Berührende Geschichte(n) einer Online-Patientenplattform

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Die Zeiten der Autoritätsgläubigkeit wirken noch nach, aber der Glaube in die eigene Kraft, Dinge zu bewegen hat die frühere Ohnmacht besiegt- eine Feststellung, die mit der Zunahme digitalen Vernetzung an Tiefe gewinnt. Im Fall der Online Plattform Patient Innovation gewinnen Menschen, die jenseits der Schulmedizin nach Lösungen für ihre oder die Krankheit eines oder einer Angehörigen suchen. Als Teil der Ausstellung „Beyond The Lab: The DIY Revolution“ hat sie Bewusstsein für das wachsende Bedürfnis nach Unabhängigkeit von medizinischen Expert/-Innen geschaffen. Die von SPARKS ins Leben gerufene Wanderausstellung, die bis  im Ars Electronica Center in Linz bis 04. Juni zu sehen ist, zeigt mit dem Ansatz der portugiesischen Akteure hinter „Patient Innovation“ allerdings ein Beispiel bei dem WissenschaftlerInnen und praktizierende Mediziner/-Innen  im Dienst des Austauschs von Betroffenen handelt. Die Verzahnung setzt bei der Sorgfaltspflicht ein, wo ein Gremium von Spezialist/-Innen die Seriosität bzw. Machbarkeit prüft und eine Gesundheitsstiftende Kontrollfunktion übernimmt. Aufgebaut wie ein soziales Netzwerk, das es jedermann und jederfrau erlaubt einen Account anzulegen um Lösungen für Krankheitsbilder und Wissenswertes zum Thema Innovationen im Gesundheitswesen zu posten, braucht es die Checkliste einer Redaktion was die Zulässigkeit angeht und eine Bewertung der Community wie hilfreich der jeweilige Beitrag ist.

Die Menschen hinter Patient Innovation Рein Gremium von medizinischen Fachleuten (2.v.l. Ana Duarte (Public Relations), Pedro Oliviera (5. v.l. ) und Helena Canḥo (3.vr.) Credit: Patient Innovation

Seit dem Launch am 07. Februar 2014 ist die Plattform um die Gründer Prof. Pedro Oliveira und Prof. Helena Canhão stetig gewachsen, bekam nicht nur eine massive Unterstützung von den unterschiedlichsten und prominentesten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, sondern auch von Patient/-innen und deren Verbände aus aller Welt. Die erweiterte Perspektive hilft nicht nur denjenigen, die mit einer häufig auftauchenden Krankheit behaftet sind, sondern ist eine Hoffnung vor allem für jene, die unter einer seltenen  Beeinträchtigung leiden. Auf eine simple Formel gebracht kann die Lösung für den oder die einzelne(n) der passende Ansatz für eine ganze Gruppe von Leidensgenoss/-innen bedeuten. Was die Verbreitung  der innovativen Patientenplattform an revolutionären Errungenschaften hervorgebracht hat erzählen Mit-Innitiatorin Prof. Helena Canhão und Solutions Analyst und Communications Manager Ana Duarte in folgendem Interview.

Bei der Eröffnung der Ausstellung „Beyond The Lab: The D.I.Y. Revolution erklärt die Projektleiterin, Maria Pfeifer, den Besuchenden den Ansatz hinter der Patient Innovation Online-Plattform. Credit: Patient Innovation

Auf welche Art und Weise hat sich Euer Leben seit dem Launsch verändert? Bleibt bei dem sich einstellenden Erfolg überhaupt noch Zeit um den täglichen Verpflichtungen außerhalb von Patient Innovation zu widmen?

Ana: Die Plattform hat tatsächlich seit ihrer Inauguration eine rasante Entwicklung durchgemacht. Vor dem Launch war es eine kleine Seite mit ein paar Lösungen für Patient-Innen. Nach Februar 2014 aber wuchsen die Beiträge exponentiell zuerst auf 200, im darauf folgenden Jahr brachen wir die 500er Marke und nun stehen wir bei bereits bei über 650 Patient/-innen-Lösungen. Dazwischen liegen noch die Preisverleihungen zweier Patient Innovation Awards 2015 und 2016, bei denen sechs bzw. sieben Gewinnerinnen und Gewinner für ihre Erfindungen im medizinischen Bereich aus unserer Community gekürt wurden. Diese sind außer Patientinnen selbst Betreuer- und Zuarbeiter/-innen, die je nach Einfluss ihrer Erfindung auf die Krankheit und bezüglich des Novelty-Faktors ausgezeichnet wurden. Letztes Jahr sind die Ehrungen während des Web Summit in Lissabon abgehalten worden, Europas größtem Tech-Event. Die Gewinnerinnen und Gewinner stammen aus aller Herren Länder, wie Israel, den Niederlanden, England, Russland und den U.S.A.. Schließlich wurden wir auch Teil der „Beyond The Lab“ Ausstellung, die wirklich ein gutes Pressefeedback hat und zur Verbreitung unserer Idee beiträgt. Wir haben bis jetzt Patientinnen-Beiträge aus 50 verschiedenen Ländern weltweit. Es braucht natürlichen einen hohen Organisationsgrad um das ganze Aufkommen mittlerweile zu managen und während andere das an Wochenenden machen, bin ich zum Beispiel Vollzeit mit Patient Innovation beschäftigt.

 Studierende am Junior Enterprises of the Higher Technical Institute (JUNITEC ) entwickelten über ein Jahr Lang eine austauschbare Wärmetasche.Credit: Patient Innovation

Verglichen mit kommerziellen Austauschplattformen oder Social Media ist Eure relativ neu… warum hat es Eurer Meinung so lange gedauert bis jemand wie ihr auf den Gedanken kam im Gesundheitsbereich etwas Vergleichbares zu machen?

Helena: Das beruht wohl auf einem Sicherheitsproblem. In anderen Bereichen kannst Du alles Mögliche hochladen. In der Medizin aber braucht es jemanden der die Sachen prüft, die nicht medizinisch erprobt sind, sonst gäbe es wohlmöglich eine Menge unausgereifter Ideen, die zu Selbstversuchen und letztendlich Todesfällen führen würden. Am Anfang unserer Tätigkeit waren eine Menge Ärzte argwöhnisch, warum sollte man Patient/-Innen Lösungen finden lassen? Wir sind selbst ziemlich vorsichtig bei Vorschlägen, Dinge die man per Mail bestellen und sich unter die Haut schieben kann, die sozusagen invasiv sind; manche von diesen können vielleicht wirklich ziemlich hoffnungsvoll sein, aber ohne es geprüft zu haben, würde ich einen Post der davon handelt tunlichst vermeiden.

Die austauschbare Wärmetasche hilft Patent/-Innen mit der Charcot-Marie-Tooth-Nervenkrankheit. Credit: Patient Innovation 

Sehen die Experten und Expertinnen die Erfindungen der Patienten und Patientinnen eventuell auch als Konkurrenz?

Helena: Das denke ich weniger… Es gibt zwei Sichtweisen: Dass es nur Doktoren gestattet sein soll zu verschreiben, weil „einfache“ Leute nicht das Wissen über Medizin haben können. Das ist der konservative Kanon Die andere, progressivere Betrachtung ist zwar pro Erfindungsreichtum und Laientum, aber die Befürworter/-Innen dieser Haltung sind trotzdem besorgt, dass etwas Ungetestetes Schaden verursachten kann. Wir als Professionist/-Innen sind sehr überzeugt davon, dass die Einführung von Medikamenten eine Menge Tests durchlaufen muss, bevor sie am Markt erhältlich sind. Wir haben allerdings die ursprünglichen Zweifel ausgeräumt als wir zeigten, dass nur Projekte und Ideen veröffentlich werden, die die bestehende medizinische Produktpalette erweitert und deshalb unbedenklich sind. Bei Krankheiten wo die Physiologie des Menschen betroffen ist, gibt es kleine Dinge, die das Repertoire ergänzen und auf geniale Weise verbessern.

Ivan Owen erschuf eine erschwingliche und maßgeschneiderte Handprothese, die mit einem 3-D-Drucker gefertigt wurde. Die Finger lassen sich mit den Bewegungen des Handgelenks steuern.  Credit: Patient Innovation 

Wie sieht Eurer Meinung die Zukunft des Gesundheitswesens bezüglich Entwicklungsarbeit aus?

Helena: Unser Ansatz der außerdisziplinären Entwicklungsarbeit wird nicht nur bleiben sondern wachsen. Zum Beispiel haben wir letzte Woche einen Post von einem in Portugal sehr bekannten Ingenieur erhalten. Er hat ein Gerät entwickelt um Herzrythmusstörungen nachzuweisen und zwar ganz einfach über den Finger. Bevor er zum Doktor ging hat er sich selbst überwacht. Ich verfolge die Entstehung schon über drei vier Jahre, aber niemand sonst hat irgendetwas davon mitbekommen, weil er das Gerät nur als Entwickler aber nicht als Patient beworben hat. Seine Art von Herzrythmusstörung ist nicht gefährlich und taucht nur sporadisch auf. Wäre er mit der Beschwerde zum Cardiologen gegangen, hätte er ein Cardiogram gemacht bekommen und man hätte ihn mit dem Befund „normal“ heimgeschickt, da die Abweichung wirklich nur sehr selten auftritt. Vielleicht hätte ihm der Doktor Lexotanil (ein Mittel gegen nervöse Störungen) verschrieben, aber das hätte in seinem Fall keine Lösung gebracht. Was er mit seiner Erfindung erreicht hat ist beispielhaft, nämlich einen Befund nachzuweisen, den die Experten nicht auf dem sprichwörtlichen Schirm hatten. Vor allem ist seine Methode gegenüber einem einwöchigen Cardiogram überhaupt nicht kostenintensiv. Eine derartige Herzrhythmus-Messung wird auch nur durchgeführt wenn ein erhärteter Verdacht vorliegt. Wir können anhand solcher Beispiele davon ausgehen, dass mehr und mehr korrekte Diagnosen getroffen werden können. Wir als Ärztinnen und Ärzte arbeiten aus Rentabilitätsgründen mit Befunden, die lediglich auf eine Mehrheit zutreffen, das heißt unsere Voraussagen und Maßnahmen gelten vielleicht für 99% aller Menschen, die mit einer Beschwerde zu uns kommen. Aber das eine Prozent mag damit nicht gut bedient sein.

Bei den Patient Innovation Awards werden die besten Ideen von einrichenden PatientInnen prämiert.

In der Ausstellung „Beyond The Lab“ wird mit künstlerischen Mitteln auch die Frage nach Selbstoptimierung gestellt. Der alte Menschheitstraum vom Auswechseln der natürlichen Schwachstellen, der ewigen Jugend und so weiter. Wie denkt Ihr darüber?

Ana: Wir befinden uns durch die Wissensvermehrung schon auf dem Weg der Verbesserung von Lebensqualität und die Menschen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand, aber wir sind weit davon entfernt unzerstörbar zu sein. Die Leute haben eine Meinung, eine Stimme und nehmen nicht all das hin was ihnen die Medizin sagt.

Aber seht ihr eine Zukunft wie in Science Fiction, in der wir halb Maschine halb Mensch sein werden, wo die natürlichen Schwachstellen durch Technologie ersetzt werden, für möglich?

Helena: Ich denke die Natur wird diese Entwicklung ausbalancieren, weil Viren und Bakterien auch immer resistenter werden und die Menschheit damit zu kämpfen hat. Probleme wie die keimhemmende Resistenz und Epidemien gegen die wir noch kein Rezept haben, arbeiten gegen die Unsterblichkeitsutopie. Außerdem sind die Folgen der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung noch nicht abzusehen. Technologie hat dazu geführt, dass Menschen besser informiert sind aber die Ausdifferenzierung wer Zugang zu Spezialwissen und die Mittel dieses anzuwenden hat, nimmt ebenfalls zu. Der Graben zwischen den Menschen ist eher größer geworden.

Einer der GewinnerInnen des Patient Innovation Awards ist der enorm erfindungsreiche Giesbert Nijhuis, der seit dem Unfall mit 26 Jahren bereits schulterabwärts gelähmt ist.

Gab es jemals ein Projekt, das außerhalb Eurer Vorstellung lag, so dass es Euch umgehauen hat?

Ana: Wir haben einen sehr speziellen Fall, der auch einen Preis beim Patient Innovation Award gewonnen hat, ein Patient aus den Niederlanden. Er ist vom Kopf an gelähmt und kann lediglich seine Schultern ein ganz wenig bewegen. Folglich hat er ein System entwickelt, um im Bett liegend am Computer arbeiten zu können. Er kann fotografieren indem er lediglich das Kinn bewegt, modifizierte kürzlich seinen Rollstuhl, die Lehne, die Reifen… er hat sogar eine Webseite kreiert ohne seine Hände benutzen zu können, auf der sich Leute mit ähnlichen Problemen austauschen können – er schrieb sogar eine Software, die es ihm erlaubt die Maus nur mit Kopfbewegungen zu steuern. Damit war es ihm möglich ein Video zu scheiden, das ihn bei der Preisverleihung zeigt, es ist wirklich beeindruckend.

Helena: Er konnte nicht zur Preisverleihung kommen, da Reisen für ihn so beschwerlich ist, also hat der niederländische Botschafter statthalber den Preis für ihn in Lissabon vom portugiesischen Forschungsminister entgegengenommen. Giesbert – so sein Name – ist deshalb so bemerkenswert weil er bis zu seinem Unfall, das heißt bis zu seinem 26. Lebensjahr, völlig gesund war. Jemand, der einen solchen Einschnitt in dieser Weise wegsteckt ist ein leuchtendes Beispiel für alle jene, die mit ihrem Schicksal kämpfen.

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