Interdisziplinäre Stadtforschung und Datenkunst

Photo: Patrick Münnich

Im Gespräch mit Prof. Dietmar Offenhuber erfahren wir, wie wichtig interdisziplinäre Ansätze in der Forschung sind und welche Rolle Daten in einer digitalisierten Welt spielen.

Dietmar Offenhuber hat sich als wichtiger Akteur in der Welt der Stadtforschung und Datenvisualisierung etabliert. Seine Leidenschaft für urbane Landschaften hat ihn auf eine bemerkenswerte Reise geführt, die im Ars Electronica Futurelab in Linz ihren Anfang nahm und ihn schließlich bis an die Northeastern University in Boston brachte. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf seine Erkenntnisse in der interdisziplinären Forschung, seine Erfahrungen während seiner Zeit als Fellow des FOUNDING LAB Fall Terms, die kontrastreichen Bildungslandschaften Amerikas und Europas, sowie seine Perspektiven zur Datenvisualisierung, die er in seinem neuesten Werk „Autographic Design: The Matter of Data in a Self-Inscribing World“ präsentiert.

Digitale Architekturreise

Zu Beginn seiner Karriere, in einer Zeit, in der Virtual Reality und digitale Techniken in der Architektur aufkamen, herrschte eine spürbare Unsicherheit über die zukünftige Rolle der Architekt*innen. „Diese Phase war charakterisiert durch ein ausgeprägtes experimentelles Engagement in der Architektur, wobei ein besonderes Augenmerk auf Virtual Reality und digitale Methoden gelegt wurde, die intensiv debattiert und erforscht waren.“ Dietmar Offenhubers berufliche Laufbahn begann im Herbst 1995 mit der Erstellung der Liftanimation für das Ars Electronica Center. 1997 wechselte er zum Ars Electronica Futurelab in Linz, einem Ort, der damals noch als Teil des Ars Electronica Center für die Konzeption von Ausstellungen bekannt war. Hier zeichnete sich Offenhubers Arbeit durch ihre Innovation und den Bruch mit traditionellen disziplinären Grenzen aus. Das Team am Futurelab verfolgte einen explorativen und interdisziplinären Ansatz, der Offenhubers spätere Forschung prägen sollte. Während seiner Masterarbeit an der Technischen Universität Wien vertiefte er sich in die städtebauliche Analyse unter Einsatz neuester Technologien. Diese Phase ebnete den Weg für den Wechsel zum MIT Media Lab und seine Promotion im Bereich Urban Planning. Seit 2018 ist Dietmar als Associate Professor an der Northeastern University in Boston tätig.

FOUNDING LAB Fall Term Chapter 4: Interfaces & Visualizations, Photo: Tom Mesic

Neue Wege in der akademischen Bildung

Offenhuber, der in einer Vielzahl interdisziplinärer Umgebungen gearbeitet hat, wurde die volle Bedeutung und Tragweite interdisziplinärer Arbeit erst offenbart, als er sich der Stadtplanung zuwandte. „In diesem Bereich, der eine Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Disziplinen bildet, ist die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten aus Ökonomie, Soziologie, Anthropologie und Design unerlässlich.“ Jeder dieser Bereiche bringt eigene Methoden und Sichtweisen ein, die gemeinsam ein umfassenderes Bild der urbanen Landschaft zeichnen. Diese Erfahrung hat ihn tiefgehend beeinflusst. Er betont die Wichtigkeit, Themen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu analysieren. Dabei geht es ihm nicht nur um die Kombination unterschiedlicher Ansichten, sondern auch darum, durch diese Vielfalt zu einem tieferen und vollständigeren Verständnis zu gelangen. Offenhuber sieht in der Interdisziplinarität nicht die Ausnahme, sondern die Norm – ein Ansatz, der seine Arbeit in der urbanen Forschung und Lehre maßgeblich geprägt hat.

Auf die Frage, wie amerikanische Universitäten wie die Northeastern University einen interdisziplinären Ansatz in Forschung und Lehre fördern, betont Offenhuber, dass eine direkte Nachahmung des amerikanischen Universitätssystems nicht zwangsläufig zielführend sei, angesichts seiner spezifischen Schwächen und Probleme. Er hebt jedoch die Notwendigkeit hervor, innovative Ansätze in pädagogischen und empirischen Modellen zu verfolgen. Dies spiegelt sich in seiner Auffassung wider, dass die Gestaltung von Lernen und Forschung im 21. Jahrhundert eine offene und kritische Auseinandersetzung mit bestehenden akademischen Traditionen erfordert.

Doch wie können die Konzepte und Praktiken der Interdisziplinarität, die an amerikanischen Universitäten entwickelt wurden, auf das innovative Modell wie zum Beispiel der IT:U angewendet oder angepasst werden? Er sieht in der Neugestaltung einer Universität das Potenzial für fundamentale Veränderungen und schlägt vor, herkömmliche Strukturen wie Semesterordnungen und Notensysteme kritisch zu überdenken und an die Bedürfnisse moderner Bildung anzupassen. Dabei betont er, dass die Gründung einer neuen Universität besonders attraktiv ist, da es immer spannende Themen zu erforschen gibt, sofern die richtigen Expert*innen und Ressourcen zur Verfügung stehen. Offenhuber hebt hervor, dass die größte Herausforderung in der Umgestaltung akademischer Zusammenarbeit liegt, insbesondere angesichts der Herausforderungen bestehender Strukturen. Er zieht Parallelen zum historischen Beispiel des Black Mountain College, das einen radikal anderen Ansatz zur Universitätsbildung verfolgte. Dieses Beispiel dient ihm als Beweis dafür, dass es möglich ist, Bildungseinrichtungen grundlegend neu zu denken und zu strukturieren.

Innovative Lehransätze

Gemeinsam mit  Jiabao Li, Assistant Professor an der University of Texas at Austin und Founding Director des Ecocentric Future Lab, und Barbara Lippe, Mitbegründerin von Holodeck VR und Doktorandin in Game Studies, leitete Dietmar Offenhuber das vierte Kapitel des Founding Lab Fall Terms. Unter dem Thema „Interfaces & Visualizations“ thematisierten die Fellows die Schnittstellen zwischen sozialen Dynamiken und der Darstellung von Daten in physischen und virtuellen Welten.

Rückblickend auf seine Zeit als Fellow des FOUNDING LAB Fall Terms stellen die Gespräche mit den Studierenden und Kolleg*innen aus verschiedenen Disziplinen den Höhepunkt seiner Erfahrung dar. „Ich bin fest davon überzeugt, dass solche interdisziplinären Dialoge im Zentrum der universitären Bildung stehen sollten.“ Er sieht es als eine der primären Aufgaben von Universitäten an, diese Art des Austauschs zu fördern und zu ermöglichen. Ursprünglich konzentrierte sich das vierte Kapitel, an dem Dietmar beteiligt war, auf Themen wie Interfaces, Mixed Reality und Visualisierung. Jedoch entschied entschied sich das Team um Barbara Lippe, Jiabao Li, und Dietmar Offenhuber, diese Grenzen zu erweitern. Statt sich auf technische Tutorials zu beschränken öffneten sie den Kurs für eine umfassendere und tiefere Erkundung der vielschichtigen Dimensionen von Mixed Reality.

„Die Studierenden waren trotz der Neuartigkeit dieses Ansatzes sehr engagiert. Ihr Kurs ging jedoch über den bloßen Gedankenaustausch hinaus und umfasste auch kreatives Schaffen. So initiierten sie beispielsweise eine Schauspielübung, in der die Studierenden dazu angeregt wurden, sich in Tiere hineinzufühlen und nicht-menschliche Realitäten zu erkunden.“ Diese innovativen Methoden zeigen, wie durch kreativen Ansatz und interdisziplinäre Kooperation neue Perspektiven in der akademischen Welt eröffnet werden können.

Landscape of Ideas / Dietmar Offenhuber, Photo: Pilo

Autographic Design: Ein neuer Ansatz in der Datenwelt

Dietmar Offenhubers jahrzehntelange Begeisterung für Visualisierung und Datenanalyse kulminierte in seinem neuesten Werk „Autographic Design: The Matter of Data in a Self-Inscribing World“, welches am 19. Dezember 2023 erschien. In einer Zeit, in der Fehlinformationen immer schwieriger zu erkennen sind, plädiert Autographic Design eindringlich und überzeugend für einen anderen Ansatz, der die Aufmerksamkeit auf die Produktion von Daten und ihre Verbindung zur materiellen Welt lenkt. Über das letzte Jahrzehnt hat sich Offenhuber im regen Austausch mit führenden Expert*innen intensiv mit dem Konzept des Datenmaterialismus auseinandergesetzt. Dieser Ansatz eröffnet innovative Wege für eine interaktive, taktile Exploration von Daten. Während seiner Zeit in den USA beobachtete er das wachsende Interesse an materiellen Praktiken in Forschung und Lehre. Er bemerkte, dass insbesondere in Bereichen wie Citizen Science oder Environmental Activism der Fokus verstärkt auf materielle Beweisführung gerichtet wird, wobei physische Darstellungen und Methoden traditionelle Visualisierungstechniken ergänzen oder ersetzen.

Dietmar Offenhuber verfolgt einen innovativen Ansatz in der Datenvisualisierung, der über herkömmliche digitale Darstellungen hinausgeht. Er betrachtet Daten nicht nur als abstrakte Zahlen, sondern als etwas Materielles, das aus realen Objekten und Aktivitäten entsteht. Seine Theorie konzentriert sich auf die physischen Aspekte der Datenerfassung und -darstellung und deren Methoden, die dabei helfen, die physischen Spuren und Zeichen in der realen Welt sichtbar und diskutierbar zu machen.

Offenhubers Werk „Autographic Design: The Matter of Data in a Self-Inscribing World“ repräsentiert nicht nur den Höhepunkt seiner Forschung in Datenmaterialismus, sondern auch einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie wir Daten verstehen und darstellen. Durch die Verschmelzung von Kunst, Wissenschaft und Umweltaktivismus bietet das Buch eine einzigartige Perspektive auf die Rolle von Daten in unserer zunehmend digitalisierten Welt. Es fordert Leser*innen heraus, die traditionelle Sichtweise auf Daten zu überdenken und die Bedeutung materieller Beweismittel in verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexten neu zu bewerten.

Photo: Patrick Münnich

Flexibilität in der Forschung

Sein Ratschlag für aufstrebende Forscher*innen ist es, offen für unerwartete Chancen zu bleiben. Er stellt fest, dass viele Studierende dazu neigen, sich auf ein spezifisches Thema zu fokussieren und darauf ihre Karriere aufzubauen. Während dies durchaus Vorteile bieten kann, hält er es oft für wichtiger, den Fokus auf die Entwicklung von Methoden zu legen, statt sich ausschließlich auf spezielle Themen zu konzentrieren. Themen sind austauschbar, doch die Entwicklung einer eigenen, in verschiedenen Kontexten anwendbaren Arbeitsmethode hat langfristig einen höheren Wert. „Es geht darum, eine passende Methode zu finden und diese kontinuierlich zu verfeinern und zu erweitern.“

Offenhuber unterstreicht zudem die Bedeutung des Peer-Mentorings. Das Lernen von und mit anderen Studierenden ermöglicht oft chaotische, aber effektive Ansätze, um Wissen in realen Projekten zu erwerben. Er kritisiert das traditionelle Bauhaus-Curriculum, das in vielen Designschulen noch verbreitet ist. Dieses Curriculum legt den Fokus auf das Erlernen verschiedener Handwerke, um Expertise zu erlangen, bevor man sich realen Projekten widmet. Offenhuber sieht diese Herangehensweise als überholt an; heute sei es wichtiger, relevante Projekte umzusetzen, anstatt Expertise in bestimmten Fertigkeiten anzustreben.

Für Offenhuber ist es essenziell, in der Ausbildung einen Schwerpunkt auf reale Projekte zu legen. Er befürwortet einen praxisbezogenen Ansatz, bei dem Studierende an eigenen Projekten arbeiten und dabei die notwendigen Fähigkeiten erwerben. Dieser Ansatz ermöglicht es, theoretisches Wissen in der Praxis anzuwenden und gleichzeitig relevante Kompetenzen zu entwickeln.

Mehr zu Dietmar Offenhuber findest du hier. Wenn du mehr über das FOUNDING LAB und die einzelnen Chapters wissen willst, besuche die FOUNDING LAB Website, verfolge das Programm am Ars Electronica Blog oder begleite die Studierenden auf den Ars Electronica Social Media Channels.

Dietmar Offenhuber

Dietmar Offenhuber ist Assistant Professor für Art + Design und Public Policy an der Northeastern University in Boston. Er promovierte in Stadtplanung am Massachusetts Institute of Technology, studierte am MIT Medialab und der TU Wien. Dietmar beschäftigt sich mit formeller und informeller Infrastruktur und hat mehrere Bücher im Bereich Stadt und Technologie veröffentlicht.