Lateinamerikanische Medienkunst: Talent in Hülle und Fülle

Javier Castro, ‚Coliseo‘, 2015. Ph Randy Batista_small, Javier Castro / ‚Coliseo‘, 2015, photo: Randy Batista

Mit CIFO, kurz für die Cisneros Fontanals Art Foundation, fördert deren Gründerin Ella Fontanals-Cisneros seit 20 Jahren die lateinamerikanische Kunstszene. Die Ars Electronica wiederum hat sich der Förderung von Medienkunst und dem Dreieck aus Kunst, Technologie und Gesellschaft verschrieben. Gemeinsam treten die beiden Organisationen jetzt an, um mit einer Kooperation ihre Kräfte zu bündeln: Medienkunst in Lateinamerika nicht nur zu unterstützen, sondern in die Welt hinaus zu tragen.

„Die Zusammenarbeit mit CIFO bringt dem internationalen Publikum von Ars Electronica eine Reihe von herausragenden Künstler*innen und Projekten näher. Sie ist ein aufregendes Fenster in die innovative lateinamerikanische Kunstszene und eine Quelle für Inspirationen und Ideen, um die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen“

Gerfried Stocker, Co-CEO und Künstlerischer Leiter Ars Electronica

Der CIFO Ars Electronica Award, der heuer erstmals ausgeschrieben wurde, fördert die fünf ausgezeichneten lateinamerikanischen Künstler*innen mit jeweils bis zu 30.000 Dollar für die Entwicklung und Umsetzung ihrer eingereichten Konzepte. Präsentiert werden die fertigen Arbeiten im Rahmen einer eigenen Ausstellung beim Ars Electronica Festival 2022 (7. bis 29. September im LENTOS Kunstmuseum), danach werden sie Teil der ständigen Sammlung lateinamerikanischer Kunst der renommierten Cisneros Fontanals Art Foundation (CIFO). Wir haben vorab mit der Philanthropin, Unternehmerin und Kunstsammlerin Ella Fontanals-Cisneros gesprochen, welche Hoffnungen in der noch jungen Kooperation liegen, wie sich die (Medien-)Kunstszene Lateinamerikas unterscheidet und welche Philosophie hinter ihrem Tun steckt.

Ich würde gerne mit einer persönlichen Frage beginnen: Was war Ihre Motivation, CIFO zu gründen? Könnten Sie Ihre Motivation, Ihre Passion und Ihr Anliegen beschreiben?

Ella Fontanals-Cisneros: Ich habe mein ganzes Leben lang mit Philanthropie zu tun gehabt, insbesondere in den 1980er Jahren. Ich habe mit philanthropischen Organisationen wie den Vereinten Nationen zusammengearbeitet und die Stiftung Together in Venezuela gegründet. Ich hatte schon immer eine Leidenschaft dafür, Kommunen, Familien und Kindern in Not in Lateinamerika und darüber hinaus zu helfen.

Ich habe auch immer eine Leidenschaft für die Kunst gehabt – Kunst zu schaffen, zu sammeln und mit der Welt zu teilen. CIFO wurde ins Leben gerufen, um diese beiden Leidenschaften und Interessen zu vereinen und sowohl philanthropische als auch künstlerische Anliegen in einem zu verwirklichen. Im Laufe der Jahre konnten wir diese Ziele umsetzen, und unsere Leidenschaft für diese Dinge wird immer größer.

Was ist der Grundgedanke von CIFO und wie wird er umgesetzt?

Ella Fontanals-Cisneros: Das Stipendien- und Auftragsprogramm von CIFO dient der finanziellen Unterstützung von Künstler*innen in Lateinamerika, aber vor allem bietet es lateinamerikanischen Künstler*innen die Möglichkeit, mit anderen Künstler*innen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten, sowie mit Galerien und Plattformen, die ihnen helfen, ihre Ideen zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Wir wollen Kunstschaffende auf eine größere globale Plattform bringen und ihnen die Anerkennung zukommen lassen, die sie verdienen und die sie sonst vielleicht nicht erhalten würden.

Mit diesem Programm unterstützen wir die einzelnen Künstler*innen finanziell, stellen sie auf der ganzen Welt aus, machen sie online über soziale Medien und andere Kommunikationskanäle bekannt und nehmen sie in die permanente Sammlung von CIFO auf. Die Kunstschaffenden erhalten Stipendien und werden mit der Realisierung dieser Projekte beauftragt – dieses Jahr werden sie in Linz, Österreich, in Zusammenarbeit mit Ars Electronica ausgestellt.

Elena Damiani Syzygy II, Courtesy CIFO

Mit der Zusammenarbeit mit Ars Electronica beginnt ein neues Kapitel nicht nur für CIFO, sondern auch für Ars Electronica. Können Sie die Entstehungsgeschichte dieses neuen Kapitels aus Ihrer Perspektive schildern?

Ella Fontanals-Cisneros: Aus meiner Sicht ist diese Zusammenarbeit eine unglaubliche Bündelung der Kräfte. Ars Electronica ist eine äußerst wichtige und einflussreiche Institution in der Welt der Technologie, Kunst und Gesellschaft, die seit über 40 Jahren einen tiefgreifenden Einfluss auf die Welt hat – und obwohl sie bereits ihre Finger bei Projekten in Lateinamerika im Spiel hatte, war sie an einer Ausweitung ihres Engagements für lateinamerikanische Länder und Kunstschaffende interessiert. CIFO wiederum ist daran interessiert, sich stärker mit digitaler Kunst und Technologie zu befassen. Daher schien diese Zusammenarbeit eine perfekte Verbindung unserer beiden Ziele zu sein, eine Win-Win-Chance für beide Organisationen und die Communities, die wir damit erreichen werden.

Wie Sie bereits erwähnt haben, ist die Zusammenarbeit mit CIFO für Ars Electronica ein weiterer Schritt, um die Verbindungen zur lateinamerikanischen Medienkunstszene zu stärken und mehr Fachwissen über die in Lateinamerika entstandene Medienkunst zu erlangen. Gibt es Besonderheiten in den zeitgenössischen Kunstwerken aus Lateinamerika, bestimmte Dinge, die Medienkunstschaffende gemeinsam haben oder die sich vielleicht von der Medienkunstszene in, sagen wir, Europa oder Asien unterscheiden?

Ella Fontanals-Cisneros: In Lateinamerika haben die Künstler*innen im Allgemeinen weniger Zugang zu Technologie und Ressourcen. Es hängt natürlich davon ab, wo genau sich die Kunstschaffenden befinden – wir wissen, dass jemand in El Salvador vielleicht nicht denselben Zugang hat wie jemand in Brasilien, aber insgesamt ist der Zugang der Künstler*innen nicht derselbe wie in Nordamerika und Europa. Das wirkt sich auf die gesamte Kunst aus, die sie produzieren. So haben beispielsweise Kunstschaffende in Kuba nur sehr eingeschränkten Zugang zu den Ressourcen, die sie für die Verwirklichung ihrer künstlerischen Visionen benötigen. Dies ist jedoch kein Indikator für das Talent und die Fähigkeiten, die in diesen lateinamerikanischen Ländern vorhanden sind – das künstlerische Talent ist zweifellos in Hülle und Fülle vorhanden, aber die Einschränkungen für die Realisierung von Werken sind ebenfalls zahlreich. Ich würde sagen, dass sich die lateinamerikanische Kunst dadurch und durch die deutlichen kulturellen und soziopolitischen Unterschiede von der europäischen oder asiatischen Kunst unterscheidet.

Leyla Cardenas / ‚Unweaving the Grid‘, 2019, photo: Randy Batista

Ars Electronica beschäftigt sich nicht nur mit Kunst, sondern auch mit dem Dreieck von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Wie würden Sie diese Schnittstelle in der lateinamerikanischen Kunst beschreiben? Welche Rolle spielen die Gesellschaft und die Technologie?

Ella Fontanals-Cisneros: Die Nachteile, die lateinamerikanische Kunstschaffende beim Zugang zur Technologie haben, erschweren ihnen auch die Interaktion mit der Gesellschaft und dem globalen Publikum. Ohne den gleichen Zugang zu Technologie und Medien haben sie nicht die gleichen Möglichkeiten, so bekannt zu werden wie die Kunstschaffenden in anderen Ländern. Digitaler Kunst wird in Lateinamerika nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil – sie erfährt zwar eine gewisse Anerkennung in der Gesellschaft, aber diese Einschränkungen werfen große Probleme auf.

Junge Menschen wollen immer mehr Technologie – die Gesellschaft als Ganzes verlangt immer mehr von ihren Regierungen und Institutionen, und irgendwann werden sie es ihnen geben; sie müssen sich weiterentwickeln. In der Tat hat sich die Kunstwelt in Lateinamerika sehr weiterentwickelt. Das Problem ist die Geschwindigkeit, mit der wir das tun. Wir hoffen, dass wir mit diesem Projekt dazu beitragen können, dies zu ändern, indem wir der technologischen Kunst in den lateinamerikanischen Ländern durch die Nutzung der globalen Plattformen von CIFO und Ars Electronica zu sozialer Sichtbarkeit verhelfen. Wir sind sehr gespannt auf die Auswirkungen, die dies auf Kunst, Technologie und Gesellschaft in Lateinamerika und darüber hinaus haben wird!

Ella Fontanals-Cisneros ist eine Philanthropin, Unternehmerin und Kunstsammlerin mit Leidenschaft und einem selektiven Auge für zeitgenössische Kunst und Design. In Kuba geboren und in Venezuela aufgewachsen, hat sie mit ihrer Vision die Kunstszene in Miami und Kunstorganisationen rund um den Globus maßgeblich beeinflusst. Frau Fontanals-Cisneros begann in den 1970er Jahren, Werke von Kunstschaffenden aus Lateinamerika zu sammeln. Seitdem ist die Sammlung von Ella Fontanals-Cisneros auf wichtige, historische und innovative Werke aus aller Welt angewachsen, wobei geometrisch-abstrakte Kunst aus Lateinamerika, internationale Videokunst, Malerei, Fotografie und Installationen stark vertreten sind. Frau Fontanals-Cisneros hat Werke aus ihrer Sammlung an eine Reihe von Institutionen weltweit ausgeliehen, darunter die Tate Modern (London), das Reina Sofia Museum (Madrid), das Boston Museum of Fine Arts, die Pinacoteca do Estado de São Paulo (Brasilien), das Museu do arte de São Paulo (Brasilien), das Museum of Fine Arts (Houston), das Metropolitan Museum of Art (New York) und das Perez Art Museum (Miami), um nur einige zu nennen.

Mehr über die Preisträger*innen Projekte könnt ihr hier nachlesen. Mehr zum Festivalprogramm findet ihr laufend hier.

, , ,