Die Kategorie „Visionary Pioneers of Media Art“ ist der Anerkennung und Würdigung von Männern und Frauen gewidmet, deren künstlerische, technologische und soziale Leistungen die Entwicklung neuer künstlerischer Richtungen entscheidend beeinflusst und vorangetrieben haben. Was als technologische Revolution begann, hat sich inzwischen zu einer neuen kulturellen und sozialen Realität mit ihren eigenen Kommunikationsformen, Kulturtechniken und künstlerischen Ausdrucksformen entwickelt, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen und uns zu Begegnungen mit bemerkenswerten, außergewöhnlichen Persönlichkeiten führen – den „Visionary Pioneers of Media Art“. Somit haben diese Männer und Frauen in vielerlei Hinsicht das Fundament der Medienkunst, wie wir sie heute kennen, gelegt. Mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica für „Visionary Pioneers of Media Art“ wollen wir ihnen die gebührende Anerkennung zuteil werden lassen und gleichzeitig mehr Bewusstsein für die Geschichte der Medienkunst im Allgemeinen schaffen.
Visionary Pioneer of Media Art 2022
Mit der in New York lebenden Laurie Anderson zeichnet Ars Electronica 2022 eine Künstlerin als „Visionary Pioneer of Media Art“ aus, deren umfassendes Werk sich immer um die Beziehung von Mensch und Technologie dreht und das sich durch ein hohes Maß an gesellschaftspolitischem Engagement auszeichnet. Eine Musikerin, Komponistin, Filmemacherin, Autorin und Medienkünstlerin, die, wie nur ganz wenige, die verschiedenen Genres zu durchqueren und zu verbinden weiß und damit zu einer einflussreichen und stilprägenden Ikone avantgardistischer Medienkunst wurde.
Laurie Anderson
Am 5. Juni 1947 in Glen Ellyn, Illinois, geboren, begann sie schon als Kind mit dem Geigenspiel und spielte bereits Violinkonzerte mit dem Chicago Youth Symphony Orchester. Mitte der 1960er ging sie nach New York, studierte am Barnard College und danach bildende Kunst an der Columbia University. Ihr erstes Performance-Kunstwerk – eine auf Autohupen gespielte Sinfonie – wurde 1969 aufgeführt. Ab den 1970er Jahren begann sie sich als Performance-Künstlerin zu etablieren, realisierte erste Medieninstallationen und begann ihren sehr eigenen Stil performativen Storytellings zu entwickeln.
1977 erschienen erstmals Stücke von ihr auf Schallplatte und mit Oh Superman und dem ersten Album Big Science wurde sie 1981/82 schlagartig berühmt und landete auf Platz 2 der britischen Charts.
Von der analogen Elektronik ihrer frühen Interfaces und Instrumente zu den ersten digitalen Synthesizern und Samplern begnügte sie sich nie mit den vorhandenen Möglichkeiten der Geräte, sondern entwickelte und baute ihre ganz eigenen persönlichen Instrumente, mit denen sie zu einer Pionierin elektronischer Musik wurde. Von Anfang an waren es immer wieder die Geige und vor allem ihre Stimme, die sie dabei zu ihrem Instrument, aber auch zum Gegenstand ihres stetigen Experimentierens und Explorierens machte.
„Laurie Andersons Leben und Werk dient mittlerweile vier Generationen von Kunstliebhaber*innen und insbesondere vielen jüngeren Künstler*innen als Inspiration, indem es einen Weg in die Zukunft aufzeigt, der die Tools der sich entwickelnden Technologie umfasst und sie für humanistische Zwecke einsetzt. Ihre Werke erwecken immer wieder unser Staunen. Zweifellos hat sie den Preis für ihr Lebenswerk 2022 von Ars Electronica als „Visionary Pioneer of Media Art“ sehr verdient.“
Charles Amirkhanian
Legendär ist die „Tape-Bow Violin“ eine Geige, die sie zu einem Tonbandgerät umbaute, indem sie den Bogen mit einem Stück Tonband bespannte, den Tonkopf auf dem Steg der Geige montierte und damit die Praxis der Tonbandloops und -collagen der frühen elektroakustischen Musik zu einem Instrument für ihre Live-Performances weiterentwickelte.
Stilprägend wird ihr Einsatz des Vocoders, mit dem sie ihre Stimme in die elektronische Klangwelt transponiert und den absolut unverkennbaren Signature-Klang als ihre künstlerisches Markenzeichen generiert.
Laurie Anderson entwickelte zahlreiche Performances und aufwändige multimediale Bühneninszenierungen wie etwa die 8-Stunden-Solo-Oper United States I – IV (1983 ) oder Songs and Stories for Moby Dick (1999).
„Als ich Lauries Musik zum ersten Mal hörte, hinterließ sie einen tiefen und unmittelbaren Eindruck. Ihre „Lieder“ waren sorgfältig konstruiert, mit genau dem richtigen formalen Gleichgewicht und Erfindungsreichtum, um Aufmerksamkeit zu erregen.“
Charles Amirkhanian
Die Tournee zum 2001 erschienenen Album Life On A String machte wenige Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center in der New Yorker Town Hall Station. Laurie Anderson entschloss sich trotz der dramatischen Ereignisse, das Konzert stattfinden zu lassen und integrierte einige ihrer älteren Stücke. „Ich habe oft über Verlust, Betrug, Tod, Technologie, Zorn und Engel geschrieben. Ich fühlte mich, als hätte ich die Songs erst gestern geschrieben … und jetzt singe ich auf einmal über die absolute Gegenwart“.
2002 wurde sie die erste Artist in Residence der NASA, The End of the Moon nannte sie die Tournee, die daraus hervorgeht. Das Performance-Projekt Homeland wurde 2008/09 in einer zweijährigen Tournee weltweit aufgeführt, 2010 erschien das Album dazu.
Eine besondere Zuneigung gilt den Hunden. 2010 spielte sie das erste Konzert ausschließlich für Vierbeiner im Sydney Opera House. Unter dem Titel Heart Of A Dog brachte sie 2015 ein Album und einen weiteren Film heraus, der u.a. beim Filmfestival in Venedig ausgewählt wurde. 2018 schilderte sie auf Landfall ihre Erfahrungen mit Hurricane Sandy, der 2012 über Mittel- und Nordamerika gewütet und einen Großteil ihrer Habseligkeiten vernichtet hatte.
Laurie Anderson hat neben ihrer Karriere als Musikerin und Sängerin mehrere Filme und Bücher veröffentlicht und ihre visuelle Arbeit wurde in großen Museen auf der ganzen Welt präsentiert. In den letzten Jahren hat sie VR-Installation gestaltet und auch Musik für Orchester komponiert. 2021 wurde sie zur Charles-Eliot-Norton-Professorin für Poesie an der Harvard-Universität ernannt.
„Laurie Anderson hat ihre sich ständig weiterentwickelnde künstlerische Praxis mit einer Entschlossenheit ausgeübt, die von freudiger, unstillbarer Neugier getragen wird. Auch mit 75 Jahren verarbeitet sie ihre Beobachtungen der realen Welt mit Bildern aus ihren Träumen und ihrer Vorstellungskraft, um Geschichten voller Symbolik, Ironie, Belustigung, Satire, sanfter Empörung und ihrer ganz persönlichen Art von spekulativem Futurismus zu erzählen.“
Charles Amirkhanian
Charles Amirkhanian (US). Komponist, Sound-Poet und Produzent für Radio, Konzerte und Musikaufnahmen, war 1977 für die erste kommerzielle LP-Veröffentlichung der damals aufstrebenden Komponistin Laurie Anderson verantwortlich. Als Musikdirektor von KPFA-FM Radio in Berkeley (1969-1992) und seit 1993 als künstlerischer Leiter von Other Minds, einer Organisation für neue Musik in San Francisco, spielte er eine zentrale Rolle bei der Förderung und Verbreitung der Arbeit experimenteller Komponisten und Interpreten. Er ist weithin bekannt für seine Live- und Fixed-Media-Werke, in denen er Sprachelemente in rhythmischen Mustern verwendet, die an Percussion-Musik erinnern. Seine spätere Musik enthält mit digitalem Sampling modifizierte Umgebungsgeräusche. Hierfür wurde er vom WDR Köln beauftragt, Hörspielwerke wie ‚Im Frühling‘ und ‚Metropolis San Francisco‘ zu schaffen. Seine Musik ist bei Starkland, New World und Other Minds Records erhältlich.
Im Zuge des Ars Electronica Festivals finden zwei Konzerte mit Laurie Anderson statt. Tickets stehen jetzt zum Verkauf.
Details zum weiteren Programm des Ars Electronica Festivals 2022 finden Sie online.