Not Your World Music: Auf Spurensuche in Südostasien

Not Your World Music,

Weltmusik und Noise sind auf den ersten Blick zwei sehr unterschiedliche Genres und diese experimentelle Form der Musik und Klangkunst in Südostasien aufzuspüren und zu dokumentieren ist ebenso überraschend. Doch “Not Your World Music: Noise In South East Asia” von Dimitri della Faille und Cedrik Fermont ist nicht nur ein dokumentarisches Projekt sondern vielmehr eine eindrucksvolle künstlerische Auseinandersetzung mit Kunst, Politik, Identität, Gender und globalem Kapitalismus.

Ihre Sammlung an Sounds spannt einen umfassenden Bogen von elektroakustischer über experimenteller Musik bis hin zu Industrial-Musik, von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, von Indonesien über Singapur bis nach Myanmar. In Form eines Buches und einer CD enthält “Not Your World Music: Noise In South East Asia” politische, historische und soziologische Aufsätze und Interviews mit den involvierten KünstlerInnen. Wir möchten von den beiden GewinnerInnen der Goldenen Nica 2017 in der Kategorie „Digital Music & Sound Art“ wissen, wie das Projekt entstanden ist.

Bei den Prix-Foren des Ars Electronica Festival 2017 am 9. September 2017 sprechen die KünstlerInnen noch ausführlicher über ihr Projekt. Auf bandcamp.com hören Sie Ausschnitte von „Not Your World Music: Noise In South East Asia“.

CDs

Credit: Cedrik Fermont

Wie kam es dazu, dass Sie sich mit der südostasiatischen Region beschäftigen? Was war der Auslöser, mit dem Projekt “Not Your World Music: Noise in South East Asia” zu starten?

Cedrik Fermont: Etwa Mitte der 1990er Jahre startete ich den Versuch, nach KünstlerInnen elektronischer und experimenteller Musik außerhalb von Westeuropa und Nordamerika zu suchen. Ich war schon damals überzeugt, dass diese Musikrichtung auch außerhalb unserer Blase zu finden ist. Schritt für Schritt entdeckte ich immer mehr KünstlerInnen. 2001 begann ich damit, selbst Kontakt mit den KünstlerInnen und den Labels aus Singapur und China aufzubauen. 2004 trat ich selbst zum ersten Mal in Bangkok auf und kam einige Monate später im Jahr 2005 wieder zurück, um schließlich eine sechsmonatige Tour in Südost- und Ostasien zu unternehmen – um aufzutreten, Musik zu sammeln, sich mit MusikerInnen zu treffen, mit KomponistInnen und OrganisatorInnen. Viele hier im Westen haben mir gesagt, dass ich dort nie etwas in diesem Musikgenre finden werde, vor allem nicht in Vietnam, Indonesien oder China. Und sie lagen alle falsch! Ich wollte diese engstirnige Ansicht herausfordern.

Ich war weiterhin unterwegs – auch im Nahen Osten und in Nordafrika. Seitdem war ich immer wieder in Südost- und Ostasien und schrieb darüber in einigen Artikeln und Essays. Für mich war und ist es immer noch sehr wichtig zu zeigen, dass viele KünstlerInnen in Asien und Afrika sehr aktiv im Bereich der “Sound Art”, der elektronischen Musik, Noise, elektroakustischen Music und so weiter sind.

„Noch immer gibt es viele Menschen, die die asiatischen und afrikanischen Länder als rückständige Orte betrachten, obwohl heutzutage eine schnelle Internet-Suche sehr rasch ihre Augen öffnen würde.“

Dimitri wusste, dass ich gerade ein Buchprojekt über Asien und Afrika gestartet hatte – und er wusste auch, dass ich es vielleicht nie veröffentlichen würde. Ich tendiere dazu, dass ich mir eine Menge an Informationen aneigne und dieser Wissensdurst führt dazu, dass ich mich eher noch in die Forschung vertiefe als etwas zu veröffentlichen. Da er auch diese Region erforscht hatte, schlug er mir vor, gemeinsam ein Buch darüber zu schreiben – und so war das Projekt geboren.

Sanara

Sanara (Indonesien), Credit: Cedrik Fermont

Dimitri della Faille: Ich war in den vergangenen zehn Jahren vor allem aus beruflichen Gründen sehr oft in Südostasien unterwegs. Seitdem habe ich jedes Land in dieser Region besucht, manche sogar mehrmals. Dank Cedrik’s Beispiel habe ich auch beschlossen, in Kontakt mit den Menschen in Indonesien bei meiner Reise 2011 zu treten. Seit 2005 trat ich in Asien auf, aber das war mein erster Auftritt in Südostasien. Cedrik zeigte mir wirklich viele KünstlerInnen und Szenen, die ich zuvor nicht kannte. Im Jahr 2014 während eines sechsmonatigen Aufenthalts in Südostasien begann ich, noch intensiver zu reisen und immer mehr Leute zu treffen und die Szenen noch intensiver zu beobachten als ich es bei meinen vorhergehenden Reisen tat. Während meines Aufenthalts an der Universität der Philippinen skypte ich mit Cedrik – das war der Moment, an dem wir beschlossen, gemeinsam darüber zu schreiben. Cedrik hatte bereits eine Menge der Dokumentations- und Discographie-Forschung erledigt. Zu dieser Zeit war das Projekt noch nicht so ehrgeizig wie das Buch werden sollte. Basierend auf unseren Erfahrungen, unseren Reflektionen und unserer Forschung wollten wir einige unserer brennendsten Fragen beantworten.

Ich denke, das wichtigste Element, das uns den Impuls für das Projekt gab, war unser Wunsch, die historische, soziale und kulturelle Dynamik zu verstehen, die die Lebendigkeit dieser Szene in Indonesien erklärt. Wir begannen darüber zu reflektieren, wie anders sie waren als in anderen Gesellschaften der Region. Da wir vergleichen, Daten sammeln und Leuten zuhören mussten, die diese Musik in Südostasien schufen, konnte es nicht nur ein Projekt über ein paar Seiten werden. Dieser erste Impuls hatte sicherlich mit unseren politischen Ansichten und unsere Kritik an kolonialen und sexistischen Ansichten zu tun.

Triminh

Tri Minh (Vietnam), Credit: Nguyễn Đỗ Minh Quân

Wie schwierig war es, mit all den verschiedenen KünstlerInnen und MusikerInnen in Kontakt zu treten?

Cedrik Fermont: Für mich war es leicht, da ich mich ja mehr als ein Jahrzehnt zwischen Europa und Asien – und beinahe allen Ländern dort – hin- und herbewegte.

Dimitri della Faille: Nun, in den meisten Fällen haben wir die Personen im Buch selbst getroffen. Es basiert auf hunderten Stunden Interviews, die wir direkt geführt haben. Cedrik und ich hatten eine Menge an E-Mail-Adressen und andere Wege, um mit den KünstlerInnen und MusikerInnen in Kontakt zu treten. Das wirkliche Schwierigkeit war aber sie davon zu überzeugen, dass andere Leute daran interessiert sein könnten, von ihnen etwas zu lernen. Es brauchte einiges an Überredungskunst, um sie davon zu überzeugen, die Informationen an uns zu senden, die wir brauchten, und auch, um unsere Fragen zu beantworten.

Was hat Sie bei Ihrer Forschung am meisten überrascht?

Cedrik Fermont: Das Fehlen von Dokumentation in und über die Philippinen. Die gigantische Anzahl an KünstlerInnen und Kollektiven in Indonesien.

Dimitri della Faille: Die Forschung dauerte Jahre. Und Cedrik hat viele der Daten über Jahre gesammelt. Was mich aber überrascht hat in diesem Prozess des gemeinsamen Zusammenstellens des Buches war, dass viele MusikerInnen skeptisch waren über das Interesse einer globalen Öffentlichkeit für ihre lokalen Aktivitäten.

Das ist sicher keine einfache Frage, aber welche Gemeinsamkeiten haben Noise und experimentelle Musik aus Südostasien? Und wie unterscheiden sie sich voneinander?

Cedrik Fermont: Ich denke, Noise ist im Gunde genommen eine Form experimenteller Musik, eine sehr spezifische Form. Ähnlichkeiten erkenne ich in der Art, wie KünstlerInnen und Netzwerke sich in Südostasien gegenseitig unterstützen. Das hat viele Gründe, aber vor allem liegt es daran, dass viele KünstlerInnen beider Szenen einen Punk-, Metal- oder Grindcore-Hintergrund haben – Szenen, die bekannt sind für ihre Einheit.

Dimitri della Faille: Für das Buch haben wir uns entschlossen, uns nicht zu sehr auf die ästhetischen Unterschiede der Genres zu fokussieren. Natürlich gibt es auch einen Versuch, die verschiedenen Genres der Noise Music im Buch zu beschreiben. Aber wir haben gesehen, gerade beim Betrachten all der zahlreichen Szenen, dass Grenzen zwischen den Genres durchlässig sind. Und wenn die Genres anfangs unterschiedlich erschienen, waren sie in vielen Fällen, in ihrer sozialen Praxis, in ihren ökonomischen Modellen oder in ihren Herausforderungen sehr ähnlich. Aufgrund verschiedener Gründe waren einige Genres gesellschaftskritischer als andere. Und das hat einen Einfluss darauf, wie die Szenen organisiert waren. Und ich würde sagen, dass es über die Ähnlichkeiten an Stilen und zwischen den Ländern hinaus vor allem große Unterschiede gibt hinsichtlich der Größe der Szenen und den sozial-ökonomischen Hintergründen der in diesen Szenen aktiven Menschen.

Artmosf

Artmosf (Indonesien) live, Credit: Cedrik Fermont

Eine letzte Frage: Wo hören Sie am liebsten Musik? Schließen Sie Ihre Augen?

Cedrik Fermont: Mir gefällt es, zuhause Musik zu hören oder an einem ruhigen Ort mit einem guten Sound-System, wo mich niemand stört und ich komplett eintauchen kann. Die Augen schließe ich dann, wenn ich es mir leisten kann, mich darauf zu fokussieren – ansonsten höre ich Musik meist rund um die Uhr wenn ich zuhause bin, und nicht gerade selbst musiziere. Ich kann mich nicht ausschließlich darauf konzentrieren, was ich höre, wenn ich arbeite, aber natürlich mache ich das beste daraus. Ich genieße es, auf Konzerte zu gehen, auch wenn die Bedingungen oft nicht das Optimum erreichen.

Dimitri della Faille: Ich höre laufend Musik oder Soundexperimente. Aber in verschiedenen Arten. Manchmal dient sie mir nur als Hintergrundmusik, wenn ich arbeite. Manchmal höre ich Musik bei meinen Reisen. Dann kommt entweder mein iPod zum Einsatz oder mein Notebook mit Kopfhörern oder Bluetooth-Lautsprechern. Ich hätte gerne mehr Zeit, genauer hinzuhören, mit geschlossenen Augen. Aber das geschieht sehr selten.

Dimitri della Faille

Dimitri della Faille (BE/CA), 1973 geboren, ist Künstler und Wissenschaftler in Ottawa, Kanada. Er promovierte in Soziologie und ist Professor für internationale Entwicklung an der Université du Québec en Outaouais. Als experimenteller Musiker ist Dimitri seit 1997 aktiv und dabei Asien und Lateinamerika intensiv besucht. 1998 gründete er das eigenständige Plattenlabel Disques Hushush, unter dem er rund 25 CDs und Vinylplatten experimenteller KünstlerInnen und Noise-Artists aus Europa, Asien, Latein- und Nordamerika erschienen sind.

Cedrik Fermont

Cedrik Fermont (CD / BE / DE), 1972 in Zaire (Demokratische Republik Kongo) geboren, auch bekannt unter C-drík oder Kirdec, ist Komponist, Musiker, Autor, Konzertveranstalter und Radiomoderator. Er wuchs in Belgien auf und lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Seine erste Industrial- und Noise-Band, Crno Klank, begann er im Jahr 1989. Er studierte elektroakustische Musik in Belgien unter der Leitung von Annette Vande Gorne im Jahr 1997. Er ist Manager von Syrphe, eine Plattform, Radiosendung und Label, das sich großteils aber nicht ausschließlich auf alternative elektronische Musik sowie Noise- und Experimentalmusik aus Asien und Afrika konzentriert.

, , , ,