Loophole for All – Steuerfreiheit für alle!

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Die karibische Inselgruppe Cayman Islands (Kaimaninseln) besteht aus den drei Inseln Grand Cayman, Little Cayman und Cayman Brac und umfasst insgesamt nur etwa eine Fläche von 260 km². Trotzdem gilt die Inselgruppe als einer der zehn größten Bankplätze weltweit und verwaltet Unsummen von Geldern. Vor allem ausländische Unternehmen haben großes Interesse ihr Geld dort anzulegen, da auf den Cayman Islands ein strenges Bankgeheimnis herrscht, das auch Immobilien-, Börsen- und Versicherungsmakler einschließt. Auch die 100%ige Steuerfreiheit macht die Inselgruppe für Unternehmen besonders interessant. Begriffe wie Kapitalertragssteuer, Einkommenssteuer oder Erbschaftssteuer sind auf den Inseln unbekannt. Ein freizügiger Kapitaltransfer und keinerlei Devisenkontrollen machen die Geldanlage auf den Cayman Islands für einheimische und ausländische Investoren leicht.

Die Cayman Islands zählen zu einem der bekanntesten Offshore-Finanzplätze weltweit. Tausende Firmen, Offshore-Gesellschaften und unzählige Hedge-Fonds befinden sich auf Grand Cayman, was dazu führt, dass auf der kleinen Inselgruppe geschätzte 1.700 Milliarden Dollar aus dem Ausland gelagert sind und über Offshore-Gesellschaften verwaltet werden. Einer der Gründe dafür ist, dass die Gründung einer Offshore-Gesellschaft auf den Cayman Islands relativ einfach ist und nur innerhalb 14 Tagen erfolgen kann.

Mit diesen Gegebenheiten auf den Cayman Islands beschäftigt sich der Künstler und Aktivist Paolo Cirio in seinem Projekt „Loophole for All“. Paolo hat die Identität von 200.000 registrierten Firmen gestohlen und bietet diese auf seiner Website www.loophole4all.com zum Kauf an. Möglich wird das, weil die Registrierung im Steuerparadies vollkommen anonym erfolgt. Jede und Jeder kann nun also ein Zertifikat erstehen, das sie oder ihn mit der Identität einer realen Firma ausstattet und damit Zugang zum Finanzplatz der Cayman Islands eröffnet.

Alle sollen die Möglichkeit haben, genau dieselben Steuererleichterungen zu nutzen, wie sie Konzerne ständig für sich in Anspruch nehmen

, meint Paolo und bezeichnet sein Projekt als den Versuch einer Demokratisierung der Steuerflucht. Klarerweise will der Künstler und Aktivist aber vor allem auf die globale Dimension der Steuerflucht aufmerksam machen, um diese letztlich dauerhaft zu unterbinden. Dass dafür ein langer Atem notwendig sein wird, ist ihm klar – die Lobby, gegen die er hier angeht, ist doch ziemlich mächtig.

Beim Prix Ars Electronica 2014 erhielt Paolo für „Loophole for All“ eine Goldene Nica in der Kategorie Interactive Art. Bevor dieses kritische Projekt im Rahmen der CyberArts Exhibition beim Ars Electronica Festival 2014 präsentiert wird, verrät er uns in einem Interview mehr zu den Hintergründen des Projekts und welche Folgen es auslöste.

„Loophole for All“ ist ein sehr aktivistisches Projekt. Was hat dein Projekt mit Kunst zu tun?

Paolo Cirio: Man kann mit allem Möglichen Kunst machen, solange du in deinen Kunstwerken kreative, künstlerische Qualitäten bewahrst. Bei meinen Projekten versuche ich auch immer sehr visionär, ironisch und provokant zu sein, indem ich dem Material, mit dem ich arbeite, eine neue Bedeutung gebe. Ich versuche auch anspruchsvolle Konzepte und Prozesse zu vereinfachen und sie für Ausstellungen zu konzipieren. Die Balance zwischen Kunst und Aktivismus ist zwar nicht einfach, aber es ist wichtig zu betonen, dass Kunst eine unheimlich große Power hat, um sich zu verändern. Leider geht das zu oft in einer lediglich dekorativen und spekulativen Kunstwelt verloren.

Wie bist du auf die Idee zu dem Projekt gekommen?

Paolo Cirio: Der kreative Prozess hat bei „Loophole for All“ viel Zeit in Anspruch genommen, da er für diese Art von Projekte ziemlich kompliziert ist. Ich habe auch noch eine Liste von etwa 10 weiteren möglichen Konzepten, die ich zunächst für das Projekt nutzen wollte und bei denen es alle um Offshore-Geschäfte geht. Nachdem ich ein Jahr lang über die beste Lösung nachgedacht habe, habe ich mich letztendlich aber für jene Lösung entschieden, die mir am besten gefallen hat. In der Regel entwickle ich meine Projekte selbständig und frage nicht meine Freundinnen und Freunde nach Ratschlägen zu meinen Ideen, weil das Thema, die Sprache und die Strategien für Personen, die nicht an meiner Forschung beteiligt sind, meist zu komplex sind.

Woher hast du dieses umfassende Wissen über komplexe Finanzstrukturen?

Paolo Cirio: Seit 2009 lese ich Bücher und Artikel und schaue Dokumentarfilme zum Thema Finanzen. In Schulen wird das nicht unterrichtet und die klassische Ökonomie, die an Universitäten gelehrt wird, hat mit dem, was aktuell am globalen Aktienmarkt los ist, nichts zu tun.

Foto: Paolo Cirio

Wie legal ist Loophole for All eigentlich, wenn man bedenkt, dass PayPal deinen Account eingeschränkt hat?

Paolo Cirio: Ich würde sagen, dass das Projekt auf den Cayman Islands nicht legal ist, sonst aber überall legal genutzt werden kann. Vor allem, weil Rechtmäßigkeit auch eine Art von „Loophole“, also Schlupfloch, ist. Der eigentliche Punkt ist aber, wie man Unternehmen auf den Cayman Islands dazu benutzen kann, um Steuern zu umgehen. PayPal wurde beispielsweise in Luxemburg gegründet und zahlt sonst in keinem europäischen Land für dutzende von Milliarden internationalen Finanztransaktionen faire Steuern.

Wie sind die Reaktionen der Offshore-Firmen?

Paolo Cirio: Ich habe eine Reihe E-Mails von mehreren Unternehmen erhalten und teilweise sogar Telefonanrufe. Einige davon waren von kleinen, lokalen Unternehmen, die versehentlich in meiner Datenbank gelandet sind. Allerdings bekam ich auch drei Abmahnungen von großen Unternehmen. Eine von einem der größten chinesischen Finanzunternehmen, eine aus einem Hongkonger Hochfrequenz-Handelsunternehmen und ein anderes von einer internationalen Bank an der Wall Street. Viele andere globale Banken und Finanzunternehmen haben lediglich meinen Newsletter abonniert, wagten es aber nicht mich anzuschreiben. Obwohl wir hier immerhin über eine Datenbank von mehr als 200.000 Firmen sprechen. Daher bin ich eigentlich ganz froh nicht von unzähligen Reaktionen von Tausenden von Unternehmen überflutet zu werden.

Was erhoffst du mit deinem Projekt erreichen zu können?

Paolo Cirio: Ich möchte wirksame Kunst machen, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Bedingungen, so wie sie momentan vorherrschen, verändert.

Foto: Paolo Cirio

Dein neuestes Projekt nennt sich „Fingerprints Catalogue“ und ist ein neues Werk deiner Anti-Social-Sculptures-Reihe. Was kannst du uns darüber erzählen?

Paolo Cirio: Dieses Online-Kunstwerk nutzt herkömmliche Hacker-Angriffe, die die meisten Datenschutz-Tools auf Computern unwirksam machen. Es ist ein anspruchsvolles Browser-Hacking, das „Browser-Fingerabdrücke“ von den Besucherinnen und Besuchern eines online Katalogs mit Kunstwerken sammelt und verfolgt. Das Projekt behandelt die Online-Privatsphäre und hackt besonders eine Form der Metadaten der Internetuser,  nämlich jenen Datentyp, den auch das NSA Programm Prism weltweit gesammelt hat. Das Projekt soll vor allem zeigen, wie unausgereift Browser- und Internettechnologie sind, um die Privatsphäre von Usern zu schützen. Selbst für diejenigen, die glauben sich zu schützen. Wie auch in anderen Projekten der Serie Anti-Social-Sculptures, wie beispielsweise bei den Projekten „Street Ghosts“ und „Face to Facebook“, rekonstruiere ich Konflikte über das Sammeln persönlicher Daten ohne Zustimmung, was ja heutzutage durch moderne Internettechnologien leicht möglich ist. Regierungen regulieren das nicht und Unternehmen nutzen das aus.

Im Rahmen des Ars Electronica Festival 2014 wird „Loophole for All“ als Rauminstallation in der CyberArts Exhibition 2014 zu sehen sein. Die Eröffnung der CyberArts Exhibition ist am 4. September 2014 um 16.30 Uhr, am ersten Tag des Ars Electronica Festival und endet am 14. September 2014. Wer persönlich mit Paolo Cirio sprechen möchte, hat dazu am 6. September, im Rahmen der Prix Foren, die Möglichkeit.

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