Wie kleinste Lebewesen und gewaltige Gezeiten zusammenwirken, was Veränderungen der Biodiversität für menschengemachte Infrastrukturen bedeuten und was die Erde für Millionen von Arten gerade im Miteinander so lebenswert macht, thematisiert die neue Ausstellung im Ars Electronica Center „Connected Earth“.
Wissenschaftliche Verfahren und Messtechniken machen den Planet Erde und seine Artenvielfalt für Menschen fassbar, archivierbar und erklärbar. Es sind die Zahlen, Fakten und Untersuchungen, die es uns erlauben, Zusammenhänge auf unserem Planeten zu erfassen und rational über sie zu sprechen. Was wir trotz klarer Forschungslage leicht aus den Augen verlieren: Menschliches Leben in all seinen Formen, Farben und Entwicklungen ist in den Kreislauf der Natur eingebunden – und letztendlich vom empathischen Zusammenspiel aller Akteur*innen und Elemente abhängig.
Verantwortung übernehmen
In gesellschaftlichen Debatten dominierte geschichtlich gesehen die Vorstellung eines Dualismus von Natur und Kultur: Unberührte Natur einerseits, menschliche Kultur und Zivilisation andererseits. Heute, in einer Zeit der ökologischen Krisen, ist diese Gegenüberstellung obsolet. Die feministisch-ökologische Philosophin Donna Haraway wendet sich vom Begriff des Anthropozän ab und entwickelt eine Vorstellung vom Leben im „Chthuluzän“, in der die enge Verbundenheit zwischen Spezies und Arten die Grundvoraussetzung allen Lebens ist. Der französische Soziologe Bruno Latour schreibt vom „Kampf um Gaia“ und James Bridle hinterfragt radikal die Vorstellung von nur einer Form der Intelligenz (nämlich der menschlichen). Die Tendenz ist klar: Wir alle tragen Verantwortung füreinander.
Die „Vernetzungen“ und (positiven) Abhängigkeiten zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen, die Zusammenhänge von Klimawandel und ausbeuterischen Verhältnissen und die „unsichtbaren“ Beziehungen zwischen allen Lebensformen sind der Ausgangspunkt für die neue Ausstellung „Connected Earth“, die in Kooperation mit dem Klima- und Energiefonds Österreich im Ars Electronica Center umgesetzt wird.
Kleine Impulse mit großer Wirkung
Symbolisch unterliegt das empfindliche Gleichgewicht der Erde dem Domino-Effekt: Ein kleiner Impuls genügt, um das ganze Bild zu verändern. Ob es Ansätze wie die Mobilitätswende, Climate Engineering oder der langfristige Umstieg auf ressourcenschonende, nachhaltige Energiequellen sind – eine Maßnahme birgt umgehend Konsequenzen für alle Teilchen im Netzwerk Erde. Im Rahmen von „Connected Earth“ stellen sich Besucher*innen die Frage, wie ein nachhaltiges und faires Miteinander aussehen könnte und welche direkten Auswirkungen das eigene Tun nehmen kann.
Mitmachstationen, anschauliche Modelle, Touchscreens, Apps und Online-Tools laden dazu ein, selbst aktiv zu werden, Kunstinstallationen bieten einen klaren Blick auf die engen Verbindungen zwischen menschengemachen Infrastrukturen, Flora und Fauna – und verdeutlichen die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes angesichts gravierender klimatischer Veränderungen.
Verbindungen erkennen: Die Fauna und wir
Ohne Photosynthese von Pflanzen kein menschliches Leben auf dem Planeten Erde: So könnte man es vereinfacht ausdrücken, denn pflanzliche Organismen sind die wichtigsten natürlichen Sauerstoffquellen, die uns Menschen die sprichwörtliche Luft zum Atmen geben. Es ist ein sensibles System, dem alle Organismen der Erde angehören – nur wenn jeder seinen Teil erbringt, ist das Überleben der Arten gesichert.
Dorotea Dolinšek beschäftigt sich mit der Fragilität der Erdatmosphäre, jener gasförmigen Hülle, die Leben auf dem Planeten überhaupt erst ermöglicht. Die „Exo Auxiliary Respiratory Unit“ (Ex.A.R.U.) rückt inmitten von Connected Earth ein futuristisches Gewächshaus in den Fokus. Wirft man einen Blick in den gläsernen Bau, sieht man ein Beet breitblättriger, grüner Tropengewächse (Aglaonema und Alocasia). Abgekapselt von der menschlichen Welt, entsteht ein kleiner Lebensraum für sich, dessen Zeichen auf maximale Sauerstoffproduktion stehen. Damit die Photosynthese und damit langfristiges Leben gelingt, braucht es – neben Licht und Wasser – auch Kohlendioxid. Hier kommen die Besucher*innen ins Spiel: Sie treten in die ‚Atmungseinheit‘ ein, indem sie sich per Sauerstoffmaske an die Installation anschließen, Luft mit dem sanften Geruch von Erde und Pflanzen einatmen und Kohlendioxid abgeben.
„The strongest element of the installation is the air. While the plants are crucial to the system, the project fundamentally explores an invisible yet indispensable substrate in which all living organisms are immersed in. It’s not just about the act of inhalation but about confronting the fragility of the thin atmospheric veil that sustains all life on Earth.”
– Dorotea Dolinšek
Die Installation soll das „Ungreifbare greifbar“ machen, erklärt die Künstlerin. Pro Tag atmet ein Mensch bis zu 32.000 Mal ein und aus. Dieser unbewusste und selbstverständliche Vorgang wird mit Ex.A.R.U. zu einer bewussten und sinnlichen Erfahrung, die die gegenseitige Abhängigkeit von „humans, non-humans and the biosphere“ auf einem gemeinsamen Planeten verdeutlicht, führt Dorotea Dolinšek aus.
„When participants put on the mask, there’s a crucial moment of asphyxia – a disruption in the natural rhythm of breathing. This suspension emphasizes the awareness of the fragility and immediacy of life’s dependence on air, and after all life’s interdependance.”
– Dorotea Dolinšek
Dorotea Dolinšek setzt sich in ihren Arbeiten bewusst mit potenziellem Leben im Weltraum auseinander und nähert sich künstlerisch der Frage, wie man fremde Planteten für Menschen bewohnbar machen könnte. Ein Beispiel ist das Projekt TerraPort, das 2022 auf dem Ars Electronica Festival präsentiert wurde. Der Weltraum scheint die radikale gegenseitige Abhängigkeit aller lebenden Systeme am besten zu veranschaulichen, denn um Leben auf anderen Planeten zu ermöglichen, müssen die Bedingungen der Erde nachempfunden werden. „Astronauten müssen Wasser recyceln, Pflanzen anbauen und Luft produzieren, um zu leben. Diese enge Abhängigkeit spiegelt die zunehmende Anfälligkeit der Ökosysteme der Erde unter ökologischem Stress wider“, erklärt Dorotea Dolinšek und verweist auf aktuelle klimatische Extremsituationen, die den Lebensraum Erde bedrohen. Waldbrände, Umweltverschmutzung und Erderwärmung sorgen für unwirtliche Verhältnisse, die an die Situation im Weltraum erinnern: „Die Installation Ex.A.R.U. hebt die Parallelen zwischen diesen Bedingungen hervor und fordert uns auf, die Erde als gemeinsamen Lebensraum zu betrachten, der kollektive Verantwortung erfordert.“
Dorotea Dolinšek demonstriert, wie wir von anderen, funktionierenden Prozessen in unserem Ökosystem abhängen und sie gleichzeitig mitbestimmen. Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg zeigt uns in Connected Earth, wie wir dazu beitragen können, diese kollektiven Prozesse auch langfristig zu erhalten und zu fördern. Menschliches Vordringen wie ausufernde Bodenversiegelung, das Anlegen von Monokulturen und Pestizideinsatz in der Landwirtschaft haben die Vegetation bedeutend verändert. Jetzt gilt es darüber nachzudenken, wie wir – als Gesellschaft und Individuen – eine positive Wendung initiieren können. Dafür braucht es zuallererst Mut. Denn es ist notwendig, die eigene, menschliche Perspektive auf die Welt abzulegen und sich anderen Sichtweisen zu nähern.
„Pollinator Pathmaker“ von Alexandra Daisy Ginsberg fragt: Wenn Bestäuber Gärten entwerfen würden, was würden die Menschen dann sehen? Es ist ein Kunstwerk für Bestäuber, das von Menschen gepflanzt und gepflegt wird. Pollinator Pathmaker wurde mit dem S+T+ARTS Prize for Artistic Exploration 2023 ausgezeichnet und ist ein einzigartiges Experiment im Bereich des artenübergreifenden Designs.
Da die Zahl der bestäubenden Insekten weltweit drastisch zurückgeht, arbeitete Ginsberg mit Gärtner*innen, Bestäubungsexpert*innen und einem Informatiker zusammen, um ein algorithmisches Tool zu entwickeln, das Pflanzen nach dem Geschmack der Bestäuber und nicht nach dem Geschmack des Menschen anbaut. Das Ergebnis ist eine wachsende Reihe algorithmisch erzeugter lebender Kunstwerke, die darauf abzielen, die Empathie für bestäubende Insekten zu maximieren. Jedes Kunstwerk ist anders, aber jedes ist so berechnet, dass es eine möglichst große Vielfalt an Bestäuberarten unterstützt. Indem Kunst für andere Arten geschaffen wird, wird sie zu einer Plattform für Empathie und Agency, um sich um sie zu kümmern.
Die ersten beiden Pollinator Pathmaker Editionen wurden 2022 eingeweiht: eine 55 m lange permanente Installation im Eden Project in Cornwall und elf sich über 250 m schlängelnde Beete in Kensington Gardens, London, im Auftrag der Serpentine. Die dritte Edition im Auftrag der LAS Art Foundation wurde im Juni 2023 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde in Berlin eröffnet.
„Pollinator Pathmaker“ ist nicht nur für große öffentliche Kunstwerke gedacht: Jede*r kann das algorithmische Tool auch kostenlos nutzen, um sein*ihr eigenes lebendes Kunstwerk zu Hause zu gestalten. Dazu folgt man den Schritten auf pollinator.art, kann die eigenen Gartenbedingungen auswählen und spielerisch entdecken, wie der Algorithmus das “Problem der Empathie” löst. Das Ergebnis ist ein individueller Bepflanzungsplan.
Ein künstlerischer Versuch, die Beziehungen und Kommunikationswege zwischen verschiedenen Lebewesen und der Umwelt bewusst wahrzunehmen, ist One Tree ID − How To Become A Tree For Another Tree von Agnes Meyer-Brandis. Im Foyer des Ars Electronica Center platziert, zieht ein Araukarienbaum alle Blicke auf sich. Der Nadelbaum und sein charakteristischer Duft werden zum Ausgangspunkt eines biochemischen und biopoetischen Experiments.
Der typische „Waldgeruch“ eines Baumes ist zugleich sein Botenstoff. Das Projekt nutzt Luftmoleküle – flüchtige organische Verbindungen (VOCs), die von allen Pflanzen abgegeben werden. Sie dienen zur Kommunikation mit Insekten, die die Bestäubung und damit den Fortbestand der Art garantieren. Doch wie können Menschen Einblick in den Dialog erhalten? Agnes Meyer-Brandis extrahierte die Gasemissionen des Baumes und transformierte die spezifischen VOCs in Zusammenarbeit mit einem Parfümeur in vier verschiedene Düfte: Die Gerüche von Baumkrone, Baumstamm, Wurzel und des gesamten Araukarienbaums wurden zur Substanz und flossen in kleine, gläserne Fläschchen – und dürfen in der Ausstellung aufgetragen werden.
Indem die Künstlerin pflanzliche Botenstoffe in Flakons festhält, spekuliert sie, wie Menschen in einen symbolisch-sinnlichen Dialog mit umliegenden Bäumen treten könnten. So wird eine andere Form der Kommunikation erfahrbar, die in unserem menschlichen Alltag unbemerkt bleibt.
Menschen setzen auf das System der Sprache. Klare Worte, so möchte man meinen, müssten auch zu klaren Konsequenzen führen. Doch nicht alles, was ausgesprochen wird, führt zu einem Handeln. Denken wir an die Klimakrise und daran, dass die erste Weltklimakonferenz bereits 1979 in Genf stattfand – die Wissenschaft kommuniziert schon lange und eindeutig, dass es gravierenden Handlungsbedarf gibt. Warum kommen diese Botschaften nicht an und führen zu keinem ausreichenden Tun?
Fehlende Klimamaßnahmen – Ein Blick in den Weltraum und zurück
„Was bremst Klimaschutz?“, „Geht Klimaschutz auch schneller?“ – es sind direkte Fragen, die das KONTEXT Institut für Klimafragen in der neuen Ausstellung stellt. Sie sind in die hölzerne Raumarchitektur integriert und richten sich an alle Besucher*innen. Wer Antworten sucht, scannt mit dem Smartphone den beiliegenden QR-Code und taucht virtuell in die Forschungsarbeit rund um (verfehlte) Klimamaßnahmen ein.
Beatie Wolfe geht strenger vor und zeigt, wer Interesse daran hat, Klimadaten zu verschleiern und Verharmlosungen zu verbreiten. Die Künstlerin kontrastiert in Smoke and Mirrors Werbeslogans der Ölindustrie – wie „Out to clean the air“ („Für saubere Luft“) von Amoco und „Net-Zero“ („Netto-Null“) von Shell – mit der steigenden Konzentration von Methan in der Atmosphäre. Auf der einen Seite wissenschaftliche Werte, die die unaufhörliche Negativentwicklung seit 1970 lückenlos belegen, parallel dazu Werbemaßnahmen, die bewusst Skepsis schüren.
Für Smoke and Mirrors erhielt Beatie Wolfe in diesem Jahr die Goldene Nica des Prix Ars Electronica in der Kategorie New Animation Art. Doch es ist nicht ihre erste Auseinandersetzung mit der Klimakrise. Schon früh in ihrer Laufbahn hat sich die Künstlerin der Frage gewidmet, wie man wissenschaftliche Daten zu Klimaveränderungen so aufbereiten könnte, dass sie für alle verständlich sind. Mit From Green to Red ist ihr das bereits auf eindrückliche Weise gelungen. Mehrfach preisgekrönt und auf dem Nobelpreisgipfel 2021 vor internationalem Fachpublikum präsentiert, visualisiert die Animation stolze 800.000 Jahre historischer NASA-Daten, die nachvollziehen lassen, wie sich die CO₂-Werte auf der Erde im Zeitverlauf drastisch verändern. Ab heute täglich zwischen 21 Uhr und 24 Uhr auf der Fassade des Ars Electronica Center zu sehen.
Noch bevor Firmen große Kampagnen über klassische Medien streuen – wie Beatie Wolfe demonstriert – finden sich Interessensgruppen über digitale Medienplattformen. Falschinformationen, vereinfachte Darstellungen oder Verschwörungstheorien rund um das Thema Klimakrise werden geposted, geliked, geteilt und mit anderen Nutzer*innen diskutiert. Über nationale und internationale Grenzen hinweg bilden sich Communitys, deren informelle „Mitglieder“ einen engen Austausch pflegen. Das zeigt die Geosocial AI Forschungsgruppe der Paris Lodron Universität in Salzburg mit dem aktuellen Projekt DEGENET (kurz für Demokratiegefährdung im Netz). Das Team betreibt Datenanalysen, deckt räumlich-geographische Muster in Sozialen Medien auf und zeigt so, wo sich Hotspots für die Verbreitung von Verschwörungstheorien bilden. Die Datenaufbereitung soll demokratiefeindliche Entwicklungen und ihre realen Auswirkungen aufzeigen und Entscheidungsträger*innen dazu aufrufen, effektive Gegenstrategien zu entwickeln und demokratische Systeme zu schützen.
Zusammenhänge ausmachen: Ökologie, Wirtschaft und Wohlbefinden
Perfect Sleep von Tega Brain und Sam Lavigne untersucht den Zusammenhang zwischen Schlafmangel und Klimawandel und kritisiert das ausbeuterische kapitalistische System, das – in beiden Fällen – Regeneration und natürliche Grenzen missachtet. Die Installation greift auf wissenschaftliche Erhebungen zurück, die offenlegen, dass die meisten Erwachsenen an einem chronischen Schlafmangel leiden – es ist von einer „Epidemie der Rastlosigkeit“ die Rede. Grund dafür sei der enorme Druck spätkapitalistischer Strukturen, der auf jeden Einzelnen wirkt. Hinzu kommt exzessive Internet- und Smartphonenutzung:
“Every waking minute of our attention is now seen as a resource from which value can be extracted. […] Perfect Sleep is a project in a larger body of work addressing what we call ‘expanded geoengineering’ and where we attempt to reframe geoengineering as being more of a social challenge than a technological one.”
– Tega Brain und Sam Lavigne
Im Zuge des zweiteiligen Kunstprojekts werden der eigene Schlaf und Traumwelten zu Gegenstrategien erhoben. Plakativ gesagt: Wer mehr schläft und weniger Arbeitsleistung erbringt, tut nicht nur etwas für die eigene Gesundheit, sondern verringert CO₂-Emissionen:
„We got really excited by the idea of sleep being a powerful climate technology and so we built what is essentially an alarm clock app, but one that gradually expands your sleep time by one minute per day. Productivity hasn’t yet been decoupled from carbon emissions so reducing your productivity is an effective way of lowering your carbon footprint.”
– Tega Brain und Sam Lavigne
Folgt man der Perfect Sleep App, wird der eigene Schlaf über drei Jahre hinweg weiter und weiter verlängert, bevor der prognostizierte „perfekte Schlaf“ eintritt. Um dem auch nachkommen zu können, gibt es in der Ausstellung zwei eigens angefertigte Liegestühle aus Holz, auf denen Platz genommen werden soll. Zu hören sind gesprochene und vertonte Traumlandschaften – aber keine zufälligen Gutenachtgeschichten:
„To aid in falling asleep and to seed dreaming about other ways of living, we decided to commission some of our favorite writers to write dream incubation texts that could be listened to when drifting off. We asked Simone Browne, Johanna Hedva, Holly Jean Buck and Sophie Lewis to envisage alternative worlds that would help our users dream of life outside of capitalism.”
– Tega Brain und Sam Lavigne
Perfect Sleep beschäftigt sich mit Degrowth – also mit der Möglichkeit, Gewinnorientierung und das Verlangen nach ständigem Wachstum abzulegen. Es geht um neue Wege, Produktivität zu bestimmen, denn nur ein Umdenken im wirtschaftlichen und persönlichen Sinn kann eine Änderung herbeiführen, argumentieren die Künstler*innen:
“We are trying to provoke an imagination for doing less. Everyone – including those non-humans in the ecosystems that sustain us – is exhausted. Working less is key in making the changes necessary to address climate change.”
– Tega Brain und Sam Lavigne
Weniger zu arbeiten, scheint aus Sicht der Konzerne ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, der Traum des Profits zu vielversprechend. Tega Brain und Sam Lavigne setzen dem wissenschaftliche Erhebungen entgegen, die eindeutig zeigen, dass das Modell der 4-Tage-Woche eine tatsächliche Chance wäre, CO₂-Emissionen weltweit zu reduzieren und die Lebensqualität aller erheblich zu verbessern.
Leistungserbringung, Wohlbefinden und Klimapolitik greifen hier fließend ineinander – soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen lassen sich nur in Relation verstehen. Diesen Ansatz verfolgt auch das Kollektiv Fragmentin mit seinem Projekt G80, das 2024 mit einer Honorary Mention des Prix Ars Electronica ausgezeichnet wurde und ab sofort im Ars Electronica Center präsentiert wird.
G80 ist eine interaktive Installation, die Richard Buckminster Fullers World Game aufgreift und seine Idee in die Gegenwart transportiert. In den frühen 1960er Jahren entwickelte der US-Architekt und Futurist ein Simulationstool zum Umgang mit den Problemen der Welt. Schon damals war er der Meinung, dass es umfassende Zusammenhänge gibt, die ganzheitliche Lösungen verlangen. Das World Game richtete sich auf die Ressourcenverteilung im globalen Maßstab. Der angebliche Schlüssel zur Bewältigung soziopolitischer und ökologischer Probleme im Zeitalter der Kybernetik: Computer und mathematische Modelle. G80 hinterfragt diese zahlenorientierte, technokratische Hypothese.
Das Kunstwerk zeigt eine Konsole mit 80 motorisierten Schiebereglern. Das Bild erinnert an einen Kontrollraum, von dem aus zentrale Prozesse gesteuert werden. Jeder Schieber ist beweglich und entspricht einer Variable. Manche sind direkt von Buckminster Fuller inspiriert, andere, neue Variablen beleuchten die großen Fragen unserer Zeit: Nuclear Energy, Natural Disasters, Femicides, Income Equality, Health, Biodiversity, Automation, Air Quality, Animal Welfare, Fossil Fuel und Military Spending. Nun sind die Besucher*innen am Zug, sie sind aufgefordert, die Welt spielerisch zu stabilisieren, indem sie die Werte der einzelnen Variablen verstärken (+) oder verringern (-). Schnell zeigt sich: Alle Regler korrelieren miteinander. Eine finale Einstellung gibt es nicht, immer wieder wird die Ordnung reichlich durcheinandergebracht.
Die Ausstellung Connected Earth fordert von den Besucher*innen, über größere und kleinere Zusammenhänge nachzudenken, die das Leben auf der Erde ermöglichen und lebenswert machen. Künstlerische Perspektiven zeigen auf, was die umfassende „Verbundenheit“ ausmacht und wie wir uns ihrer bewusst werden können. Praktische Projekte aus Linz und Österreich demonstrieren, wie engagierte Bürger*innen schon heute einen Unterschied machen und Umwelt, Wirtschaft und Soziales in einen nachhaltigen Dialog bringen.
Alternativen finden: Wasserstoffwelt Linz
Im Projektunterricht am Linzer Technikum haben sich drei Maturanten zusammengetan, um ein Minecraft Minigame zu entwickeln, das Kinder ab dem Volksschulalter an das Thema Wasserstoff als umweltfreundlicher Energieträger heranführt. Nach fast einem Jahr Entwicklungszeit ist den Schülern das Add-On nun geglückt – die „Wasserstoffwelt Linz“ kann per Controller erkundet und erweitert werden. Das Ziel ist es, Wasserstoff als Energieressource der Zukunft herzustellen.
„Wir haben eine ganz individuelle Karte gebaut. Keine fiktive Landschaft mit Bergen und Bäumen. Bei uns navigiert man durch die virtuelle Version von Linz“, heißt es seitens Simon Ehrenhuber, Roberto Husli und Matthias Steininger. Mariendom, Hauptplatz, Ars Electronica Center, Donau, Bruckner Haus, Bosch, Stahlwerk, Hafen und die LINZ AG sind die Eckpfeiler und geben Orientierung in der Spielwelt. Hier, inmitten von Linz, müssen Spieler*innen nun Wasserstoff produzieren. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, welche Materialien gefragt sind und welche Infrastrukturen geschaffen werden müssen, gibt der Spielverlauf über drei edukative Level vor. Pro Level gilt es eine Aufgabe zu lösen – nur wer sie bewältigt, sieht Ergebnisse.
In Level 1 ist die „Challenge“ die Herstellung von grüner Energie. „Die Spieler*innen müssen drei Stromproduzenten – also Windrad, Wasserrad, Solarpanel – miteinander verbinden, um Strom zu erzeugen“, erklärt das Team. „Das passiert unter vereinfachten Bedingungen und ohne echte Relationen. Wir wollen den Prozess für Kinder zugänglich machen.“ Wurden genug ‚Stromeinheiten pro Minute‘ erzeugt, folgt in Level 2 der Bau eines Elektrolyseurs – eines Apparates, der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. „Es braucht drei Komponenten für die Erzeugung von Wasserstoff: Genug Strom, genug Wasser und den Elektrolyseur“, fassen die Schüler zusammen. Ist dieser einsatzbereit, wird in Level 3 der chemische Prozess in Gang gesetzt und Wasserstoff erzeugt. Sobald die Energie gespeichert und einsatzbereit ist, verrät eine Kamerafahrt über das virtuelle Linz, wo sie überall zum Einsatz kommt: In der Industrie, am Beispiel eines qualmenden Schlots, in der E-Mobilität oder eingelagert in einem unterirdischen Tank für den späteren Gebrauch im Haushalt.
Wer sich abseits der Gamification dem logischen, rationalen Aspekt der Wasserstoffproduktion widmen möchte, geht in der Ausstellung nur einige Schritte weiter und probiert das Wasserstoff-Wertschöpfungsketten-Modell von WIVA P&G, Ars Electronica, Robert Bosch AG, Linzer Technikum und LINZ AG mit der RAG Austria AG aus.
Ein Modellbau ist oftmals filigran und heikel, soll möglichst zur Anschauung dienen aber bitte mit Samthandschuhen behandelt werden – nicht so beim interaktiven und spielerischen Wasserstoffmodell. Zunächst wird gekurbelt: Besucher*innen erzeugen händisch Energie, die dann dazu verwendet wird, einen echten PEM-Elektrolyseprozess (Proton Exchange Membrane) zu betreiben und Wasserstoff zu gewinnen. Ist alles erledigt, beginnt sich eine kleine Erdkugel zu drehen. So veranschaulicht das Wasserstoff-Wertschöpfungsketten-Modell die Erzeugung, Speicherung und Nutzung von grünem Wasserstoff – und demonstriert seine Rolle in zukünftigen Energiesystemen.
Von der Reflexion zur Umsetzung: So geht’s anders
An Modellen lässt sich so einiges ablesen, was im großen Bild kaum fassbar wird. „Connected Earth“ will aber nicht nur künstlerische Visionen vorstellen und wissenschaftliche Ansätze erklären – es geht vor allem um praktisches Tun. Bei der Best-Practice-Station des Klima- und Energiefonds entdeckt man an einem Multi-Touch-Terminal, welche innovativen Vorzeigeprojekte zu den Themen Energie- und Mobilitätswende momentan in Österreich laufen oder bereits abgeschlossen wurden. Bilder und Videos zeigen, woran innovative Betriebe und Forschungsinstitutionen arbeiten und welche Ziele verfolgt werden.
Bis 2026 im Ars Electronica Center
„Connected Earth“ – das Verständnis davon, dass jedes Lebewesen und jede Pflanze auf unserem blauen Planeten Teil eines unsichtbaren Netzwerks ist, das die Zahnräder sprichwörtlich am Laufen hält. Im Ars Electronica Center wird dieser Ansatz zum Leitgedanken, der die gemeinsame Ausstellung mit dem Klima- und Energiefonds mit ihrer Vielfalt an Positionen und Ansätzen so spannend macht. Es geht nicht darum, einzelne Zugänge exemplarisch vorzuführen, sondern darzustellen, welche Chancen in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven gründen. Punktuelle Lösungen sind unbrauchbar geworden, gefragt sind Kollaboration, Austausch und vor allem Verständnis für andere Lebensformen als die eigene. Das alles zeigt „Connected Earth“ ab heute und bis 2026 im Ars Electronica Center.
Alle Informationen zur neuen Ausstellung „Connected Earth“ im Ars Electronica Center findest du hier.