Semiconductor gewinnt Collide@CERN Ars Electronica Award

Semiconductor Films, Brighton, UK, June 2010, www.semiconductorfilms.com,

Semiconductor gewinnt dieses Jahr den Collide@CERN Ars Electronica Award, der im Rahmen des European Digital Art and Science Network vergeben wird. Das englische Künstlerduo, das aus Ruth Jarman und Joe Gerhardt besteht, wird in den kommenden Monaten eine zweimonatige Residency am CERN antreten, dem weltgrößten Forschungszentrum für Teilchenphysik in Genf. Danach geht es mit einem einmonatigen Aufenthalt am Ars Electronica Futurelab in Linz weiter. Im Rahmen ihrer Residency werden Gerhardt und Jarmann an einer digitalen Installation arbeiten, die sich mit der Beschaffenheit und unserer Wahrnehmung der Welt beschäftigt. Darüber hinaus stellen sie die Frage, wie wissenschaftliche Werkzeuge und Entdeckungen aus dem Bereich der Teilchenphysik unsere Wahrnehmung der Natur beeinflussen.

Im Interview geben uns Ruth Jarman und Joe Gerhardt einen Einblick in ihre Arbeit und erzählen uns von ihrer Vorfreude auf die Residency am CERN und im Ars Electronica Futurelab.

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Fotocredits: Semiconductor

Warum nennt ihr euer Künstlerkollektiv Semiconductor (auf Deutsch: Halbleiter)? Das ist ja eigentlich ein Begriff aus der Physik und nicht aus der Kunst…

Ruth Jarman: Als wir, vor mittlerweile fast 20 Jahren, angefangen haben zusammenzuarbeiten, haben wir zunächst mit elektrischen Sounds experimentiert, Platten aufgenommen und unsere Musik gemeinsam mit ein paar Visualisierungen auch live performt. Deshalb brauchten wir einen Künstlernamen. Wir haben damals mit dem Computer als Kunstmedium gearbeitet und versucht einen eigenen Stil zu entwickeln. Dabei ist uns aufgefallen, dass der verwendete Computer bzw. die Software immer etwas in unsere Arbeiten einbringt, das wir selbst nicht beeinflussen können. Also haben wir uns für den Namen Semiconductor entschieden, um zu verdeutlichen, dass wir für die eine Hälfte des Prozesses verantwortlich sind und der Computer und die Software für die andere Hälfte. Semiconductor ist ja das englische Wort für Halbleiter, also könnte man auch sagen, wir „leiten den Prozess zur Hälfte“. Manchmal haben wir dieses Eigenleben des Computers konzeptionell oder ästhetisch in unsere Arbeiten aufgenommen und haben es quasi erlaubt, dass es unsere Arbeiten beeinflusst. Nachdem wir aber im Laufe der Zeit unsere eigenen Techniken und Prozesse entwickelt haben, die zu unserer Handschrift wurden, konnten wir diese „fremdgesteuerten“ Eingriffe nicht mehr gebrauchen und haben seitdem versucht, sie zu vermeiden. Den Namen haben wir aber trotzdem behalten, weil er ein Teil unserer Vergangenheit ist.

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Joe, du warst schon mehrfach Juror beim Prix Ars Electronica. Welche Seite gefällt dir besser – jene auf Seiten der Jury oder jene als Künstler, der bei einem Wettbewerb mitmacht?

Joe Gerhardt: Als Jury-Mitglied hat man die großartige Möglichkeit, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was in der Kunst gerade angesagt ist. Ich bin bei der Entscheidungsfindung eigentlich immer sehr offen und einige meiner Entscheidungen haben mich sogar selbst überrascht. Der Auswahlprozess kann durchaus ein sehr anspruchsvoller Prozess sein. Man sieht sich hunderte Einreichungen in kürzester Zeit an und man möchte trotzdem fair sein und jedem die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Als Künstler bei einem Wettbewerb mitzumachen kann aber manchmal noch anspruchsvoller sein. Man investiert alle seine Energie in das eine Projekt und wenn die Arbeit dann nicht honoriert wird, ist man schnell ziemlich entmutigt. Man muss danach aber schnell wieder auf die Beine kommen und es erneut versuchen. Und egal, ob man gewinnt oder nicht, man muss sich immer wieder daran erinnern, wo man herkommt und den Menschen danken, die einem auf diesem Weg unterstützt haben. Wir haben selbst schon mehrfach Arbeiten beim Prix Ars Electronica eingereicht, aber diese haben irgendwie nie wirklich in eine Kategorie gepasst.

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Ihr habt schon genaue Vorstellungen, was ihr während der Residency am CERN bzw. im Ars Electronica Futurelab machen möchtet. Beschäftigt ihr euch schon länger mit diesem Projekt? Wie können CERN bzw. das Ars Electronica Futurelab dieses Projekt voranbringen?

Ruth Jarman: Wir entwickeln schon während unserer gesamten Karriere ein Konzept, wie wir am besten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Es dreht sich dabei um unser Interesse an der grundlegenden Beschaffenheit unserer Natur und wie wir diese durch die „Augen“ der Wissenschaft wahrnehmen können bzw. wie diese unsere Wahrnehmung der Dinge beeinflusst. Im Laufe der Jahre haben wir dieses Thema spezifiziert, indem wir unsere bisherigen Arbeiten immer wieder reflektiert haben und die philosophische und konzeptionelle Idee dahinter ständig weiterentwickelt haben. Jetzt haben wir die einzigartige Möglichkeit diese Idee am CERN noch weiter voranzutreiben. Der Bereich der Teilchenphysik hat bisher noch in unserer Arbeit gefehlt. Vor kurzem haben wir die astronomische und geologische Materie untersucht und auf die richtige Gelegenheit gewartet, um mit dieser Arbeit auf Quantenebene fortzufahren. Am CERN ist möglicherweise der beste Platz der Welt um das zu tun. Im Ars Electronica Futurelab würden wir gerne unsere Animationstechniken weiterentwickeln und wir hoffen auf Unterstützung bei der Auswertung von Daten, um damit arbeiten zu können.

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In eurer Arbeit geht es um die grundlegende Beschaffenheit unserer Natur. Am CERN wurde kürzlich eine neue Teilchenklasse namens Pentaquark entdeckt. Könnt ihr diese Erkenntnis für euer Projekt nutzen?

Joe Gerhardt: Für uns ist es wichtig, dass wir uns schon vor Antritt der Residency ein umfangreiches Wissen über die wissenschaftlichen Tätigkeiten am CERN aneignen. Am Beginn der Residency werden wir viele Fragen stellen, um einen guten Überblick zu bekommen. Es geht nicht darum, dass wir die Wissenschaft komplett verstehen, sondern eher darum, eine klare Vorstellung von den Mechanismen der Teilchenphysik zu bekommen – was diese Wissenschaft ausmacht und das auch philosophisch zu hinterfragen. Wir werden uns dann einen Aspekt herauspicken und diesen näher untersuchen und Ideen entwickeln, wie wir damit arbeiten können. Es könnte schon sein, dass Pentaquark eine Rolle spielen wird, aber es gibt momentan so viele interessante Experimente am CERN, dass es schwierig ist, sich jetzt schon auf etwas festzulegen.

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Was gefällt euch an der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft?

Ruth Jarman: Wir waren immer schon an der Materie der Natur interessiert und haben überlegt, wie man diese am besten wahrnehmen kann. Im täglichen Leben registrieren wir nämlich nur einen sehr kleinen Teil unserer physischen Welt. Dabei passiert ganz viel außerhalb der Grenzen unserer Wahrnehmung. Am Beginn unserer Zusammenarbeit haben wir uns angesehen, wie die Werkzeuge und Prozesse der Wissenschaft diese „versteckten“ Materialien zum Vorschein bringen können. Uns wurde aber schnell klar, dass auch die Werkzeuge der Wissenschaft etwas in die Arbeit miteinbringen, das wir nicht beeinflussen können. So wie es zu Beginn auch bei unseren Arbeiten mit dem Computer der Fall war. Diese eigentlichen Störelemente haben uns aber besonders interessiert. Das hat uns zu den philosophischen Fragen über die Natur geführt und dazu, Wissenschaft als Prozess anzusehen. Unsere erste Zusammenarbeit mit einem Wissenschaftler war vor über zehn Jahren. Dabei haben wir seismische Daten als Animations-Tool genutzt. Währenddessen haben wir gemerkt, dass wir uns in ein Wissenschaftslabor integrieren müssen, wenn wir die Funktionsweisen der Wissenschaft verstehen wollen. Seit dem waren wir im NASA Space Sciences Laboratory, im Smithsonian Mineral Sciences Laboratory und im Galapagos Charles Darwin Research Centre.

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Und jetzt wurdet ihr für den Collide@CERN Ars Electronica Award ausgewählt und könnt eine Residency am CERN machen…

Ruth Jarman: Ja, auf den ersten Blick ist es immer etwas abschreckend, wenn man in eine fremde Umgebung kommt, in der die Menschen eine andere Sprache sprechen und eine andere Kultur haben. Durch unsere bisherigen Erfahrungen in Forschungslabors haben wir aber gelernt, diese Herausforderungen anzunehmen. Wir haben uns eine eigene Arbeitsweise angeeignet, nach der wir immer vorgehen. So können wir die Erfahrungen auch genießen und müssen uns zumindest über diesen Punkt keine Gedanken mehr machen. Wir freuen uns schon sehr auf die Erfahrungen, die wir am CERN – dem besten Labor für Teilchenphysik der Welt – machen werden. Wir haben gerade mit einer Reihe an Arbeiten begonnen und die Residency am CERN wird der Beginn eines neuen aufregenden Kapitels.

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Semiconductor

Semiconductor, das sind Ruth Jarman und Joe Gerhardt, ein Künstlerduo aus England. In ihren künstlerischen Arbeiten beschäftigen sie sich mit der grundlegenden Beschaffenheit unserer Natur und wie wir diese durch die „Augen“ der Wissenschaft wahrnehmen bzw. wie diese unsere Wahrnehmung der Dinge beeinflusst. Ihr einzigartiger Zugang wurde bereits mehrmals ausgezeichnet und mit diversen Stipendiums-Programmen ausgezeichnet, wie den Samsung  Art + Prize für neue Medien, ein Smithsonian Künstler-Forschungsstipendium, ein NASA Raumforschungs-Stipendium und waren Teilnehmer der Jerwood Open Forest Kommission. Ihre Ausstellungen und Screenings wurden bereits im House of Electronic Arts in Basel, bei FACT in Liverpool, im ArtScience Museum in Singapur, im San Francisco Museum of Modern Art, in der Royal Academy of Arts in London, beim Sundance Film Festival in Utah und beim Film-Festival in Rotterdam gezeigt. Ihre Arbeiten Magnetic Movie und Brillian Noise sind fixer Bestandteil der Sammlung des Hirshhorn Museum in Washington DC und dem Centre Pompidou in Paris/Frankreich.

Semiconductor und das geplante Projekt wird beim Ars Electronica Festival 2015 präsentiert. Darüber hinaus werden die Künstler einen Vortrag am CERN (jeweils zu Beginn und am Ende des Aufenthalts) halten. Die Ergebnisse der Residencies werden beim Ars Electronica Festival 2016 und am Globe of Science and Innovation am CERN präsentiert.

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