Mit Noise Aquarium in den Deep Space eintauchen

Noise Aquarium,

Vor allem Wale und Delfine reagieren höchst empfindlich auf Lärm. Sie fliehen und verlieren die Orientierung. Im schlimmsten Fall stranden sie an Land und verenden qualvoll. Über die Auswirkung von Lärm auf den Mikroorganismus in unseren Ozeanen ist bislang nicht sehr viel bekannt. Victoria Vesna, Künstlerin und Professorin an der UCLA, geht davon aus, dass der Mikrokosmos in den Meeren durch unsere Abfälle und Lärmbelästigung massiv beeinträchtigt wird. Gemeinsam mit der Universität für angewandte Kunst Wien, United Motion Labs, NYU Steinhardt, der Vetmeduni Vienna und dem Department für Integrative Zoologie der Universität Wien entwickelte sie das „Noise Aquarium“, das beim Ars Electronica Festival 2018 im Deep Space 8K präsentiert wird.

„Noise Aquarium“ ist eine interdisziplinäre Arbeit, bei der KünstlerInnen mit WissenschaftlerInnen und TechnologInnen zusammenarbeiten. Das Publikum wird im Deep Space 8K in ein riesiges 3D-Aquarium eintauchen, in dem sich verschiedenen Planktonarten befinden, die in der Größe von Walen erscheinen. Allein die Anwesenheit des Publikums erzeugt Geräusche, die das Plankton beeinflusst. In welcher Weise es beeinflusst wird und warum sich Victoria Vesna mit diesem Thema beschäftigt, verrät sie uns im Interview.

Credit: Karina Lopez

Letztes Jahr hast du dich beim Ars Electronica Festival bei „Bird Song Diamond“ mit Vögeln beschäftigt. Dieses Jahr tauchen wir in die Unterwasserwelt. Was fasziniert dich an der Kombination von Medienkunst und Biologie?

Victoria Vesna: Eigentlich kam das Tierreich unaufgefordert zu mir. Ein Ruf der Wildnis sozusagen. Bevor ich mich letztes Jahr bei „Bird Song Diamond“ mit Vögel beschäftigt habe, habe ich, bei der Arbeit „Blue Morph“, auch schon mit Schmetterlingen gearbeitet und dazwischen, bei „Hox Zodiac“, habe ich eine Arbeit zu Tierkreiszeichen gemacht.

Die Klänge der Verwandlung einer Schmetterlingspuppe in einem fertigen Schmetterling, die ich in der Blue Morph-Installation verwendet habe, haben das Interesse des Evolutionsbiologen Charles Taylor geweckt. Er hat sich an mich gewandt, um an seiner NSF-geförderten Forschung zur Kartierung des akustischen Netzwerks von Vögeln teilzunehmen. Dadurch habe ich vermehrt auf meine Umgebung gehört und die Komplexität des Vogelgesangs bemerkt. Diese Erfahrung wollte ich mit dem Publikum teilen. Andererseits hat mich die Visualisierung der blauen Morpho-Flügel dazu inspiriert, eine weitere Arbeit zu konzipieren, die diese erstaunlichen Visualisierungen verwendet. Ich war auch von den atemberaubenden Bildern, der Vielfalt und der Schönheit von Plankton extrem beeindruckt. In der Vergrößerung haben sie wie Aliens ausgesehen. Nachdem ich so über diese Kreaturen nachgedacht habe, habe ich mich gefragt, wie sich eigentlich die Lärmbelästigung auf diese kleinen Lebewesen auswirkt und habe dabei entdeckt, dass wir im Grunde sehr wenig über dieses unterste Glied unserer Nahrungskette – das Mikrobiom des Wassers, das unseren Planeten erhält – wissen.

Viele Medienkünstlerinnen und -künstler reagieren jetzt auf den aktuellen Trend, die komplexe menschliche Biologie mit der Ökologie zu verbinden. Wir fühlen uns erst jetzt, wo wir am Rande von Umweltkatastrophen stehen, dazu in Lage unsere Gewohnheiten zu ändern und unsere Wertesysteme zu überprüfen.

Bird Song Diamond, Credit: Florian Voggeneder

In diesem 3D-Aquarium befinden sich 3D-Scans verschiedener Planktonarten. Warum hast du dich für den Mikrokosmos entschieden und nicht für größere Meeresbewohner?

Victoria Vesna: Ich war schockiert, als ich die Bilder der Wale und Delfine gesehen habe, die von Lärmbelästigungen betroffen sind. Nachdem ich dann mehr über Plankton erfahren habe, habe ich mich gefragt, wie Lärmbelästigung diese Kleinstlebewesen beeinflusst.

Wissenschaftler glauben, dass Phytoplankton zu 50 bis 85 Prozent des Sauerstoffs in der Erdatmosphäre beiträgt. Zum Beispiel habe ich kürzlich gelesen, dass Dr. Sylvia A. Earle, eine Forscherin von National Geographic, schätzt, dass Plankton den Sauerstoff für jeden fünften Atemzug liefert. Die Gesundheit aller Organismen hängt mit Phytoplankton zusammen und das schließt uns Menschen nicht aus. Und nachdem ich ein Video von Plankton gesehen habe, das Mikrokunststoffe gefressen hat, war ich wirklich alarmiert und motiviert, diese Arbeit so weit wie möglich zu verbreiten. Zwischen Lärm und Kunststoff wird das Mikrobiom der Ozeane und Meere vom Menschen systematisch zerstört und die gesamte Nahrungskette wird beeinträchtigt.

Bei „Noise Aquarium“ geht es auch heuer wieder um Geräusche. Letztes Jahr mussten Besucher Vogelgesänge nachahmen. Diesmal erzeugen die Teilnehmer alleine durch ihre Anwesenheit Geräusche. Wie wichtig ist dir die Interaktion mit dem Publikum in deinen Arbeiten?

Victoria Vesna: Biodiversität und Komplexität verbinden diese Projekte und in beiden Fällen ist Klang entscheidend. In Bezug auf das Publikum interessiere ich mich für das Eintauchen und Erleben. Menschen in die Töne und Bilder eintauchen zu lassen, die sie mit ihrem Verhalten beeinflussen, ist meiner Meinung nach der effektivste Weg, um eine dringende Botschaft zu übermitteln. Bei „Blue Morph“ ist das Publikum in die Klänge der Metamorphose eines Schmetterling eingetaucht, bei „Bird Song“ Diamond hat das Publikum die Komplexität des Vogelgesangs erlebt. Hier war die Botschaft, auf die Umgebung zu hören, die wir alle teilen. „Noise Aquarium“ verbindet nun das Publikum mit der Vielfalt und Schönheit von Mikroorganismen. Indem wir mit unserer Anwesenheit Lärm erzeugen und so zur Zerstörung des Ökosystems beitragen, werden wir aufgefordert, unsere Herangehensweise an das Leben auf diesem Planeten zu überdenken.

Credit: Victoria Vesna

Was passiert im Aquarium, wenn die Besucherinnen und Besucher Geräusche machen?

Victoria Vesna: Eine Person aus dem Publikum ist dazu eingeladen, sich auf die von Glenn Bristol entworfene und programmierte, interaktive Plattform zu stellen. Sie erzeugt zerstörerischen anthropozentrischen Lärm, bis das gesamte Plankton zurückkehrt, und wir Walgesang hören. Das soll daran erinnern, dass wir beide an der Spitze der Nahrungskette stehen und gleichermaßen betroffen sind.

In den letzten 60 Jahren hat der Unterwasserlärm über alle Frequenzen hinweg zugenommen. Die Geräusche der Schifffahrt, der Offshore-Bohrungen und der Kartierung des Meeresbodens durchdringen große Bereiche des Ozeans. Aufgrund der außergewöhnlichen Leitfähigkeit des Wassers können Geräusche, die an einem Ort erzeugt werden, aus tausenden von Kilometern Entfernung wahrgenommen werden. Forscher der Curtin University und der University of Tasmania berichten, dass Explosionen von einer seismischen Luftpistole innerhalb von 24 Stunden nach der Exposition einen zwei- bis dreifachen Anstieg des toten Zooplanktons im Vergleich zu Kontrollgruppen verursachen können. Wir müssen unseren Fokus von der obersten Ebene der Nahrungskette auf die unterste Ebene verlagern. So, wie es auch die Nanotechnologie in der Wissenschaft tut.

Das Thema des diesjährigen Ars Electronica Festivals ist „Error – the Art of Imperfection“. Dass Menschen das Leben bzw. den Lebensraum von Tieren so negativ beeinflussen, um ihr eigenes Leben vermeintlich zu verbessern, ist einer der größten menschlichen Fehler. Denkst du, dass sich der Mensch irgendwann ändern wird?

Victoria Vesna: Obwohl ich manchmal pessimistisch werde, wenn ich mich mit jungen Studentinnen und Studenten treffe, habe ich noch Hoffnung. Wir befinden uns inmitten eines Paradigmenwechsels und es ist beunruhigend zu sehen, wie alle Fehler der Vergangenheit ans Licht kommen. Ich glaube, dass Bildung die fortschrittlichste Form des Aktivismus ist und das Lernen aus unseren Fehlern und Irrtümern der beste Ansatz ist. Veränderungen sind unvermeidlich und wir erleben einen Rückstoß von denen, die Angst vor dem Unbekannten haben oder nicht in der Lage sind, ihre Gewohnheiten und Werte zu verändern. Ich glaube, dass der menschliche Überlebensinstinkt sehr stark ist und wenn wir Rücksicht auf die anderen Wesen auf unserem Planeten nehmen, die Teil unserer kollektiven, miteinander verbundenen Ökologie sind und dem Netzwerk des Lebens Aufmerksamkeit schenken, können sich unsere technologischen Entwicklungen verschieben und wir haben die Möglichkeit, als Mitschöpfer voranzukommen. Ich glaube an die neue Generation, die das Chaos, das entstanden ist, mit Entsetzen betrachtet und die Wertesysteme, die uns an diesen Punkt gebracht haben, aktiv überdenkt.

Der Deep Space 8K im im Ars Electronica Center hat während des Ars Electronica Festival von 6. bis 10. September 2018 von Donnerstag bis Sonntag von 10:00 bis 20:00 und Montag von 10:00 bis 18:00 geöffnet.

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