Das hätte sich wirklich niemand gedacht: Als im Jahr 2000 die Bauarbeiten für einen neuen Supermarkt in Lorch bei Enns starteten, fanden sich unter Bauschutt und Schotter eindrucksvolle Fragmente antiker Wandmalereien. Sie stammten aus der Zeit des Lauriacum, also damals, als Enns noch Römerstadt und Legionsstützpunkt des Römischen Reiches war. Das Bundesdenkmalamt leitete eine Notgrabung ein, die Fragmente wurden gesichert und sorgfältig archiviert. Über ein Jahrzehnt lang lagen sie ruhig und weitgehend unberührt.
Bis heuer – denn im Zuge der Oberösterreichischen Landesausstellung 2018 gestaltete die Forschungsgruppe Playful Interactive Environments (PIE) der FH Hagenberg eine umfangreiche Virtual Reality (VR) Installation, in der man die Ausgrabungsfundstücke in vier Stationen erleben kann. Diesen Donnerstag, 14. Juni 2018, findet im Deep Space LIVE „Haus der Medusa“ ein Vortrag von Markus Santner vom Bundesdenkmalamt mit anschließender Präsentation der VR-Installation durch die Forschungsgruppe PIE im VRLab des Ars Electronica Center statt.
Im Interview haben uns Markus Santner vom Bundesdenkmalamt und Jürgen Hagler von der FH Hagenberg mehr verraten.
Zuallererst – was hat es mit dem Haus der Medusa auf sich?
Markus Santner: Im sogenannten „Haus der Medusa“ in Lorch bei Enns, das seinen Namen im Zuge der archäologischen Grabungen 2000/01 erhielt, finden wir einen außergewöhnlich dichten Bestand von römerzeitlichen Wandmalereifragmenten. Die Ausgräber benannten die von ihnen freigelegten Häuser seit den 1950er Jahren, deren gesamte Ausdehnung der Zivilsiedlung von Lauriacum erst im Laufe der Jahrzehnte erkennbar wurde, nach bestimmten archäologischen Fundstücken und Charakteristika. Der Name „Haus der Medusa“ wurde angeregt durch den Fund von zwei Darstellungen einer Gorgo auf römischen Wandmalereien.
Jürgen Hagler: Das Haus der Medusa ist eine römische Villa, die bei einem Parkplatzbau für einen Supermarkt in Lorch, in der Nähe von Enns am Donaulimes, entdeckt wurde. Es wurden Wandmalereien und Deckenfresken gefunden, also wurde das Denkmalamt informiert, das schließlich eine Notgrabung machte. Die gefundenen Teile wurden fein säuberlich in Wien archiviert. Im Zuge der Oberösterreichischen Landesausstellung 2018 kontaktierte uns Markus Santner, der mit der Restauration beauftragt war. Wir haben gemeinsam darüber nachgedacht, wie man das restaurierte Material medial noch unterstützen könnte. In Enns war eine große römische Legion, und man geht davon aus, dass diese Villa wahrscheinlich einem höheren Militär gehörte. Das Interessante bei diesem Fund ist, dass das Haus 300 n. Christus circa dreimal ausgemalt wurde. Es gibt also Schichten, das heißt, da ist die Wand, dann gibt es einen Putz, dann wurde es getüncht, dann ausgemalt, dann wieder verputzt, wieder getüncht und wieder ausgemalt und noch einmal. Somit gibt es drei Malereien übereinander. Das ist das Sensationelle, es ist nämlich einzigartig, dass so große Teile gefunden wurden, wo drei Schichten noch erhalten sind. Auch für die mediale Aufbereitung ist das natürlich interessant. Wir wollten dieses Haus in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen visualisieren, auf der Basis vom Grundriss. Dazu bekamen wir archäologische Daten, die allerdings sehr vage waren, weil alles, was man nicht weiß, sollte man auch nicht darstellen. Das ist bei wissenschaftlichen Visualisierungen etwas, was man berücksichtigen muss.
Credit: Playful Interactive Environments
Was sind die Arbeitsschritte des Bundesdenkmalamts bei einem solchen Ãœberraschungsfund wie diesem?
Markus Santner: Die Arbeitsschritte bei einem solchen Überraschungsfund von Seiten des Bundesdenkmalamtes sind vielfältig. Ausgegraben und untersucht wurde dieses Haus während einer archäologischen Notgrabung, die durch großflächige Gelände- und Gebäudeumwidmungen verursacht wurden. Anschließend lagerte der Fund über 10 Jahre in einem Depot. Erst 2011 entschloss sich unsere Abteilung für Konservierung und Restaurierung gemeinsam mit der Abteilung für Archäologie ein Projekt zur Konservierung und Restaurierung sowie zur wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses einzigartigen Fundes zu starten. Eine der besonderen Herausforderungen lag über die Jahre hinweg darin, den Überblick über die mehr als 2000 Einzelstücke nicht zu verlieren.
Credit: Playful Interactive Environments
Warum entstand auf Basis der Funde auch ein „virtuelles Haus der Medusa“?
Markus Santner: Die Zusammenarbeit mit der FH Hagenberg ergab sich durch Zufall gegen Ende des Restaurierprojektes. Der sensationell gute Erhaltungszustand der Fragmente und eine erarbeitete Rekonstruktion der römischen Villa waren die Ausgangspunkte dafür, dass ein virtuelles Haus der Medusa mit den illustrierten Fragmenten mittels einer interaktiven Virtual Reality Installation erarbeitet werden konnte. Die Installation besteht aus vier virtuellen Workstations und zeigt Fragmente von römischen Wandmalereien. In einem interaktiven 3D-Modell kann das Haus der Medusa individuell erlebt und „besucht“ werden. Ich finde die Umsetzung wirklich gut gelungen und freue mich sehr darüber, dass das virtuelle Haus im Rahmen der Landesausstellung „Die Rückkehr der Legion“ im Museum Lauriacum in Enns gezeigt wird.
Credit: Bundesdenkmalamt
Jürgen Hagler: Als Herr Santner anrief, beschäftigten wir uns gerade mit einem Forschungsprojekt rund um Kooperative Virtual Reality. Bei einer VR-Applikation mit Head-Mounted Display hat man eigentlich meistens eine Single-User-Experience. Wir nahmen das als Anlass und interessieren uns also für das kooperative Element in Verbindung mit Head-Mounted Displays, auch im Kontext von Ausstellungen. Wie kann ein Zuseher, eine Zuseherin oder auch ein Museumsguide ein VR-Erlebnis als Shared Erlebnis gestalten? Das Haus der Medusa war für uns ein Used Case, wir fanden es spannend, es ist ein komplizierter Sachverhalt mit drei Schichten, es gibt viele Freskenteile, es gibt einen interessanten Archivierungsprozess, einen archäologischen Prozess, wo die Teile zusammengestellt werden, und somit erstellten wir schließlich vier Stationen, in denen wir diesen Sachverhalt interaktiv erlebbar machen. Eine Station, die Puzzle-Station, ist sehr spielerisch. Man sieht das fertige Puzzle als Vorlage, aber es ist trotzdem gar nicht so leicht, man muss schon ziemlich lange drehen, bis es funktioniert. Es gibt eine Station, wo man sich Geschichten anschauen kann, und eine Station, wo man in das Haus gehen und sich die Fresken-Positionierungen anschauen kann. Schließlich gibt es auch ein Miniaturmodell, das man drehen kann.
Wir nahmen genau diese spielerischen Elemente dazu her, Partizipation zu ermöglichen: Puzzeln kann man gemeinsam. Gerade wenn es Tüfteleien gibt, wo man etwas drehen muss, kann man mitdenken und will auch seine Meinung dazu sagen: „Du, nimm einmal das, oder schau, das ist vielleicht der Mund von Medusa, der könnte da dazu passen“. Das funktioniert mit Sprache, ist aber mit einer Geste viel einfacher. Deshalb beschäftigten wir uns mit einem zusätzlichen Tablet. Ein zweiter Spieler oder eine Spielerin hat also ein Tablet in der Hand, das mit einem Livetracker ausgestattet ist. Das ermöglicht eine personalisierte Sicht in die VR-Welt. Für ein größeres Publikum, so wie wir das im VR-Lab im Ars Electronica Center auch haben, bieten wir eine Overview oder Second Screen an. Auf dem sieht man aber immer nur eine Perspektive, wenn man also etwas anderes sehen oder zeigen möchte, ist das interaktive Tablet ein großer Mehrwert. Es gibt zusätzlich auch noch Touch-Funktionalitäten, also einen virtuellen Finger, mit dem man interagieren kann.
Credit: Playful Interactive Environments
Das heißt also, dass der VR-User oder die VR-Userin sieht, was die Person mit dem Tablet macht.
Jürgen Hagler: Genau. Wir haben den Tablet-Spieler, die Tablet-Spielerin auch visualisiert. Eine unserer Forschungsfragen ist genau das: Wie stark muss diese Person visualisiert sein? Es gibt auch noch kompliziertere Interfaces und mehrere Kameras für Museumsguides. Somit schaffe ich ein gemeinsames Erlebnis. Der VR-Spieler, die VR-Spielerin ist nicht separiert vom Rest, der zuschaut. Genau das ist der Forschungsansatz der Forschungsgruppe Playful Interactive Environments, das spielerische Environment, in Kombination mit Virtual Reality Technologie, Head-Mounted Display und unterschiedlichen Spielerrollen.
Was bedeutet das für Ausstellungen in Museen?
Jürgen Hagler: Wir untersuchen die Interaktion und den Mehrwert für Museumsbesucher und –Besucherinnen und die Instructors. Meistens sind Installationen erklärungswürdig. Für manche VR-Applikationen bedarf es keiner Erklärung, wie zum Beispiel 360 Grad Videos, die man sich aufsetzt und ansieht. Animationstools wie Tilt Brush oder Norman sind hingegen höchst interaktiv und es braucht eine gewisse Zeit, bis man sich einarbeitet. Dieses Einarbeiten kann man auch selbst machen, aber im Ausstellungskontext muss das schneller funktionieren. Ars Electronica ist da wirklich Vorreiter und hat mit dem VR-Lab ein super Setting, wo viele Stationen unterschiedlichster Form dargestellt werden. Manche brauchen mehr und manche brauchen weniger Einführung. Deshalb ist diese Einführungsphase ein wichtiger Teil, ganz abgesehen davon, dass man auch als Zuseher oder Zuseherin eingreifen kann. Als der erste Hype rund um VR anfing, gab es immer irrsinnig lange Schlangen, die Leute standen und warteten, bis sie sich die VR-Brille aufsetzen konnten. Das ist jetzt zwar nicht mehr ganz so schlimm, aber es ist, glaube ich, im Museums-Kontext schon immer beabsichtigt, dass es Multi-User-Experiences sind und nicht Leute, die in einer Schlange warten müssen, bis sie sich ein Exponat anschauen können.
Jürgen Hagler ist Professor des Fachbereichs für Digitale Medien an der oberösterreichischen Fachhochschule Hagenberg, wo er die Bereiche Computeranimation und Animationswissenschaften leitet. 2009 wurde er pädagogischer Koordinator des Masterstudiums Digital Arts. Seit 2014 ist er Leiter der Forschungsgruppe Playful Interactive Environments mit einem Fokus auf neue und spielerische Formen von Interaktion und die Benützung von spielerischen Mechanismen, um spezifische Verhaltensmuster zu unterstützen. Seit 2017 ist er Direktor des Ars Electronica Animation Festivals und Initiator und Organisator des Symposiums Expanded Animation.
Mag. Dr. Markus Santner ist Fachreferent für Wandmalerei und Architekturoberfläche in der Abteilung für Konservierung und Restaurierung des Bundesdenkmalamtes. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen in der Geschichte, Theorie und Praxis der Denkmalpflege sowie zu Fragen der Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei und gefassten Steinoberflächen.
Der Deep Space LIVE „Haus der Medusa“ findet am Donnerstag, 14. Juni 2018, um 19:00 Uhr im Ars Electronica Center statt. Alle Informationen finden Sie hier. Die Installation „Das virtuelle Haus der Medusa“ können Sie sich darüber hinaus zu den Öffnungszeiten des Ars Electronica Centers im VRLab ansehen.
Um mehr über Ars Electronica zu erfahren, folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, Instagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/.