STARTS Ausstellung 2024: Kunst als Katalysator im Innovationsprozess

Sound artist Antye Greie-Ripatti (aka AGF or Poemproducer) at the CMS Experiment during her residency at Arts at CERN. Photo: Sophia Bennett. Courtesy CERN.

Wie können wir eine Kultur fördern, in der Kunst, Wissenschaft und Technologie als miteinander verbundene und sich gegenseitig bereichernde Methoden des Forschens, des Wissens und des Entdeckens gedeihen? Für einen einfühlsameren und entschlosseneren Umgang mit den drängenden Problemen unserer Zeit.  Begeben wir uns auf die Reise in eine Welt der Möglichkeiten. In eine Welt neuer Lösungen. 

STARTS ist eine Initiative der Europäischen Kommission zur Förderung von Allianzen zwischen Wissenschaft, Technologie und künstlerischer Praxis. Im Mittelpunkt stehen Menschen und Projekte, die zur Bewältigung der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen der europäische Kontinent konfrontiert ist, beitragen. Als seit 2015 aktiver Partner der Initiative richtet die Ars Electronica den jährlichen STARTS Prize aus und zeigt am Festival 2024 die STARTS-Ausstellung, die die beeindruckende und weitreichende Rolle von künstlerischen und kreativen Gemeinschaften sichtbar für alle macht – dieses Jahr mit dem Anspruch, sich auf den STARTS-Ansatz als Ganzes zu konzentrieren. Nämlich: die Kunst als Katalysator im Innovationsprozess.  

Dementsprechend legt die STARTS Ausstellung den Schwerpunkt einerseits auf künstlerische Arbeiten, die die Sichtweise auf die Technik beeinflussen oder verändern, und andererseits auf vielversprechende Formen der Zusammenarbeit zwischen dem privaten Sektor und der Welt der Kunst und Kultur. „Die STARTS-Ausstellung zeigt in diesem Jahr die vielfältigen Formen und Funktionen künstlerischer und kreativer Zusammenarbeit. Vor allem möchten wir ihr Potenzial, uns als Inspirationsquellen und treibende Kräfte des Fortschritts zu dienen, ins Zentrum stellen – heute und jetzt sofort, aber auch in der Zukunft. Wir präsentieren Projekte von einzelnen Künstler*innen, aber auch institutionelle Initiativen, die durch ihre innovativen Ideen und ihr Engagement aktiv Veränderung bewirken“, so Masha Zolotova, Ko-Kuratorin der STARTS Ausstellung.  

2024 zeigt die Ausstellung also nicht nur die Ergebnisse jener Projekte, an denen sich Ars Electronica derzeit beteiligt, etwa die STARTS-Preisträger*innen und die STARTS Preis Afrika-Gewinner*innen, sondern auch die im Rahmen der STARTS4Africa und STARTS in the City Residenz-Programme entwickelten Arbeiten sowie die Ergebnisse anderer EU-Projekte, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, z.B. des FUNKEN Academy Projekts und der Projekte von Label4Future.

The Solar Share / DISNOVATION.ORG (FR/PL/CA), Photo: DISNOVATION.ORG

Let STARTS start 

Eröffnet wird die Ausstellung mit dem STARTS Grand Prize-Gewinner*innen-Projekt „Calculating Empires: A Genealogy of Power and Technology, 1500-2025“, einem groß angelegten visuellen Manifest von Kate Crawford und Vladan Joler, das sich kritisch mit der Beziehung zwischen Technologie und Macht über fünf Jahrhunderte hinweg auseinandersetzt. Durch die Verschmelzung von Forschung und Design, Wissenschaft und Kunst gehen Joler und Crawford über die aktuellen Spektakel der künstlichen Intelligenz hinaus und zeigen einen neuen Weg auf, unsere technologische Gegenwart zu sehen, indem wir in die Vergangenheit eintauchen – von der Geburt der europäischen Imperien bis zu den Technologieunternehmen von heute. Indem sie in ihrem Projekt danach fragen, wie wir hier gelandet sind, fordern die Künstler*innen auch bewusst dazu auf, über die nächsten Schritte nachzudenken. Sie entlassen ihr Publikum also mit offenen Sinnen in die Ausstellung – stets begleitet von der Frage: How did we get here and what could be the next step? 

Ein Weg nach vorne 

Mitten im bunten Treiben der Ausstellung werfen andere Projekte bereits ähnliche  Fragen auf: Nämlich, ob es ausschließlich des Blickes auf unsere Vergangenheit bedarf, um über unsere Zukunft nachdenken zu können, oder ob erst die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven auf Vergangenes zu neuem Handeln inspirieren kann. Fakt ist: Es gibt keine singuläre Sichtweise auf die Geschichte, sondern immer eine Vielzahl von Perspektiven. „Um als Gesellschaft auch von jenen lernen zu können, die bisher unterdrückt wurden, müssen wir die bislang ungehörten Stimmen als neue Impulse des Dialogs und Ideengeber*innen für neue gesellschaftliche Strategien begreifen“, bringt es Masha Zolotova auf den Punkt. Next step: Unbekannte Perspektiven einbeziehen. 

Im Rahmen des Projekts STARTS4Africa, dem ersten STARTS-Residenzprogramm, das sich ausschließlich der Förderung afrikanischer Innovationen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst widmet, führen afrikanische Entscheidungsträger in Partnerschaft mit europäischen Akteur*innen acht künstlerische Aufenthalte in Nigeria, Senegal, Ghana und Tansania durch. Die Aufenthalte bringen lokale und internationale Künstler*innen mit regionalen Akteur*innen zusammen, um die reichhaltigen, komplizierten und lokal geprägten Beziehungen zwischen Technologie, Kunst und Kultur zu beleuchten. Um die daraus entstandenen Innovationen der Gedankenwelt vieler Menschen näher zu bringen und herrschende Problematiken greifbar zu machen, bringen Künstler*innen ihr kulturelles Wissen auf die globale Bühne. Dabei stellen sie nicht nur alte Erzählungen der Geschichte in Frage, sondern ermächtigen Gemeinschaften dazu, aktiv gegen Unrecht anzukämpfen.  

Der STARTS Prize Africa hebt innovative regionale Initiativen hervor: Das Balon NFT-Projekt von CATPC fordert Kunst und Land durch Blockchain zurück und stellt historische Ausbeutung in Frage; Black Body Radiation von Ameera Kawash und Ama BE untersucht die Schnittstelle zwischen spirituellen und digitalen Technologien bei der Bewertung von Tabak; Dzata: Das Institute of Technological Consciousness von Hlongwane, Knoetze und Wilson stellt afrikanische Volks- und Technologiepraktiken in einem fiktiven Institut neu vor; I.AM.ISIGO Digital Mystery System verbindet alte afrikanische Webtechniken mit dem digitalen Netz; und Metadata Memoir betont die Bedeutung von Gemeinschaftseigentum und öffentlichem Vertrauen im Restitutionsprozess.

Künstlerische Perspektiven 

Um auf die Frage des Eröffnungsprojekts, was denn der nächste Schritt sein könnte, weitere mögliche Antworten zu finden, gestalten unterschiedlichste künstlerische und kreative Communities Entwürfe einer inklusiveren, zugänglicheren und einfühlsameren Welt – und das in verschiedensten Dimensionen, wie die Ausstellung dem Publikum zeigt. Dabei ist allen gezeigten Projekten eines gemein: Sie stellen mit künstlerischen Mitteln den technologischen Status quo in Frage und schlagen alternative Ansätze vor. Sie überwinden etablierte Normen und verankern somit neue Perspektiven im öffentlichen Diskurs. Diese reichen von umweltschonenderer Technologiegestaltung über Schutzmechanismen für Schlüsseltechnologien bis zur Verschränkung von Technologieentwicklung und historischer Methodik. Next step: Neu denken. 

Revolution Refridge / Rojava Center for Democratic Technology & Dani Ploeger (AANES /SY), Photo: Rojava Center for Democractic Technologies

Das für den STARTS Prize 2024 nominierte Projekt „Revolution Refridge“ etwa ist sowohl ein Kunstwerk als auch eine Haushaltstechnik, die auf die lokalen Schwierigkeiten in punkto Lebensmittelkühlung in Rojava, Nordostsyrien, eingeht. Es reagiert auf zweierlei Aspekte: Erstens kombiniert das Gerät eine historische, auf Verdampfung basierende Kühlmethode mit einem modernen Solarsystem. Zweitens suggeriert sein Design eine alternative, regionalistische Zukunft, in der Science-Fiction-Idiome mit regionalem Erbe verschmelzen.  

Sand Gardens, Mohamed Sleiman Labat (EH), Mohamed Sleiman Labat, Motif Art Studio

Die künstlerische Intervention „Sand Gardens“, ein weiteres Projekt des STARTS Prize Africa 2024, zeigt eine alternative Lösung für ein kritisches Problem in den saharauischen Flüchtlingslagern im Südwesten Algeriens. Dabei wurde Sand als Medium für den Anbau von Gemüse und Kräutern verwendet – in einer sehr schwierigen Wüstenumgebung und bei extremer Hitze. Die Entwicklung solcher Sandoponic-Gärten soll vor allem den saharauischen Familien den Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln vor Ort erleichtern. 

Andere Künstler*innen ermöglichen dem Publikum auch Einblicke in häufig mystifizierte technologische Abläufe und tragen so zur Technologiekompetenz unserer Gesellschaft bei – besonders im vieldiskutierten Bereich der Künstlichen Intelligenz. 

Wie etwa „How (not) to get hit by a self-driving car“, Gewinner*innen-Projekt einer Honorary Mention des STARTS Prize 2024. Dabei handelt es sich um eine Spielinstallation, die das Problem der geografischen Verzerrung bei KI-Datenerhebungen sowie die daraus entstehenden Risiken, die ungenaue Systeme in der Zukunft mit sich bringen, kritisch beleuchtet und veranschaulicht. Dass das Umgehen der KI aber auch großen Spaß machen kann, weiß jeder Festivalgast, der sich der Challenge live vor Ort stellt. Mitmachen erwünscht! 

How (not) to get hit by a self-driving car / Tomo Kihara (JP), Daniel Coppen (GB), Photo: Luke O’Donovan

Strukturen der Macht und Fürsorge 

Die STARTS Ausstellung zeigt allerorts klar: Kreative Visionen bieten einen Nährboden für alternative Lösungen – für Gegenwart und Zukunft. Dabei kommt vor allem der Kunst die Rolle eines Katalysators zu, der wissenschaftliches und technologisches Wissen und Können in der Öffentlichkeit verbreitet und innovative Prozesse anstößt. Doch wer kann den Künstler*innen in diesem Bestreben helfen? Institutionelle Unterstützung spielt eine entscheidende Rolle, um innovative Ansätze zu verstetigen und Raum für neue Experimente zu schaffen. „Diese Unterstützung kann beispielsweise die Form institutionalisierter Räume für den interdisziplinären Dialog annehmen. Sie kann auch so weit reichen, dass zu physischen Infrastrukturen wie dem CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung, Zugang geschaffen wird“, so Zolotova. Denn eben diese Strukturen sind entscheidend, um grenzübergreifende Kollaboration zu institutionalisieren und die Sichtbarkeit sicherzustellen, die für ihre Weiterentwicklung von großer Bedeutung ist. So wurde Arts at CERN der STARTS Grand Prize 2024 für die innovative Zusammenarbeit zwischen Industrie oder Technologie und Kunst verliehen. Arts at CERN fördert den sinnvollen Austausch und verbindet die internationale Kulturgemeinschaft durch Wissenschaft und Forschung. Next step: Im Miteinander Möglichkeiten erkennen. 

Aerial view of CERN, Geneva, 2024. Photo: Maximilien Brice. Courtesy CERN.

Kollaborative Lösungen 

Was die Ergebnisse solcher Zusammenarbeiten sein können, zeigt die Ausstellung 2024 anhand vieler inspirierender Beispiele, die mit ihren überraschenden Ergebnissen dazu beitragen, neue Modelle der Integration kreativer Ansätze in industrielle Entwicklung zu entwerfen.  

Das Projekt „Soft Collision“, nominiert für den STARTS Prize 2024, befasst sich beispielsweise mit dem Potenzial einer sicheren physischen Interaktion, indem es Kollisionen nicht vermeidet, sondern in Kauf nimmt. Mittels einer verformbaren, pneumatischen Membran werden Interaktionen zwischen Mensch und Roboter intuitiver und umfassender. Ein Konzept, das über konventionelle industrielle Interaktionsprotokolle hinausgeht und eine engagiertere und umfassendere Art der Kommunikation ermöglicht.  

Gerade solche zukunftsweisenden Ansätze und die damit verbundenen Paradigmenwechsel sind es, die die Europäische Kommission mit ihrer STARTS-Initiative fördern möchte. Wissenschaft, Technologie und Kunst bilden eine Schnittstelle, an der aufmerksame Beobachter*innen ein außerordentlich hohes Innovationspotenzial ausmachen. Und Innovation ist genau das, was wir brauchen, um die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern, denen sich Europa in naher Zukunft stellen wird. Und möglicherweise sind wir der Antwort auf die Frage nach dem nächsten Schritt, den wir tun können, damit näher als gedacht. Nämlich: Be open for the next steps. 

Die STARTS-Ausstellung kann im Rahmen des Ars Electronica Festival 2024 in der POSTCITY zu sehen sein. Tickets dafür gibt es hier.

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