The Sixth Wave of Mass Extinction

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Was sich mit der Diskussion um Big Data in unseren Breitengraden nur andeutet, ist in Südost-Asien bereits Realität: Songdo, eine aus dem Boden gestampfte Stadt im südkoreanischen Wattenmeer, ist nachhaltig konzipiert und komplett vernetzt- und dadurch voll überwacht! Das Beispiel zeigt, dass die Utopie eines durchgestylten Lebensentwurfs die Gemüter spaltet. Für die Köpfe hinter dem Künstlerkollektiv raum.null sind artifizielle Metropolen wie Dubai oder auch das Phänomen der Gentrifizierung von Großstadtvierteln die düsteren Vorboten einer (Um-)welt, die all ihre Natürlichkeit verloren hat, in der (Arten-)vielfalt den Visionen von Stadtplanern Platz machen muss.

Ein multimediales Grollen gegen die schöne neue Welt

Ihren Gegenentwurf zur glückseligmachenden Wirkung einer „Smart City“, wie sie von Zukunfts-Architekten angedacht wird, erlebten die BesucherInnen des ehemaligen Post- und Paketverteilerzentrums am Eröffnungstag des Ars Electronica Festivals 2015. Als Fortsetzung zur Performance „Quadrature“ gab es mit „The Sixth Wave of Mass Extinction“ eine Vision der Zukunft in düsteren Klangfarben und verstörenden Bildern, die zwischen verschiedenen Abstraktionsgraden viel Raum für Interpretation ließen. Allen freien Assoziationen zum Trotz wollen die Macher hinter dem Projekt eine Botschaft unmissverständlich rüberbringen: Wenn der Mensch Lebensräume auf Kosten der Natur entwirft, setzt er auf Gleichförmigkeit und Monotonie. Kein Wunder also, dass zwischen dem Dröhnen und Rauschen von Chris Bruckmayr und Dobrivoje an manchen Stellen die Melancholie durchscheint – wie der Zweifel an einem Lebensentwurf, der für die Mehrheit nicht erstrebenswert ist, oder gar bedrohlich wirkt.

Um sprichwörtlich Licht ins Dunkel ihres Projektes zu bringen, gaben außer Chris Bruckmayr auch die Projektleiterin Claudia Schnugg (AT) und die beiden Visual Artists Veronika Pauser (AT) aka VeroVisual, Peter Holzkorn (AT) aka voidsignal Auskunft über die Umsetzung eines Themas, bei dem sich der Mensch mit sich selbst konfrontiert sieht. (Anmerkung: raum.null-Partner Dobrivoje und Visual Artist Florian Berger aka Flockaroo waren z.Zt. des Interviewtermins nicht anwesend)

Mit dem Titel Eures Projekts spielt Ihr auf bereits konstatierte Auslöser des Massen-Aussterbens an. Inwiefern ist der Mensch mit dem Planen einer Postcity an einer weiteren Welle der Artenvernichtung beteiligt?

Chris Bruckmayr: In der Art und Weise, wie Menschen die glücksverheißenden Städte der Zukunft planen, wird das Zusammenleben von Mensch und Tier wenig bis gar nicht berücksichtigt. Alles Denken ist auf einen ökologischen Lebensstil ausgerichtet, der allerdings nur für Wohlhabende leistbar ist. Dies drückt sich in teuren Biomärkten, Biobauweisen und Ökoplakette aus. Flora und Fauna werden als grüne Oasen inszeniert. Im Prinzip wären Bauernhöfe das ideale Modell dafür, wie die Städte der Zukunft aussehen müssten. Wenn wir an die Gestaltung unserer Zukunft denken, sollte es Bereiche geben, die ein gewisses Maß an Wildheit zulassen. Berlin nach dem Mauerfall war ein Ort des wilden Treibens und bot den Menschen gestalterische Freiheiten. Die Gentrifizierung hat kreative Freiräume von Stadtteilen eingeebnet. Für mich ist es keine positive Utopie, in einer durchdesignten Ökostadt zu leben, in der man vor Langeweile erstickt. Diesem Unbehagen wollten wir eine akustische Entsprechung geben.

Gibt es irgendeine Inspirationsquelle zu diesem Thema?

Chris Bruckmayr: Der Science Fiction Film „Bladerunner“ zeigt ganz gut die Utopie einer Stadt, in der die Menschen am Ende vor sich selbst fliehen. Wir bewegen uns geradewegs darauf zu. Es gibt im künstlerischen Sinn eine verkitschte Variante, in der die Städte idealisiert dargestellt werden. In Wirklichkeit sehen die neuen Megacities immer grindiger aus und die Lebensbedingungen für den Menschen werden immer schlechter. Generell sind die durchgestylten, aus dem Boden gestampften Superstädte nur für wenige Reiche leistbar, siehe Dubai. Aus dem Gedanken heraus ist diese Welle ja nicht nur eine des biologischen Aussterbens sondern ein geistiges Absterben. Und wohin führt das? Aber die Frage, die mich bei dem Projekt am meisten beschäftigt hat, ist:

„Inwieweit betrifft es die Menschen, wenn es ringsum still um sie wird, wenn sie auch akustisch nichts Fremdartiges mehr zu hören bekommen, sondern nur noch Ihresgleichen und ein paar Haustiere. Wollen wir genau auf diese Langeweile zusteuern? Ist die Totalkontrolle das unvermeidbare Ziel unseres Handelns?“

Meintest Du mit dem Begriff Mass Extinction dann nicht nur die Ausrottung von Tierarten, sondern die Vernichtung eines Großteils Menschheit durch eine Elite?

Chris Bruckmayr: Die Performance soll nicht als dystopisches Untergangsszenario, sondern als Warnung verstanden werden. Deshalb geht der Verlauf von einer eher wilden zu einer immer gleichförmigeren, langweiligeren Struktur. Die Frage ist: „Wollen wir das?“ Mich interessiert das latente Unbehagen vieler Menschen, das sie mit dem 21. Jahrhundert verbinden.

Woher kommt das?

Chris Bruckmayr: Gründe gibt es viele. Manch einem gehen die Veränderungen zu schnell, sie haben das Gefühl, dass sie etwas von ihrer natürlichen Umgebung verloren haben. Ich bin ja kein „Idealisierer“ und habe keinen Einwand gegen Zivilisation. Mich stört die menschliche Tendenz, alles Mögliche und Unmögliche als Projektionsfläche ihrer Idealträume zu nutzen. Auf beiden Seiten wird idealisiert, auch die Idylle der Natur, mit der dann Urlaubskataloge werben. Ebenso gewisse Stadtteile, in die dann jeder ziehen will, weil die Medien sie in Szene setzen.

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Credit: Tom Mesic

Ist eine Visualisierung von derart drängenden sozio-politischen Fragen eine Kernaufgabe künstlerischer Arbeit des 21. Jahrhunderts?

Claudia Schnugg: Dass sich KünstlerInnen mit sozio-politischen Fragen auseinandersetzen und diese in ihren Arbeiten thematisieren und durch künstlerische Ausdrucksformen darstellen, hat schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts begonnen und ist in der zeitgenössischen Kunst immer noch sehr präsent. Persönlich glaube ich schon, dass es eine wichtige Aufgabe der Kunst ist, sich mit den drängenden sozio-politischen Fragen auseinanderzusetzen. Viele KünstlerInnen schöpfen ihre gestalterischen Mittel leider unzureichend aus. Sie gebrauchen zwar die unterschiedlichsten Medien, Reliquien und Materialien wie Fotos, politische Briefe oder Zeitungsartikel, um auf unterschiedliche Themen aufmerksam zu machen. Ihr Publikum ist dadurch dazu angehalten, sich mit diesen Arbeiten auf einer sehr intellektuellen Ebene auseinanderzusetzen, oder bei Mitleid erzeugenden Werken auch in einer empathischen Art und Weise. Beide Strategien sind völlig legitim, schöpfen aber weder das ästhetische Potenzial noch die Mittel des Storytellings voll aus. Wirklich interessant werden die Arbeiten dann, wenn sie die Inhalte vor allem durch ihre Ästhetik transportieren, welche das Publikum herausfordert kann und die unterschiedlichen Sinne anspricht.

Welche Mittel des Storytellings nutzt ihr im Rahmen des Audiovisuellen Projekts „6th Wave Of Mass Extinction“?

Peter: Wir hatten einen groben Fahrplan, was die musikalische Entwicklung angeht, dieser wurde bis zum Festival über Wochen von den Klangkünstlern verfeinert. Wir spalteten den Ablauf in verschiedene Parts, ein paar Intermezzi und Intro bzw. Outro. Auf diese Art hatten wir ein paar Szenen. Jede Szene entsprach einer Stimmung, die sich auf einen Erzählabschnitt der Geschichte bezieht. Diesen ordneten wir bestimmte Schlüsselwörter zu – in einigen Fällen sehr generelle wie „schöne und dominante Natur“, andernfalls spezifische wie „sensorische Überlastung / Stakkatobilder von Städten und Urbanisierung“. Für mich persönlich geht es mehr darum, eine allgemeine Stimmung zu erzeugen, die Erfahrung des Betrachters sollte eher eine abstrakte sein. Einige der besten Werke aus dem Bereich Visual- / Media-Art abstrahieren ihre Geschichten genau in dem Maß, dass sie Substanz und Form haben, aber noch offen für Interpretation sind.

Wie habt ihr mit der Musik interagiert? Lasst Ihr euch von der Atmosphäre inspirieren? Den Beats oder von etwas völlig anderem?

Veronika: Zu Beginn höre ich mir Musikbeispiele oft und konzentriert an, um mich für meine Visuals inspirieren zu lassen. Ich lege verschiedene Szenen anhand der Atmosphäre fest, um die Musik zu unterstützen und damit die gesamte Story. Dabei versuche ich eine bestimmte Stimmung zu transportieren und lasse mich vom Sound inspirieren, aber nicht diktieren. Für mich ist es sehr wichtig, den Liveaspekt auch bei den Visuals zu haben, d.h. dass nicht alles vordefiniert ist und man spontan reagieren kann. Es soll ein interaktiver Dialog zwischen der Musik und dem Bildmaterial entstehen. Ich kombiniere dafür gerne generatives Material mit vorproduzierten Inhalten oder auch Found Footage und liebe es, neue Technologien und Tools in meine Visual Performances zu integrieren. Während der Liveperformance reagiere ich dann hauptsächlich in manueller Form auf die Musik, in dem ich unterschiedliche Parameter in der Visual Software anpasse. An manchen Stellen macht es jedoch auch Sinn, eine Klanganalyse als zusätzliches Tool einzusetzen, um dem Beat in der Musik exakt synchron folgen zu können.

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Credit: Florian Voggeneder

Ihr hattet mit dem Auftritt von Chris‘ Bruder Didi ja noch ein weiteres „dramaturgisches Element“. Welchen Part übernimmt er bei der ganzen Geschichte?

Chris Bruckmayr: Er kam in der Konzeption erst spät hinzu. Die Idee war, die Figur des Demiurgen nach der Philosophie Platons erscheinen zu lassen, ein Handwerker, der für die Gestaltung und den Erhalt des physischen Universums verantwortlich ist, nicht zu verwechseln mit dem Schöpfer. Im Zusammenhang mit der Performance beklagt er den Verlust der Spezies, die durch den Menschen ausgerottet werden. Zum Schluss rezitiert er einen Text, den Yuri Tanaka ins Japanische übersetzt hat. Die englische Vorlage ist eine Umkehrung des „Tears In Rain“-Monologs im anfangs erwähnten Film Blade Runner – diese Rede taucht auch am Ende des Films auf. Der Replicant Roy Batty, der von Hauptdarsteller Harrison Ford gejagt wird, schließt kurz vor seinem Tod mit den Worten der Dankbarkeit, dass er sehen durfte, was das menschliche Auge sieht. Wir haben den Monolog auf den Demiurgen und seine verloren gegangene Schöpfung umgeschrieben.

 “I’ve… seen things… you people wouldn’t believe.

I watched gigantic herds on their jolly trip west.

Glittering swarms of birds and insects filling the air with sounds of abstract beauty.

I perceived the call of the fish and the mollusk in the deep sea.

I was awestruck.

All those… moments… will be lost, in time, like tears… in…rain.

Time… to die.“

Credits 

Sound: Chris Bruckmayr & Dobrivoje Milijanovic (raum.null)
Voice: Didi Bruckmayr (AT) aka Fuckhead
Visuals: Veronika Pauser (AT) aka VeroVisual, Peter Holzkorn (AT) aka voidsignal and Florian Berger (AT) aka Flockaroo
Producer: Claudia Schnugg (AT)

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