Es ist der letzte Tag vor Weihnachten in der HTL Neufelden, aber trotz Ferienstimmung hat man hier das Gefühl, dass fleißig gearbeitet wird: Die ganze Schule macht beim Projekt „Zero Waste“ mit, das heißt es ist kaum Müll zu sehen, es liegt nichts herum und Abfall wird so gut es geht vermieden. Mit einem selbstbetriebenen Punschstand sammeln die SchülerInnen außerdem Spenden für einen Sozialprojekt. Und im Turnsaal der Höheren Technischen Lehranstalt geht es ebenfalls emsig zu: Letzte Sessel werden aufgestellt, Matten aufgelegt und die Tontechnik getestet, damit alles bereit ist, wenn Katharina Hof, Kulturvermittlerin des Ars Electronica Center, die Bühne betritt.
Eine halbe Stunde später hört das Treiben abrupt auf, Stille herrscht in dem großen Raum, der normalerweise für Bewegung und Sport genutzt wird. Jetzt ist er bis auf den letzten Platz gefüllt, auch auf Matten am Boden und auf Bänken an den Seiten sitzen SchülerInnen. Sie lauschen gespannt dem Vortrag „Anatomy of an AI System“, den Katharina Hof für sie vorbereitet hat.
Anatomy of an AI System ist eine groß angelegte Karte und ein detailliertes Essay, welches die menschlichen Arbeits-, Daten- und Planetenressourcen untersucht, die für den Bau und Betrieb eines Amazon Echo erforderlich sind. Die überdimensionale Zeichnung kombiniert und visualisiert drei zentrale, extrahierte Prozesse, die für den Betrieb eines groß angelegten künstlichen Intelligenzsystems erforderlich sind: materielle Ressourcen, menschliche Arbeitskraft und Daten. Die Karte und das Essay betrachten diese drei Elemente über die Zeit hinweg, als eine visuelle Beschreibung der Geburt, des Lebens und des Todes einer einzigen Amazon Echo-Einheit.
Katharina Hof beschreibt dieses komplexe Projekt von Kate Crawford und Vladan Joler, das seit Mai 2019 im Ars Electronica Center ausgestellt ist, sehr anschaulich und schmückt es zusätzlich mit Beispielen und Fakten, wie etwa der Moral Machine des MIT Media Lab – What would a self-driving car do?, aus. Wenn das Internet ein Land wäre, erfährt man, würde es unter den führenden Ländern sein, was den Energieverbrauch betrifft und dass eine KI nur so fair ist, wie die Daten, mit denen wir sie füttern. Mit diesem Zitat von Joseph Beuys und um einige Fakten und Anregungen reicher, gehen die SchülerInnen und Lehrkräfte schließlich in die Weihnachtsferien:
„Die Zukunft, die wir wollen, muss von uns erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“
Joseph Beuys
Wie es dazu gekommen ist, dass die Kulturvermittlerin der Ars Electronica diesen spannenden Vortrag in der HTL Neufelden gehalten hat, hat uns Schuldirektor Walter Jungwirth in einem kurzen Interview verraten.
Wie sind Sie auf den Vortrag von Frau Hof aufmerksam geworden?
Walter Jungwirth: Beim Kongress der HTL Direktoren Österreichs in Baden im November 2019 hat Frau Hof einen interessanten Beitrag zu dieser Thematik in Form eines Referats gehalten. Ich habe sie daraufhin angesprochen, ob es eine Möglichkeit gibt, den Vortrag auch an unserer Schule zu halten, weil ich finde, dass alle SchülerInnen den Inhalt hören sollten.
Warum halten Sie es für wichtig, dass Ihre SchülerInnen den Vortrag hören?
Walter Jungwirth: Wir beschäftigen uns an unserer Schule sehr intensiv mit Digitalisierung im Sinne von Vernetzung verschiedener technischer Fachbereiche und Themenstellungen.
Darüber hinaus wurde an der HTL ein neues Informatikzentrum für den Bereich Digitalisierung geschaffen. Ich halte die Auseinandersetzung mit Kapital, Arbeit, Natur und Ressourcen, mit tatsächlichen Kosten und der daraus resultierenden sozialen und wirtschaftlichen Verantwortung für wichtig.
Der Vortrag könnte ein interessanter Impuls sein für einen Stundeneinstieg – etwa in den Fächern der Naturwissenschaften. Anhand eines Themas, das unsere jungen Leute tatsächlich interessiert, wie eben die Amazon Alexa oder ähnliche Sprachassistenten, könnten sie sich infolge mit Technik und Ökologie auseinandersetzen.
Artificial Intelligence und der Unterricht an Ihrer HTL – welche Überschneidungen gibt es da?
Walter Jungwirth: Inhaltlich trägt der neue Lehrplan Betriebsinformatik 2020 dem Digitalisierungsaspekt voll Rechnung: Informatik und Technik werden dabei perfekt kombiniert. Über individuell wählbare Vertiefungsmodule bietet der Lehrplan aktuelle IT-Themen wie „Künstliche Intelligenz“, „Big Data“, „Internet of Things“, „Virtual and Augmented Reality“ oder aus dem Technikbereich Themen wie „Robotik“, Integrated Engineering“ oder „Produktionslogistik“ an, ebenso wie Robotik oder Machine Learning.
Inwiefern wird die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ die (Berufs-)Ausbildung der Zukunft beeinflussen?
Walter Jungwirth: Die engen Kooperationen mit unseren Partnerfirmen zeigen eindeutig, dass Informatik wichtig sein wird, aber vor allem die Vernetzung von einzelnen Wissensgebieten enorm an Bedeutung gewinnt. Grundvoraussetzung ist für uns eine solide Ausbildung nicht nur in technischen Bereichen, sondern vor allem in mathematischen Grundlagen.
Unsere SchülerInnen arbeiten bereits jetzt im Rahmen von Diplomarbeiten und Programmen für besonders Begabte an herausfordernden Aufgabestellungen, die teilweise von außen an uns herangetragen werden, aber immer öfter aus der Alltagswelt der jungen Leute kommen und diese dadurch neugierig machen. Wesentlich ist für uns, dass sich die Projektgruppen „trauen“ Ideen zu entwickeln und diese auch konsequent umzusetzen. Theorie ist das Eine, Umsetzung in die Praxis zeichnet unsere Arbeitsweise aus.
KI wird bei der Lösung bestehender oder entstehender Problemstellungen ein notwendiges Werkzeug auf dem Weg zur Lösung sein, ohne technische Berufsausbildung werden künftige Lösungsansätze nur schwer zu realisieren sein – Technik muss und wird wesentlicher Teil der Lösung sein.
Und gibt es bei den SchülerInnen auch schon Überlegungen etwa zur Ethik, zur Moral von Künstlicher Intelligenz oder ist das von ihnen noch zu weit weg?
Walter Jungwirth: Nach meiner Einschätzung werden Überlegungen in diese Richtung noch viel zu wenig beachtet und eingebunden. Für eine innovative Gestaltung der Zukunft sind diese Themenbereiche unbedingt zu berücksichtigen.
Das Projekt Anatomy of an AI System ist dauerhaft in der Understanding AI Ausstellung im Ars Electronica Center zu sehen. Außerdem war es Teil des Ars Electronica Festival 2019 und bekam eine Auszeichnung beim STARTS Prize 2019.
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