Gallery Spaces 2019: „Zeitgenössische Kunst ist Medienkunst“

WEB_gallery spaces_tom mesic, Gallery Spaces Säulenhalle, photo: Tom Mesic

Bereits seit drei Jahren gibt es am Ars Electronica Festival das Format der Gallery Spaces, das sich als Plattform der Begegnung und des Austausches versteht. Galerien und Sammlungen präsentieren sich im Paketspeicher und in der Säulenhalle, zwei Ausstellungsflächen tief im Bunker der POSTCITY. Im Rahmen der Gallery Spaces Panels werden außerdem der Wandel und die Zukunft des Medienkunstmarktes sowie die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft, Kunst und Markt aus unterschiedlichsten Perspektiven erörtert. Warum der traditionelle Kunstmarkt und die Medienkunst schon lange keinen Widerspruch mehr darstellen, erklärt Christl Baur, Kuratorin der Gallery Spaces und Co-Produzentin des Ars Electronica Festivals, ebenso wie Details zum heurigen Programm der Gallery Spaces 2019.

Der Kunstmarkt und Ars Electronica, das klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Warum ist es keiner, wie kann man diese Beziehung erklären?

Christl Baur: Auch wenn es auf den ersten Blick wie ein Widerspruch klingt, ist es definitiv keiner! Ich glaube, dass Ars Electronica in erster Linie die Verantwortung hat, im Interesse der KünstlerInnen zu handeln und Möglichkeiten zu vermitteln, durch die sie im Idealfall von ihrem Beruf leben können. Dies kann beispielsweise durch Residencies oder durch die Kontaktaufnahme mit PartnerInnen aus Wirtschaft und Wissenschaft geschehen. Der Kunstmarkt ist eine weitere Möglichkeit, als KünstlerIn seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Betrachtet man hingegen die Entwicklung der letzten 40 Jahre seit der Gründung der Ars Electronica, so zeigt sich, dass KünstlerInnen, die uns von Anfang an begleitet haben, nun definitiv auch auf dem sogenannten Markt für zeitgenössische Kunst gewürdigt werden. Beispiele dafür sind Roy Ascott, Rafael Lozano-Hemmer, Christa Sommerer um nur einige zu nennen, sowie Marko Peljhan, der seine Werke in diesem Jahr im slowenischen Pavillon auf der Biennale in Venedig präsentiert und ebenfalls am Festival an der Schnittstelle der Themenausstellung und der Gallery Spaces vertreten ist. Die ursprüngliche Trennung zwischen „Medienkunst“ und „zeitgenössischer Kunst“ existiert als solche nicht mehr. Medien sind zu einem Teil unseres täglichen Lebens geworden und Medienkunst kann als die Kunst unserer Gegenwart, als die zeitgenössische Kunst bezeichnet werden.

Die zeitgenössische Kunst reflektiert die Thematiken, die uns beschäftigen wie Umweltkatastrophen oder Migration. Sie beschäftigt sich mit diesen Fragestellungen und der Auseinandersetzung mit neuen Technologien. Mit Technologien, die unser heutiges und zukünftiges Leben bestimmen. Dies ist kein Trend der letzten Jahre, denn MedienkünstlerInnen haben immer an der Spitze neuer technischer Entwicklungen gearbeitet, um kritische Ansätze zu definieren und Fragen zu stellen, die auf der Metaebene zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft liegen: Was bedeutet Technologie für uns langfristig? Welches positive, aber auch kritische Verständnis und welcher Umgang mit dem Thema ist gefordert? So spielen MedienkünstlerInnen eine wegweisende Rolle, wenn es um das Verständnis von Technologie geht.

Diese Fragen sind für uns als Gesellschaft relevant und die Aufgabe des Kunstmarktes ist es, zeitgenössische Kunstströmungen zu repräsentieren, weshalb Medienkunst ein wesentlicher Bestandteil sein muss.

Gallery Spaces Paketspeicher 2018, photo: Tom Mesic

Woran kann man erkennen, ob die Medienkunst am Kunstmarkt angekommen ist?

Christl Baur: Seit vielen Jahren gibt es eine Auseinandersetzung insbesondere mit der digitalen Kunst. Bewegte Bilder wie Videoarbeiten, Werke, die sich meist im zweidimensionalen Raum befinden, lassen sich viel einfacher mit dem klassischen Objektcharakter vereinbaren, mit dem sich der Kunstmarkt häufig beschäftigt. Die Idee, dass ein Video auf dem Kunstmarkt erfolgreich sein kann, besonders, wenn man es in limitierten Editionen handelt, ist nicht neu. Dennoch gibt es relativ wenige SammlerInnen auf diesem Gebiet, da die Frage der Exklusivität nach wie vor eine wichtige Rolle spielt und die Idee, etwas zu kaufen, das sich endlos reproduzieren lässt, immer noch einige Bedenken aufwirft.

Schwieriger und gleichzeitig interessanter wird es, wenn es darum geht, interdisziplinäre Arbeiten, die nicht mehr rein bildschirmorientiert sind, im Rahmen eines Marktsystems zu diskutieren. Wie können solche Werke erhalten werden? Was bedeutet es, diese Werke in eine Sammlung aufzunehmen? Was heißt es für ein Museum, ein solches Werk zu kaufen? Seit Jahrzehnten wird über diese Fragen diskutiert und geforscht, und es gibt definitiv Lösungen. Allerdings muss das Bewusstsein für diese Fragen zunächst bei den Beteiligten – ob KünstlerInnen, GaleristInnen, SammlerInnen oder Museen – gestärkt werden. Die einzelnen Aufgaben müssen neu definiert werden. Die Verantwortung des Sammelns von Kunstwerken sollte mit dem Interesse einhergehen, den Zeitgeist in der Sammlung zu repräsentieren und die zeitgenössischen Kunstströmungen für zukünftige Generationen zu erhalten.

Sammlungen und Museen sind, wie Vicente Matallana es einmal formuliert hat, NotarInnen der jeweiligen Epoche mit der entsprechend bedeutsamen Aufgabe, nicht nur leicht zu erhaltende oder dem eigenen Geschmack entsprechende Kunst selektiv zu sammeln, sondern der Darstellung einer Epoche und der jeweiligen Strömungen zu dienen. Diese Aufgabe muss unabhängig von der Komplexität des Erhaltungsprozesses erfüllt werden.

Es ist in diesem Jahr äußerst spannend, dass die Themen, die wir bei der Konzeption der Themenausstellung diskutiert haben, von unseren ProtagonistInnen in den Gallery Spaces wieder aufgegriffen werden. Umso mehr, da die Überschneidungen von KünstlerInnen, die in den letzten Jahren im Rahmen des Festivals präsentiert wurden und nun von den GaleristInnen in den Gallery Spaces vertreten sind, deutlich wahrnehmbar sind.

data.tron, 2007, Ryoji Ikeda (JP), photo: Courtesy of the artist & Wiyu Wahono Collection

Die Gallery Spaces selbst gibt es jetzt zum dritten Mal, also sie sind noch recht jung. Kann man schon von einem erfolgreichen Format sprechen?

Christl Baur:Auf jeden Fall! Die Resonanz auf die letzten beiden Ausgaben war ausgezeichnet. Besonders spannend finde ich, dass wir keinen klassischen Kunstmarkt reproduzieren, sondern verschiedene ProtagonistInnen nach Linz einladen, um KünstlerInnen, GaleristInnen, KunstexpertInnen, MuseumsdirektorInnen und SammlerInnen auf der Ars Electronica Plattform zu vernetzen, die sich auf einem klassischen Kunstmarkt nicht treffen würden. Auf diese Weise können Antworten auf die Fragen entwickelt werden, die die Medienkunst an den Kunstmarkt stellt.

Aurelia 1 +Hz / proto viva generator, 2019, Robertina Šebjanič (SI), Courtesy: BEEP Collection, Miha Fras

Expertinnen und Experten diskutieren im Rahmen der Gallery Spaces Panels 2019 den Wandel und die Zukunft des Medienkunstmarktes. Welche Themen und Fragestellungen ergeben sich hier heuer?

Christl Baur: In diesem Jahr wird es sieben Diskussionsrunden mit prominenten TeilnehmerInnen geben, in welchen die Interaktion zwischen Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft sowie dem Kunstmarkt aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Die thematischen Überschneidungen zwischen den Themen des Festivals und den Gallery Spaces spiegeln sich auch in den Panels wider. Es geht nicht mehr darum, wie Medienkunst auf dem Kunstmarkt erfolgreich sein kann, sondern darum, was es bedeutet, wenn interdisziplinäre Kunst zu einem integralen Bestandteil des Kunstmarktes wird. Es geht nicht mehr um die Frage nach rein konservatorischen Aspekten, sondern darum, welchen Aufgaben sich daraus die verschiedenen AkteurInnen im Kunstmarkt stellen. Neue Definitionen der verschiedenen Rollen sind notwendig.

Wir konnten Christina Steinbrecher-Pfandt – eine wichtige Protagonistin des Kunstmarktes mit jahrzehntelanger Erfahrung – als Partnerin und Moderatorin gewinnen.  Die von ihr gestalteten Gesprächsrunden beschäftigen sich mit „Interdisciplinary Art – how become established“ und „Digital Art going mainstream“.

Gallery Spaces Panels, photo: Tom Mesic

Leonardo Lüpertz wird YAIR – Your Art is Reality im Rahmen des Ars Electronica Festivals vorstellen. YAIR ist ein Tokenplatform, die mit Hilfe von Blockchain-Technologie neue Besitzmodelle für digitale Kunst schafft und diese der Öffentlichkeit zugänglich macht. Mittels Tokens kann man Beteiligungsrechte an einem Kunstwerk erwerben, man wird zu einer Art Shareholder, wodurch sich neue Finanzierungsmöglichkeiten für KünstlerInnen ergeben. Das Panel mit dem Titel “Unlocking the power of digital art and emerging technologies to radically disrupt the art market” widmet sich der Fragestellung: Wie werden wir Kunst in Zukunft bewerten?

Die Demokratisierung des Kunstmarktes ist ihm ein großes Anliegen. Umso erfreulicher ist es, dass die von ihm kuratierte spektakuläre Ausstellung beim Ars Electronica Festival im Mariendom gezeigt wird. Die fünf ausgewählten KünstlerInnen Wu Juehui, Maria Marshall, Julius von Bismarck, Robert Montgomery und Jan Lei sind zweifellos ein Highlight des Festivals.

An dieser Stelle möchte ich noch eine weitere Galerie vorstellen, die arebyte Gallery London. arebyte präsentiert die performative Arbeit von Mark Farid, Seeing I, in den Ausstellungsräumen des Atelierhaus Salzamt.

bitTOWER, 2019, Wu Juehui (CN), photo: Today Art Museum

Du hast schon ein paar Galerien und Personen genannt, die heuer vertreten sein werden. Kannst du uns noch mehr erzählen, welche Projekte wir am Festival sehen können?

Christl Baur: Ich möchte auf alle Fälle die Beep Electronic Art Collection hervorheben, geleitet von Vicente Matallana, der bereits im vergangenen Jahr eine wunderbare Ausstellung realisiert hat. Auch in diesem Jahr wird er wieder fantastische Werke in den Gallery Spaces präsentieren. Besonders interessant ist, dass er mit Robertina Šebjanič an einer möglichen Integration von Bio-Art in den Kunstmarkt gearbeitet hat – auch im Hinblick auf Vertragsbeziehungen. Was bedeutet es, lebende Kunst zu sammeln und lebendiges Material in Sammlungen aufzunehmen? Wie ist die Verantwortungsebene für das Museum/die SammlerInnen? Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit werden im Rahmen des von Jens Hauser moderierten Panels „Paradoxien und Hindernisse bei der Erhaltung und Inszenierung lebendiger Biomedienkunst“ diskutiert werden.

Wiyu Wahono ist ein indonesischer Sammler, der uns einen Einblick in seine Sammlung gibt, sowie seine Motivation im Panel „The Potential and Limitations of the Media Art Market“ mit uns teilt, nicht nur Medien-, sondern auch Bio-Art, wie die Arbeit von C-Lab „Living Mirror“ in seine Sammlung aufzunehmen. Zusätzlich wird er zwei alte Bekannte der Ars Electronica mitbringen: Modell 5 von Granular Synthesis und data.tron von Ryoji Ikeda.

Das Gallery Spaces Programm, welches absichtlich im Plural geschrieben ist, bringt wieder eine große Zahl an internationalen Galerien und Sammlungen mit unterschiedlichen Positionen was Digitale Kunst betrifft zum Ars Electronica Festival. Das Publikum kann sich also auf einen spannenden Austausch und eine einzigartige Ausstellung tief im Herzen der POSTCITY freuen!

Modell 5, Granular Synthesis — 1994, Kurt Hentschlaeger (DE), Ulf Langheinrich (AT)

Christl Baur ist Co-Produzentin bei Ars Electronica, Forscherin mit interdisziplinärem Hintergrund in Kunstgeschichte, Kulturmanagement und Naturwissenschaften. Sie interessiert sich besonders für die Verbindung von ästhetischen und sozialen Praktiken, die sich um Kollaboration und Experimentieren drehen und soziale, politische und wirtschaftliche Protokolle herausfordern. Ihr Forschungsgebiet umfasst Themen wie Videokunst, Neue Medientechnologien, Computer, Biotechnologie und Interaktive Kunst und sie arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. In den letzten Jahren hat sie umfangreiche Ausstellungen und Performances, Forschungs-, Residenz- und Publikationsprojekte entwickelt, co-produziert und realisiert – zuletzt in Kooperation mit Universitäten und wissenschaftlichen Verbänden wie Google Arts & Culture, Microsoft, Hyundai wie auch der Chinese University of Art Beijing. Sie arbeitet eng mit KünstlerInnen zusammen, deren Praxis an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie liegt.

Die Gallery Spaces Projekte und Panels können von 5. bis 9. September 2019 am Ars Electronica Festival in der POSTCITY Linz, im Mariendom und im Salzamt besucht werden. Mehr erfahren Sie auf unserer Webseite.

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