Die PreisträgerInnen des diesjährigen Prix Ars Electronica kommen aus der Demokratischen Republik Kongo/Belgien/Deutschland, aus Kanada, Irland sowie aus Slowenien und Österreich: David OReilly (IE) erhält für seine Animation „Everything“ die Goldene Nica in der Kategorie Computer Animation, Cedrik Fermont (CD/BE/DE) und Dimitri della Faille (BE/CA) dürfen sich für „Not Your World Music: Noise In South East Asia“ über eine Goldene Nica in der Kategorie „Digital Musics“ freuen, die Goldene Nica in der Kategorie Hybrid Art geht an Maja Smrekar (SI) für das Projekt „K-9_topology “. Die Gewinnerin der österreichweit ausgeschriebenen Kategorie „u19 – CREATE YOUR WORLD“ heißt 2017 Lisa Buttinger und kommt aus Schalchen in Oberösterreich. Aber nun alles der Reihe nach:
Hybrid Art: K-9_topology / Maja Smrekar (SI)
Credit: BORUT PETERLIN
„K-9 TOPOLGY is a true hybrid artwork with profound bio-political message and is certain to bring a lot of discussion to the audience from both art and science sides.” (Statement der Jury)
Wo kommen wir her? Was sind wir? Und wo gehen wir hin? Maja Smrekars künstlerisches Werk kreist um diese ewigen Fragen der Menschheit. Für ihre Werkreihe “K-9_topology” erhält die slowenische Künstlerin Marja Smrekar die Goldene Nica in der Kategorie Hybrid Art. “K-9_topology” fasst mehrere Projekte zusammen, die sich aus jeweils anderen Perspektiven mit dem Wesen und der Rolle des Menschen und im speziellen der Frau in einer zunehmend biopolitischen und postpanoptischen Welt befassen. Die Arbeit “Ecce Canis” etwa rückt Prozesse des Stoffwechsel in den Mittelpunkt: Aus dem Gewebshormon und Neurotransmitter Serotonin der Künstlerin und ihrem Hund Byron schufen ChemikerInnen einen Duftstoff, der die chemische Essenz der Beziehung zwischen Menschen und Hund symbolisiert. Die im Rahmen einer Residency in den französischen JACANA Wildlife Studios entstandene Performance “I HUNT NATURE AND CULTURE HUNTS ME” dagegen dreht sich um die Phylogenetik des Wolfs sowie die Beziehung zwischen Wolf, Hund und Mensch und fragt nach einer Tierethik.
Das Projekt “Hybrid Family” thematisiert die soziale und ideologische Instrumentalisierung des weiblichen Körpers und des Stillens. Für die Dauer von drei Monaten unterzog sich Maja Smrekar einer milchtreibenden Diät und stimulierte durch das systematische Abpumpen ihrer Brust die Produktion des Hormons Prolactin. Nebeneffekt dieses Prozesses war die Produktion des Hormons Oxytocin, das eine wichtige Rolle hinsichtlich des zwischenmenschlichen Vertrauens und der Empathie zwischen Mutter und Kind spielt. “ARTE_mis” ist das vierte Projekt der Reihe, bei dem eine Eizelle der Künstlerin entkernt wurde und als Wirt für eine Körperzelle ihres Hundes diente. Ergebnis ist eine hybride Zelle, ein Symbol für ein dystopisches Szenario, aus dem eine neue Species hervorgehen könnte, deren Überlebenschancen auf dem Planeten Erde besser sind als unsere – nicht zuletzt deswegen, weil dieses Mischwesen seine Umwelt vielleicht humaner behandeln würde als wir das tun.
Die Arbeit von Maja Smrekar ist nicht von der Absicht der Provokation getragen, sondern von einer ernsthaften und tief gehenden künstlerischen Auseinandersetzung mit den brisanten gesellschaftlichen Herausforderungen, die aus aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen und künftigen medizinischen als auch kommerziellen Anwendungen der Gen- und Biotechnologien hervorgehen. Das intensive intellektuelle und körperliche Engagement, mit dem sie ihre künstlerische Arbeit vorantreibt, die konsequente Art und Weise, wie sich Majas Smrekar auf die wissenschaftlich-technologischen Prozesse einlässt, mag verstörend wirken. Wirklich verstörend ist allerdings nicht ihre Arbeit, sondern die zu erwartende Realität, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen.
Die Künstlerin schafft mit ihrer Arbeit symbolische Anknüpfungspunkte, bei denen es ihr nicht darum geht, es den WissenschaftlerInnen nachzumachen und einen echten Klon oder einen echten Hybrid zu schaffen. Sie will vielmehr symbolische Objekte kreieren und symbolische Handlung setzen. Sie macht also genau das, was Kunst immer macht: Bilder, Symbole und Geschichten schaffen, an die wir anknüpfen können, an denen wir uns aber auch reiben können und die uns helfen, mit unserer Welt umzugehen.
Digital Musics & Sound Art: Not Your World Music: Noise In South East Asia / Cedrik Fermont (CD/BE/DE), Dimitri della Faille (BE/CA)
Credit: Dimitri della Faille
“(…) an outstanding book and CD compilation project.” (Statement der Jury)
“Not Your World Music: Noise In South East Asia” ist ein Buch über Kunst, Politik, Identität, Gender und globalen Kapitalismus. Und es ist eines der ganz wenigen Werke über Noise und Sound Art, über elektroakustische, experimentelle und Industrial-Musik der Vergangenheit und Gegenwart im südostasiatischen Raum. Das Buch enthält politische, historische und soziologische Aufsätze und Interviews mit KünstlerInnen sowie eine umfangreiche Bibliographie rund um südostasiatische Musik und eine Discographie von Noise- und ExperimentalmusikerInnen. „Not Your World Music: Noise In South East Asia“ versteht sich als ein politischer, antisexistischer und antikolonialer Beitrag zu einem Diskurs über Gesellschaft, soziale Repräsentation, Ungleichheit, Marginalisierung und Kolonialismus.
Computer Animation / Film / VFX: Everything / David OReilly (IE)
Credit: David OReilly
“(…) a unique and innovative approach to animation that pushes the boundaries between linear, nonlinear, and interactive experience. (…) also serves a highly educational purpose and includes an important political statement (…)” (Statement der Jury)
Die Goldene Nica in der Kategorie Computer Animation / Film / VFX geht dieses Jahr an “Everything” von David OReilly. Ohne bestimmte Aufgaben, Ziele oder Punktevorgaben können die SpielerInnen in dieser Natursimulation – halb Spiel halb Kunstwerk – alles was sie sehen auch selber spielen. Per Tastendruck verwandeln sich die SpielerInnen vom Einzeller in einen Marienkäfer, Heißluftballon oder eine ganze Galaxie. „Everything“ steht für einen ganz speziellen Trip, der ein Hin- und Hergleiten zwischen Mikro- und Makrokosmos einschließt und die Betrachtung des ganzen Universums aus der Sicht tausender Subjekte wie Objekte erlaubt.
Unwillkürlich stellen sich während des Spielens dann auch Gedanken rund um das eigene Dasein ein und nicht nur das – es lassen sich auch die Gedanken vieler Objekte im Spiel lesen, die vom Philosophischen bis zum Absurden reichen. Die Stimme des Erzählers von „Everything“ stammt vom 1973 verstorbenen Philosophen Alan Watts. Everything ist für PC, Mac, Linux und die PS4 erhältlich.
u19 – CREATE YOUR WORLD: nonvisual-art / Lisa Buttinger (AT)
Credit: Martin Hieslmair
“(…) hat ein neues Medium entwickelt, eine neue Materialität, die KünstlerInnen anwenden können, um Bilder umzusetzen.“ (Statement der Jury)
„nonvisual-art“ ist ein Bild, das sichtbar und unsichtbar zugleich ist. Mittels Zellophan-Folien und in Kleber festgesetzten Luftbläschen wird das einfallende Licht kunstvoll gebrochen. Naturwissenschaft wird dabei zum bildnerischen Werkzeug: Zunächst unsichtbares Licht wird per Polarisationsfilter in sichtbare Farben zerlegt und anschließend zu einem Bild geformt. Durch eine 3D-Brille betrachtet wird das Bild sogar zum Raum. Lisa Buttinger hat diese „Zauberwelt“ Stück für Stück akribisch zusammengebaut. Entstanden ist „nonvisual-art“ als Gestaltungsprojekt an der HBLA für Künstlerische Gestaltung Linz, die theoretischen Kenntnisse eignete sich Lisa Buttinger im Rahmen ihrer Diplomarbeit an.
Goldene Nicas, Auszeichnungen und Anerkennungen 2017
Die vollständige Übersicht aller Goldenen Nicas, Auszeichnungen und Anerkennungen des Jahres 2017 finden Sie zum Nachlesen auf ars.electronica.art/prix/gewinner
Wie geht es weiter?
Hier am Ars Electronica Blog stellen wir Ihnen demnächst die Projekte der Goldenen Nicas 2017 in Interviews mit den KünstlerInnen genauer vor. Beim Ars Electronica Festival 2017, das von 7. bis 11. September 2017 in Linz stattfinden wird, können Sie sich selbst von zahlreichen der prämierten Medienkunstwerken in der CyberArts-Ausstellung im OK im OÖ Kulturquartier Linz ein Bild machen. Das ist dann auch die Zeit, bei der im Rahmen der Ars Electronica Gala die GewinnerInnen der Goldenen Nicas persönlich ausgezeichnet werden, und bei den Prix-Foren öffentlich zu Wort kommen und ihre Arbeiten dem Festival-Publikum persönlich präsentieren.