Emre Erkal: „Kunst kreiert neue Schauplätze“

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Ob Klanginstallationen, audiovisuelle Performances, Soundtracks, Ambientsounds oder experimentelle Computerkompositionen – in der Kategorie „Digital Musics & Sound Art“ des Prix Ars Electronica haben viele verschiedene hörbare Formate Platz. Der Architekt und Soundkünstler Emre Erkal ist einer der JurorInnen, die in wenigen Wochen nach Linz reisen werden, um gemeinsam die Gewinnerin oder den Gewinner der Goldenen Nica 2017 zu bestimmen. Reichen Sie also noch schnell bis zum 13. März 2017 ihr Medienkunstwerk ein: https://ars.electronica.art/prix und lesen Sie bis dahin noch ein Interview, das wir mit Emre Erkal geführt haben und in dem er über seine zentralen Bewertungskriterien, über die Verbindungen von Architektur und Klang sowie über die Trends künstlicher Intelligenz bei der Klangproduktion spricht.

Sie sind Architekt und Soundkünstler – was haben diese beiden Bereiche eigentlich gemeinsam?

Emre Erkal: Also die wesentlichen Gemeinsamkeiten von Architektur und Sound drehen sich um den Begriff des Raumes, der in der Architektur der Gegenwart einen zentralen Platz einnimmt. Klangkunst, die Raum schaffen will oder in einen Raum eingreift, hat mehrere Überschneidungen mit dem architektonischen Schaffen. Es gibt auch andere gemeinsame Zugänge wie die Entdeckung der akustischen Umgebung: Die Klanglandschaft ist ein integraler Bestandteil unserer Welt. Das sind die wahrnehmbaren und strukturellen Verbindungen zwischen den beiden Bereichen.

Es gibt natürlich noch mehr als die strukturellen Verbindungen – symbolische Verbindungen zum Beispiel. Sound und Musik haben ein ganz großes Potential für solche symbolische Verbindungen mit allen Aspekten der physischen und fantasievollen Welt. Ein Großteil dieser Symbole steht in Zusammenhang mit dem Urbanen. Städtische Kultur sowie persönliche Geschichten spielen sich in Räumen ab, in räumlichen Konfigurationen, räumlichen Mustern und Verzierungen. Diese Resonanzen haben bereits viele KünstlerInnen inspiriert.

Können Sie uns als Juror der Kategorie “Digital Musics & Sound Art” bereits sagen, worauf Sie besonders hinhören werden?

Emre Erkal: Es gibt einen guten Grund, warum Entscheidungen dieser Art von Jurys getroffen werden. Jedes einzelne Jurymitglied kann verschiedene Ansichten über viele der Werke haben und das ist meistens eine Bereicherung. So kann ich hier nur für mich antworten.

Eine gute Arbeit kann von überall kommen und beliebige Eigenschaften haben, aber bei dieser Auszeichnung könnte man sagen, dass mehrere bestimmte Dimensionen wichtig sind. Neuheit und Innovation – das sind wohl die wichtigsten dieser Dimensionen. Das bedeutet aber auch, dass die oder der KünstlerIn eine gewisse Menge an Risiko auf sich nimmt. Woher kommt diese Innovation? Das muss die oder der KünstlerIn erforschen. Scharfsinn spielt eine wichtige Rolle, aber meiner Ansicht nach könnte dieser Scharfsinn in gewisser Weise einem experimentellen Spürsinn geopfert werden.

Der technische Prozess ist traditionellerweise wichtig für die Ars Electronica, da die besten Arbeiten ganz klar eine erfolgreiche Erforschung eines neuen künstlerischen Zugangs aufweisen. Diese Arbeiten gehen auch über die reine Erforschung hinaus und demonstrieren und vermitteln zusätzlich die Einstellung, dass neu beschrittene Wege es wert sind von noch mehr KünstlerInnen erforscht zu werden. Das kann eine eigentümliche und persönliche Geschichte sein, aber auch eine Art „Proto-Methodologie“ für eine Gesellschaft von KünstlerInnen und Fachleuten.

„Wie auch immer, wir sollten uns stets bewusst sein, dass ein absichtliches Streben nach solch virtuellen Maßstäben nicht automatisch zu einem erfolgreichen Ergebnis führen kann. Die besten Arbeiten sind immer noch die, die von künstlerischen Impulsen angetrieben werden.“

Heute werden Musikstücke und Sounds von Menschen komponiert und kreiert, die Instrumente und Software steuern. Wird uns künstliche Intelligenz in Zukunft in dieser Rolle überlegen sein? Welche Trends sehen Sie in diesem Bereich?

Emre Erkal: TheoretikerInnen der Künstlichen Intelligenz (AI) haben diese in zwei große Gruppen eingeteilt: Die starke AI strebt nach dem grandiosen Ziel, eine unabhängige Intelligenz zu schaffen, wie es wir Menschen sind. Eine schwache AI hat sich weit niedrigere Ziele gesteckt – sie agiert in streng definierten Bereichen, bei denen es schon zuvor Intelligenz brauchte, wie beispielsweise das Schachspielen.

Wenn wir die breite Definition von Musik und Klangkunst heranziehen, könnte es bei einer starken AI darum gehen, eine eigenständige musikalische Intelligenz und Kreativität zu schaffen: Also sozusagen fast eine Art digitale und unsterbliche Kopie eines Beethoven. Damit dies aber auch Wirklichkeit werden kann, braucht es meiner Meinung nach einen Effekt des “Schwarzen Schwans” in der Kunst, nämlich das unerwartete Auftreten einer Überschreitung – und das ist heutzutage im Computerbereich sehr schwierig, dies zu erreichen. Und es wird noch lange dauern, bis das jemals geschieht. Kunst schreitet nicht mit einer Erschöpfung und Neuindizierung von vordefinierten kategorischen Informationen voran.

„Kunst kreiert neue Schauplätze – und bisher ungeahnte Kategorien -, genauso wie sich die menschliche Existenz entwickelt. Und es sind die menschlichen Wesen, die im Laufe der Zeit eine Veränderung als sinnvoll betrachten oder nicht.“

Ich kenne einige maschinelle Lerntechniken in der Klangverarbeitung, obgleich sie auch nur selten in der Kunst zum Einsatz kommen. Es gibt einige Errungenschaften, wenn solch eine Verarbeitung auf eine sehr kontrollierte Weise beschränkt wird. Zum Beispiel auf die Erkennung und Wiederherstellung eines Klangelements, das quantifiziert werden kann wie beispielsweise Sprechgeräusche.

Wenn man diesem Strang folgt, erinnert man sich schnell auch an Brian Enos Koan-Musik oder an frühere Forschungen in den Bereichen des Künstlichen Lebens und der Musik. Diese Forschungen haben uns aber etwas anderes beigebracht: Wenn wir unsere Ohren öffnen und auf eine Art und Weise zuhören, ohne etwas vorauszuahnen, entdecken wir neue Wunder und betrachten diese als musikalisch wertvoll. Darum wird das Meiste, das wir zum ersten Mal hören, uns ersuchen, unsere Denkweisen zu ändern.

Schließlich gab es vor kurzem eine heftige Debatte über die Künstliche Intelligenz, die mit den Errungenschaften in der Quantifizierung zu tun hat. Die Erfolge dieses “Deep Learning” scheinen den Unterschied zwischen zwei Zielen der AI verschwimmen zu lassen: Einerseits wird behauptet, dass die bloße Verbreitung von optimierten Techniken schwacher AI eines Tages die menschliche Intelligenz entschlüsseln könnte. Diese Ansicht geht aber davon aus, dass eine statistische übergeordnete Auswertung – unabhängig von ihrem Inhalt – ausreicht, um Intelligenz zu schaffen. Ich persönlich denke, dass sich solch ein Projekt, das diese Ebene einer kompletten künstlichen Intelligenz erreichen möchte, und dabei nicht mit dem Inhalt in Berührung kommt, asymptotisch gleichbedeutend ist mit der Schaffung von etwas, das menschlich ist – was auch immer das bedeuten könnte.

Es gibt noch ein weiteres Problem, das nicht überall geäußert wird: Das Gleichsetzen digitaler Daten mit der realen Welt. Ich denke, es gibt noch viel darüber nachzudenken.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, einen eigenen Ort für Ihre Soundinstallationen zu schaffen, wie würde dieser aussehen?

Emre Erkal: Es sind die visuellen Aspekte von Räumen, die heutige internationale Kulturen am meisten prägen. Deswegen ist es für uns meist wichtiger, wie Räume aussehen als wie sie sich anhören. Aber das Hören hat natürlich auch eine erhebliche Wirkung. Deshalb ist es interessant, wie die beiden (oder mehrere) Modalitäten aneinander prallen oder gegenseitig in Resonanz treten, und verschiedene oder zusammengehörige Geschichten erzählen. Bei mehreren Installationen habe ich gut überlegt die visuellen Aspekte bewusst betont und bei anderen steckte keine absichtliche Entscheidung dahinter.

Hier möchte ich eine ganz besondere Reihe an Arbeiten erwähnen, die sich mit der Suche nach Schallinterventionen in verschiedenen architektonischen Skalen beschäftigten. Meine ersten Werke spielten sich noch in der Dimension eines Raumes ab. Natürlich wurde Raumakustik für den Klang wichtig, um ihn auf dieser Skala sinnvoll einsetzen zu können. Dann wagte ich mich auf und ab: Ich versuchte die Maßstäbe auf die Stadt und den menschlichen Körper zu setzen und dabei Klangereignisse zu entdecken. Bei diesen Skalen tauchten verschiedene Aspekte des Klanges auf, die für mich wichtig waren.

Auf dem Maßstab eines Raums versuchte ich, die Körper der BesucherInnen mit einem Spiel einzubinden. In einer Installation im Topkapi-Palast in Instanbul (intersection, 2004) konnten sie Aluminiumrohre drücken und ziehen, um einen Raum zu betreten, der sie dabei zwang, eine Klangfolge zu erzeugen, die dann dazu als Basis für eine Manipulation genutzt wurde. In einer weiteren Installation in Antwerpen (slow-wave-tube, 2008) innerhalb eines Tunnels, mussten die BesucherInnen auf hölzerne Planken steigen und sich eng aneinander bewegen, damit ein Schritt eine mechanische Schallwelle hervorbrachte, die sich im Gang dank Elektronik hin und her bewegte. Die BesucherInnen hatten unheimlichen Spaß darüber zu laufen und von einer herumschwirrenden Klangwelle verschlungen zu werden. Das hat dann bis zur Eröffnung gehalten.

Emre Erkal

Emre Erkal ist Architekt und Klangkünstler. Nach seiner Ausbildung zum Elektroingenieur arbeitete er an Forschungsprojekten in den Bereichen künstliche Intelligenz, Kognitionswissenschaft und interaktive Technologien. Das Studium der Architektur absolvierte er in Harvard, während er gleichzeitig bereits an Forschungsprojekten am MIT Media Lab mitarbeitete. Seine Projekte für Wettbewerbe im Bereich Architektur und Stadtplanung sowie seine in diversen Ländern realisierten Gebäude wurden mehrfach ausgezeichnet. Seine Entwürfe wurden in interaktiven Medien in der Türkei und den USA gezeigt und seine Klang-Raum-Installationen bei Festivals und in renommierten Institutionen präsentiert, wie Biennale von Istanbul, ZKM, Mediamatic und NAiM, dem Niederländischen Institut für Architektur. Er wirkte als Gutachter, Jurymitglied oder Moderator an Events wie ISEA, SIGGRAPH und Ars Electronica mit und ist Mitbegründer von NOMAD (2002), einer Initiative für digitale Kunst und Kultur in Istanbul.

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