Der Ort des Schauplatzes könnte passender nicht sein. Shenzhen in China hat sich in den vergangenen 40 Jahren von einem kleinen Fischerdorf in eine Millionenmetropole verwandelt. Vor allem auch deshalb, weil der Bedarf an technologischen Gütern in der Welt so rasant angewachsen ist und viele davon hier produziert wurden und werden. Wir sind umgeben von Technologie und sollten uns schon längst fragen, ob wir das weiterhin so wollen und wie unser Verhältnis zu diesem menschengemachten Werkzeug eigentlich sein soll.
Die Ausstellung „40 Years of Humanizing Technology“ von Ars Electronica, CAFA und Design Society geht genau dieser Frage nach, wie wir Menschen mit dieser technologischen Entwicklung eigentlich umgehen und wie sie uns beeinflusst. Wir haben mit dem Kurator Qiu Zhijie darüber gesprochen und gefragt, wie er über dieses Verhältnis in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Machine Learning denkt.
Wie gestaltet und prägt die Technologie unsere Gesellschaft?
Qiu Zhijie: Natürlich ist die Technologie eines der wichtigsten Elemente für das Gesellschaftsbild in der Vergangenheit aber auch in der Zukunft. Ich denke, dass die Technologie nicht nur unsere Objekte und unsere Entwicklung verändert. Das Wichtigste ist, dass es die Art und Weise verändert, wie wir über die Gesellschaft denken. Die Gestaltung der Gesellschaft durch die Menschheit selbst verändert die Welt. Am Anfang wurde der Mensch durch die Technik definiert, heute entwickeln sich Mensch und Technik gemeinsam.
Wie beeinflussen Technologien wie die KI unser Selbstbild als Mensch? Müssen wir unsere Rolle in der Welt kontinuierlich neu überdenken, oder sollten wir lieber die Rolle der Technologie neu verhandeln?
Qiu Zhijie: Im Laufe der Geschichte haben die Menschen einige besondere Möglichkeiten geschaffen, ihr eigenes Bild darzustellen. Zum Beispiel durch Skulpturen, Marionetten und bewegte Bilder. Aber all diese Bilder sind immer eine Art Darstellung des Menschen selbst. Sie versuchen, es zu kopieren, in diesem Fall sind alle Schöpfer Menschen.
„Künstliche Intelligenz ist für mich eine ganz besondere neue Art der Darstellung des Menschen.“
Ich würde lieber sagen, dass es sich bei KI nicht um eine Art Repräsentation handelt, es ist wie eine ganz andere Denkweise. Es ist so anders als beim Menschen. Ein Teil der KI beruft sich auf die gleichen Schöpfer, auf Menschen, zurück. Andererseits ist die KI gegenüber der Art und Weise, wie Menschen denken, eigentlich sehr unterschiedlich. Wenn Menschen mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und Hintergründen in der Welt in Kontakt kommen, wissen sie bereits meist, wie man mit Menschen mit anderen Denkweisen kommunizieren kann. Für mich ist eine KI eine große und sehr unterschiedliche Kultur für uns Menschen, aber ich denke, wir können lernen, damit umzugehen.
Der Titel der Ausstellung lautet „Humanizing Technologies“ – was bedeutet das konkret und was aus einer breiteren Perspektive?
Qiu Zhijie: Wenn wir darüber sprechen, wie die Technologie unsere Zukunft bestimmt, dann sprechen wir eigentlich von zwei Zukünften – einer schönen und einer schlechten Zukunft. Diese Zukunft, die durch Technologie aufgebaut ist, kann eine computergestützte Zukunft und eine menschliche Zukunft sein. Wir müssen dieses menschliche Denken immer wieder zurückbringen und es mit der Entwicklung von Technologien verbinden. Die meisten der Initiativen, die wir in dieser Ausstellung präsentieren, entsprechen genau dieser Art und Weise.
Warum und wie können KünstlerInnen (und insbesondere MedienkünstlerInnen) dazu beitragen, einen breiten Diskurs über die Entwicklung der Technologie und die Gestaltung unserer Zukunft anzustoßen?
Qiu Zhijie: Ich denke, die Entwicklung der Technologie gibt den Menschen immer eine Art Illusion. Viele Menschen neigen dazu zu denken, dass unsere Zukunft nur eine Zukunft ohne Wahl ist. Die KünstlerInnen ermutigen die Menschen immer, über andere Möglichkeiten nachzudenken. Wir brauchen immer KünstlerInnen, die die Menschen wachrütteln. Wir haben nicht nur eine Zukunft, wir haben viele Zukünfte, wir haben mehr Möglichkeiten. Deshalb denke ich, dass KünstlerInnen immer einen großen Beitrag zu dieser Diskussion über die Technologie der Zukunft leisten können.
Lesen Sie auch das Interview mit Martin Honzik, Ars Electronica, zur Ausstellung. „40 Years of Humanizing Technology“ ist von 2. November 2019 – 16. Februar 2020 in der Design Society, Sea World Culture and Arts Center Shenzen, zu sehen. Infos zur Ausstellung gibt es auf https://ars.electronica.art/export/humanizingtechnology/
Qiu Zhijie ist Dekan und Professor der School of Experimental Art an der Central Academy of Fine Arts, Professor der School of Intermedia Art an der China Academy of Art. Qiu Zhijie war der Kurator der ersten Videokunstausstellung in China 1996 und kuratierte in den Jahren 1999 und 2005 eine Reihe von „Post-sense Sensibility“-Ausstellungen, die die junge Generation chinesischer Kunstschaffender fördern. Im Jahr 2012 war er Chefkurator der 9. Shanghai Biennale „Reactivation“, 2017 war er Chefkurator des chinesischen Pavillons der 57. Venedig Biennale. Seit 2015 ist er akademischer Direktor des Ming Contemporary Art Museum (Shanghai). Im Jahr 2017 initiierte er die EAST (Education, Art, Science, Technology) Alliance in Central Art of Fine Arts Beijing.