„Rock Print“: Bauen mit Faden und Kies

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Eine Schicht Kies, eine Schicht Faden. Eine Schicht Kies, eine Schicht Faden. Immer und immer wieder führt der große Roboter die scheinbar selben Bewegungen aus. Vor ihm wächst langsam eine Struktur in den Himmel, größer als ein Mensch, am Ende vier Meter hoch. Zusammengehalten wird sie bloß von diesem Faden, weder Mörtel, Verbindungsmittel oder Schalung schützen den Kies.

Das ist „Rock Print“, ein Forschungsprojekt von Gramazio Kohler Research an der ETH Zürich und dem Self-Assembly Lab unter der Leitung von Skylar Tibbits am MIT. Mit ihrem bahnbrechenden Ansatz gewannen die beiden kollaborierenden Forschungsgruppen dieses Jahr den STARTS Prize in der Kategorie „Innovative Collaboration“. Beim Ars Electronica Festival 2017 wird der Roboter live eine Struktur bauen, die über fünf Tage lang wächst und wächst – bis am Ende schließlich der Faden gezogen wird und sich das Bauwerk wieder in seine Ausgangsmaterialien verwandelt.

Professor Matthias Kohler und Professor Fabio Gramazio von der Forschungsgruppe Gramazio Kohler Research erzählen uns im Interview mehr.

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Credit: Gramazio Kohler Research

Sie haben bereits vor dem STARTS Prize mit Ihrer Arbeit an der ETH Zürich große Anerkennung gefunden. Können Sie uns kurz von Ihrem Institut und Ihrer Arbeit erzählen?

Matthias Kohler: Fabio Gramazio und ich haben unsere Forschung an der ETH im Jahr 2005 begonnen, das heißt wir sind jetzt in unserem zwölften Jahr. Wir begannen ganz klein mit einer minimalen Assistenzprofessur und wurden inzwischen zur Vollprofessur ernannt. Durch das Thema der digitalen Fertigung, durch diese Frage, wohin das in der Architektur, im Bauwesen oder in der Gestaltung der Zukunft unserer Lebensräume führt, ist unsere Professur stark gewachsen. Auch international passiert hier inzwischen sehr viel Forschung. Unsere Professur hat mittlerweile eine Größe von fast 30 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf unterschiedlichen Ebenen, die Projekte sowohl im klassisch-wissenschaftlichen Kontext machen, aber auch immer wieder im Kunstkontext, um dort die Grenzen zu verschieben.

Wie wichtig ist Ihnen die Anwendbarkeit der Projekte? Ist das etwas, das erwartet wird, oder gibt es auch den Auftrag, zuerst einmal möglichst weit in die Zukunft zu blicken?

Fabio Gramazio: Das ist unterschiedlich. Für uns als Architekten ist die Materialisierung zentral. Matthias und ich, wir kommen sehr stark sowohl aus dem Digitalen wie auch aus der klassischen Architektur. Wir haben in den 90er-Jahren Architektur studiert und machten uns zur Jahrtausendwende zum Programm, das Digitale zu materialisieren. Diese Möglichkeiten der Programmierung oder der Manipulation der Daten in physische Form oder in Architektur zu übersetzen, das ist uns wichtig. Sobald sich etwas materialisieren lässt, ist es für uns der erste Schritt, aus einer architektonischen Perspektive eine Synthese aus architektonischem Wert oder Mehrwert, Gestaltung, Prozess, Automatisierung und all dem, was zusätzlich mitschwingt, zu schaffen. Bei gewissen Technologien ist es auch entscheidend, dass es nicht nur bei Installationen bleibt, sondern die Ideen schließlich in die Bauindustrie fließen und zur Anwendung kommen können. Da die Bauindustrie eine so komplexe und heterogene Industrie, ist uns bewusst, dass das eine Politik der kleinen Schritte sein muss. Kleine, technische Fortschritte und deren Anwendung geschehen gleichzeitig mit Visionen und mit der Materialisierung von Utopien. „Rock Print“ ist irgendwo dazwischen. Es ist etwas, das sehr viele Möglichkeiten eröffnet, aber gleichzeitig auch einen langen Weg in die Praxis vor sich hat.

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Credit: Gramazio Kohler Research

Woher kommen die Impulse für Ihre Projekte?

Matthias Kohler: Je nach Projekt gibt es unterschiedliche Inspirationsquellen. Im Fall von „Rock Print“ war es tatsächlich eine wissenschaftliche Inspiration. Es gab Konferenzen zu diesem Thema des sogenannten „Jamming“, wo es darum ging, dass sich gewisse Materialien unter Krafteinfluss nicht mehr bewegen können, kurzzeitig stabil werden und schließlich, wenn diese Krafteinflüsse wegfallen, wieder flüssig werden. Das ist ein wissenschaftliches Prinzip, das schon seit Jahren untersucht wird. Daraus entstand die Frage, ob dieses Prinzip auch tatsächlich im Maßstab der Architektur gelingt und wie man so etwas übersetzen könnte. Aus dieser Fragestellung wuchs das Projekt. Natürlich gibt es noch weitere Fragestellungen hinter „Rock Print“ – kann man ein Material sozusagen temporär in ein Gebäude verwandeln und danach wieder zurückführen in das Rohmaterial, das es einmal war? In diesem Fall sind das ein Faden und Kies, Material also, das überall auf der Welt zur Verfügung steht, keine Hochleistungsmaterialien. Eine große Motivation hierfür ist natürlich auch der Gedanke der Nachhaltigkeit und die Frage, wie man in Zukunft bauen kann, ohne viele Ressourcen zu verschwenden oder Material durch den Bauprozess niederwertiger zu machen.

Mit „Jamming“-Prozessen zu überlegen, wie das in der großen Skalierung für ein Bauwerk funktionieren könnte, ist sehr spannend. Ist das Ihr Charakter, nicht zufrieden zu sein mit dem, was möglich ist, oder woher nehmen Sie diese Motivation?

Fabio Gramazio: Das hängt sicher mit unserem Werdegang zusammen, aber auch an der Realität der Bauindustrie, die durch ihre Komplexität und ihre Heterogenität natürlich sehr eingeschränkt in den Möglichkeiten ist. Wir denken, dass die technologischen, aber auch intellektuellen Möglichkeiten unserer Zeit für eine zeitgemäße Interpretation der Architektur und der Bauprozesse sprechen und dass jetzt der richtige Moment dafür ist. Jetzt muss man über den Tellerrand hinausschauen. Wor nennen das „Demonstratoren“: sobald etwas physisch in den Raum gesetzt ist, ist es etwas, das man nicht ignorieren kann. Das spricht Architekten, Architektinnen und die Bauindustrie natürlich viel stärker an als abstrakte Ideen. Deshalb ist uns dieser Schritt extrem wichtig, bei dem wir uns sehr weit hinauswagen. So hat unsere Arbeit einen Impact auf die Diskussion und längerfristig auch auf die Industrie hat. Ich würde sagen, dass uns mittlerweile durch diese Tradition, die wir aufgebaut haben, interessante Mittel zur Verfügung stehen. Die Interdisziplinarität ist natürlich zentral, das sieht man an der Entwicklung der letzten zwölf Jahre. Am Anfang standen Experimente mit Industrierobotern, die wir alleine umsetzen konnten. Mit der Zeit hat sich das erweitert, weil gewisse Projekte sehr intensive und offene Zusammenarbeit mit Spezialisten und Spezialistinnen erfordern, und erfolgreich zu sein und sich materialisieren lassen zu können. Diese Arbeit knüpft direkt an die Tradition der Architektur an, in der Architekten und Architektinnen für Synthese zuständig sind. Man muss wild sein, aber gleichzeitig auch kompetent genug, um die verschiedenen Zeichen der Zeit zu lesen, sie zusammenzuführen und am Ende ein Biotop zu schaffen, in dem diese Kooperation erfolgreich sein kann.

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Credit: Gramazio Kohler Research

Was bringt die Zukunft für Sie beide? Gibt es schon neue Projekte, an denen Sie arbeiten?

Matthias Kohler: Ja, es gibt einige konkrete Szenarien, an denen wir arbeiten. Einerseits sind wir daran interessiert, Arbeiten, die bislang in der Forschung erprobt worden sind, auf einen Architektur-Maßstab zu bringen, wie das auch mit dem Projekt „Rock Print“ ein Stück weit gemacht wird. Ist es möglich, so eine Struktur zu bauen, die aber auch ästhetisch ist? Bei „Rock Print“ ist interessant, dass die Charakteristik des Kieses bestehen bleibt und wir mit dieser überraschenden Bauweise vielleicht in der Zukunft gar eine bewohnbare Struktur errichten könnten. Schon wegen der Sicherheitsvorkehrungen ist das nicht ganz trivial, es ist auch nicht leicht zu berechnen. Mit solchen Herausforderungen werden wir uns in Zukunft beschäftigen, um zu sehen, ob ein solches Projekt auch in einem größeren Maßstab umgesetzt werden kann. Gleichzeitig werden wir Projekte angehen, die Fragestellungen wie bei „Rock Print“ auf die Spitze treiben. Wir denken, dass das für die Entwicklung einer zukünftigen digitalen Baukultur wichtig ist.

Gramazio Kohler Research, ETH Zurich (CH): Die Forschergruppe an der ETH Zürich unter der Leitung von Prof. Matthias Kohler und Prof. Fabio Gramazio leistet seit ihrer Gründung im Jahr 2005 Pionierarbeit in den Bereichen Robotik und digitale Fertigung in der Architektur. Mit ihren robotischen Labors und ihren Projekten, die von Prototypen bis zu Bauelementen reichen, haben sie ArchitektInnen ebenso wie WissenschaftlerInnen inspiriert, die Möglichkeiten des Industrieroboter als universell einsetzbares Werkzeug des digitalen Zeitalters zu erforschen.

„Rock Print“ wird an allen fünf Festivaltagen im 1st floor der POSTCITY Linz als Teil der STARTS Prize Exhibition zu besuchen sein. Um mehr über das Festival zu erfahren, folgen Sie uns auf FacebookTwitterInstagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/ai/.

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