„Das Ziegenkäsemachen aus der Sicht der Ziege“ zeigt den digitalen Überfluss, die Abhängigkeit vom Algorithmus und die Sehnsucht nach Befreiung. Ein Film, der Kunst als radikalen Schrei gegen willenlosen, endlosen Medienkonsum und Gleichgültigkeit versteht.
Die Kategorie u19 – create your world des Prix Ars Electronica bietet jungen Talenten eine Plattform, auf der sie ihre kreativen Ideen und Projekte vorstellen können. Dabei stehen Themen im Mittelpunkt, die für die junge Generation von Bedeutung sind und ihren Alltag prägen. In diesem Jahr wurden Nico Pflügler und Aleksa Jović für ihr Werk „Das Ziegenkäsemachen aus der Sicht der Ziege“ mit der Goldenen Nica ausgezeichnet. In ihrem Projekt setzen sie sich intensiv mit der digitalen Reizüberflutung auseinander und thematisiert den Einfluss von Algorithmen auf das Bewusstsein.
Ein Film über das Ziegenkäsemachen aus der Sicht der Ziege klingt ungewöhnlich – und doch spiegelt er die Absurditäten und Oberflächlichkeiten wider, die täglich durch soziale Medien rauschen. Wir sind mit Nico Pflügler, dem 19-jährigen Regisseur und Gewinner der Goldenen Nica, in die Tiefen seines provokanten Films eingetaucht.
Dein Film setzt sich auf ungewöhnliche Weise mit dem auseinander, was wir täglich online sehen. Was hat dich dazu bewegt, gerade dieses Thema aufzugreifen?
Nico Pflügler: Im Sommer 2024 dämmerte mir etwas, das ich längst wusste: Ich war verloren, chronisch online im digitalen Mahlstrom, täglich tief getaucht in die kochenden Abwässer des Internets. Ein dreifacher Vorwärtssalto mit Schraube – hinein in einen toxischen Strudel aus Reizen, Schrott, Gewalt und gelegentlichem Glanz. Der Algorithmus – mein parasitischer Zwilling – fütterte mich perfekt, kannte mich besser als meine Eltern. Slop vom Feinsten, maßgeschneidert, serviert auf einem glänzenden Tablett aus Glas und Gier. Und während ich vor mich hindümpelte, verband mich eine kosmische Wendung mit einem anderen Menschen, meiner Partnerin. Durch sie konnte ich endlich die schmerzhafte Abkoppelung des algorithmischen Schmarotzers hinter mich bringen. Mein Film ist ein Reflex auf das Armageddon des Bewusstseins. Eine Wunde, die nicht heilen will.
„Wir scrollen durch Elend, durch Tod, durch Lüge und Tanz, als wäre alles gleich viel wert: Terror, Kinder, Hass, Neonazis, Pornografie, Werbung, alles im selben Atemzug – verpackt, vertont, verklickt.„
Der Film will nichts erklären. Er will zersetzen. Dieses Konsumieren – willenlos, unreflektiert, endlos – ist eine Krankheit. Kunst darf kein sedierendes Rauschen sein. Kein Inhalt, kein Trost, kein Snack. Kunst muss stören. KUNST IST EIN SCHREI. Kein Produkt.
Wie lief der kreative Prozess ab – vom ersten Gedanken bis zur finalen Umsetzung? Gab es Momente, in denen du selbst an der Idee gezweifelt hast?
Nico Pflügler: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die Idee wäre penibel genau konstruiert. Am Anfang war der Titel. An einem Sommermorgen kam Das Ziegenkäsemachen aus der Sicht der Ziege in einer Art Vision in meinen Kopf, nistete sich dort ein, legte Eier. Aus diesen Eiern schlüpften, langsam ausgebrütet durch meinen enormen Hass auf viel zu generische Inhalte, Impulse, Bilder, Farben, die ich gelegentlich in meinem damaligen Skizzenbuch frei laufen ließ. Durch Input von meinem besten Freund Aleksa Jović und meinem Mentor Robert Hinterleitner nahmen meine zersplitterten, fast kubistischen Mehransichten langsam eine Gestalt an, die sich mit einer Kamera einfangen ließ. Irgendwann im Prozess bot mir meine Mutter außerdem an, mir beim Konstruieren des Euters zu helfen. Dafür war und bin ich ihr immer noch sehr dankbar.

Humor, Absurdität, Medienkritik – dein Film balanciert zwischen vielen Genres und Stimmungen. Was war dir in der künstlerischen Umsetzung besonders wichtig?
Nico Pflügler: Viele Dinge müssen im Kontext meines Films großgeschrieben werden. Das Allerwichtigste jedoch ist wohl, dass das Publikum merkt, wie frustriert, wie hasserfüllt wir sind. Wie sehr Gilbert Gnos sich danach sehnt, keine dreizehntausend Werbeanzeigen am Tag sehen zu müssen. Wie sehr wir uns das Ende des Internets und vor allem von Social Media herbeiwünschen. Ich denke, ich habe den gewünschten Effekt erzielt, auch wenn viele Menschen meinem Film keine Chance geben wollen, ihn als „noch einen Film von einem Kunstschüler“ abstempeln, nur, weil sich mein Film eben jeder einfachen Interpretation entzieht. Außerdem wollte ich Szenen filmen, die man so noch nicht gesehen hat. Ein Euter in der Bim, zum Beispiel.
Welche Reaktion erhoffst du dir vom Publikum, nachdem es deinen Film gesehen hat?
„Mir ist es egal, ob ihr mich mit Tomaten bewerft oder mich mit Fackeln und Mistgabeln aus dem Land jagt. Das Einzige, was ich will, ist, dass ihr nachdenkt und euch zumindest für eine Minute darauf fokussiert, was der Film aussagen möchte“
Nico Pflügler: Ich will nicht, dass ihr den Film konsumiert – ich will, dass er eure Netzhäute bespielt und eure Gehirne währenddessen aktiv daran arbeiten, herauszufinden, was ihr gerade seht. Dass ihr verarbeitet, euch beschäftigt. Oder, dass ihr zumindest, während ihr den Film seht, nicht am Handy seid. Mir ist es wichtig, zu zeigen, dass besonders das Medium Film heutzutage viel zu sehr als billige Unterhaltung und nicht mehr als Kunstform wahrgenommen wird. Wir müssen schreien, um gehört zu werden.

Mit gerade einmal 19 Jahren wirst du mit der Goldenen Nica ausgezeichnet – einem der renommiertesten Medienkunstpreise weltweit. Was bedeutet diese Anerkennung für dich persönlich, und worauf dürfen wir in Zukunft gespannt sein?
Nico Pflügler: Die Nica kam zugegebenermaßen sehr unerwartet. Als ich die Nachricht erhielt, war ich gerade mit meiner Partnerin in der tiefsten französischen Schweiz unterwegs, genauer gesagt in Gruyère im Museum des fantastischen H.R. Giger. Mir fiel buchstäblich die Kinnlade zu Boden – musste sie von den biomechanischen Fliesen aufklauben. Aleksa und ich fühlen uns durch die Nica natürlich in unserem Schaffen bestärkt, wir wissen, wir sind irgendetwas Größerem auf der Spur – unsere Arbeit hat Qualität. Und wir werden auch nicht aufhören. Es sind mehr bizarre Werke in Arbeit, als wir zählen können. Und falls alles gut klappt, können Gilbert Gnos und Co. ganz bald schon wieder auf der Leinwand zu sehen sein.
Das Projekt „Das Ziegenkäsemachen aus der Sicht der Ziege“ wird im Rahmen des Ars Electronica Festivals in von 3. Bis 7. September 2025 in Linz zu sehen sein. Aktuelle Informationen zum Projekt und weiteren Programmhöhepunkten findest du auf der Festival-Website.

Nico Pflügler
2006 in Gallneukirchen geboren.
HBLA für Künstl. Gestaltung Linz
Screenwriter, Actor, Artist (Grafisches Gestalten, Plastiken -> Thomas Project)