Es gibt keine „Vodka“ Sound Art

soundartist_kasich_small,
soundartist_kasich

Sergei Kasich ist russischer Soundkünstler und wird gemeinsam mit anderen JurorInnen Mitte April 2015 darüber entscheiden, wer die Goldene Nica in der Kategorie „Digital Musics & Sound Art“ des Prix Ars Electronica 2015 erhält. Was er unter Sound versteht, wie und mit welchen Tools er arbeitet und ob es einen eigenen russischen Zugang zur „Sound Art“ gibt, das verrät er in diesem Interview.

Achtung: Die Einreichfrist zum Prix Ars Electronica 2015 wurde um einige weitere Tage verlängert. Reichen Sie Ihre Medienkunstprojekte noch bis zum 15. März 2015 unter ars.electronica.art/prix ein!

Wie würdest du die Begriffe “Musik” und “Sound” mit deinen eigenen Worten erklären?

Sergei Kasich: Ich bin mir sicher, dass sich die Definition von Musik für mich im Laufe der Zeit immer wieder geändert hat. Und das wird auch weiterhin so sein, wenn ich älter werde und noch mehr Erfahrung gesammelt habe. Vor einigen Jahren hätte ich von einer Art „Kunstform“ gesprochen, aber jetzt würde ich wahrscheinlich einfach sagen, dass Musik ein spezielles Protokoll ist, um Sounds und Geräusche zu organisieren. Das umfasst auch jedes Audiomaterial in Zeit und manchmal, nicht notwendigerweise, in Raum. Und ich würde zugeben, dass dieses Protokoll schon sehr alt ist, vielleicht sogar ein bisschen überholt. Sound ist einerseits nur ein physisches und physiologisches Phänomen – es sind mechanische Schwingungen der Luft, die von unserem neuropsychologischem Apparat übersetzt werden. Andererseits verwandelen sich sich durch diese Transformation in eine Art Medium, das meist dazu genutzt wird, um zu kommunizieren. Musik ist eines dieser Protokolle, dessen Kommunikation auf Sound basiert.

Du lebst und arbeitest in Russland – glaubst du, dass russische SoundkünstlerInnen eine spezielle Eigenschaft haben, im Vergleich zu KünstlerInnen aus anderen Ländern?

Sergei Kasich: Ich würde das wirklich sehr gerne herausfinden, aber ich bin mir noch nicht sicher. Auf jeden Fall kann ich sagen, dass Russland seine eigene Geschichte an Experimenten im Sound- und Technologiebereich hat. Wenn man genauer schaut, findet man aber dann doch sehr viele Ähnlichkeiten mit dem, was in der Welt geschah. So fanden beispielsweise die Entwicklungen im Graphical oder Drawn Sound beinahe zeitgleich in den 1930er Jahren statt – in der UdSSR, in Deutschland und in den USA.

Ich spreche sehr gerne über Innovationen, und diese Innovationen hängen sehr stark von Technologie und dem Zugang zu Wissen ab. Aber gleichzeitig sind sie sehr stark mit der kreativen Freiheit verbunden – und auch mit den sozialen und ökonomischen Bedingungen für dessen ErschafferInnen. Ich würde sagen, dass all diese Aspekte viel eher die Natur der russischen Sound Art bestimmen – und auch die Kunst und Technologie im Allgemeinen – und dann auch einige kulturellen Stereotype über Nationalität und so weiter. Es gibt keine “Vodka” Sound Art, da bin ich mir sicher. Und wenn man etwas findet, das man so bezeichnet könnte, dann ist das eher Kitsch oder nur etwas, das man auch in einem beliebigen anderen Land finden könnte.

Ich beantworte diese Frage jedoch laufend in meinen Arbeiten. Ich und meine KollegInnen von der SA))-Community, wir produzieren jeden Monat Veranstaltungen in Moskau, die sich “SA))m0st’_” nennen – aus dem Russischen könnte man das als “Selfness” übersetzen. Das ursprüngliche Konzept von diesen Events war, regelmäßig Showcases für Sound Art zu veranstalten, mit Performances von russischen KünstlerInnen und Gästen aus aller Welt. Wir produzierten bisher 14 solcher Events und hatten Freunde aus der Türkei, den USA, aus Mexiko, Kanada, Spanien, Lettland, den Niederlanden, aus Großbritannien und vielen anderen Ländern bei uns auf der Bühne.

“Selfness” bedeutet, dass man versucht, sich selbst zu verstehen, indem man sich mit anderen vergleicht. Ich bin mir nicht sicher, ob wir sehr viele Unterschiede gefunden haben, aber wir hatten auf jeden Fall eine Menge Spaß.

Sobald wir von “Sound Art” sprechen können, bezeichnet es sich selbst so. Und in Russland gibt es erst seit wenigen Jahren eine Gruppe an Menschen, die begonnen haben, sich selbst als “SoundkünstlerInnen” zu sehen. Die meisten davon gruppieren sich rund um SoundArtist.ru und kommen aus dem Theremin Zentrum des Moskauer Konservatoriums nach 2008. Die “offizielle” russische Sound Art ist daher sehr jung.

Wie sieht deine typische Arbeitsweise als Soundkünstler aus? Welche Tools verwendest du?

Sergei Kasich: Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich eine Routine habe (*lacht*). Vielleicht beginnen hier einige der russischen Eigenheiten. Aber ich kann nicht sagen, dass ich etwas Regelmäßiges habe, das meine Tage in einer bestimmten Weise strukturiert. Es dreht sich alles um Projekte. Mein Leben basiert auf Projekten. Es können längere oder auch kürzere sein. So starteten wir vor kurzem einen sechsmonatigen Kurs in unserem SA))_studio und dabei braucht es eine Menge an organisatorischen Handlungen von meiner Seite. Es geht weniger um Kunst. Ausstellungsprojekte in Russland beginnen meist sehr unerwartet und oft hat man nicht so viel Zeit, darüber nachzudenken, was man machen kann, oder um an den Plänen zu feilen. Und man muss eine Idee haben, die am besten billig zu verwirklichen ist.

Sehr oft sind diese Veranstaltungen schlecht organisiert und man muss darauf vorbereitet sein, alles selber zu machen und dass ein Tech-Rider meistens ignoriert wird.

Vielleicht ist es deshalb so, dass die meisten SoundkünstlerInnen auf Do-it-Yourself zurückgreifen – sie kennen sich aus mit Programmieren, Elektronik, Mechanik, dem Performen, dem Designen, dem Web-Programmieren, dem Zeichnen und Malen, sie können alle Arten von Texten schreiben, organisieren, werben, machen Videos und Fotodokumentationen und so weiter… und das alles mit zwei Händen! Ich glaube auch, dass dies auf viele KünstlerInnen weltweit zutrifft, die auf sich gestellt sind.

Um zum kreativen Prozess noch etwas zu sagen – meine Haupt-Tools hängen sehr stark von der Art des Projekts ab. Im Bereich von “integrativem Multimedia” wie interaktive, generative Installationen und Performances verwende ich meist PureData. Selten nutze ich Max/Msp/Jitter. Als Digital Audio Workstation (DAW), um mit Sound zu arbeiten, bevorzuge ich zur Zeit Reaper, weil ich mit dessen Philosophie und Marketing-Strategie etwas anfangen kann. Ich war lange Zeit ein professioneller Cubase-Nutzer und ich kann damit immer noch sehr schnell arbeiten, wenn ich in kommerziellen Studios damit zu tun habe. Ich habe manchmal auch cSound, Processing, VVVV, Touch Designer, JavaScript, Unity 3D oder Blender genutzt.

Apple-Produkte und die Software Ableton Live habe ich nie verwendet, da ich mich mit ihren Marketing-Aktivitäten nicht anfreunden kann. Vielleicht werde ich das einmal. Für Interaktionen und einfache Mechaniken und Sensorik verwende ich Arduino. Ich selbst habe einen musischen und wissenschaftlich-psychologischen Hintergrund, keinen technischen oder IT-Hintergrund. Alles, was ich aufgezählt habe, ist ein üblicher Werkzeugkasten für moderne MedienkünstlerInnen.

Hast du einige Tipps für SoundkünstlerInnen, die ihre Arbeiten zum Prix Ars Electronica einreichen wollen?

Sergei Kasich: Zu allererst war ich zuvor selbst schon so ein Künstler und der einzige Grund, warum ich in diesem Jahr keines meiner Werke einreichen werde, ist, weil ich Teil der Jury bin. Es gibt wirklich nicht viele international anerkannte Preise in diesem auf Technologie fokussierten Kunstbereich und der Prix Ars Electronica ist einer der bedeutendsten. Und dass die Kategorie “Digital Musics & Sound Art” nicht jedes Jahr offensteht, aber in diesem Jahr. Das sind zwei wesentliche Gründe. Ein dritter ist, dass ich nun als Juror meine Kolleginnen und Kollegen kenne und begreife, dass Ars Electronica wirklich mit einer internationalen Community an interdisziplinären Fachleuten zusammenarbeitet und nicht nur mit einer bestimmten akademischen Institution. Das gibt mir Hoffnung, dass das Ding, das man einreicht, auch gehört, gesehen und erfahren wird – egal welche Beziehungen man zu den einen oder anderen Gallerien oder Institutionen hat. Und es ist für mich immer noch ein Geheimnis, wie die Jury arbeitet. Aber ich freue mich darauf, das demnächst von innen zu sehen.

kasich

Sergei Kasich wurde 1984 in Sewastopol (Halbinsel Krim) geboren. 2006 schloss er sein Studium der Psychologie an der Lomonossow-Universität in Moskau mit Auszeichnung ab. Er besuchte das Moskauer Theremin-Zentrum für elektroakustische Musik (2005–2010) und gründete danach SoundArtist.ru (SA) – eine Community für experimentellen Sound und technologische Kunst. Er kuratiert und organisiert Veranstaltungen und Projekte, die von der SA))-Community unterstützt werden, darunter ein jährlich stattfindendes Festival und monatliche Ausstellungen. Kasich ist Gründer und Kurator der Klanggalerie SA))_gallery und des Studios für Klangkunst SA))_studio in Moskau. Seit 2011 unterrichtet er „Technische Grundlagen interaktiver Künste“ an der Rodchenko Art School in Moskau.

, ,