
Honorary Mention STARTS PRIZE ’22
Mit ihrem Projekt „The Plant Intelligence Plan“ widmet sich Tianyi Zhang (CN) der Intelligenz von Pflanzen. Sie nutzt biotechnologische Werkzeuge und Materialien, um die ökologischen Beziehungen zwischen kommerziell gezüchteten Nutzpflanzen und Tieren wiederherzustellen. Mit ihrem Projekt plädiert sie für einen sorgsamen und respektvollen Umgang mit Pflanzen und meint damit nicht bloß einen besseren Schutz des irdischen Ökosystems, sondern den Aufbau einer neuen Ordnung unserer Zivilisation. Die Beziehung zwischen Menschen und Ökologie soll von Grund auf neugestaltet werden – Tianyi Zhang (CN) fordert uns dazu auf, unseren Anthropozentrismus zu überwinden und fortan gleichberechtigte ökologische Beziehungen zu allen Lebewesen und Pflanzen auf diesem Planeten zu knüpfen.

6
UITSLOOT / Gijs Schalkx (NL)
Honorary Mention STARTS PRIZE ’22
Warum sich auf große Konzerne und ihre Versprechen verlassen, die Welt zu retten, wenn man es selbst tun kann? Der Niederländer Gijs Schalkx (NL) hat sich überlegt, wie der Verbrennungsmotor von Fahrzeugen auch in einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe weiterexistieren kann. Sein Ergebnis ist der „Slootmotor“, der von lokal verfügbaren Energiequellen angetrieben wird, die mit wenigen Hilfsmitteln und DIY-Lösungen aus Teichen oder Straßengräben gewonnen werden: Es handelt sich dabei um das umweltschädliche Methangas, das gesammelt und als Energiequelle genutzt wird, bevor es in die Atmosphäre gelangt. „Es mag acht Stunden dauern, den Tank zu füllen, um 20 Kilometer zu fahren – aber diese 20 Kilometer sind immer wieder die besten meines Lebens“, so Gijs Schalkx (NL).

7
Ent- / Libby Heaney (GB)
Nomination STARTS PRIZE ’22
„Ent-“ ist das erste Kunstwerk bei dem Quantum Computing eingesetzt wird. Die 360-Grad-Projektion greift Sci-Fi-Elemente auf, um eine emotionale Erfahrung zu schaffen. „Ent-“ ist eine Neuinterpretation des Gartens der Lüste von Hieronymus Bosch und genau wie dessen Meisterwerk sowohl eine Feier dessen als auch eine Warnung vor dem Begehren. „Ent-“ allerdings geht es um unser Begehren nach neuen Technologien.

8
The Glass Room: Misinformation Community Edition / Tactical Tech (INT)
Nomination STARTS PRIZE ’22
The „Glass Room: Misinformation“ fordert uns dazu auf, unsere Beziehung zu digitalen Technologien zu hinterfragen. Es schafft einen Raum, in dem reflektiert, diskutiert und debattiert werden soll: Welchen Einfluss nimmt Technologie auf unser tägliches Leben? Wie konsumieren wir Information? Und wie können wir Fake News identifizieren und Information verifizieren? „The Glass Room: Misinformation Community Edition“ wird in einem leicht zugänglichen, inspirierenden und kreativen Format zur Verfügung gestellt und kann überall in der Welt umgesetzt werden.

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Quorum Sensing: Skin Flora Signal System / Helena Nikonole (TR/RU), Lucy Ojomoko (RU)
Nomination STARTS PRIZE ’22
Das „Quorum Sensing: Skin Flora Signal System“ modifiziert das menschliche Haut-Mikrobiom in einer Weise, dass dieses im Falle einer bevorstehenden Erkrankung ganz bestimmte Gerüche abgibt. Fieber wird etwa zum Stimulus, der modifizierte Haut-Mikrobiom-Bakterien dazu veranlasst, Blumendüfte abzugeben. Aus medizinischer Perspektive kann das „Quorum Sensing: Skin Flora Signal System“ als Methode der Diagnostik oder der Selbstdiagnose bzw. der Vorbeugung betrachtet werden. Es kann aber auch als künstlich erzeugtes und gleichzeitig natürliches Sinnesorgan gedacht werden, mit dem wir Signalsysteme neu definieren und unsere Sinne nutzen können, um Informationen auf biochemischer Ebene zu ver- und entschlüsseln.

JKU LIT @ Ars Electronica Exhibition

Kunst und Wissenschaft nachhaltig zu verweben, einen offenen Wissenstransfer mit der Gesellschaft anzustreben und einen Technologiebegriff zu fördern, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt – die Zusammenarbeit von Linz Institute of Technology, kurz LIT, und Ars Electronica gründet sich auf gemeinsamen Anliegen. Sichtbar wird dies in der Ausstellung, die das LIT zur diesjährigen Ars Electronica beisteuert.

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Melody of Crisis/Joy / Gregor Pechmann (AT), Floria Rothkegel (AT), Markus Schedl (AT), Alexander Wallner (AT), Emilia Parada-Cabaleiro (ES), Vasco Fragoso (PT)
„Melody of Crisis/Joy“ ist ein interdisziplinäres Projekt, das darauf abzielt, KI-Systeme in einem künstlerischen Rahmen zu nutzen und unser Bewusstsein dafür zu schärfen, wie globale Krisenereignisse online kommuniziert werden. Zunächst werden Emotionen, die verbal zum Ausdruck gebracht werden, mittels Stimmungsanalyse und Sprachemotionserkennung identifiziert und dann in musikalische Melodien transformiert. Für die Umwandlung werden Aufnahmen verschiedener Musiker*innen verwendet, die positive und negative Gefühle transportieren. Mit diesen Daten wiederum werden zwei maschinelle Lernmodelle trainiert, die in die Lage versetzt werden, positive und negative Aussagen als Melodie der Krise oder Melodie der Freude zu vertonen. Beim Betreten der Installation wird eine interaktive audiovisuelle Weltkarte präsentiert, auf der Länder ausgewählt werden können, um die entsprechenden Melodien zu hören, und die Besucher*innen aufgefordert, zu erraten, ob es sich dabei um eine Melodie der Krise oder der Freude handelt. Anschließend wird die echte Aussage mit Untertiteln wiedergegeben.

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Coexistence with the SARS-CoV-2 virus / Yoojin Oh (AT/KR), Sabina Hyoju Ahn (US/DE/KR), Myungin Lee (US/KR)
„Coexistence with the SARS-CoV-2 virus“ versucht die Beziehung zwischen dem SARS-CoV-2-Virus und menschlichen Molekülen in eine interaktive audiovisuelle Simulation zu übertragen. Die Interaktionsdaten zwischen dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 und menschlichen Zellproteinen werden mithilfe der Rasterkraftmikroskopie gemessen und in eine interaktive audiovisuelle Installation und Performance übersetzt. Das Publikum kann das Verhalten der Moleküle steuern und so die biologischen Merkmale intuitiv erfassen.

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Ars for Nons / Lea Luka Sikau (DE), Denisa Pubalova (CZ), Michael Artner (AT), Julia Wurm (AT)
„Ars for Nons“ ist eine interaktive Installation nicht für Menschen, sondern für Smartphones. Jedes Telefon bekommt seinen eigenen White Cube, um eine Ausstellung aus Klang, Vibration und Bildern nicht nur zu „erleben“, sondern gleichzeitig zu ihr beizutragen. „Ars for Nons“ dekonstruiert unsere übliche Perspektive und hinterfragt unsere Beziehung zur Kunst.

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Black Holes of Popularity / A.B.Melchiorre (IT), O.Lesota (RU), M.Schedl (AT), F.Schubert (AT), M.Moscati (IT), D.Penz (AT), E. Dobetsberger (AT), J.Usorac (BA), A.Hausberger (AT), S.Pile (RU), A.Ebner (AT)
Beliebte Songtitel erfreuen sich auf Musik-Plattformen sehr großer Aufmerksamkeit. Eine Aufmerksamkeit, die nicht zuletzt daher rührt, dass Algorithmen diese Songs permanent empfehlen und deren Popularität damit ständig steigern. Sehr wenige, sehr populäre Titel überstrahlen weniger populäre Titel, deren Urheber*innen es immer schwerer haben, ihr Publikum überhaupt zu erreichen. Im allegorischen Musikuniversum von „Black Holes of Popularity“ stehen Planeten, Sterne und Kometen für Musiktitel verschiedener Genres. Die beliebtesten Titel erscheinen jedoch als schwarze Löcher, die die anderen kosmischen Körper zu verschlingen drohen und nichts zurücklassen. Nur das Eingreifen der Besucher*innen kann das Schicksal der kosmischen Körper ändern und sie davor bewahren, in den schwarzen Löchern zu verschwinden.

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BODIE:S / Lisa Caligagan (AT), Paracetamol Collective (AT)
Die Kennzeichnung von öffentlichen Toiletten spiegelt die Ideale unserer Gesellschaft wider. Diese Tatsache ist Ausgangspunkt der Installation „BODIE:S“, mit der sich Lisa Caligagan und „Paracetamol Collective“ (beide AT) mit der Unterrepräsentation anderer Körperformen und Identitäten auseinandersetzen. Die Installation wird durch menschliche Interaktion ausgelöst und verwendet einen Algorithmus, um einzigartige Piktogramme zu erzeugen, die aus ganz einfachen geometrischen Grundformen bestehen. Die Animation wird erst auf einem dreiteiligen Bildschirm angezeigt und dann als Sticker ausgedruckt, die nun zur „Umbenennung“ öffentlicher Räume benutzt werden können und sollen.

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I Hear Future Voices / Nives Meloni (CH), Julian Pixel Schmiederer (AT)
„I Hear Future Voices“ hinterfragt den Einfluss von KI-basierten Sprachassistenzsystemen auf unser Leben. Gestützt auf wissenschaftliche Forschung bietet die Installation einen künstlerischen Einblick in unsere alltägliche Nutzung dieser Systeme und welche Probleme und Konsequenzen damit einhergehen. „I Hear Future Voices“ fragt, was menschenzentrierte KI wirklich bedeutet.

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Re-wasted / Martin Reiter (AT), Jörg Fischer (AT), Johannes Braumann (AT), Florian Nimmervoll (AT)
„Re-wasted“ ist eine Recycling-Reise durch den Lebenszyklus von Kunststoff. Ausgangspunkt ist der Müllplatz, wo zunächst unterschiedliche Art von Kunststoffen erklärt und für das Recycling ausgewählt werden. Nachdem sie einen Shredder, Mischer und Extruder durchlaufen haben, ist das recycelte Material schließlich bereit für die weitere Verarbeitung. Mithilfe manueller Spritzgussmaschinen können Besucher*innen nun kleine Bauteile selber herstellen.

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Spin-Wave Voices / Santa Pile (AT), Martin Gasser (AT), Christina Humer (AT), Silvan David Peter (AT), Andreas Ney (AT), Verena Ney (AT)
„Spinwellen“ machen es möglich, die Übertragung elektronischer Ladungen in Logic Devices zu ersetzen. Die Informationsverarbeitung kann damit schneller und effizienter erfolgen. Die Installation „Spin-Wave Voices“ wiederum macht es möglich, diese Technologie zu spüren und mit ihr zu interagieren. Mit einer einfachen Pedalbetätigung werden mikromagnetische Simulationen der realen Struktur von Spinwellen visualisiert und zum Klingen gebracht. Weil sie in der Realität extrem schnell und klein sind, werden die Wellen in der Installation verlangsamt und milliardenfach vergrößert.

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Transforming Sound and Material / Mark Hlawitschka (DE), Moritz Simon Geist (DE)
„Planet B“ war der letzte Ausweg für die Menschheit. Die ersten Bäume wurden gepflanzt als das Wasser immer noch knapp war, Rohstoffe wurden nun durch Reaktionsprozesse in Blasensäulen gewonnen. Die alte laute Stahlwelt war Vergangenheit, die Produktion nun in die Natur integriert, mit einer Geräuschkulisse, die an eine Unterwasserwelt erinnerte. Ständig geänderte Rahmenbedingungen, wie die Verfügbarkeit von Sonnenlicht etwa, erforderten flexible Anlagen mit adaptiven Geometrien. Darüber hinaus spielte die Veränderung von Übertragungswegen eine wichtige Rolle: Sie führte oft zu Verzögerungen in der Signalverarbeitung, genau wie bei der Musikübertragung … Tauchen Sie in die Zukunft ein und spielen Sie!

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Bi0film.net: Resist like bacteria / Jung Hsu (TW), Natalia Rivera (CO) / Foto: Jung Hsu (TW) Printversion / Album

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Laurie Anderson (US) / Foto: Tim Knox / Printversion / Album

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Avatar Robot Cafe DAWN ver.β / Ory Yoshifuji (JP) / Foto: MIYOGRAPHY / Printversion / Album

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Holly+ / Holly Herndon (US) / Foto: Andrés Mañón / Printversion / Album

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Coexistence with the SARS-CoV-2 virus / Yoojin Oh (AT/KR), Sabina Hyoju Ahn (US/DE/KR), Myungin Lee (US/KR) / Foto: Myungin Lee, Sabina Hyoju Ahn, Yoojin Oh / Printversion / Album