Die Erforschung des Weltraums ist für Quadrature nichts Neues, schließlich befasst sich das KünstlerInnenkollektiv schon mehrere Jahre mit dem Thema. Jan Bernstein, Juliane Götz und Sebastien Neitsch bringen also nicht nur ein großes Maß an Interesse und bereits vorhandenes Vorwissen über die ESO-Standorte in Chile mit, sondern haben mit Arbeiten wie „Voyager“ oder „Satelliten“ sich bereits den Mitteln der Kunst bedient, um Unsichtbares sichtbar zu machen. Und das ist genau der Ansatz, den die 11-köpfige internationale art&science-Jury für diese Residency „extrem spannend“ findet. 322 KünstlerInnen aus 53 Ländern haben sich beim bereits dritten Open Call von „art & science“ beworben. Wir haben nachgefragt, was sich Quadrature für den Chile-Trip vorgenommen hat und wie es ist, als KünstlerInnenkollektiv zu arbeiten.
Was fasziniert Sie besonders am Thema Weltraum und wie kam es eigentlich dazu?
Sebastian Neitsch: Wir sind aufgewachsen mit Geschichten und Bildern über unser Universum, sowohl mit echten als auch utopischen. Raketen, Zeitreisen, Weltraumstationen, Leben auf dem Mars, Aliens, … Der Weltraum und seine Erforschung bieten nicht nur für WissenschaftlerInnen eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle.
Jan Bernstein: Der Weltraum als Ort ist real und gleichzeitig nicht greifbar. Seine Größe und Unendlichkeit lassen ihn zu einer unglaublich abstrakten, fast unwirklichen Idee werden, deren Ausmaße und Inhalte unsere Vorstellungskraft oft übersteigt. Diese Grenzen des Möglichen und des Machbaren, des Verstandes und des Wissens interessieren uns am meisten.
VLT in Paranal, Credit: ESO/Y. Beletsky
Welche Pläne und Ideen haben Sie für Ihre Residency an den ESO-Standorten in Chile?
Juliane Götz: Tatsächlich fühlen wir uns selbst ein bisschen wie EntdeckerInnen, wie Forschungsreisende, die in eine abgelegene, schwer zugängliche Gegend vordringen dürfen, um dort Einblick in eine andere Welt zu erhalten. Man kennt die ESO-Standorte von Fotos, man weiß: es gibt sie. Aber nun wirklich Zugang zu dieser Art „Kolonie der Wissenschaft“ zu haben, diese verrückte Highend-Technik in dieser abgeschiedenen, abgelegenen Gegend der Welt zu erleben, das ist sehr verheißungsvoll. Die Forschung, die dort betrieben wird, arbeitet an den Grenzen der Physik, in technischer, experimenteller und auch theoretischer Hinsicht. Wir hoffen sehr, dass wir durch unseren Aufenthalt dort sowie durch Gespräche mit den Menschen vor Ort zumindest einen Hauch von diesen Grenzen der zeitgenössischen Wissenschaft erfahren werden.
Jan Bernstein: Die meiste Zeit werden wir wahrscheinlich am Paranal-Standort verbringen, um unter anderem das VLT mit seinem Laser Guide Star kennenzulernen. Auch würden wir gerne die nahegelegene Baustelle des EELT besichtigen. Außerdem hat uns der scheinbar recht aufwendige Besuch des ALMA-Standortes sehr neugierig gemacht – gerade wegen der Schwierigkeit, diesen Ort zu erreichen. Die dünne Luft dort oben, die erforderlichen Gesundheitschecks, die lange Anreise: näher an den Weltraum werden wir so schnell nicht kommen. Nach der Residency wollen wir noch eine paar Tage in der Gegend bleiben, durch sie wandern und unter ihrem Sternenhimmel schlafen.
Bisherige Projekte wie „Satelliten“ und „Voyager“ machen die Positionen von Menschenhand geschaffenen Objekten im Weltraum sichtbar. Warum ist es Ihnen ein Anliegen, dies zu visualisieren?
Juliane Götz: Auch hier geht es uns um diesen Widerspruch zwischen Wissen und Begreifen. Die Arbeiten sind unser Versuch einen direkten Zugang zu schaffen, ein Art Fenster zu öffnen – von unserer alltäglichen Erfahrung zu der tatsächlichen, uns umgebenden Realität.
Sebastian Neitsch: Wir als Menschheit haben unseren Wirkungsbereich inzwischen von der Erde bis ins Weltall hinein ausgedehnt. In Form von Satelliten haben wir eine neue Ebene an Infrastruktur geschaffen, die uns ständig umkreist, uns hilft und uns beobachtet. Wir alle benutzen sie täglich, ohne ihnen groß Beachtung zu schenken. Und dann sieht man nachts plötzlich über sich eine dieser Maschinen leuchtend vorüber fliegen und weiß: die sind da tatsächlich.
Das Projekt „Satelliten“, Credit: Quadrature
Welche Vorteile bringt Ihrer Meinung nach die Verbindung von Kunst und Wissenschaft?
Sebastian Neitsch: Wissenschaft, ihre Erkenntnisse oder ihre Methoden, sind für uns unabdingbar mit Kunst verbunden. Beide suchen nach Antworten, nach noch nicht gestellten Fragen, nach neuen Möglichkeiten. Die Zielstrebig und Präzision, die wissenschaftliche Forschung ausmacht, ihre erprobten Techniken und Prinzipien sowie neueste Theorien lassen sich experimentell sehr gut weiterverarbeiten und übertragen. In der Kunst hat man den großen Vorteil, dabei keine allgemeingültige Wahrheit finden zu müssen.
Das ALMA der ESO ist das größte Radioteleskop der Welt. Credit: ESO/C. Malin
Wer übernimmt welche Rolle im Kollektiv „Quadrature“? Oder ist das gar nicht so vordefiniert? Haben Sie Tipps für einzelne KünstlerInnen, die sich gerne zu einer Gruppe zusammenschließen möchten?
Juliane Götz: Die gemeinsame Arbeit bildet für uns die Grundlage, unsere Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir ständig zusammen arbeiten. In der Konzeptphase reden wir viel miteinander, tauschen unsere Überlegungen aus, bis sich ein klarer Fokus abzeichnet. Trotzdem braucht jeder seinen Freiraum, gedankliche Ruhephasen, in denen man unabhängig von den anderen den eigenen Gedanken nachgehen kann. In der Produktionsphase gibt es meistens eine recht klare Aufgabenteilung.
Jan Bernstein: Für uns ist es wichtig, dass der Einzelne seine Selbstständigkeit nicht verliert und wir trotzdem eine gemeinsame Vorstellung davon haben, worüber wir wie arbeiten wollen. Ein gutes Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zum Kompromiss sind aber absolut notwendig.
Welche drei Dinge nehmen Sie auf jeden Fall mit, wenn Sie nach Chile reisen?
Jan Bernstein: Kamera. Opinel (Taschenmesser). Mütze.
Sebastian Neitsch: Zelt. Kompass. Notizblock.
Juliane Götz: Notebook. Schal. Fernglas.
Credit: J.L. Dauvergne & G. Hüdepohl (atacamaphoto.com)/ESO
Jan Bernstein, Juliane Götz und Sebastien Neitsch lernten sich an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale kennen. Nachdem sie ihre Ausbildungen abgeschlossen hatten, waren die KünstlerInnen unter anderem in Antwerpen, Linz, Valencia, Wien und Stuttgart tätig. Im Jahr 2000 arbeiteten sie erstmals zusammen und gründeten bei der Gelegenheit das Kollektiv Quadrature, in das jede/r spezifische Kompetenzen und Schwerpunkte einbringt. Im Fokus ihrer künstlerischen Projekte steht meist der Widerspruch zwischen Wissen und Begreifen.
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