Gleichzeitig ist Musik untrennbar mit mathematischen Regeln und physikalischen Prinzipien verbunden. Ihre Geschichte und Entwicklung ist auch eine der innovativen Technologien, die Musikschaffenden immer wieder neue Möglichkeiten des Ausdrucks bringt. Künstliche Intelligenz kann aber auch als Höhepunkt einer wissenschaftlichen Entwicklung von der Mathematik zu den Computerwissenschaften verstanden werden, im ständigen Versuch, die Welt zu ordnen.
Artificial Intelligence meets Music. Künstliche Intelligenz begegnet Musik. Mit dem neuen „AI x Music Festival“, ausgerichtet durch Ars Electronica und die Europäische Kommission, wird eine Plattform geschaffen, die als Begegnungsraum menschlicher Kreativität und technischer Perfektion fungiert. Es findet in der Anton Bruckner Privatuniversität und dem Ars Electronica Center, im Donaupark und der POSTCITY, vor allem aber im Augustiner Chorherrenstift in St. Florian statt. In diesem Spannungsfeld geht es nicht nur um Technologie, ihre Anwendungsmöglichkeiten und kommerziellen Möglichkeiten, sondern auch um deren moralische Positionierung. Und genau dahin bewegt sich „AI x Music“.
AI x Music ist ein authentisches Aufeinandertreffen und Austauschen mit den Möglichkeiten und ProtagonistInnen dieser neuen Kunstform.
Gerfried Stocker
Die Begegnung menschlicher Kreativität und technischer Perfektion verläuft nicht generell friktions- oder angstfrei. Künstliche Intelligenz ist zwar einerseits ein technischer Turbo, andererseits eine grundlegende Veränderung von Paradigmen, wie Technologie durch den Menschen eingesetzt wird. Die Zielsetzung von Forschung und technisch industrieller Entwicklung ist natürlich, Maschinen so selbstständig zu machen, dass sie uns unterstützen und assistieren, also Arbeit abnehmen können – im besten Fall. Im schlechteren Fall allerdings, wenn die Gedanken dystopisch und voller Angst sind, werden uns die Maschinen ablösen und ersetzen. Und genau dieses Spannungsfeld ist das Interessante.
Wie keine andere technische Entwicklung hat die Künstliche Intelligenz breite Bevölkerungsteile erfasst. Erstmals in der digitalen Revolution hat ein Thema die Stammtische erreicht. Die Menschen fühlen ihre Zuständigkeit, wollen mitreden, weil es alle betreffen wird. Abseits eines rein dystopischen Zukunftsszenarios á la Hollywood stellt sich die Frage, wie der Weg in die Zukunft mit Künstlicher Intelligenz gestaltet werden soll. Wenn Menschen diese Technologien entwickeln, müssen sie ebenso die entsprechende Verantwortung und das Verantwortungsbewusstsein für uns als Einzelne und für uns als Gesellschaft entwickeln.
Das Festival umfasst dabei ganz unterschiedliche Formate, um möglichst viele Zugänge und Interpretationen zu ermöglichen. Im Performance-Bereich werden Künstlerinnen und Künstler quasi mit sich selbst in Form einer KI auf der Bühne stehen und improvisieren. Von Pop bis Avantgarde, von Stimmakrobatik bis zu völlig neuen Klanglandschaften. Aber nicht nur performativ, auch diskursiv kann das Publikum in die Auseinandersetzung mit diesen KünstlerInnen und ihren Arbeiten gehen. Um Hands-On-Experience geht es in den Workshops: Wie agiert Künstliche Intelligenz im Bereich Musik? Kann sie wie ein Mensch komponieren? Wie kann ich meinem Computerspiel eine mitreißende Musik hinzufügen, ohne einen Komponisten zahlen zu müssen? Wie können neue Arten von Tönen erzeugt werden?
Den Auftakt bildet ein Klassiker der Ars Electronica in Zusammenarbeit mit dem langjährigen Partner Bruckner Orchester Linz, nämlich die „Große Konzertnacht“. Sie ist eine beeindruckende Begegnung der klassischen Musik, also der analogen Instrumente, mit der digitalen Welt. 2019 steht Mahlers 10. Sinfonie im Mittelpunkt, die letzte, die unvollendete – und genau deshalb findet der Abend unter dem Titel „Mahler Unfinished“ statt. Wieder mit von der Partie sind die Kuka-Roboter in Interaktion mit Silke Grabinger als Tänzerin. Und natürlich gibt es da auch noch die Künstliche Intelligenz, die Mahlers Unvollendete weiterkomponierte.
Seit 2003 gibt es die Große Konzertnacht als Kooperation zwischen dem Bruckner Orchester und der Ars Electronica. Diese Beziehung ist keine kurzlebige Affäre, sondern vielmehr eine intensive Liebesbeziehung.
Norbert Trawöger
Eine wesentlich kompliziertere und leidvollere Beziehung steckt allerdings hinter Mahlers 10. Sinfonie, dem Soundtrack seines Liebeskummers. Im Wien des Jahres 1910 verarbeitet Gustav Mahler seine Ehekrise in seinem künstlerischen Schaffen und scheint sein Wesen, sein Ich, er als Subjekt in der 9. Sinfonie verschwunden, so bäumt er sich in der Unvollendeten ein letztes Mal auf, bevor er im Jahr darauf stirbt. Eben dieses Unvollendete, Torso-hafte ist der Ansatz, genau hier weiterzuspinnen, weiterzudenken, weiterzuträumen.
Zu dieser Aufgabenstellung fand sich eine hochkarätige Liaison: Gemeinsam mit Markus Poschner vom Bruckner Orchester Linz bereitet Ali Nikrang vom Futurelab der Ars Electronica eine KI-Komposition für „Mahler Unfinished“ vor. Ali Nikrang hat nämlich nicht nur Computer Science an der Johannes Kepler Universität Linz studiert, sondern auch Komposition am Mozarteum Salzburg. Bereits an der Gestaltung des neuen Ars Electronica Centers war er wesentlich beteiligt, nun ist er der wissenschaftliche Leiter des neuen Festivals „AI x Music“.
Und so erzählt er vom Werdegang dieses spannenden Projektes. Aufgabenstellung war, mit dem Thema der 10. Sinfonie von Mahler zu arbeiten – und das ist ein sehr ungewöhnliches. Es beginnt mit der Bratsche, sehr leise, fast unbemerkt, sehr düster. Nur die ersten zehn Töne wurden hergenommen und der KI zur Verfügung gestellt – gearbeitet wird hier mit MuseNet von OpenAI, dem derzeit leistungsstärksten Modell, das imstande ist, selbstständig Musik zu komponieren. Mehrere Stücke wurden komponiert und das Spannende dabei war, wie die KI mit dem ungewöhnlichen Thema umgeht. Manchmal führte sie in eine sehr düstere Richtung, klang sehr dissonant; dann wieder in eine recht fröhliche, die gar nicht zu passen schien. Aber wirklich alle Versionen waren brauchbar.
Im Zusammenhang mit Komposition spricht man gerne vom Heiligen Gral – hier haben wir gleich einen doppelten Heiligen Gral. Natürlich die Komposition selbst, das Komponieren an sich; andererseits ist aber auch die 10. Sinfonie selbst ein Heiliger Gral. Die 9. Sinfonie ist das Ende einer Epoche und die 10. ist der Ausblick, wie es weitergeht.
Ali Nikrang
Für den diskursiven Part von „AI x Music“ ist die Anton Bruckner Privatuniversität ein wichtiger Partner. Volkmar Klien hat sich bereits im Vorjahr stark mit der Thematik beschäftigt. Komposition über die Jahrhunderte war stets auch eine Kooperation mit dem Musikinstrumentenbau – ohne dieses „Werkzeug“ ist der Musiker zum Nichtstun verdammt. Und will er mit dem Klavier arbeiten, unterschreibt er quasi einen Vertrag, 12 Töne je Oktave zu nutzen. Damit definiert das Klavier ähnlich wie die digitale Welt einen Möglichkeitsraum für Komponistinnen und Komponisten.
Harald Ehrl, Kustos der Sammlungen St. Florian konnte der Idee von Beginn an viel abgewinnen, St. Florian zu einem Ort der Begegnung sowie zu einem Ort der Konfrontation zwischen Mensch und Maschine zu machen. Er, der selbst thematische Führungen durch die Räumlichkeiten des Stifts machen wird, möchte St. Florian zu einem offenen Ort machen.
Das Haus in seiner ganzen Dimension soll ein offenes sein und allen offen stehen. Denn geschaffen wurde dieses Haus nicht unbedingt von einer künstlichen, wohl aber von einer künstlerischen Intelligenz, die sich einfühlen konnte in das, was Menschen so bewegt.
Harald Ehrl
Zur Eröffnung – oder Einweihung – des Ortes spielt Hermann Nitsch auf der Bruckner Orgel ein Orgelkonzert. Gibt es eine Art Gegenpol zur stereotypen Idee der technokratischen, perfekten, kalten Künstlichen Intelligenz, dann ist Hermann Nitsch in seinem ganzen künstlerischen Wesen und in seiner Performativität, sich über die Orgel herzumachen, ein großartiges Beispiel. Aber damit nicht genug, viele weitere Koryphäen und kreative Köpfe tragen zur Vielschichtigkeit des Festivals bei. Siegfried Zielinski, Medienarchäologe und Technologiehistoriker führt gemeinsam mit Anthony Moore, Experimentalmusiker und Koautor verschiedener Pink-Floyd-Songs, in Etappen durch das Stift und beleuchten an unterschiedlichen Orten von der Gruft bis zur Kathedrale die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Dennis Russell Davies und Maki Namekawa spielen vierhändig Strawinskys Feuervogel, präsentieren aber auch die österreichische Erstaufführung einer Auftragsarbeit von Philip Glass.
Das Karajan-Institut versucht den Spagat zwischen Technologie und Menschlichem, indem es Herbert von Karajans Vision in die Zukunft transferiert. Er war immer der Meinung, in der Zukunft würde Musik viel visueller wahrgenommen werden – Aufnahmen würden nicht mehr bloß gehört, sondern gesehen und gefühlt. Deshalb wurde mit einer Serie von classical musical Hackathons begonnen, bei denen MusikerInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und TechnologInnen für ein Wochenende zusammengebracht werden, um gemeinsam über mögliche Anwendungen nachzudenken. Und egal, ob es funktioniert oder nicht, nach dem Wochenende wird alles präsentiert. Darüber hinaus steuern die ExpertInnen der Yamaha R&D Division AI Group und der Glenn Gould Foundation eine AI-basierte Performance bei.
Nach dem intensiven Samstag in St. Florian steht der Sonntag zur Verfügung, sich – praktisch und theoretisch – weiter in die Thematik zu vertiefen. Am Abend findet mit der „Episode am Fluss“ eine Hommage an die allererste Klangwolke aus dem Jahr 1979 im Donaupark ihre Entsprechung. Viel ruhiger als die spektakuläre Klangwolke vom Vorabend findet sich hier Zeit und Raum, des Konzeptes von Kunst im öffentlichen Raum zu gedenken und zwar mit Künstlerinnen und Künstlern, die mit ihren Klangarbeiten immer wieder bei der Ars Electronica vertreten waren. Klangwolke bedeutet hier, dass sich Klang im Raum ausbreitet – im realen Raum und im digitalen Raum. Eine Reihe von Soundarbeiten wird neu interpretieren was es bedeutet, klassische Musik in den offenen, den öffentlichen Raum zu bringen.
Coverfoto: A-MINT, Alex Braga