Goldene Nicas für Künstler*innen aus Großbritannien, Frankreich, Österreich und den USA

(Linz, 17.6.2024) 2950 Einreichungen aus 95 Ländern wurden zwischen 12. Januar und 11. März 2024 beim Prix Ars Electronica verzeichnet. Ende April trat die internationale Jury in Linz zusammen und entschied, wer sich über die insgesamt vier Goldenen Nicas, 12 Awards of Distinction, 38 Honorary Mentions, einen Award for Digital Humanity, drei Hauptpreise und insgesamt 46.600 Euro in diesem Jahr freuen darf:

Die Goldene Nica in der Kategorie „New Animation Art“ (1160 Einreichungen) geht an Beatie Wolfe (GB). Ihre eindringliche Visualisierung Smoke and Mirrors thematisiert die steigende Methankonzentration in der Erdatmosphäre und die Lügen der Ölindustrie.

Die Goldene Nica in der Kategorie „Interactive Art +“ (1428 Einreichungen) geht an Diane Cescutti (FR), die mit ihrer Installation Nosukaay traditionelle westafrikanische Webkunst, Mathematik und Computer verbindet und antiken Technologiekonzepten nachspürt, die Mensch und Maschine als Einheit begriffen.

Der in diesem Jahr initiierte „AI in ART Award“ geht an Paul Trillo (US), der mit Washed Out “The Hardest Part” das erste offiziell beauftragte Musikvideo mit Open AIs Sora geschaffen hat. Der Film macht deutlich, dass KI die menschliche Kreativität befördern kann, anstatt sie zu ersetzen.

In der österreichweit ausgeschriebenen Kategorie „u19–create your world“ gab es 362 Einreichungen. Die Goldene Nica erhält der 17-jährige Jakob Gruber für seine bemerkenswerte Animation Fluten der Freiheit zu den tödlichen Fluchtrouten über das Mittelmeer.

Der vom österreichischen Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten ermöglichte „Ars Electronica Award for Digital Humanity“ geht in diesem Jahr an die Gruppe De Toneelmakerij (NL). Mit Patchwork Girl haben Paulien Geerlings (NL), Jantine Jongebloed (NL), Eva Knibbe (NL), Noelía Martin-Montalvo (ES) und Nina Van Tongeren (NL) eine Lecture-Performance über Sexting, Slut-Shaming, Empowerment, den Umgang mit der eigenen Sexualität und (fehlende) Ethik im Internet geschaffen.

Zu sehen sind diese und weitere preisgekrönte Projekte im Rahmen des Ars Electronica Festival von 4. bis 8. September in der Prix Ars Electronica Ausstellung im Lentos Kunstmuseum Linz. Eröffnet wird die Schau am Dienstag, 3. September 2024, um 17:30 Uhr. Offiziell überreicht werden die Goldenen Nicas am Donnerstag, 5. September 2024, ab 19:30 Uhr im Rahmen der feierlichen Prix Ars Electronica Award Ceremony im Design Center Linz.

Der Jury des Prix Ars Electronica gehörten diesmal an:

Prix Ars Electronica 2024 – New Animation Art
Goldene Nica

Smoke and Mirrors / Beatie Wolfe (GB)

Smoke and Mirrors ist ein Beispiel dafür, wie Daten nicht nur zur Information genutzt werden können, sondern auch, um Narrative zu durchbrechen und die Betrachter*innen dazu zu bringen, ihre eigene Perspektive auf drängende gesellschaftliche Themen zu überdenken.“

Auszug aus dem Jury Statement

Smoke and Mirrors kontrastiert auf eindringliche Weise die Marketingkampagnen der Ölindustrie mit dem alarmierenden Anstieg der Methankonzentration in der Atmosphäre. In einer viereinhalbminütigen Animation wird der rasante Zuwachs seit 1970 sichtbar und irreführende Slogans wie „Lügen, die unseren Kindern erzählt werden“ (Mobil, 1984), „Ungesicherte Wissenschaft“ (ExxonMobil, 2000), „Öl pumpt Leben“ (American Petroleum Institute, 2017) oder „Netto-Null“ (Shell, 2023) angeführt, mit denen die Ölkonzerne weltweit Zweifel an der Wissenschaft und ihren Messwerten schüren.

Beatie Wolfes Visualisierung basiert auf dem ikonischen „Blue Marble“-Foto der Apollo 17-Besatzung von 1972. Die Klimadaten stammen von der Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA und der europäischen Umweltagentur. Unterlegt ist die animierte Erdkugel mit „Oh My Heart“ – der ersten Platte aus nachhaltigem Bioplastik, die Beatie Wolfe gemeinsam mit dem Musiker Michael Stipe und Brian Eno’s „EarthPercent“ produziert hat. Der Titel Smoke and Mirrors spielt auf die Darstellung des Methanausstoßes an, aber auch auf unseren achtlosen Umgang mit der Natur selbst.

Beatie Wolfe erhält für Smoke and Mirrors eine Goldene Nica des Prix Ars Electronica.

Prix Ars Electronica 2024 – New Animation Art
Award of Distinction

I’m Feeling Lucky / Timothy Thomasson (CA)

Mit der Echtzeit-Animation I’m Feeling Lucky hinterfragt Timothy Thomasson auf faszinierende Weise die Beziehungen zwischen Bild, Geografie, virtuellem Raum, Medientechnologie und Datenerfassung. Er schafft dafür eine surreale 3D-Landschaft ohne klaren historischen oder geografischen Bezug. Flüsse, Wälder und hohes Steppengras verschmelzen zu einer filmischen Erzählung, bevölkert von tausenden unbeweglichen 3D-Figuren, die per Zufallsprinzip aus Google-Street-View-Aufnahmen extrahiert wurden.

Timothy Thomasson thematisiert so die massenhafte Archivierung und Nutzung von Fotomaterial aus unserem Alltag – den realen Vorbildern ist dabei weder bewusst, von Google erfasst worden zu sein, noch dass ihre Bilder in völlig neuem Kontext auftauchen können. Inspiriert von den immersiven Panoramagemälden des 19. Jahrhunderts, die Naturlandschaften, kriegerische Szenen, religiöse Ereignisse oder Stadtlandschaften darstellten, schafft I’m Feeling Lucky ein grenzenlos wirkendes Erlebnis ohne festen Rahmen. Eine virtuelle Kamera gleitet endlos und gemächlich über die surreale Szenerie, frei von hektischen Bewegungen oder rasanten Schnitten.

Credits
Timothy Thomasson
Sound design & composition: Tatum Wilson
With support from: Canada Council for the Arts, Société des arts technologiques (SAT) Residency Program, Canadian Cultural Center Paris

Prix Ars Electronica 2024 – New Animation Art
Award of Distinction

Stained / Jeremy Kamal (US)

Mit faszinierenden 3D-Animationen entwirft Stained eine alternative Zukunftsvision: In der fiktiven Welt „Mojo“ haben Black Cultures die amerikanischen Landschaften nachhaltig geprägt. Protagonist Demetrius ist Mitglied der Gang „Crimson Needles“, die mit rotgefärbten Pflanzen ihr Revier markiert. In einer Rückblende erinnert er sich daran, wie seine Faszination für eine blaue Pflanze einst zu seiner Ächtung führte – Hinwendungen dieser Art sind in der Gang tabu. Intime Momente offenbaren Demetrius‘ inneren Konflikt beim Ringen um emotionale Bewältigung.

Jeremy Kamal erschafft in Stained eine neuartige Symbiose: Gangkultur wird zur landschaftlichen Erscheinung, ihre Mitglieder wandeln sich zu Umweltschützer*innen und Teeproduzent*innen. Menschen, Technologien, Natur und Fiktion verschmelzen zu einer alternativen Lebensform, die versucht, reale Gräben zu überwinden. Jeremy Kamal regt an, Landschaften aus neuen Blickwinkeln zu betrachten und ihre Gestaltung als gemeinschaftliches Projekt mit vielfältigen Möglichkeiten zu begreifen. Seine animierte Vision vereint Klimaaktivismus, Umweltschutz und Ökologie mit der Lebenswirklichkeit von Black Americans. Der fiktive Ort Mojo dient ihm als Projektionsfläche für neuartige Rituale, Mythologien und Landschaftsvisionen jenseits gängiger Naturvorstellungen.

Credits
Created by Jeremy Kamal
Music: Nathan Buttel & Jeremy Kamal
AI creative direction: Case Miller
Additional AI work: Jonathan Penvose

Prix Ars Electronica 2024 – Interactive Art +
Goldene Nica

Nosukaay / Diane Cescutti (FR)

Man könnte sich den Webstuhl als eine programmierbare Maschine vorstellen, die Wissen in Stoff kodiert und als Mittel zur Bewahrung und Weitergabe von Kultur dient; während der Computer Daten verarbeitet, bewahrt der Webstuhl Geschichten und Traditionen. […] Nosukaay als Textil-Computer-Hybrid ermöglicht es uns, das Konzept des „Computers“ durch ein umfassendes gemeinsames Verständnis zu überdenken, das Handwerk und Computerpraktiken miteinander verwebt.“

Auszug aus dem Jury Statement

Diane Cescuttis vielschichtige Kunst verknüpft unterschiedliche Medien – wie Webkunst, Skulptur, Installation, Video und 3D-Visualisierung – und versucht, unsere Beziehung zu Technologie und Textilien als Träger von Wissen, Daten, Traditionen und Spiritualität zu überdenken.

In der interaktiven Installation Nosukaay erzählt sie eine alternative Geschichte der Computertechnik. Im Zentrum stehen dabei Verbindungen zwischen Computern, Mathematik und dem traditionellen Webwissen der Manjago im westafrikanischen GuineaBissau. Ein Manjago-Webstuhl verschmilzt mit einem Computer zur „textilen Maschine“, ein handgewebter Lendenschurz dient als Tastatur zur Steuerung einer filmischen Erzählung. Durch die Berührung der Tastatur werden die Betrachter*innen selbst Teil des Systems – je nach Art und Ort der Interaktion verändert sich der Handlungsverlauf und damit die eigene Erfahrung. Wer das traditionelle, spirituell aufgeladene Wissen dabei missachtet, wird aus der Geschichte „geworfen“ – ein Hinweis darauf, dass Wissensvermittlung Vertrauen und Respekt erfordert.

Mit Nosukaay (bedeutet „Computer“ auf Wolof) spürt Cescutti antiken Technologiekonzepten nach, die Mensch und Maschine als Einheit begriffen. Gleichzeitig widerlegt sie den Irrglauben, dass afrikanische Kulturen keinen Beitrag zum technologischen Fortschritt geleistet hätten und dass afrikanische Sprachen keine Terminologie für Technik und Wissenschaft besäßen.

Diane Cescutti wird für Nosukaay mit einer Goldenen Nica des Prix Ars Electronica ausgezeichnet.

Credits
Video: Sarah Maupin
Photos: Blanche Lafargue
Woven Manjak loincloth: Edimar Rosa  
With support from: École nationale supérieure des beaux-arts de Lyon (ENSBA Lyon); Post-diplôme Art, Centre d’art image/imatge

Prix Ars Electronica 2024 – Interactive Art +
Award of Distinction

If You Have Starry Skies in Your Eyes / Rib (JP)

Menschen mit Behinderungen fühlen sich häufig „unsichtbar“ und der Gesellschaft entzogen – das berichtet die japanische Künstlerin Rib aus eigener Erfahrung. Mit ihrem Projekt If You Have Starry Skies in Your Eyes tritt sie dem entgegen und rückt ihr Anderssein selbstbewusst in den Vordergrund.

Bis zu ihrem 12. Lebensjahr war Rib häufig häuslicher Gewalt ausgesetzt, die unter anderem zur Erblindung ihres rechten Auges führte. Statt diese Einschränkung mit einer möglichst naturgetreuen Prothese zu verbergen, trägt sie heute eine selbst entwickelte, leuchtende Augenprothese. Diese besteht aus einem integrierten Magnetsensor, einer LED-Leuchte und einer in medizinischem Acrylharz eingekapselten Batterie. Für Rib ist Anderssein Teil ihrer Geschichte und ihrer Individualität – keine Einschränkung, sondern eine Möglichkeit sich auszudrücken. If You Have Starry Skies in Your Eyes feiert den Charme und das Potenzial körperlicher Unterschiede und ruft dazu auf, diese nicht zu verstecken, sondern mit Stolz nach außen zu tragen.

Credits
Artist: Rib
Videos, Shooting: Shiki Sakai
With support from: Sam Murai

Prix Ars Electronica 2024 – Interactive Art +
Award of Distinction

Third World: The Bottom Dimension / Gabriel Massan (BR)

Third World: The Bottom Dimension ist ein visionäres Single-Player PC-Spiel von Gabriel Massan. In Zusammenarbeit mit Künstler*innen, Forscher*innen und Sounddesigner*innen erschafft er eine virtuelle Welt – die Third World –, die die Erfahrungen Schwarzer Brasilianer*innen im Kontext des Kolonialismus erforscht und jene Systeme und Verhaltensweisen herausfordert, auf denen unsere sozialen Realitäten aufbauen.

Seine Inspirationsquellen sind die Simulationsmechanismen von „The Sims“, Saidiya Hartmans Methode der Critical Fabulation und ihre Geschichten von Auslassungen in Archiven, sowie die Theorien der „Bewusstseinsbildung“ des brasilianischen Pädagogen Paolo Freire.

Über zwei miteinander verknüpfte Ebenen fließen in jedem Level des Spiels neue Ideen und Ansätze in die Mythologie ein, die für die beteiligten Personen von besonderer Bedeutung sind. Die immersive Erkundung der Spielwelt sensibilisiert zunehmend für miteinander konkurrierende Bewusstseinsformen: Einerseits das vom virtuellen „Hauptquartier“ auferlegte, koloniale Bewusstsein und sein Verständnis von „Erkundung“, „Natur“ und „Wissen“, andererseits alternative Formen, die neue Navigationsmöglichkeiten in der Welt eröffnen.

Credits
Lead artist, Creative director, 3D sculptor, concept: Gabriel Massan
Featured artists: Castiel Vitorino Brasileiro, Novíssimo Edgar, LYZZA
Sound design: LYZZA
Unreal development: Alexandre Pina, Marchino Manga, Ralph McCoy
Capture mode development & Unreal consultant: Iraj Montasham
Animation, cinematography, film VFX: Carlos Minozzi
Additional cinematography: Alexandre Pina
Graphic, UI design: Masako Hirano
Writing, narrative design support: Sweet Baby Inc
Translator: Adriana Francisco
Translation support: Manuela Cochat
Mastering Engineer: Rainy Miller
QA Testing: Keiran Cooper
Curator: Tamar Clarke-Brown
Producer: Róisín McVeigh
Commissioned and produced by Serpentine Arts Technologies
Powered by Tezos 
Game commissioned in association with the Julia Stoschek Collection

Prix Ars Electronica 2024 – u19–create your world
Goldene Nica

Fluten der Freiheit / Jakob Gruber (AT)

Jakob Gruber schafft es, die anhaltende Tragödie der Flucht über das Mittelmeer mit wenigen Bildern eindringlich darzustellen. […] Seine Animation hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck und erinnert uns daran, dass Kunst die Macht hat, komplexe gesellschaftliche Themen auf den Punkt zu bringen und uns zum Handeln zu bewegen.“  

Auszug aus dem Jury Statement

Fluten der Freiheit ist ein 3D-Animationsprojekt des 17-jährigen Salzburgers Jakob Gruber. Im Mittelpunkt stehen die gefährlichen Fluchtrouten über das Mittelmeer. Zu sehen ist eine orange Rettungsweste, die sich in Sekundenschnelle aufbläst und dann in ihre kleinsten Einzelteile zerbirst. Bei genauem Betrachten zeigt sich, dass die Rettungsweste aus den Worten Demokratie, Friede und Sicherheit geformt wird –europäische Werte, die alles symbolisieren, worauf Menschen auf der Flucht hoffen, und weshalb sie die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen. Viele dieser Überfahrten enden tödlich. Die Gefahr des Ertrinkens transportiert Jakob Gruber mit einem speziellen Sounddesign – Unterwasserklänge und Wellen mischen sich mit menschlichem Atem und Herzschlag.

Fluten der Freiheit wandelt abstraktes Wissen über die menschlichen Tragödien, die sich tagtäglich vor den Toren Europas abspielen, in eine sehr emotionale und persönliche Erzählung. Jakob Gruber unterstreicht, dass humanitäres Engagement und globale Solidarität unerlässlich sind. Für seine Animation erhält er die Goldene Nica des Prix Ars Electronica.

Prix Ars Electronica 2024 – u19–create your world
Award of Distinction

Last / Anna Bubenicek, Flora Kirnbauer

Last ist eine Stop-Motion-Animation der Schülerinnen Anna Bubenicek und Flora Kirnbauer der HTL Spengergasse in Wien, die mit selbst gebastelten Puppen eine fiktive Geschichte erzählen.

Der Clip dreht sich um einen Protagonisten, der seiner Einsamkeit und Isolation zu entfliehen sucht, indem er sich aus einem gefundenen Schatz einen Freund bauen will. Als ihm das nicht gelingt, ist er maßlos enttäuscht und verwüstet sein Haus. Am Ende besinnt er sich aber auf seinen kostbaren Stein, der ihm seinen Unmut nimmt.

Das Bühnenbild für ihre Geschichte haben Anna Bubenicek und Flora Kirnbauer selbst gebaut. Zahlreiche Fundstücke aus Wäldern und von Stränden fügten sich nach und nach zu einer ganzen Welt im Miniaturformat. Gedreht wurde Last teils im schuleigenen Studio, teils in einer Gartenhütte; auch für die Postproduktion und die Aufnahme der eigens ausgewählten Filmmusik zeichnen Anna Bubenicek und Flora Kirnbauer selbst verantwortlich.

Credits
Dank an Mia Schmit, HTL Spengergasse

Prix Ars Electronica 2024 – u19–create your world
Award of Distinction

to the friends i’ll never meet / Selma Yassin

to the friends i’ll never meet beschäftigt sich mit sozialen Bindungen, die nur online bestehen und deshalb eine Abhängigkeit zum digitalen Raum erzeugen. Darüber hinaus geht es um die Frage, wie junge Menschen, die sich lange Zeit vor allem über Social Media mit anderen ausgetauscht haben, auch offline wieder Beziehungen knüpfen können. Das Projekt umfasst eine Skulptur, ein Video ihres Entstehungsprozesses und ihre digitale Aufbereitung als 3D-Scan. Im Video sieht man eine junge Frau, die im privaten Wohnraum wieder und wieder Schnüre um sich spannt – so lange bis sie vollständig von ihrer Umwelt abgegrenzt ist. Die Schnüre symbolisieren Online-Freundschaften, die sie mit unzähligen anderen User*innen verknüpfen, in der physischen Welt aber häufig zu Einsamkeit führen. Ergänzend dazu zeigt Selma Yassin Chatnachrichten, die zeigen, wie Beziehungen entstehen oder vergehen.

Die verschiedenen Ebenen der Arbeit spiegeln die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen wider, und rufen zu einem achtsamen Umgang mit Beziehungen in der digitalen Welt auf.

Prix Ars Electronica 2024 – u19–create your world
u14 Hauptpreis

WarpCity / Klasse 2a, BRG Pichelmayergasse, Wien

WarpCity ist eine multimediale, interaktive Skulptur, die an der 2A/BRG Pichelmayergasse in Wien entstanden ist und die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Klimawandels im städtischen Lebensraum forciert. Dazu werden mit dem namensgebenden Tool „TurboWarp“ erstellte Animationen auf ein utopisches Stadtmodell projiziert und mit Tonaufnahmen ergänzt. Sicht- und hörbar werden so eine ganze Reihe von aktuellen Themen wie die sich rasant verändernden Wetterverhältnisse oder Flächenversiegelung. Abhängig von den Geräuschen der Betrachter*innen, verändern sich die Projektionen und bringen damit unser individuelles und gesellschaftliches Schwanken zwischen Zuversicht und Pessimismus zum Ausdruck.

Credits
WarpCity wurde im Rahmen des Projekts Cultural Collisions der TU Wien in Kooperation mit dem Technischen Museum und dem MUMOK realisiert.

Prix Ars Electronica 2024 – u19–create your world
u12 Hauptpreis

betterTogether / Antonia Hofstadler, Moritz Fink, Marc Umile, GRG15 – Auf der Schmelz

Geht es nach den Schüler*innen des GRG15 – Auf der Schmelz, soll ihre App betterTogether, künftig zur Mobbingprävention an Schulen eingesetzt werden. Die digitale Anwendung ist eine Informationsplattform, die Schüler*innen die Möglichkeit eröffnet, Mobbingvorfälle in ihrer Klasse anonym zu melden und Hilfestellung zu bekommen. Die Programmierung der App war bzw. ist ein gemeinschaftlicher Prozess: Aktuell wird ein Prototyp getestet, der anhand des Feedbacks der Schulkolleg*innen im „Swift Coding Club“ ihrer Schule evaluiert und verbessert wird. Das Ziel ist es, ein Stimmungsbarometer für den Klassenverband zu entwickeln.

Mit Unterstützung von: Oliver Predl, Moritz Steiner  

Prix Ars Electronica 2024 – u19–create your world
u10 Hauptpreis

Na2r_3lumen / Nea Geršak

Wenngleich die meisten Menschen Blumen lieben, sie einander schenken und in Liedern, Büchern, Geschichten oder Filmen abbilden, verschwinden Blumenwiesen immer mehr aus dem Landschaftsbild. Die siebenjährige Nea Geršak aus Klagenfurt kennt die Gründe dafür: versiegelte Betonflächen, Umweltverschmutzung und Wetterextreme. In ihrer Videoarbeit Na2r_3lumen wird ein echter Blumenstrauß nach und nach von selbstgemalten „3lumen“ ersetzt. Es entsteht eine neue Welt namens Na2r, wo es immer 3lumen geben wird.

Prix Ars Electronica 2024 – AI in ART
Goldene Nica

Washed Out “The Hardest Part” / Paul Trillo (US)

„Die atemberaubenden Fortschritte bei den Text-zu-Video-Systemen stellen eine der bedeutendsten und einflussreichsten Entwicklungen zeitgenössischer KI dar, insbesondere im künstlerischen Bereich. Paul Trillo, ein renommierter und visionärer Künstler und Experimentalfilmer, wird mit der Goldenen Nica für seine frühe und innovative künstlerische Auseinandersetzung mit generativen KI-Systemen und den Möglichkeiten, die sie Künstler*innen eröffnen, geehrt.“

Auszug aus dem Jury Statement

Washed Out  “The Hardest Part“ des US-amerikanischen Filmemachers Paul Trillo ist das erste offizielle Musikvideo, das mit dem Text-zu-Video Modell Sora von OpenAI umgesetzt wurde. Entstanden ist ein eindringliches Video über Verlust und Erinnerung, Trauer und Glück, Vergangenheit und Zukunft. Paul Trillo porträtiert die fiktiven Erinnerungen einer jungen Frau, die sich Anfang der 1980er Jahre in der Mittelschule verliebt, mit ihrem Partner älter wird, ein Kind bekommt und den Partner schließlich verliert. Während sie mit ihrem Leben weitermacht, träumt sie immer wieder von ihm. Wie alle Erinnerungen sind auch ihre subjektiv und ein verzerrter Spiegel der Realität.

Paul Trillo nutzt die halluzinatorischen, traumähnlichen Qualitäten von Sora, um einen befremdlichen Raum und eine einzigartige Bildsprache zu kreieren. Er gestaltet eine Zeitreise durch surreale ineinander übergehende Umgebungen und Erlebnisse. Künstliche Intelligenz dient dabei als perfektes Werkzeug, um einen unheimlichen Widerschein unserer Realität zu erzeugen, der uns etwas glauben lässt, das so nie geschehen ist.

Für Paul Trillo bietet der Einsatz von KI neue Möglichkeiten für Filmschaffende, er sieht sie jedoch als Ergänzung zur menschlichen Kreativität und nicht als Ersatz. Transparenz und Ethik sind für ihn die Voraussetzungen für eine nachhaltige Nutzung dieser Technologie.

Für Washed Out “The Hardest Part” erhält Paul Trillo eine Goldene Nica des Prix Ars Electronica.

Credits
Written, directed, edited: Paul Trillo
Music: Washed Out
With support from: SubPop

Prix Ars Electronica 2024 – AI in ART
Award of Distinction

REPETAE / Sasha Stiles (US)

REPETAE ist eine hybride Sprachkunstserie, in der Algorithmen und Poesie miteinander verschmelzen und die zeigt, wie ständige Wiederholung Bedeutung bestätigt und hervorbringt. Sasha Stiles nutzt generative Elemente wie KI-gestützte Sprache, codebasierte Bilder sowie digital geloopte und überlagerte Worte, um aufzuzeigen, wie unsere Emotionen und unsere Wahrnehmung durch vorgegebene Muster geformt werden. Sie zeigt aber auch, dass wir diese Muster aufbrechen und umkehren können. Mit REPETAE demonstriert Sasha Stiles, dass Wiederholung nicht bloß Vervielfältigung bedeutet, sondern eine Neuinterpretation des Vertrauten, die unendlich viele neue Möglichkeiten eröffnet.

Credits
Works from REPETAE have been featured by: Kunstmuseum Bern, Gucci Art Program, Christie’s, Venus Over Manhattan, NYC, Tribute to Herbert W. Franke, Right Click Save: The New Digital Art Community (Vetro Editions, 2024), Decentralization, Please Save Culture (New Society, 2023), Outland, This is Paper.

Prix Ars Electronica 2024 – AI in ART
Award of Distinction

Intelligent Instruments in Citizen Science : Understanding Contemporary AI through Creative Practice / Thor Magnusson (IS), Intelligent Instruments Lab (IS)

Künstliche Intelligenz wird zunehmend zum Werkzeug für Kreative – und die Musikproduktion bildet dabei keine Ausnahme. Das Intelligent Instruments Lab erforscht diese neue Verbindung von KI, Menschen, Dienstleistungen und Produkten. Dabei stellt es die Frage, wie kreative KI unseren Blick auf Kunst, Kultur und Gesellschaft verändert und welche neuen Formen des Dialogs zwischen Mensch und Technologie entstehen können.

Mit dem Motto „Neue Instrumente für neue Musik“ wird unser Umgang mit kreativer KI beleuchtet. Es entstehen neue Ideen und ein Verständnis des aktuelle Diskurses mit der Option der aktiven Mitgestaltung.

Credits
The Intelligent Instruments project is being conducted by: Thor Magnusson (IS), Jack Armitage (UK), Halla Steinunn Stefansdottir (IS), Victor Shepardson (US), Nicola Privato (IT), Miguel Angel Rozzoli (AR), Halldor Ulfarsson (IS), Sean O’Brien (US), Marco Donnarumma (IT), Sophie Skach (AT), and Giacomo Lepri (IT).

The Intelligent Instruments project (INTENT) is funded by the European Research Council (ERC) under the European Union’s Horizon 2020 research and innovation program (Grant agreement No. 101001848). The project is hosted by the University of Iceland in collaboration with the Iceland University of the Arts.

Ars Electronica Award for Digital Humanity
des österreichischen Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten

Patchwork Girl / De Toneelmakerij (NL) – Paulien Geerlings (NL), Jantine Jongebloed (NL), Eva Knibbe (NL), Noelía Martin-Montalvo (ES), Nina Van Tongeren (NL)

Patchwork Girl ist eine Lecture-Performance über Sexting, Slut-Shaming, Empowerment, den Umgang mit der eigenen Sexualität und (fehlende) Ethik im Internet. Greifbar werden diese Themen in persönlichen Geschichten und biographischen Erfahrungen junger Frauen, die damit erstmals Gehör finden.

Jantine ist 16 Jahre alt, als ihre Nacktbilder und ein gefälschtes Interview auf der niederländischen Webseite GeenStijl veröffentlicht werden. Heute ist sie Mitte 30 und steht mit fünf Mädchen im Teenageralter auf der Bühne, gemeinsam stellen sie die damaligen Geschehnisse nach, beleuchten Täter und Opfer. Im Voice-Over hört man dabei Cyrina sprechen, die als 13-Jährige ebenfalls massive soziale Ächtung erfuhr, nachdem ein privates, anzügliches Video von ihr online verbreitet wurde.

Aus all diesen Erfahrungswelten speist sich das „Patchwork Girl“, ein KI-generierter Avatar, der basierend auf Jantines Nacktfotos erstellt wurde. Der Avatar wird in Online-Foren und Pornoseiten eingeschleust, wo er aktiv wird und einen Dialog mit den Nutzern dieser Plattformen führt und sich für die betroffenen Frauen einsetzt. In der Performance wird der Avatar zur handelnden Figur, indem er auf einer Leinwand über den Schauspielerinnen zu sehen ist.  

Das „Patchwork Girl“ repräsentiert alle Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, meldet sich selbst zu Wort, weist Fremdzuschreibungen zurück – und ist im Finale der Performance wieder vollständig ‚angezogen‘. Die Performance plädiert für Solidarität und Schwesternschaft. *Patchwork Girl* wird mit dem vom österreichischen Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten initiierten Ars Electronica Award for Digital Humanity ausgezeichnet.

Credits
Patchwork Girl is produced by the Theatre Company de Toneelmakerij
Concept: Paulien Geerlings, Eva Knibbe
Idea & direction: Eva Knibbe
Story: Jantine Jongebloed
Creation and text: Paulien Geerlings, Jantine Jongebloed, Eva Knibbe, Nina van Tongeren
AI artist: Noelía Martin-Montalvo
Performers: Anna Antonoglou, Silke Ensel, Chiara Fleischmann, Jantine Jongebloed, Noelía Martin-Montalvo, Amber Schouten, Nora Smidt
With special thanks to: Cyrina, Waag Future Lab and Iris Keuven
Head of Education & Participation: Martien Langman

Theatre Company de Toneelmakerij is funded by the Dutch Ministry of Culture and by the City of Amsterdam.

Ars Electronica Award for Digital Humanity
Honorary Mention

AI and the Art of Historical Reinterpretation – Filling Gender Bias Gaps / Claudia Larcher (AT)

Der Output von KI-Modellen beeinflusst zunehmend unsere Zukunft, speist sich dabei aber in hohem Maße aus historischen Datensätzen, die im Kontext ihrer jeweiligen Zeit zu betrachten sind. Vor allem der Blick auf Geschlechterrollen macht das deutlich und steht deshalb im Mittelpunkt des Projekts AI and the Art of Historical Reinterpretation – Filling Gender Bias Gaps. Claudia Larcher fragt danach, wie geschlechtsspezifische Prägungen in historischen Datensätzen beseitigt werden können und schlägt vor, historische Lücken mit KI-generierten „historischen Bildern“ zu füllen. Mit dieser absichtlichen Verzerrung großer Datensätze will sie künftige KI-Entscheidungen beeinflussen. Im Rahmen ihres Projekts schafft die österreichische Künstlerin ein ständig wachsendes fiktionales Bildarchiv der Geschichte, das die Vergangenheit im Sinne von Inklusion und Vielfalt neu interpretiert. Diese Sammlung wird über digitale Plattformen verbreitet, um künftige KI-Modelle zu informieren und trainieren, entweder aktiv oder passiv.

Credits 
Claudia Larcher 
VALIE EXPORT Center 
With support from: VALIE EXPORT Scholarship for artists and artistic researchers 

STATEMENTS

„Lobbys, deren milliardenschwere Marketingkampagnen Zweifel an wissenschaftlichen Messergebnissen zum Klimawandel schüren, Technologiekonzepte, die uns Menschen, unsere Traditionen und unser Wissen ins Zentrum rücken und das Schicksal von Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen müssen – die diesjährigen Gewinner*innen des Prix Ars Electronica adressieren zentrale Themen unserer Zeit. Sie machen deutlich, dass unsere Zusammenarbeit noch nie so wichtig war wie heute und zeigen, wie ein solidarisches Miteinander über Grenzen hinweg funktionieren kann.“

Klaus Luger, Bürgermeister der Stadt Linz und Eigentümervertreter von Ars Electronica

„Der Prix Ars Electronica bietet eine Vielfalt an künstlerischen Positionen, die den internationalen Diskurs der Medienkunst abbilden. 2024 wurden knapp 3.000 Projekte aus 95 Ländern eingereicht, nur vier davon erhalten eine Goldene Nica. Ich freue mich sehr, dass wir eine Auswahl dieser hochkarätigen Medienkunstprojekte im September beim Ars Electronica Festival in Linz präsentieren dürfen. Mit der Prix Ars Electronica Ausstellung im Lentos Kunstmuseum steht dieses Jahr außerdem eine besondere Prämiere bevor.“

Doris Lang-Mayerhofer, Kulturstadträtin und Beiratsvorsitzende von Ars Electronica


Smoke and Mirrors / Beatie Wolfe (GB)

Photo: Hanno Dall

Nosukaay / Diane Cescutti (FR)

Photo: Blanche Lafargue

Fluten der Freiheit / Jakob Gruber (AT)

Photo: Courtesy of the artist / Jakob Gruber

Washed Out “The Hardest Part” / Paul Trillo (US)

Photo: Courtesy of the artist / Paul Trillo