Die Königin der Lüfte

Amelia Earhart in airplane
, Credit: Harris & Ewing

Der vorletzte Tag des Ars Electronica Festival 2022 – der Plan B Day – ist vollgepackt mit interaktiven und spannenden Programmpunkten: von der Festival University, über das Themensymposium „STUDIOTOPIA – Art meets science in the Anthropocene“ in den KEPLER’S GARDENS, bis hin zur create your world Ceremony gibt es einiges zu entdecken. Für das leibliche Wohl sorgt am Samstag ein Bio-Bauernmarkt von Bio Austria mit köstlichen Schmankerln aus der Region und in den Räumlichkeiten der Anton Bruckner Privatuniversität Oberösterreich dreht sich alles um Sound Art. Doch das Highlight an diesem Tag ist ganz klar das Konzert von Visionary Pioneer of Media Art 2022 Laurie Anderson in Kooperation mit Komponist Dennis Russell Davies, dem Orchester der Filharmonie Brno und Cellist Rubin Kodheli. In der Tradition der „Großen Konzertnacht“ wird es heuer mit „Laurie Anderson in concert“ ein einzigartiges Musikerlebnis geben. Um welches Stück handelt es sich genau und wie ist diese Kooperation zustande gekommen? Erfahrt hier mehr!

Photo: Tim Knox

Im Himmel verschollen

Amelia Earhart, geboren 1897 in Atchison, Kansas, hat sich schon immer von anderen Mädchen abgehoben. Sie klettert gerne auf Bäume, spielt lieber im Fluss und sammelt Zeitungsartikel über Frauen in Männerberufen. 1920 darf sie zum ersten Mal in einem Flugzeug mitfliegen, wonach ihr Entschluss feststeht, selbst Pilotin zu werden. Schon ein gutes Jahr später ist Amelia Besitzerin einer Fluglizenz. 1922 stellt sie mit 4300 Metern Flughöhe einen neuen Weltrekord auf – keine Frau vor ihr ist je so hoch aufgestiegen. Internationale Bekanntheit erlangt sie im Juni 1928, als sie als erste Frau den Atlantik in einem Nonstop-Flug als Passagierin überquert. Als sie nach der Landung interviewt wurde, sagte sie: „Ich war Gepäck auf dieser Reise, wie ein Sack Kartoffeln.“ Sie fügt hinzu: „Vielleicht werde ich es eines Tages alleine versuchen.“. Fünf Jahre später ist es dann so weit, als erste Frau überquert sie den Atlantik im Alleinflug. In rund 15 Stunden fliegt sie von Harbour Grace, Kanada, auf eine Kuhwiese bei Londonderry, Nordirland. 1937 wagt sie ihr größtes Abenteuer: einen Flug rund um die Welt, der längste, den es bis dahin gegeben hat! Aufgeteilt in rund 30 Etappen möchte die Pionierin mit dem Flugzeug die Welt umrunden.

Am 1. Juni 1937, 5.56 Uhr startet die Pilotin, begleitet von ihrem Navigator Fred Noonan ihre letzte große Reise. Fünf bis acht Stunden fliegt Amelia Earhart täglich, einmal sind sie sogar dreizehn Stunden in der Luft. Am 29. Juni haben sie bereits drei Viertel der Strecke zurückgelegt, doch nun steht ihnen noch die mit 4000 Flugkilometern längste und heikelste Etappe der Weltumrundung bevor: von Lae in Neuguinea auf die winzige Howlandinsel mitten im Pazifik. Ohne modernes Radar müssen sie diese alleine durch den Blick in die Sterne und aus dem Fenster finden. Der Kutter „Itasca“ der US-Küstenwache soll Amelia Earharts Flieger per Funk anpeilen und auf den letzten Metern lotsen. Der erste Funkspruch um drei Uhr nachts – der Erkennungscode des Fliegers, und einzelne Wörter – klingt wegen der noch großen Entfernung zur Insel verrauscht. 6.14 Uhr, das nächste Lebenszeichen: „Noch 200 Meilen entfernt“. Anderthalb Stunden später erst kommt der nächste Funkspruch, Earhart meldet wiederholt, keinerlei Funksignale zu empfangen und irrt über dem Pazifik umher. Plötzlich bricht die Verbindung ab. Auf der Howlandinsel kommt das Flugzeug nie an.

Credit: BAM, Brooklyn, NY; Songs and Stories from Moby Dick, 1999

Songs for Amelia Earhart

„Songs for Amelia Earhart“, eine Serie von Stücken, handelt von dem letzten Flug der amerikanischen Pilotin Earhart. Für das Stück hat Laurie Anderson Texte aus Earharts Tagebuch, vom Fernschreiber und von Radiomeldungen genommen. „Die Worte, die in Amelia verwendet werden, stammen aus ihren Piloten-Tagebüchern, den Telegrammen, die sie an ihren Mann schrieb, und meiner Vorstellung davon, was einer Frau, die um die Welt fliegt, einfallen kann“, so die Musikerin.

“I say I tell stories. And those look like paintings sometimes. They look like, you know, songs. They look like films. They’re just stories. What is a story? What is its function? How does it work? Who’s telling it? To who?”

Laurie Anderson in an interview with Anderson Cooper, CBS

Uraufgeführt wurde das Stück im Jahr 2000 in der Carnegie Hall unter der Leitung von Dennis Russell Davies. „Ich wurde von der Carnegie Hall gebeten, zwei Spielzeiten von 1999 bis 2001 mit dem American Composers Orchestra zu gestalten. Insgesamt waren es 10 Programme, die sich auf spezielle amerikanische Themen konzentrierten. Ich fragte Laurie, ob sie nicht ein Stück über Amelia Earhart machen wolle. Ihr erstes symphonisches Werk mit dem Titel „Songs for Amelia Earhart“ war schon damals eine beeindruckende Leistung. Über viele Jahre hinweg haben wir das Stück immer wieder aufgegriffen und bearbeitet.“

Photo showing conductor Dennis Russell Davies (AT/US) at The Big Concert Night 2015.
Credit: tom mesic

Ergänzt wird das Stück durch zwei weitere Kompositionen: den zweiten Satz der Symphonie Nr. 3 von Philip Glass und die „Studie für Streichorchester“, die der tschechische Komponist Pavel Haas 1943 während seiner Gefangenschaft im Konzentrationslager Theresienstadt komponierte. Marie Kučerová, Direktorin der Filharmonie Brno dazu: „Es ist eine hervorragende Kombination von Musik zweier großer zeitgenössischer amerikanischer Komponisten und des jüdischen Komponisten aus Brünn, Pavel Haas. Sein Leben endete in Auschwitz, aber seine Musik ist immer noch sehr lebendig und wir möchten sie an die Menschen weitergeben.“

Doch wie ist die Kooperation zwischen Musikerin Laurie Anderson und Komponist Dennis Russell Davies zustande gekommen? „In den späten 1970er Jahren, zu Beginn meiner 20-jährigen Tätigkeit als Musikdirektor des Cabrillo Music Festival in Santa Cruz, Kalifornien, gab Laurie einen ihrer ersten Auftritte bei einem Abend mit experimenteller Musik, der von Charles Amirkhanian kuratiert wurde. Wir drei verstanden uns auf Anhieb und stehen seither in engem persönlichen und beruflichen Kontakt.“

Photo giving an impression of the Big Concert Night of Ars Electronica Festival.
Credit: Florian Voggeneder

Eine lange Tradition

Die „Große Konzertnacht“ in Zusammenarbeit mit dem Bruckner Orchester Linz ist seit über einem Jahrzehnt ein fixer Bestandteil jedes Ars Electronica Festivals. Von Jahr zu Jahr ist sie eine einmalige Gelegenheit zum Experimenten und für Grenzüberschreitungen und auch eine Begegnung der musikalischen Welten. Dennis Russell Davies war einer der Mitbegründer*innen der großen Konzertnacht im Jahr 2003. „Ich hatte das Vergnügen, zusammen mit Gerfried Stocker die „Große Konzertnacht“ von ihrer Gründung im Jahr 2003 bis zu meiner fünfzehnten und letzten Saison als Chefdirigent und Musikdirektor des Bruckner Orchesters Linz und der Linzer Oper 2016 bis 2017 zu kuratieren. Unser Ziel war es, durch das Verbinden von Live-Orchesteraufführungen mit digital generierten Visualisierungen, die Künstler*innen und ihr Publikum mit der neuesten und höchsten Qualität in der Welt der zeitgenössischen symphonischen Musik zu konfrontieren. Mit Konzerten von wichtigen Werken von Varese, Subotnick, Xenakis, Reich, Ligeti, Eötvös, Glass, Boulez, Carter, Cage, Manoury, van der Aa, Pärt und Michizuki wurde das Ars Electronica Festival zudem zu einem der wichtigsten europäischen Festivals für neue Musik.“

Am SA 10.9.2022 wird es zwei Aufführungen des Konzerts geben, zu folgenden Uhrzeiten: 17:00–18:30 und 20:00–21:30. Tickets dafür erhältst du hier.

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