Medien dienen der Veranschaulichung und Untersuchung komplexer Zusammenhänge und lassen das Verborgene ins Zentrum der Wahrnehmung rücken. Sie dienten schon immer als wertvolle Methode der Wissenschaft und der Inspiration. Seit der Erfindung der Fotografie führten bereits viele technologische Innovationen zu einem visuellen Paradigmenwechsel; doch welche Potenziale für die Zukunft von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft stecken in einer der modernsten aller bildgebenden Verfahren, der UHDTV-Technologie 8K?
Das Ars Electronica Futurelab forscht in einer Kollaboration mit dem japanischen Broadcaster NHK, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender und Pendant zum österreichischen ORF in Japan, seit 2018 an den Möglichkeiten der 8K-Technologie. In einem über drei Jahre andauernden Prozess geht es darum, herauszufinden, was man mit 7.680 x 4.320 Pixeln alles machen kann; abgesehen davon, sich zu Hause an einem Fernseherlebnis der immersiven Art zu erfreuen. Nicolas Naveau, Artist & Researcher im Ars Electronica Futurelab über bewegende Erfahrungen und Erlebnisse mit einer cutting-edge Technologie:
Wie kann die ultra-hochauflösende 8K-Technologie erweiterte Räume der Wahrnehmung eröffnen?
Nicolas Naveau: Am Anfang stand der Perspektivenwechsel, NHK nicht nur als Broadcaster zu sehen, sondern auch als Provider einer medialen Infrastruktur für ein breites, öffentliches Publikum. Mit Beyond the Frame – 8K Future Projects haben wir damit begonnen, die Vorteile der Technologie für eine große Öffentlichkeit gezielt zu untersuchen.
Die mit dem freien Auge auf handelsüblichen Bildschirmformaten nicht mehr erfassbare Auflösung von 7.680 x 4.320 Pixeln scheint für den Medienkonsum, wie wir ihn kennen und aktuell nutzen, reichlich überdimensioniert zu sein. Andererseits erlaubt sie ein Bild in ungewöhnlich großen Dimensionen, ohne dabei auf die gewohnte Qualität verzichten zu müssen. Es ist damit möglich, Inhalte sehr großflächig, aber detailgetreu zu transportieren, um sie auf diese Weise einer entsprechend großen Gruppe von Menschen zugänglich machen zu können.
„Wir haben hohen Wert darauf gelegt, die Technologie durch unsere künstlerische Herangehensweise in einen sozialen Kontext zu setzen. Ich betrachte technologische Innovationen eigentlich kritisch, deren gesellschaftlicher Wert ausschließlich darin liegt, immer schneller weiter und höher hinaus zu wollen.“ – Nicolas Naveau
Dort, wo sich Menschen begegnen und wo ein gemeinsames Erlebnis passiert, kann auch soziale Interaktion und eine Zone gesellschaftlicher Begegnung entstehen. In Tokyo gibt es sehr wenige Plätze dieser Art: Öffentliche Räume, an die Menschen aus verschiedenen Richtungen kommen – Räume, die einfach allen gehören. Um diesen kulturellen Gap in der japanischen Großstadtkultur zu schließen, haben wir mit dem 8K Platz einen neuen öffentlichen Raum für ein neues gemeinschaftliches Erlebnis geschaffen.
Für die mobilen 8K-Screens, die an unterschiedlichen Orten – outdoor wie indoor – zum Einsatz kommen können, wurden verschiedene Formate und Szenarien aus den Kategorien Public Screening, Kunst und Kultur und Workshop & Education entwickelt und mit 8K-Inhalten prototypisch illustriert. Darüber hinaus können sie im Bedarfsfall aber auch als Anlaufstellen der Krisen-Intervention eingesetzt werden. Zahlreiche Naturkatastrophen in Japan haben NHK die Notwendigkeit von öffentlichen Räumen der Information und der Anteilnahme in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich vor Augen geführt.
Ein besonders spannendes Setting war True Scale TV. Mit überwältigenden Naturaufnahmen in Lebensgröße haben wir die Reaktionen von Menschen auf Wetterprognosen untersucht – zum Beispiel durch die Implementierung der grafischen Visualisierung enormer Windgeschwindigkeiten, die visuelle Darstellung zu erwartender Regenmassen oder über die stilisierte Veranschaulichung von Umweltkatastrophen, wie der zu erwartenden Höhe der Flutwelle eines Tsunami. Die Erfahrungen, die wir mit diesem Experiment gesammelt haben, waren richtungsweisend für uns. Wir haben festgestellt, wie sehr die live-scale Darstellung, ermöglicht durch die hochauflösende Technologie, unsere Emotionen in Bezug auf die Wahrnehmung eines zweidimensionalen Bildes beeinflusst und gleichzeitig ein viel höheres Maß an Empathie und Anteilnahme ermöglicht.
Was ist die Zukunft von vertikalen Screens und inhaltsbasierten Dimensionen?
Nicolas Naveau: Neben dem gigantischen Format eines Screens und ultrahochauflösendem 8K-Content, der darauf läuft, spielt aber auch noch ein anderer Faktor eine entscheidende Rolle für unsere Wahrnehmung und unsere Apperzeption. Es hat einen guten Grund, warum das Format eines Bildschirms grundsätzlich das Querformat ist: Unser Gesichtsfeld ist ganz einfach auf eine Ausdehnung des Blickwinkels in eine horizontale Dimension ausgelegt. Doch diese Tatsache ist derzeit einem digitalen Wandel unterworfen, denn mit der immer intensiver werdenden Nutzung des Smartphones entstehen neue Sehgewohnheiten. Mit Cascade haben wir das im Detail untersucht.
Im Gegensatz zum horizontalen Einsatz von Screens wird der vertikalen Ausrichtung im Bereich in der Kunst oft der Vorzug gegeben. Vielleicht, weil das unseren Erwartungen und Gewohnheiten diametral widerspricht und es die Wahrnehmung des Inhalts damit zielsicher manipuliert. Sicher aber auch deshalb, weil der Screen im Portraitformat positioniert, viel mehr einem Bild und viel weniger einem Fernseher gleicht. Gleichzeitig macht dieses Format den Screen damit ‚human‘, weil er sich an den menschlichen Proportionen orientiert. Wenn wir einen Menschen in Lebensgröße und in einer sehr hohen Auflösung darstellen können, können wir damit bei dem*der Betrachter*in auch ein sehr hohes Maß an Empathie erzeugen. Um Menschen ein authentischeres Erlebnis vermitteln zu können, wurden sogar schon Screens entwickelt, der sich an den Anforderungen des Contents orientieren und flexibel im Hoch- oder Querformat eingesetzt werden können.
Resonant Media: Worin liegt der soziale Aspekt dieser Technologie?
Nicolas Naveau: Die Technologie unterstützt also nicht nur ein zutiefst menschliches Bedürfnis danach, immer noch einen Schritt weiter zu gehen, sondern sie erlaubt es einer urbanen Gesellschaft auch ein Stück weit ihre Isolation und ihre Anonymität zu verlassen. Das gemeinsame Erlebnis kann dabei helfen, Anteilnahme am Schicksal anderer zu üben, Verständnis und Empathie zu empfinden, und sich in die Erlebnisse von Mitmenschen besser hineinversetzen zu können. Resonant Media stellt einen hohen Anspruch an die UHDTV-Technologie 8K: Sie soll im Dienste der Menschen stehen, indem diese das Medium als Träger und Übermittler von Empathie und Emotion für sich nutzen können.
„Resonant Media – Possibilities of 8K Visualization“ ist der Titel einer Ausstellung, die im März 2021 in Shibuya, Tokyo, eröffnet wurde und die auch in virtueller Form zu besichtigen ist. Als Alternative überträgt Ars Electronica Home Delivery unbekannte Einblicke in die Welt von 8K, sowie eine Podiumsdiskussion aus dem Deep Space 8K.
Erfahre mehr über Nicolas Naveau, seine Forschung zu Resonant Media und die Grenzen und Möglichkeiten der Visualisierung von Unsichtbaren, aber auch darüber, wie die cutting-edge UHDTV-Technologie 8K die menschliche Wahrnehmung, empathische Emotion und das soziale Verhalten einer Gesellschaft der Zukunft verändern kann.
Nicolas Naveau studierte Kunst an der Fine Art School in Angers, Frankreich. Von 1997 bis 2002 arbeitete er als Kursleiter für französische Kultur (Kunstgeschichte, Comics, Kino) am Zentrum für Erwachsenenbildung in Wien. Aufgrund seiner Interessen und Fähigkeiten in den Bereichen Kunst, Grafik- und Informationsdesign wurde er 2002 freier Mitarbeiter bei Ars Electronica. Seit 2006 arbeitet Nicolas Naveau als Künstler und Senior Researcher im Bereich Informationsdesign im Ars Electronica Futurelab. Sein aktueller Fokus liegt auf dem drohenden – insbesondere dem klimabedingten – Kollaps und der Frage, wie dieser kommuniziert werden kann. Er ist Mitbegründer der Ars Electronica Happy Collapse Group.