Die Welt der Animation

Key Visuals Animation Festival, credit Glenn Marshall, Key Visuals Animation Festival, credit Glenn Marshall

von Juergen Hagler

Von Computer Animation zu New Animation

Computer Animation ist eine der Ursprungskategorien des internationalen Wettbewerbs Prix Ars Electronica. Seit 1987 befasst sich diese Kategorie mit digitalen Bewegtbildern im Kontext der Medienkunst. Während anfangs vor allem Pionierleistungen in der Computergrafik und -animation im Vordergrund standen, betonte die Jury zunehmend die künstlerische Dimension und wählte 1992 drei Formen aus: kommerzielle Computeranimationsfilme, wissenschaftliche Visualisierungen und Computerkunst, von denen sie die letztgenannte für den Hauptpreis auswählte, um die DNA des Medienkunstpreises zu wahren.1

Von Anfang an verfolgte die Kategorie einen interdisziplinären Ansatz2 und zeichnete Innovationen und Spitzenleistungen in den Bereichen Computergrafik und Animation sowie visuelle Effekte aus. In den frühen 1990er Jahren wurden neben Tech-Demos – Demonstrationen, die den Einsatz neu entwickelter Animationssoftware und -hardware zeigten – auch renommierte Studios für ihre revolutionären visuellen Effekte ausgezeichnet. Dementsprechend änderte sich der Name der Kategorie in Computer Animation / Visual Effects. 1998 vergab der Prix Ars Electronica zum ersten Mal in seiner Geschichte zwei Goldene Nicas, um neben den künstlerischen Arbeiten auch professionelle Produktionen zu würdigen.3

Mit der 20. Ausgabe des Wettbewerbs wurde die Kategorie in Computer Animation / Film / VFX umbenannt. Mit dem Aufkommen des digitalen Films und der versteckten visuellen Effekte verwischten sich die Grenzen zwischen Animation und Film zunehmend. Dies führte dazu, dass der digitale Film zu einer eigenen Form der Animation wurde.4

2020 wurden die Add-Ons entfernt, um der zunehmenden Rückbesinnung auf die künstlerische Dimension in den letzten zwei Jahrzehnten gerecht zu werden. Darüber hinaus hat das Aufkommen neuer immersiver Technologien und Formen ein breites künstlerisches Spektrum in der Animation eröffnet. Diese Entwicklung wird in den preisgekrönten und ausgewählten Arbeiten der letzten 15 Jahre deutlich: Art Games, Projection Mappings, VR-Projekte oder interaktive Medienfassaden erweitern den Kanon der Animationskunst.

Data, Bodies, Space , Rehousing Technosphere, credit Wang & Söderström

New Animation Art

Derzeit erleben wir einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir Bilder wahrnehmen, verstehen und erstellen. Es sind nicht nur KI und maschinelles Lernen, die die Grenzen unserer visuellen Kulturen verschieben, sondern auch neue Methoden und Werkzeuge für die wissenschaftliche Visualisierung, neue Kommunikationsformen (soziale Medien, investigativer Journalismus wie Forensic Architecture usw.) oder Fortschritte und Trends in der Echtzeitgrafik (VR, MR, Metaverse, Spiele usw.).

Die Erzeugung von digitalen Bildern verändert sich grundlegend. Wir können mit wenigen Eingaben Bilder generieren oder auf der Grundlage von Datenbanken Animationsstile auf bewegte Bilder übertragen. Lev Manovich weist in seinem aktuellen Buch Artificial Aesthetics: A Critical Guide to AI auf diese fundamentale Methode in Bezug auf generative KI-Medien hin und beschreibt die historische Entwicklung der Bild- und Bewegtbildgenerierung, von der „manuellen Erstellung von Abbildungen“ bis zur „generativen KI unter Verwendung von Mediendatensätzen zur Vorhersage von Stand- und Bewegtbildern“.5 Dies führt zu grundlegenden Veränderungen.

Mit der Kategorie New Animation Art reagiert Ars Electronica auf diesen Paradigmenwechsel und richtet sich an Arbeiten, die den visuellen Ausdruck an der Schnittstelle von Animation, Kunst und Technologie erforschen und damit experimentieren. Die Kategorie konzentriert sich auf Themen wie experimentelle, künstlerische Animation, KI-generierte Bilder, generative Kunst, wissenschaftliche Simulationen, Echtzeitgrafik und erweiterte Animation sowie auf interdisziplinäre Schnittstellen wie Theater, Architektur oder Computerspiel. Die Bandbreite reicht von künstlerischen Ausdrucksformen und kreativen Prototypen bis hin zu gesellschaftspolitischen Aussagen und Auswirkungen auf unser Leben.

Angesichts der Entwicklung der Kategorie ist die aktuelle Umgestaltung eine Antwort auf die letzten Jahre, eine Reaktion auf aktuelle Entwicklungen und ein Zeichen für zukünftige Trends. Ob künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zu einem ähnlichen Paradigmenwechsel für die Animation führen werden wie die Etablierung des Computers, bleibt abzuwarten. Im Sinne McLuhans Laws of Media6 sind die Antworten auf folgende Fragen entscheidend: Wie verbessert KI die Animation? Welche Art von Animation wird durch die KI obsolet? Was bringt die KI im Zusammenhang mit der Animation zurück? Und was bewirkt KI, wenn sie auf die Spitze getrieben wird? Viele Auswirkungen sind bereits sichtbar. Die Kategorie New Animation Art wird weiterhin ein Trendbarometer für die Animationskunst sein, das die Wechselwirkungen zwischen Technologie, Kunst und Gesellschaft sowie zukünftige Entwicklungen untersucht.

IT’S DANGEROUS TO GO ALONE! TAKE THIS, credit Bassam Issa

Doch Animation ist nicht nur eine essenzielle Kategorie des Prix Ars Electronica sondern auch in mehreren Programmpunkten des Festivals präsent.

Expanded Animation 2023 – The Art of Performance

Performance ist ein Wort, das eine Vielzahl von Interpretationen hervorruft. Im einfachsten Fall beschreibt Performance den Akt der Ausführung einer Aufgabe oder Funktion, aber es umfasst auch die Inszenierung und Präsentation des Aktes selbst. Als künstlerische Ausdrucksform kann eine solche Handlung ein Theaterstück, ein Musikstück, eine Tanzchoreografie oder eine Live-Animation sein. Im Gegensatz zu Animationsfilmen sind performative Handlungen in der Regel einmalig und unterscheiden sich, obwohl sie wiederholt werden können, in gewisser Weise voneinander. Unmittelbarkeit und Unvorhersehbarkeit sind neben vielen anderen Eigenschaften die Bausteine der Performance in diesem Kontext. Aber alle Animationen, ob voraufgezeichnet oder live, sind im Wesentlichen eine Komposition statischer Elemente, die als performativer Akt zum Leben erweckt werden. Die elfte Ausgabe des Expanded Animation Symposiums zielt darauf ab, die verschiedenen Schnittstellen zwischen Animation, Performance und künstlerischem Ausdruck aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen und zu diskutieren.

Seit 2013 diskutiert das Expanded Animation Symposium die Entwicklung und untersucht die Randbereiche der digitalen Animation.7 Das diesjährige Expanded Animation Symposium beginnt mit dem Panel Art & Industry, das spannende Perspektiven auf animierte Kurzfilme, Virtual-Reality-Erfahrungen, Spiele und interaktive Installationen von Pedro Harres, Immerea und Hangonit Studios präsentiert. Am Nachmittag werden die kanadische Medienkünstlerin Miwa Matreyek, Gewinnerin der Goldenen Nica in der Kategorie Computer Animation 2020, und die japanische Künstlerin Akiko Nakayama ihre Werke vorstellen und diskutieren, die von Live-Zeichnung bis zur Verschmelzung von Live-Performance, Skulptur und Animation reichen. Helen Starr, eines der Jurymitglieder der neuen Kategorie New Animation Art, wird sich mit dem theoretischen Kontext dieser künstlerischen Positionen auseinandersetzen. Im Anschluss daran wird der Medientheoretiker und Spieleforscher Stephan Schwingeler einen Vortrag über Counter-Gaming und künstlerische Darbietung in der Videokunst halten. Auch das Künstlerkollektiv gold extra gibt Einblicke in seine kreativen Prozesse – von metaversen Erfahrungen bis hin zum digitalen Theater. Abgeschlossen wird der erste Tag mit der Vorstellung von ANIMA PLUS, einer neuen Linzer Organisation, die sich die Förderung von Animationskunst und -kultur in Oberösterreich und darüber hinaus zum Ziel gesetzt hat.

Am zweite Tag des Symposiums finden weitere Künstlerpräsentationen statt, beginnend mit dem ASIFA Austria Forum mit Tobias Trebeljahr, Fanni Fazakas und Kris Hofmann, gefolgt vom Prix Forum for New Animation Art. Auch Nora O‘ Murchú, Jurymitglied in der neuen Kategorie, wird mit Helen Starr über aktuelle künstlerische Positionen diskutieren, ebenso wie die erste Gewinnerin der Goldenen Nica in der neuen Kategorie, Ayoung Kim, und die beiden Gewinner des Award of Distinction, Bassam Issa und SANGHEE. Das letzte Panel des zweiten Tages ist wieder dem Thema der Performance-Kunst gewidmet. Die Künstlerin Rebecca Merlic wird ihre Arbeiten vorstellen und diskutieren, insbesondere das experimentelle Spiel GLITCHBODIES, das als Honorary Mention ausgezeichnet wurde. Außerdem werden das Künstlerkollektiv minus.eins sowie Lucy Hammond und Dirk Neldner, die beide aktiv an dem EU-geförderten Projekt PlayOn! New Storytelling with Immersive Technologies, die Möglichkeiten des digitalen Theaters näher beleuchten und Einblicke in ihre aktuelle Forschung geben. Am dritten und letzten Tag wird die vierte Ausgabe der Synästhetischen Syntax The Ghost vs. the Machine verschiedene Perspektiven auf haptische Körper, Handlungsfähigkeit, Lebendigkeit und Prozeduralität im Kontext der Performance vorstellen.

GLITCHBODIES, credit Rebecca Merlic

Synästhesie ist ein Zustand, bei dem die Sinne in einer kontraintuitiven Rückkopplungsschleife miteinander verbunden sind, so dass der Synästhetiker vielleicht einen Ton hört, aber eine Farbe sieht. Der Computer kann als die ultimative synästhetische Maschine angesehen werden: Durch digitale Prozesse können wir Eingaben von allen verschiedenen Sinnen kodieren, sie auf binäre Daten reduzieren und sie miteinander vernetzen. Der menschliche Propriozeptionssinn (Erkennung der eigenen Position im Raum) und das vestibuläre System (Erkennung von Schwerkraft, Bewegung und Gleichgewicht) ermöglichen es uns, unsere Umgebung zu kartieren, uns im Raum zu bewegen und die Nähe anderer zu erkennen. In einem Zeitalter, in dem die Straßen unserer Städte zu einem Filmstudio geworden sind, in dem jede unserer Bewegungen von Überwachungskameras verfolgt wird und jeder Gedanke, jede Erinnerung und jede soziale Interaktion durch die Kamera, das GPS, das Mikrofon und die Bewegungssensoren unserer intelligenten Geräte vermittelt wird, stellt sich die Frage, was es bedeutet, einen Körper zu haben? Auf welche Weise kann die erweiterte Animation die physische Präsenz des lebenden menschlichen Körpers in Bewegung erforschen, und welche Rolle spielt die Technologie in diesem Zusammenhang?

Die diesjährigen Referenten werden innovative Projekte im Tanz mit Augmented Reality und Exoskeletten, Mocap, digitalen Puppen, prozeduraler Animation, haptischer VR, Blickverfolgung und KI-gesteuerten Erlebnissen und vielem mehr vorstellen. Zu den behandelten Themen gehören Lebendigkeit, Improvisation, Partizipation, Spontaneität, Unvorhersehbarkeit, Präsenz und Handlungsfähigkeit. Den Abschluss bildet eine Keynote von Ghislaine Boddington, einer Kuratorin, Moderatorin und Forscherin, die für ihre Pionierarbeit bekannt ist, bei der sie den Körper als Schnittstelle für digitale Technologien einsetzt, und seit den frühen 1990er Jahren Telepräsenz, digitale Intimität und virtuelle physische Verschmelzung erforscht.

Expanded Animation ist eine Kooperation der Fachhochschule Oberösterreich, Campus Hagenberg und des Ars Electronica Festivals in Zusammenarbeit mit der University for the Creative Arts, Farnham, UK, und wird organisiert von Jeremiah Diephuis, Jürgen Hagler, Wolfgang Hochleitner, Michael Lankes, Patrick Proier, Christoph Schaufler, Alexander Wilhelm / Fachhochschule Oberösterreich, Campus Hagenberg / Department für Digitale Medien, Birgitta Hosea Animation Research Centre, University for the Creative Arts, Farnham, UK und Reinhold Bidner, ASIFA Austria.

By starting the content, you agree that data will be transmitted to www.youtube.com.
Data Protection Declaration

Die erwähnten Programm sind Teil des Ars Electronica Festivals 2023 und können im Rahmen dessen besucht werden. Die Festival Highlights findest Du hier.

Juergen Hagler arbeitet derzeit als Professor für Computeranimation und Animationsstudien in der Abteilung Digitale Medien am Campus Hagenberg der Fachhochschule Oberösterreich. Seit 2009 ist er Studiengangskoordinator für den Masterstudiengang Digital Arts. Seit 2014 ist er Leiter der Forschungsgruppe Playful Interactive Environments mit dem Fokus auf der Erforschung neuer und natürlicher spielerischer Interaktionsformen und dem Einsatz spielerischer Mechanismen zur Förderung spezifischer Verhaltensmuster. Seit 2017 ist er Leiter des Ars Electronica Animation Festivals und Initiator und Organisator des Symposiums Expanded Animation.

1 Weibel, P. (1992) Begründung der Jury. In Der Prix Ars Electronica Edition ´92. Edited by Leopoldseder, H., VERITAS-Verlag, p. 43.
2 Schöpf, C. (1995) Prix Ars Electronica 95. In Prix Ars Electronica – Internationales Kompendium der Computerkünste – World Wide Web Sites, Interaktive Kunst, Computeranimation, Computermusik – Edition 95. Edited by Leopoldseder, Hannes/Schöpf, C., Landesstudio Oberösterreich, p. 13.
3 Robertson, B. (1998). Looking into the Future, In: Cyberarts 98, Edited by Hannes Leopoldseder; Christine Schöpf, Springer, pp. 110–115
4 Manovich, L. (2002). The language of new media. MIT Press, p. 255
5 Manovich, L., & Arielli, E. (2023). Artificial Aesthetics: A Critical Guide to AI. Media and Design.
6 McLuhan, M. (1975). McLuhan‘s Laws of the Media. Technology and culture, 16(1), 74¬—78.
7 Hagler, J., Lankes, M., & Wilhelm, A. (Eds.). (2019). Expanded Animation: Mapping an Unlimited Landscape. Hatje Cantz.

, , , ,