Virtual Reality zuhause ist derzeit in aller Munde. Wenn man aktuellen Trends in der Unterhaltungselektronik Glauben schenken mag, werden viele von uns vielleicht schon bald zu (VR-)Brillenträgern. Auf der South by Southwest (SXSW) in Austin, einem der größten Festivals rund um Musik, Film und interaktive Medien, trat Virtual Reality ebenso als großes Thema in Erscheinung. So sprachen VertreterInnen der internationalen Non-Profit-Organisation CyArk, Seagate und Ars Electronica bei einer Podiumsdiskussion über die (dreidimensionalen) Galerien der Zukunft und nahmen den Deep Space 8K des Ars Electronica Center in Linz als Anlass, um etwas näher über das Erleben von 3-D-Inhalten in den Museen der Zukunft zu sprechen.
Dank des Engagements von CyArk – eine Organisation, die mittels Technologien wie 3-D-Laserscans Statuen oder Bauwerke abtastet – ist es möglich, im Deep Space 8K wertvolle Kulturschätze aus aller Welt in 3-D zu betrachten und bedeutende Kulturstätten virtuell im wahrsten Sinne des Wortes zu betreten. Wir haben mit Elizabeth Lee, der Vizepräsidentin von CyArk, über die Tätigkeiten der internationalen Non-Profit-Organisation gesprochen und stellen dessen Arbeit näher vor.
“Building the Galleries of the Future” war der Titel des Talks bei SXSW 2016 in Austin. Wie könnten Ihrer Meinung nach diese Galerien der Zukunft aussehen?
Elizabeth Lee: Museen verändern sich im 21. Jahrhundert zunehmend und werden umfangreicher. Von dieser wesentlichen Verschiebung des Teilens und Erlebens von digitalem Inhalt ist vor allem auch CyArk selbst betroffen. CyArk schafft die Grundlagen für Open Data und digitale Visualisierungen, die von RestauratorInnen, WissenschaftlerInnen und der Allgemeinheit in Zukunft genutzt werden können. Gemeinsam mit unseren Museumspartnern entwickelten wir integrale Plattformen, die es kreativen Köpfen ermöglichen, ihre Ideen damit auszuprobieren.
Im Bereich des kulturellen Erbes werden die Galerien der Zukunft eine Kombination des Physischen und Digitalen sein. Das Ziel von CyArk ist es nicht, nur als Lagerstätte für Daten zu fungieren, die aus Orten stammen, die dem Kulturerbe der Menschheit zugerechnet werden. Vielmehr möchten wir es allen ermöglichen, auf diese Daten zugreifen zu können und das kulturelle Erbe in die Klassenzimmer zu bringen, online verfügbar zu machen und auch direkt vor Ort zur Verfügung zu stellen, um damit neue Erlebnisse zu schaffen.
Das Schöne an 3-D-Daten ist, dass wir damit nicht auf eine Anwendung begrenzt sind sondern unsere Vorstellungskraft und aktuelle Technologien einsetzen können. Oft gibt es die Möglichkeit, die Daten von Projekten erneut aufzugreifen, die wir vor über einem Jahrzehnt gesammelt haben, und sie mit neuen Hilfsmitteln zu bearbeiten und neue Arten der Visualisierung auszuprobieren. Der 3-D-Druck entwickelt sich zum Beispiel seit nur wenigen Jahren beinahe zu einem Mainstream – als wir mit CyArk begonnen haben, war das noch eine unglaubliche Nische. Wir glauben, dass dasselbe auch auf die virtuelle Realität und Augmented Reality zutrifft, da diese Technologien bereits immer mehr in den kommerziellen Markt strömen.
CyArk betrachtet die Galerien der Zukunft aus einem ähnlichen Blickwinkel wie es das Ars Electronica Center tut, wo bestehende Technologien herangezogen werden, erforscht und weiterentwickelt werden – für neue und bessere Anwendungen. Das könnte dazu führen, dass Ausstellungsobjekte einer Sammlung physisch neu kreiert werden – um es den BesucherInnen zu ermöglichen, mit den Objekten direkt am Ort des kulturellen Erbes zu interagieren wie nie zuvor und damit mehrere Sinne anzusprechen. In anderen Fällen könnte es dazu führen, dass wir Objekte virtuell rekonstruieren, sodass diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben, dorthin zu reisen, Objekte in ihrem gegenwärtigen physischen Kontext betrachten können.
Das Brandenburger Tor in Berlin, gescannt von CyArk. Credit: CyArk
Wie lange dauert es eigentlich ein Objekt wie das Brandenburger Tor zu scannen?
Elizabeth Lee: Die Dauer, um eine kulturelle Stätte erfassen zu können, hängt natürlich von ihrer gesamten Größe ab, von der Höhe ihrer Komplexität und den Endprodukten, die daraus erzeugt werden sollen. Das Brandenburger Tor wurde beispielsweise in etwa 40 Stunden gescannt und es brauchte weitere 40 Stunden, um die Daten zu verarbeiten. Hingegen ein Projekt wie Mount Rushmore in den USA griff auf drei Teams zurück, die zwei Wochen lang mit dem Scannen und dann noch einige Monate mit der Finalisierung des Projekts beschäftigt waren. Im Allgemeinen schätzen wir, dass die Verarbeitung der Daten meist doppelt so lange dauert wie das Scannen vor Ort.
Und welche technischen Gerätschaften setzen Sie ein?
Elizabeth Lee: CyArk möchte wesentlich dazu beitragen, kulturelle Stätten zu dokumentieren, zu erhalten, zu archivieren und erleben zu können. Wir verwenden eine Reihe an Reality-Capture-Technologien wie 3-D-Laserscanning, Streifenprojektionen, HDR-Fotografie, Panoramafotografie, Photogrammetrie, Drohnen (UAVs) und traditionelle Umfragen. CyArk verwendet darüber hinaus unterschiedliche Erfassungs- und Visualisierungsprogramme, um die gescannten Daten zu bearbeiten und Werkzeuge für den Bildungsbereich und die Erhaltung zu programmieren. CyArk verwendet außerdem eine Reihe von Verbreitungstechnologien – wie auf Internet-Browser basierte Plattformen, mobile Plattformen und 3-D-Projektionen.
Seit der Gründung von CyArk im Jahr 2003 hat sich die 3-D-Scan-Technologie rapide verändert – werden Sie bereits besuchte Orte mit neuen Technologien erneut scannen, um mit Dronen oder neuen Lasertechnologien mehr Details herausarbeiten zu können?
Elizabeth Lee: Es stimmt, dass sich die Technologie rasant entwickelt hat seitdem es CyArk gibt. Ein 3-D-Scanner konnte im Jahr 2003 vielleicht 10.000 Punkte pro Sekunde abtasten, heute sprechen wir bereits von über einer Millionen Punkte pro Sekunde. Das hat natürlich eine große Auswirkung auf das Datenvolumen, das wir bei CyArk zusammentragen – bei jedem Projekt. Aber trotzdem haben sich unsere Methoden nicht verändert. Egal, um welches Jahr es sich handelt, CyArk versucht stets Daten so umfangreich zu sammeln, wie es bestehende Technologien ermöglichen. So unterstützt zum Beispiel derzeit keine kommerzielle Virtual-Reality-Plattform die Menge an Daten, die notwendig ist, um selbst unser ältestes Projekt in Echtzeit zu rendern. Obwohl wir es sehr begrüßen würden, viele bereits erfasste Orte erneut zu besuchen, sind die Daten, die wir bisher archiviert haben, ausreichend um eine kulturelle Stätte rekonstruieren zu können, sollte eine Katastrophe eintreten. Das neuerliche Scannen würde den bisherigen Daten aber eine weitere Dimension – eine vierte Dimension, die Zeit – hinzufügen und es ermöglichen, die zeitlichen Veränderungen zu dokumentieren.
Natürlich nutzen wir bei CyArk diese neue Technologien, um unsere digitalen Bewahrungsprozesse und Methoden für eine zukünftige Datenerfassung zu verbessern, und um alle wunderbaren Zugänge und Plattformen auszuprobieren, die heute bestehen und im Jahr 2003 noch gar nicht zur Verfügung standen. Unser Engagement richtet sich jedoch vielmehr auf der Herstellung eines besseren Zugangs zu dem unbeschreiblich großen Datenschatz, den wir bis heute in unserem Archiv speichern konnten anstatt bereits gescanntes kulturelles Erbe erneut zu scannen.
An welchen Projekten arbeitet CyArk gerade und was sind die Herausforderungen dabei?
Elizabeth Lee: Unsere größte Initiative ist die CyArk 500 Challenge, die 2013 gegründet wurde – mit dem Ziel, gemeinsam mit den Partnern des starken CyArk-Netzwerks 500 Stätten des kulturellen Erbes innerhalb von 5 Jahren digital zu erfassen. Bis jetzt haben wir etwa 20% unseres Ziels von 500 erreicht und wir sind intensiv dabei, noch weitere Partner zu gewinnen, die uns beim Datensammeln, Archivieren und Verarbeiten unterstützen.
Mit dem dramatischen Anstieg der vorsätzlichen Zerstörung des kulturellen Erbes der Menschheit im Nahen Osten haben wir einen strategischen Schwerpunkt in dieser Region gesetzt. Wir nennen das Projekt Anqa, das ist das arabische Wort für Phönix – der Vogel, der aus der Asche steigt. Das Programm wurde vergangenes Jahr gestartet, gemeinsam mit dem Internationalen Denkmalrat ICOMOS, und setzt sich als Ziel risikoreiche Kulturstätten in Irak und Syrien digital zu erfassen, die am Rande aber nicht in aktiven Konfliktzonen stehen. Bei diesem Programm sind unsere Herausforderungen mehrere: Vom Bestimmen des aktuellen Ausmaßes der Zerstörung über die Gewährleistung der Sicherheit unserer Teams bis hin zu der Frage, wie wir die technische Hardware bis an diese Frontlinien schaffen können. Wir arbeiten wie gesagt mit Partnern wie ICOMOS zusammen, aber auch mit der Yale University und dem „Emergency Safeguarding of Syrian Cultural Heritage Project“ der UNESCO. Schon heute gibt es erfolgreiche Ergebnisse daraus. Jetzt müssen wir aber das Programm erweitern und noch schneller aus noch weit mehreren Orten Daten zusammentragen.
Wie bestimmen Sie, welcher Ort des kulturellen Erbes als nächstes digital erfasst wird?
Elizabeth Lee: Wir bei CyArk sehen uns mehrere Faktoren näher an – darunter sind Faktoren wie der Zustand des Ortes, seine Bedeutung, die Risiken, die ihn bedrohen, und wie das digitale Erfassen einen positiven Effekt auf den Ort selbst haben könnte. CyArk hat das Glück, auf einen Beirat aus Führungskräften aus dem Bereich des Kulturerbes und auf eine Menge an ExpertInnenwissen zurückgreifen zu können – gemeinnützige Organisationen sind genauso mit dabei wie akademische Institutionen oder staatliche. Der Beirat macht einen Vorschlag, welche kulturhistorischen Orte im Projekt „CyArk 500 Challenge“ erfasst werden sollen, basierend auf Kultur, Geografie, Alter und so weiter, und wir richten uns danach. CyArk möchte ein Archiv errichten, das alle Kulturen reflektiert und das sicherstellt, dass wir proaktiv nach Orten suchen, die am größten von einer Zerstörung bedroht sind und am dringendsten digital erfasst werden sollten.
Elizabeth Lee ist Vizepräsidentin von CyArk, eine internationale Non-Profit-Organisation mit der Mission, das kulturelle Erbe der Welt zu erfassen, zu archivieren und virtuellen Zugang zu ermöglichen. Ihre Expertise umfasst das Entwickeln von internationalen Partnerschaften mit dem Einsatz technologieorientierten Lösungen für Bildung, Tourismus und zum Schutz des kulturellen Erbes. Als ursprünglich studierte Archäologin mit Erfahrung bei Ausgrabungen in der Türkei und in Ungarn, wendet sie bereits über ein Jahrzehnt die 3-D-Erfassungstechnologie im kulturellen Bereich an. Sie hat über 100 Projekte mit mehreren Kulturministerien, der UNESCO und Technologieunternehmen wie Microsoft, Autodesk, Seagate und Iron Mountain durchgeführt.