„Etsuko Yakushimaru steht beispielhaft für eine neue Generation junger KünstlerInnen, die sich frei zwischen den Welten der Kunst, der Popkultur, der Performance, der Wissenschaft und der Technologie bewegt“, so das Urteil der STARTS Prize Jury 2017. Zunächst komponierte die Künstlerin ihren Popsong „I’m Humanity“, den sie schließlich in DNA, konkret in die Nuklein-Sequenz von Cyanobakterien umwandelte. Dieser DNA-Sequenz wurden Makromoleküle hinzugefügt, die für die Weitergabe genetischer Informationen von einer Generation zur nächsten verantwortlich sind, alles zusammen wurde wieder in die Chromosomen von Cyanobakterien.eingepflanzt. Derart genetisch verändert, trägt der Mikroorganismus nun codierte Musik in seiner DNA und vererbt diese Information an die nächste Generation. Sollte die Menschheit irgendwann aussterben und die Cyanobakterien weiterexistieren, kann eine zukünftige Spezies aus ihnen den Code unserer Musik gewinnen.
„I’m Humanity“ hat den STARTS Prize 2017 in der Kategorie “Artistic Exploration” erhalten. Wie sind Sie als Musikerin auf die Idee gekommen, DNA als Medium für Musik zu nutzen?
Etsuko Yakushimaru: Ich glaube, dass Musik eine Art Funktion ist, die von den EmpfängerInnen aktiviert wird. Als Musikerin mache ich nichts anderes als Schalter oder Trigger zu kodieren, damit, wenn Sie so wollen, die Musik aktiviert werden kann. Die Funktion wird durch die Art und Weise bestimmt, wie der in der DNA geschriebene Code als Proteine codiert und gefaltet wird. Es gibt so etwas, das Sequenz genannt wird, dessen Funktionen bis heute noch nicht verstanden werden. Gene sind nicht absolut sondern es sind Dinge, die Mutationen durchlaufen, da sie von Veränderungen in der Umwelt betroffen sind. Ich habe solche Funktionen und Phänomene immer als etwas empfunden, das sehr viel mit mir zu tun hat, und so war es nur ein logischer Schritt, dass ich zu dieser Idee gekommen bin.
„l’m Humanity“ basiert auf dem Konzept der „Post Humanity Music“ – worum geht es dabei?
Etsuko Yakushimaru: Als ich Musik als ein Merkmal erkannte, das je nach EmpfängerIn in verschiedenen Formen auftaucht, fühlte ich, dass ich mich nicht nur darauf beschränken wollte, menschliche „EmpfängerInnen“ damit zu erreichen. Ich wollte die Musik noch weiter verbreiten. Die Aufzeichnungsmedien, die wir heute hauptsächlich verwenden, halten nicht lange genug, um Musik an eine posthumane Spezies zu verbreiten. Da die Lebensdauer der DNA jedoch weit über der der vorhandenen Aufzeichnungsmedien liegt, kann man sagen, dass die DNA unübertroffen das beste Medium zur Realisierung dieses Konzepts ist.
Nach dem Aussterben der Menschheit wird es eine nachmenschliche Spezies sein, die die Menschheit aus ihren Ruinen lesen wird. So wie die Menschheit heute über die Möglichkeiten der DNA nachdenkt und davon träumt, da seine Funktionen noch unbekannt sind, wird die posthumane Spezies darüber nachdenken, wie sie „I’m Humanity“ aktivieren kann, und das ist ein wirklich aufregender Gedanke für mich.
Credit: MIRAI records / Foto: MIRAI seisaku
Die Lebensdauer der DNA als Aufzeichnungsmedium ist sehr lang, aber es gibt auch Mutationen im genetischen Code von einer Generation zur anderen. Wie gehen Sie mit diesen biologischen Veränderungen um? Wie wichtig ist Ihnen diese „Mutation“ in Ihrem Projekt?
Etsuko Yakushimaru: Die Unvorhersehbarkeit dessen, was aus diesem Entwurf hervorgeht, war schon immer eines der Themen von „I’m Humanity“. Unzählige Ebenen einer Vielzahl von Faktoren – der Generationen, der Umgebungen, wie die Partitur interpretiert wird, welche Musikinstrumente verwendet werden, die physikalischen Eigenschaften der Interpreten, die für die Wiedergabe und Aufnahme verwendeten Medien und die Mentalität des Zuhörers – all diese Ebenen lassen die Musik mutieren.
„Man könnte sagen, dass die Mutation eine Notwendigkeit in dem revolutionären Prozess ist, der es ermöglicht, etwas weiterzugeben und sich so weit wie möglich zu verbreiten.“
Selbst wenn also eines Tages eine weiterentwickelte, mutierte Version von diesem Etwas so anders geworden ist als der ursprüngliche Plan und dessen anfängliche Essenz nicht mehr zu erkennen ist, dann ist das auch keine große Sache. Ich sage das, weil eines ganz sicher ist: Alle Dinge mutieren. Und dieser Gedanke führte mich dazu, den genetisch veränderten Mikroorganismus der Cyanobakterien „I’m Humanity“, also „Ich bin die Menschheit“ zu nennen, obwohl dies zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte kaum als Mensch bezeichnet werden kann. „I’m Humanity“ enthält eine Nukleinsäuresequenz namens Transposon, die Mutationen auslöst. Bei Live-Auftritten wird diese Sequenz von der oder dem KünstlerIn improvisiert.
Im Rahmen der Verleihung des STARTS Prize 2017 und für Ihren Live-Auftritt bei der Ars Electronica Gala in Linz sind Sie zum ersten Mal nach Europa gereist. Wie hat Ihnen das Ars Electronica Festival gefallen?
Etsuko Yakushimaru: Als Fan von Postdiensten war ich sehr aufgeregt, in der POSTCITY, dem Hauptveranstaltungsort, zu sein. Und ich fühlte mich besonders wohl in der Atmosphäre dieser Stadt, die sich wie ein riesiges Labor anfühlte. Ich fand es auch wunderbar, dass die Stadt so viele Eisdielen hatte. Als ich live bei der Ars Electronica Gala auftrat, gefiel mir, dass das Publikum nicht mit ernsten Gesichtern lauschte, sondern mitsang und tanzte. Ich glaube, dass auch nach dem Aussterben der Menschheit ihre Kunst, Technologie und Kultur, die alle Produkte der Fähigkeit der Menschheit sind, andere zu akzeptieren, sicherlich von postmenschlichen Spezies entdeckt werden. Ich danke Ihnen vielmals.
Etsuko Yakushimaru (JP) ist Künstlerin, Musikerin, Produzentin, Texterin, Komponistin, Arrangeurin und Sängerin. Ihr vielseitiges Repertoire reicht von Popmusik bis hin zu experimenteller Musik und Kunst. In ihren weitreichenden künstlerischen Aktivitäten, zu denen auch Zeichnen, Installationskunst, Medienkunst, Poesie und andere literarische Gattungen sowie Rezitation zählen, widersetzt sie sich jeder Vereinnahmung. Sie realisiert zahlreiche Projekte und fördert andere KünstlerInnen, etwa mit ihrer Band Soutaiseiriron. Yakushimaru ist mit zahlreichen Hits in den Musikcharts vertreten, machte sich aber auch mit Projekten, die den Einsatz von Satelliten, biologischen Daten und Biotechnologie involvierten, einem Songs generierenden Roboter, der mit künstlicher Intelligenz und ihrer eigenen Stimme ausgestattet ist, einem unabhängig entwickelten KR-System und elektronischen Musikinstrumenten einen Namen. In jüngerer Zeit hatte sie mehrere Ausstellungen, u.a. im Mari Art Museum, im Toyota Municipal Museum of Art, beim Festival KENPOKU ART 2016 und im Yamaguchi Center for Arts and Media [YCAM]. Ihre Alben Tensei Jingle sowie Flying Tentacles, die beide 2016 herauskamen, wurden von renommierten Kollegen wie Ryuichi Sakamoto, Jeff Mills, Fennesz, Penguin Cafe, Kiyoshi Kurosawa und Toh EnJoe hochgelobt.
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