Fast 450 Jahre ist es her, dass Pieter Bruegel der Ältere verstarb. Zurück ließ er die wohl bekanntesten Darstellungen des bäuerlichen Lebens in Flandern des Mittelalters – und genau diese präsentieren die Delegation von Flandern, das Kunsthistorische Museum Wien (KHM) und Ars Electronica nun am 4. Oktober 2018 mit Gigapixelbildern im Deep Space LIVE „Inspired by Bruegel“. In derselben Woche eröffnet auch die große Bruegel-Ausstellung am KHM in Wien.
Für den Deep Space LIVE reisen die beiden Experten Geert Van der Snickt und Frederik Timmermans nach Linz, um im Ars Electronica Center die Besonderheiten des detailverliebten Malers und seiner Werke zu präsentieren. Im Interview haben sie vorab schon mehr verraten.
Lasst uns mit etwas Grundsätzlichem beginnen – könnt ihr mir etwas über euch und eure Arbeit erzählen?
Geert Van der Snickt: Als Kulturerbeforscher spezialisiere ich mich auf die Anwendung von chemischen Analysen in Kunstwerken. Meine Kollegen, Kolleginnen und ich entwickeln Techniken der sogenannten „chemischen Bildgebung“, die besonders nützlich für Restauratoren, Restauratorinnen und Kunsthistoriker und –Historikerinnen sind. Der große Vorteil dieser Techniken ist die Tatsache, dass die chemische Daten über die Objekte ansammeln und die Resultate in der Form von Bildern präsentieren, die ganz leicht von allen verstanden werden können. Besonders jene Bilder, die zeigen, welche Materialien von den Künstlern und Künstlerinnen verwendet wurden und wie sich diese über die Bildoberfläche verteilen! Weil wir auch unter die Oberfläche der Farbe sehen können, können wir die Änderungen visualisieren, die Künstler und Künstlerinnen gemacht haben. So lassen sich sogar Kompositionen anzeigen, die zur Gänze übermalt wurden.
Ghent Altarpiece, Closer to Can Eyck Webseite. Credit: Frederik Temmermans.
Frederik Temmermans: Ich bin Forscher an der Abteilung für Elektronik und Informatik (ETRO) an der Vrije Universiteit Brüssel (VUB) und IMEC. Ich bin außerdem der Mitbegründer einer kleinen Universitäts-Spin-Off-Firma, Universum Digitalis. Unsere Firma entwickelt mobile und Web-Applikationen, vor allem im Kulturbereich. Im Speziellen konzentrieren wir uns auf Applikationen, die Zugang zu extrem hochauflösenden Bilddaten ermöglichen. Wir entwickelten die Closer to Van Eyck Webseite, die die Restauration des Altarbildes von Gent und seit diesem Jahr auch andere Werke von Jan van Eyck dokumentiert.
Als wir 2010 das Altarbild von Gent untersuchten, wurden die Tafeln mit verschiedenen Bildverfahren dokumentiert, wie zum Beispiel Makrofotografie, Infrarot und Röntgen. Die Auflösung und Qualität der Bilder war bis dato noch nie dagewesen, aber besonders einzigartig war, dass die Forschungsdaten via Web-Applikation einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Diese Woche, also die erste Oktoberwoche 2018, veröffentlichten wir die Inside Bruegel Webseite. Diese Webseite ermöglicht den Zugang zu kürzlich aufgenommenem Bildmaterial der zwölf Bruegel Gemälde des Kunsthistorischen Museums Wien in extrem hoher Auflösung in verschiedenen Bildmodalitäten, von visuellem Licht bis hin zu Röntgen. Die Inside Bruegel Webseite und Arbeit hinter den Kulissen werden den Fokus meiner Präsentation beim Deep Space LIVE im Ars Electronica Center bilden.
Inside Bruegel Webseite. Credit: Frederik Temmermans
Wie kam es eigentlich zu diesem Deep Space LIVE, „Inspired by Bruegel“?
Frederik Temmermans: Ich traf David Maenaut, den Generalvertreter der Regierung von Flandern in Österreich, am Kunsthistorischen Museum Wien, als ich dort war, um das Inside Bruegel Projekt zu besprechen. Wir sprachen über die Bruegel Bilder in extrem hoher Auflösung, die wir vorbereiteten, um sie online im Kontext der Bruegel Ausstellung zu veröffentlichen. Als mir David vom Deep Space 8K am Ars Electronica Center berichtete, dachten wir, dass es wirklich perfekt wäre, die hochauflösenden Bruegel Bilder dort zu präsentieren. Es ist vor allem eine wunderbare Ausstellungsfläche für die erste Woche der Veröffentlichung.
Geert Van der Snickt: Ich habe seit einigen Jahren eine Kollaboration mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Dafür reise ich regelmäßig mit meinen Scannern nach Wien, um die Werke von P.P. Rubens, einem anderen Flämischen Meister, der in der Museumssammlung gut vertreten ist, zu studieren. Irgendwann lenkte Konservatorin Elke Oberthaler meine Aufmerksamkeit jedoch auf eine Arbeit von Bruegel, an der sie für die bevorstehende Ausstellung arbeitete. Dank der Unterstützung der Flämischen Regierung konnte ich das Gemälde einscannen und einige interessante Entdeckungen machen, die ich beim Deep Space LIVE präsentieren werde.
Wie oft habt ihr die Arbeiten von Bruegel geschätzt schon untersucht? Und wie verändert der Deep Space 8K die Betrachtung der Werke?
Frederik Temmermans: Das Inside Bruegel Projekt ist schon seit einigen Jahren in Vorbereitung. Obwohl wir sehr viel automatisierte Verarbeitung mit der Erfahrung von VUB und IMEC vornehmen können, ist die Produktion von Bildern immer noch eine sehr zeitintensive Aufgabe, die auch manuelle Arbeit und visuelle Inspektion erfordert. Die Bilddaten haben immer ihre Eigenheiten. Das ist ein Resultat der Unterschiede im Aufnahmeverfahren, aber auch in den physischen Eigenschaften der Gemälde und sogar der Techniken der Maler oder Malerinnen. Zum Beispiel konnten wir Risse in den Farbschichten auf den Gemälden von Van Eyck dazu benützen, übereinanderliegende Bereiche miteinander abzustimmen. Das erwies sich als sehr viel schwieriger mit den Bildern von Bruegel, weil die Risse viel feiner sind. Als Konsequenz daraus ist es unmöglich zu sagen, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, auf einem Bildschirm mit diesen Bildern zu arbeiten. Trotzdem ist es wirklich erstaunlich, dass man sogar nach all diesen Stunden immer noch neue Details entdecken kann. Jetzt, wo unsere Arbeit beendet ist und wir die Resultate öffentlich präsentieren können, hebt der Deep Space 8K dieses Betrachtungserlebnis auf eine höhere Ebene.
Ausschnitt: Pieter Bruegel d.Ä., „Der düstere Tag“
Die Arbeiten von Bruegel sind sehr detailliert – könnt ihr ein Detail, einen speziellen Teil eines Gemäldes oder eine interessante Tatsache nennen, die ihr besonders gerne mögt?
Geert Van der Snickt: Mein Lieblingsdetail ist auf jeden Fall die jetzt unsichtbare brennen Stadt in dem Gemälde „Selbstmord von Saul“, die ich revisualisieren konnte.
Frederik Temmermans: Es gibt sehr viele kleine Details in den Gemälden von Bruegel, die fast unmöglich zu erkennen sind, wenn man das Gemälde aus einer typischen Entfernung im Museum betrachtet. Auf der Inside Bruegel Webseite kann man hingegen so nah hinsehen, dass man die Details auf dem Level der individuellen Pinselstriche untersuchen kann. Für mich zeigt das, wie sich die Webseite und die Ausstellung gegenseitig ergänzen.
Wenn ich mir nur ein Detail aussuchen müsste, wählte ich das Schloss in „Der düstere Tag“. Wenn man nahe hineinzoomt, sieht man so viele kleine Details, wie die winzigen Fenster oder den Schnee auf den Wänden. Diese Details sind sehr schwer mit dem bloßen Auge zu erkennen. Es ist erstaunlich, wie klein diese Details sind, mit nur einigen Pinselstrichen gemalt. Es scheint sogar einen Geist im Schloss zu geben, was an sich schon sehr interessant ist, weil es von der subjektiven Interpretation des Betrachters oder der Betrachterin abhängt. (Hier finden Sie einen direkten Link zu diesem Detail).
Dr. Frederik Temmermans ist Forschungsleiter bei ETRO, einer imec-Forschungsgruppe an der Vrije Universiteit Brüssel. Er promovierte 2014 im Bereich Ingenieurwesen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bildverarbeitung, interoperabler Zugriff auf Bilddaten und Bildsuche. Er war an mehreren Forschungsprojekten im medizinischen, mobilen und kulturellen Bereich beteiligt. Frederik ist aktives Mitglied des JPEG-Standardisierungskomitees (ISO/IEC JTC1/SC29/WG1), wo er derzeit in den Bereichen Datenschutz und Sicherheit sowie Metadaten tätig ist. Frederik ist auch Mitbegründer des VUB Spin-offs Universum Digitalis.
Geert Van der Snickt erhielt 2003 seinen Master in Konservierung-Restauration an der Universität Antwerpen. Kurz darauf schloss er sich der Fakultät für Chemie des gleichen Instituts an. Im Jahr 2012 verteidigte er erfolgreich eine Doktorarbeit mit dem Titel: „James Ensor’s Pigments Studied by Means of portable and synchrotron radiation-based analysis: identification, evolution and degradation“ unter der Leitung von Professor Koen Janssens, Leiter der Gruppe Antwerpen X-ray analysis, Electrochemistry and Speciation (AXES). Heute ist er als Kulturerbeforscher tätig und hat innerhalb derselben Gruppe einen Lehrstuhl für Advanced Imaging Techniques for the Arts inne. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Synchrotronstrahlungsanalyse und der Anwendung neu entwickelter chemischer Bildgebungsverfahren zur nicht-invasiven Charakterisierung von Gemälden und Kunstmaterialien.
Der Deep Space LIVE „Inspired by Bruegel“ findet am Donnerstag, 4. Oktober 2018, im Ars Electronica Center statt. Alle Informationen finden Sie hier. Darüber hinaus werden die Gigapixelbilder im Rahmen der Langen Nacht der Museen am Samstag, den 6. Oktober 2018, im Deep Space 8K zu sehen sein.
Um mehr über Ars Electronica zu erfahren, folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, Instagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/.