Fotocredits: rawpixel, Illustrationen: Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
Wie sieht unser Straßenverkehr aus, wenn automatisierter Verkehr zu Wirklichkeit wird? Wie arbeitet eine Verkehrspolizistin in einer Welt, in der Autos selbst fahren? Was macht eigentlich ein Fahrlehrer, wenn man keinen Führerschein mehr braucht?
Mit diesen Fragen hat sich Maria Pfeifer, Forscherin am Ars Electronica Futurelab, in den vergangenen Monaten intensiv auseinandergesetzt. Sie ist verantwortlich für eine Studie für das österreichische Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) zum Thema Berufe der Zukunft in den Bereichen Mobilität und Logistik im Straßenverkehr. Ausgehend von Entwicklungen der Jetztzeit beschreibt die Studie verschiedene Zukunftsszenarien für das Jahr 2050 und zeigt detaillierte Beispiele für Berufe, die sich in einer Welt mit Level-5-Automatisierung vielleicht entwickeln könnten.
Im Interview erzählen Maria Pfeifer und Klaus Robatsch, Bereichsleiter für Verkehrssicherheit am KFV, wie wir uns 2050 durch den Verkehr bewegen könnten – und was eigentlich hinter einer so umfangreichen Studie steckt.
Fotocredits: rawpixel, Illustrationen: Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
Maria, du hast dich in den letzten Monaten intensiv mit der Zukunft von Berufen in der Mobilität und Logistik beschäftigt. Das Ziel war eine Studie für das österreichische Kuratorium für Verkehrssicherheit – wie geht man an so eine doch sehr umfassende Aufgabe heran?
Maria Pfeifer: Der Bereich, mit dem wir uns befassen wollten, war sehr gut abgesteckt: Es sollte um Berufe mit Logistik- oder Verkehrssicherheitsbezug in Anbetracht der Automatisierung gehen und auch Aspekte wie die Sharing Economy und Digitalisierung berücksichtigen. Wie verändern sich diese Berufsgruppen und Berufe in Zukunft und welche neuen Berufsbilder entstehen? Wir haben uns vor allem überlegt, wie man eine Studie so verfassen kann, dass sie einerseits alle diese vielen Ebenen – die Zukunft der Arbeit, die Zukunft der Mobilität und die Auswirkungen auf die Gesellschaft – beinhält, aber gleichzeitig anschaulich bleibt. Wir haben uns schließlich entschieden, verschiedene Szenarien zu entwickeln, immer ausgehend davon, welche Zukunftsvisionen es jetzt schon gibt. Dafür haben wir zwischendurch auch immer wieder mit Expertinnen und Experten gesprochen und unsere Szenarien entsprechend angepasst.
Illustrationen: Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
Die Studie zu Berufen der Zukunft ist Teil einer ganzen Serie – wie reiht sich das Nachdenken über Verkehrsberufe der Zukunft hier ein?
Klaus Robatsch: Das KFV beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit möglichen Auswirkungen moderner Fahrerassistenzsysteme (FAS) und automatisiertem Fahren auf Führerscheinausbildung und -Prüfung. Im derzeit laufenden Projekt A.M.A. – Automatisierung.Mensch.Ausbildung werden diese Themen aktuell behandelt. Bei der Arbeit an dem Projekt wurde allerdings schnell klar, dass moderne FAS und automatisches Fahren auf weit mehr mobilitätsbezogene und verkehrssicherheitsrelevante Bereiche als das Thema Lenkerausbildung Auswirkungen haben kann und wohl auch wird. Die Durchführung der Studie Berufe der Zukunft ist die logische Konsequenz dieser Überlegungen.
Die Studie geht über die Szenarien hinaus und entwickelt sogar sehr spezifische Berufsbilder der Zukunft….
Maria Pfeifer: Das war unser zweiter Kniff. Szenarien sind sehr typisch, es werden Annahmen gestellt und darauf basierend auch Vorhersagen getroffen. Wir haben in diese Szenarien zusätzlich Personas gesetzt – das kennt man eher aus der Produktentwicklung oder Zielgruppenforschung. Man überlegt sich konkrete Personen mit Wünschen, Zielen, Hoffnungen, einem Namen und einem Lebenslauf, damit man wirklich die Userin oder den User vor Augen hat. Das haben wir schließlich mit Archetypen gemischt, also sozusagen das Gegenteil einer Persona. Ein Archetyp ist ein Klischee für einen bestimmten Personentypus. Mit diesen zwei Methoden sind Berufsbilder der Zukunft entstanden, die auf realen Tatsachen der Jetztzeit basieren. Wir haben uns wirklich angesehen, welche Logistik- oder Mobilitäts-Berufe es momentan schon gibt, und überlegt, wie sie sich verändern könnten. Daher klingen unsere Berufsbezeichnungen oft auch gar nicht so futuristisch!
Jedes Berufsbild ist mit einem Ich-Statement aus dem Arbeitsalltag und einem Foto der Person beschrieben. Einige spezielle Berufe haben wir noch etwas genauer nachgezeichnet, sie haben einen fiktiven Lebenslauf, einen Kompetenzkompass und auch eine Art Aktivitäts-Log, damit man im Detail verstehen kann, wie der Arbeitsalltag dieser Person aussehen könnte.
Fotocredits: rawpixel, Illustrationen: Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
Wir sind natürlich sehr gespannt, von einigen dieser Berufe zu hören. Kannst du vorher aber die Szenarien beschreiben, auf denen sie basieren?
Maria Pfeifer: Damit wir dieses Gedankenspiel der Szenarien überhaupt spielen können, haben wir zwei Prämissen aufgestellt. Erstens wird in unserer hypothetischen Zukunft die sogenannte Level-5-Automatisierung möglich sein, also wirklich selbstständiges Fahren ohne menschliches Zutun. Und zweitens gehen wir davon aus, dass es geschafft wurde, die CO2-Emissionen und anderen Umwelt soweit unter Kontrolle zu haben, dass Verkehr in einem größeren Ausmaß überhaupt noch möglich ist.
Unser erstes Szenario heißt „Humans in Control“ und beschreibt eine konservative Welt, die gar nicht so weit von unserer Gegenwart entfernt ist. Die Menschen sind technologieskeptisch, nur Teilstrecken sind automatisiert befahrbar und jede Person besitzt noch einen privaten PKW. Das zweite Szenario heißt „Private Autonomy“. PKWs und LKWs sind automatisiert, es gibt keinen Führerschein mehr. Obwohl das automatisierte Fahren schon sehr sicher und bequem ist, besitzt jede Person immer noch einen eigenen PKW und es herrscht viel Verkehr auf den Straßen. Es gibt eine hohe Technologieakzeptanz und wenig Car Sharing.
Illustrationen: Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
In unserem dritten Szenario, „On Demand City“, gibt es ebenfalls nur automatisierten Verkehr, jedoch sind die Fahrzeuge hier nicht in Privatbesitz. Es ist ein reines Car-Sharing-Modell. Wir haben hier das Prinzip von „Nutzen statt Besitzen“ ins Extreme gezogen – man zahlt immer nur für die Strecke, die gefahren wird, aber nicht mehr für ein privates Auto. Unser letztes Szenario schließlich heißt „A Brave New Green“ und basiert auf Nachhaltigkeit. Hier gibt es nur automatisierten Verkehr, der dafür aber nicht auf Abruf funktioniert – es ist ein öffentlicher Verkehr, der streng nach Fahrplan geregelt wird. Auch ländliche Gebiete sind sehr gut erschlossen, vielleicht gibt es in kleinen Gemeinden Mobilitätskooperativen, die sich eine kleine Flotte anschaffen. Der Verkehr ist über Deckelungen geregelt, jede Person hat ein Mobilitätskonto. Wer oft zu Fuß geht oder Rad fährt, kann sich vielleicht in ein paar Jahren auch eine Fernreise leisten…
Diese Szenarien sind nicht als Entweder-Oder gedacht. Wir haben sie entwickelt, damit wir fruchtbaren Boden haben, auf dem unsere Ideen für Berufe wachsen können. Sie helfen uns, die Vielfalt an Möglichkeiten abzubilden, und zeigen, wie sich Berufe mit wechselnden Rahmenbedingungen ändern können. Die Arbeit eines Verkehrspolizisten in „Humans in Control“ sieht sicherlich anders aus als der einer Verkehrspolizistin in „A Brave New Green“.
Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
In diesen vier Szenarien sind über 60 Berufe verortet. Kannst du mir ein paar Beispiele nennen?
Maria Pfeifer: Es gibt natürlich viele Berufe, die viel mit IT, Netzwerken oder ähnlichen Technologien zu tun haben. Ich finde aber besonders jene Berufe spannend, die auf den ersten Blick gar nicht so digital sind. Wie arbeitet zum Beispiel eine Beschilderungsdesignerin oder ein –Designer, wenn Straßenmarkierungen nicht mehr für Menschen gemacht sind, sondern für Maschinen?
Es ist auch interessant, welche Berufe vielleicht sehr menschlich bleiben: Vielleicht möchte man die Post trotz aller Möglichkeiten von einem Menschen zugestellt bekommen, für den sozialen Austausch oder andere Hilfeleistungen? Vielleicht wird es auch Begleitfahrer und –Fahrerinnen geben, damit die Fahrt in einem automatisierten Fahrzeug unterhaltsamer wird oder auch Minderjährige mitfahren können. Als Aufzüge entwickelt wurden, gab es schließlich anfangs auch immer einen Liftboy, um den Knopf zu drücken…Das wäre ein typischer Beruf für unser Szenario „Humans in Control“. Wäre in so einer Welt auch immer eine Ansprechperson des jeweiligen Verkehrsbetriebs an Bord? Was passiert, wenn das nicht so ist – und man in einer entlegenen Gegend ein technisches Problem hat?
Eine spannende Entwicklung könnte auch bei Fahrlehrerinnen und –Lehrern passieren. Wenn der Führerschein nicht mehr nötig ist, gibt es vielleicht ein verpflichtendes Mobilitätstraining, das zeigt, wie man sich in dieser neuen Art von Verkehr verhält.
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Aus diesen Berufsbildern haben sich einige Trends ergeben.
Maria Pfeifer: Genau. Bei den Trends geht es uns stark darum, wie wir uns vorbereiten müssen, welche Ausbildungen es braucht und wie wir unsere Fähigkeiten entsprechend entwickeln können.
Ein Trend ist daher die steigende Wichtigkeit eines digitalen Grundverständnisses. Andererseits sieht man auch, dass soziale Kompetenzen essentiell werden – je mehr Routine-Tätigkeiten von Maschinen ausgeführt werden, desto wichtiger wird es, auf die individuellen Bedürfnisse unserer Mitmenschen einzugehen. Wie vermittelt man aber soziale Kompetenz in einer Berufsausbildung? Das ist sicherlich schwieriger, als Fachwissen zu vermitteln.
Wobei man auch beim Thema Wissen einhaken muss: Hier sieht man, dass es immer wichtiger wird, sich konstant fortzubilden. Wer gerade das Studium abgeschlossen hat, ist in fünf Jahren vielleicht schon nicht mehr am neuesten Stand. In den von uns entwickelten Lebensläufen haben wir daher viele Micro-Degrees und Fortbildungen eingebaut. Hier geht es auch stark darum, unterschiedliche Kompetenzen zu verbinden. Man spricht hier von Hybrid Skills, also Mischkompetenzen. Natürlich brauchen wir Spezialistinnen und Spezialisten, aber es wird auch immer wichtiger, Systeme zu verstehen und verknüpfen zu können. Diese Kompetenzen können sehr nah zusammenliegen, wie Sensorik und Netzwerktechnologie, es könnte aber auch Moralphilosophie und Programmieren sein.
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Was bedeuten diese Erkenntnisse für das KFV?
Klaus Robatsch: Der KFV Forschungsbereich Verkehrssicherheit sieht seine Kompetenz beim Thema Mensch-Maschine-Interaktion und Human Factors. Die Studie Berufe der Zukunft trägt entscheidend dazu bei, zukünftige Entwicklungen in unserer täglichen Arbeit berücksichtigen zu können. Nur wenn man eine Vorstellung hat, wie sich Mobilität und die Rolle der Menschen in diesem Bereich verändert, ist es möglich, gezielte Verkehrssicherheitsarbeit zu leisten. Dies gilt in hohem Maße auch für das aktuelle und zukünftige Arbeitsumfeld der Menschen. Sicherheit muss sowohl am Arbeitsplatz als auch am Weg dorthin gewährleistet sein. Ähnliches gilt beim Thema Fahrausbildung. Die Schaffung von neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen braucht seine Zeit, hier können wir als Verkehrssicherheitsorganisation unsere Expertise bereitstellen.
Das Resultat der monatelangen Arbeit ist nun eine wissenschaftliche Arbeit, die aber sehr viel Kreativität erfordert. Die Szenarien erinnern fast an Science Fiction – wie viel Fiktion vertragt so eine Wissenschaft?
Maria Pfeifer: Ich glaube, das kommt immer darauf an, was das Ziel ist. Wenn man über die Zukunft forscht, braucht man ein gewisses Maß an Fiktion. Schließlich kann man nur die Zukunftsbilder im Jetzt erforschen. Darauf aufbauend kann dann spekuliert werden. Das ist ein sehr guter Weg, um über Themen überhaupt erst sprechen und nachdenken zu können. Es hat auch großes Potential in der Vermittlung, wenn man Erkenntnisse und Fakten in fiktive Gefäße gießt – wichtig ist nur, das klar zu kennzeichnen.
Illustrationen: Nicolas Naveau, Ars Electronica Futurelab
Der Zeithorizont der Studie ist 2050 – welches Szenario für diese nicht allzu ferne Zukunft klingt am besten?
Klaus Robatsch: Jedes der beschriebenen Szenarien birgt Chancen, aber auch sehr individuelle Herausforderungen für die Verkehrssicherheit. Wenn ich mir eine Zukunft aussuchen dürfte, wünsche ich mir, im Sinne der Vision Zero, eine Zukunft ohne Straßenverkehrstote, in der alle Verkehrsteilnehmer und -Teilnehmerinnen gleichberechtigt und auf gleichem Sicherheitsniveau unterwegs sein können. Verkehrssicherheit muss eine Voraussetzung bei zukünftigen Entwicklungen im Bereich des automatisierten Fahrens sein, Einschränkungen der persönlichen Freiheit sollten dabei aber immer das letzte Mittel der Wahl sein.
Maria Pfeifer: Ich würde am liebsten in „A Brave New Green“ leben. Allerdings sagt sich das leichter, als es getan ist! Bequemlichkeit ist eine sehr lukrative Wertschöpfungsstrategie. Uns Menschen fällt es schwer, das aus freien Stücken aufzugeben. Es wird uns gerade sehr leicht gemacht, bequem zu sein, auch im Mobilitätssektor. Wieso soll mich nicht ein Auto direkt vor der Haustüre abholen? Wenn etwas praktisch ist, wird es auch genutzt. Meiner Meinung nach brauchen wir Anreize und gesellschaftliche Strategien, erkenntlich zu machen, was man eigentlich damit anstellt, wenn man für ein Wochenende in eine andere Stadt fliegt.
In „A Brave New Green” gibt es allerdings auch eine Schattenseite und das ist die starke Überwachung. Daher hoffe ich eigentlich, dass es gar nicht so weit kommen muss.
Die gesamte Studie gibt es hier zum Download.
Dipl.-Ing. Klaus Robatsch ist Bereichsleiter für Verkehrssicherheit am Kuratorium für Verkehrssicherheit. Er hat einen Abschluss der Höheren Technischen Bundeslehranstalt für Tiefbau in Villach (1986), absolvierte das Studium der Raumplanung an der TU. Seit 2014 ist er National Focal Person for Injury Prevention der WHO EURO Region und seit 2000 ist er u.a. Lehrbeauftragter an der TU Wien.
Maria Pfeifer ist Key Researcher am Ars Electronica Futurelab. Ihre thematischen Schwerpunkte liegen auf Gestaltender Zukunftsforschung, durch Kunst inspirierte Innovation und die Kollaboration zwischen Kunst & Wissenschaft und sie betreut die Artists in Residence. Sie studierte Kunst, Komparatistik und Kulturwissenschaften in Wien und schrieb 2013 ihre Masterarbeit über die Visualisierung von Literatur. Schon seit 2011 immer wieder für das Ars Electronica Festival und Futurelab tätig, wurde sie im Jahr 2016 schließlich fixer Bestandteil des Teams im Futurelab.
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