„Animieren ist wie Kochen“

Bär
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Mari-Liis Rebane, künstlerische Leiterin des International Animation Film Festival Animated Dreams – eines der ältesten und größten Animationsfestivals im Baltikum – sitzt gerade im Flugzeug auf dem Weg von Tallinn nach Bergen als sie unsere Fragen beantwortet. Gemeinsam mit vier anderen ExpertInnen – Gaëlle Denis, Erick Oh, Mihai Grecu und Bernd Kracke – wird sie in etwas mehr als einem Monat nach Linz reisen und die Goldene Nica in der Kategorie „Computer Animation / Film / VFX“ küren. Beim Ars Electronica Festival 2016, das von 8. bis 12. September 2016 in Linz stattfinden wird, können Sie sich im Rahmen des Ars Electronica Animation Festival selbst ein aktuelles Bild dieser facettenreichen bewegten Medienkunst machen.

Und nicht vergessen: Bis zum 13. März 2016 gibt es noch die Möglichkeit, Ihre Arbeiten zum Prix Ars Electronica 2016 einzureichen und Preisgelder in der Höhe von bis zu 10.000 Euro je Kategorie zu gewinnen – Details finden Sie auf ars.electronica.art/prix!

Der estnische Film blickt auf eine seit mehreren Jahrzehnte bestehende Tradition an Animationen zurück. Gibt es spezielle Eigenschaften, die sich damals und heute erkennen lassen?

Mari-Liis Rebane: Mit den Animationsfilmen aus Estland hat sich eine Art Wesen etabliert, das es, wie ich glaube, immer noch gibt. Wenn ich an die großen Meister der estnischen Animation denke, kann es mit den Begriffen wie Art brut, scharfsinnigem Storytelling und geistreicher Naivität beschrieben werden, das oft mit sozialen Themen, versteckten Symbolen, der Psychologie komplexer Charaktere oder mit einer Verschiebung der Wirklichkeit in Verbindung steht. Die Szene wurde mit jungen Newcomern wiederbelebt, die jedoch ihre eigenen Ideen und Visionen einbringen, auf komplett anderen Themen aufbauen und eine völlig neue Generation vertreten.

Als Leiterin des International Animation Film Festival Animated Dreams haben Sie ja bereits eine Menge an Stunden animierter Arbeiten gesehen. Was sind die wesentlichen Zutaten für einen ansprechenden Animationsfilm?

Mari-Liis Rebane: Da gibt es natürlich viele Möglichkeiten, diese Werte zu messen. Ich würde sagen, dass es ein gewisses Maß an Frische braucht, das mich anspricht, und dann natürlich auch die Qualität des Rohmaterials. Die Idee dahinter sollte sehr gut umgesetzt sein. Dabei ist es meiner Meinung nach egal, ob es sich um ein klassisches Storytelling mit animierten Charakteren oder nicht-narrativen Experimenten mit Visuals handelt. Animieren ist wie Kochen – man muss wissen, wie man den Geschmack ausbalanciert. Man muss wissen, was man tut. Die Regisseurin oder der Regisseur sollte scharfsinnig sein, stets darauf achten, ob es mehr Salz oder Zucker braucht, oder wenn es notwendig ist, keine Zutaten mehr hinzuzugeben. Aber wie bei vielen anderen Dingen im Leben gibt es auch hier kein vorgefertigtes Erfolgsrezept – jede Filmmacherin und jeder Filmmacher sollte ihre oder seine eigenen speziellen Zutaten für sich selbst finden. Und: Man serviert es an ein Publikum, also halte es schmackhaft!

In einer Ihrer Biografien habe ich gelesen, dass Sie sich intensiv mit der Erweiterung des Begriffes der Animation auseinandersetzen. Wie würden Sie „Animation“ in Ihren eigenen Worten beschreiben?

Mari-Liis Rebane: Animation ist das Magische, das zwischen den Einzelbildern geschieht. Es ist der Moment. Es ist die ultimative Illusion, die nicht existieren würde, wenn man sie nicht auf eine Zeitleiste gesetzt hätte.

Reds Dream

Die Animation „Red’s Dream“ von John Lasseter erhielt im Jahr 1987 eine Goldene Nica. Credit: Pixar

Sie sind 1988 geboren. Das war das Jahr als “Red’s Dream” von John Lasseter mit einer Goldenen Nica ausgezeichnet wurde. Der Kurzfilm wurde damals mit einer speziellen Maschine namens „Pixar Image Computer“ gerendert. Heutzutage, mit all der leistungsfähigen Soft- und Hardware, scheint es so einfach wie noch nie zu sein, einen animierten Film zu schaffen. Würden Sie dem zustimmen?

Mari-Liis Rebane: Viele Dinge mögen heutzutage leichter erscheinen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Wichtig ist, sich nicht zurückzulehnen und es sich bequem zu machen. Um mit den Entwicklungen der Technologie Schritt halten zu können muss man die Grenzen immer wieder von neuem überwinden. Es ist wunderbar, dass Technologie den Menschen dabei hilft, ihre Vorstellungen leichter als je zuvor zum Leben zu erwecken. Technologie ist ein hilfreiches Werkzeug, um Dinge in Bewegung zu setzen. Viele Leute, die nicht in diesem Bereich arbeiten, wissen nicht wie Animation auf der untersten Ebene funktioniert, wie viel Arbeit man dabei hineinsteckt und wie viele Möglichkeiten in der Animation abseits traditioneller Wege stecken. Um innovativ zu sein müssen wir experimentieren und Herausforderungen annehmen – wir würden etwas nicht herausfinden, wenn wir es zuvor nicht versuchen. Und, was ich dem noch hinzufügen möchte, ist, dass es nicht unbedingt Computerkunst dazu braucht, um innovativ zu sein.

Erkennen Sie Trends in 2016 in Ihrer Kategorie „Computer Animation, Film, VFX“?

Mari-Liis Rebane: Ich sehe, dass sich die Filmindustrie im Allgemeinen vielseitig verändert hat. Das schließt auch ein, wie Kurzfilme präsentiert und verbreitet werden. Computeranimationen, Internet und virtuelle Welten gleichen sich in unserer Vorstellung immer mehr an und beeinflussen die Wirklichkeit um uns und wie sie von unseren kognitiven Prozessen wahrgenommen werden. Computerkunst wird meist dazu verwendet, um nicht vorhandene Welten und Objekte zu erschaffen – Geschichte, Utopie und imaginäre Welten. Sowohl Vergangenheit als auch Zukunft existieren in der Vorstellung. Wir können das zwar nicht wiederherstellen, was es bereits gegeben hat, aber wir können die Zukunft gestalten. Technologie hat nicht nur unseren Alltag verändert, wo Dinge flüssiger laufen dank schnellem und drahtlosem Internet, aber Technologie hat auch unsere gesamten Einstellungen unserer Werte verändert.

Als Person, die in der Generation der frühen Internetzeit geboren wurde, würde ich sagen, die Geschwindigkeit der Technologie ging viel schneller als ich es mir vorgestellt hatte – gerade in der Informationstechnologie. Und ich würde sagen, in gewisser Weise haben wir es mit mehr destruktiven Effekten auf unsere Psychologie zu tun als die meisten von uns je gedacht hätten. Es wird immer diese Fragen rund um Technologien geben, aber Technologie ist nur ein Werkzeug. Im Film ist und wird die ultimative Quelle der Themen stets in Verbindung zu uns Menschen stehen, in welchem Zusammenhang oder in welcher Situation auch immer. Film steht für mich für die endlose Suche nach der Wahrheit und dem Drang, die Welt zu erklären.

Rebane

Die 1988 in Estland geborene Künstlerin Mari-Liis Rebane leitet seit 2011 das International Animation Film Festival Animated Dreams, eines der ältesten und größten Animationsfestivals im Baltikum.

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