Er lebt in Ogoniland, im Nigerdelta. Diese Region im Süden Nigerias besitzt eine Vielfalt natürlicher Ressourcen – insbesondere Öl und Gas. Davon profitiert jedoch die einheimische Bevölkerung kaum. Ausländische Unternehmen exportieren die Rohstoffe und führen das Gebiet in soziale Ungerechtigkeit, Armut und Abhängigkeit. Nigeria ist geprägt von institutionalisierter Gewalt und ökologischen Traumatas – Öllecks, unsachgemäße Abfallentsorgung und Sabotage verschmutzen das Land. Er ist Taiye Ojo, ein nigerianischer Künstler, Ökoaktivist und Schriftsteller. Mit seiner schriftlichen Arbeit AND IF WE OBSERVE THE PRESENT thematisiert er durch visuelle, akustische und interaktive Elemente das giftige Erbe der Ölverschmutzung in Ogoniland – den endemischen Missbrauch, die Architektur der Erkundung und Ausbeutung, die Kultur des Schweigens und der Verleugnung sowie die Auswirkungen neokolonialer Politik, des Handels und des militärischen Abenteurertums.
Sie wird im Iran geboren. Seit der Islamischen Revolution 1979 ist das Land eine Islamische Republik, die neben republikanisch-demokratischen auch durch theokratisch-autoritäre Elemente geprägt ist. Der religiöse Führer ist Staatsoberhaupt und die Scharia ist Recht. Oft betreffen restriktive Gesetze vor allem Frauen. Im vergangenen Jahr bekommt vor allem die Kopftuchdebatte nach dem Tod einer Iranerin in Polizeigewahrsam weltweit Aufmerksamkeit. Sie ist Mahsa Aleph, eine iranische Installationskünstlerin. Zentrales Thema ihrer Arbeit sind die menschliche Identität und die Beziehung zwischen einem Wesen und seiner Umwelt. Ihr Werk Jowhar (persisch für Tinte, Substanz, Edelstein, Kern, Wesen und Prinzip) besteht aus Tränenfänger-Gläsern, mit Tinte als Essenz von Wörtern anstelle von Tränen gefüllt. Die Idee ist, dass die Rückgewinnung von Tinte aus Wörtern eine Chance zum Neuschreiben ist – auf den Papierrollen der Installation steht geschrieben: Die Zukunft ist nur ein Teil der Vergangenheit, die vergessen wurde.
„In einer Zeit, in der das iranische Volk unter Unterdrückung und Repression leidet, ist diese Erforschung von Bedeutung und Kultur, die über stereotype Ansichten hinausgeht, ein tiefgreifender, wertvoller Beitrag.“
Jury Statement
Was haben diese beiden Künstler*innen gemeinsam? Beide befinden sich in einer Lebenssituation, die von Unsicherheit und Risiko geprägt sind. Was ist Risiko? – die Beantwortung dieser Frage wurde zur Bedingung für eine gültige Einreichung bei State of the ART(ist). Ins Leben gerufen 2022 als Reaktion auf die russische Aggression in der Ukraine, erweitert dieses Kollaborationsprojekt zwischen dem österreichischen Außenministerium und Ars Electronica 2023 seinen Fokus auf Künstler*innen, deren Existenz durch die Auswirkungen der folgenden Bedrohungssituationen massiv beeinträchtigt wird: Unruheherde, politische Einmischung und kriegerische Aggression; fehlende Meinungsfreiheit oder gesellschaftliche Unterdrückung individueller Lebensstile; Naturkatastrophen oder Folgen der Klimakrise, die zu radikal veränderten Lebensbedingungen führen.
Die beiden Gewinnerprojekte – ausgewählt ausschließlich aufgrund ihrer künstlerischen Qualität – wurden bereits oben vorgestellt und werden während des Ars Electronica Festival 2023 in der POSTCITY ausgestellt. Ebenfalls zu sehen sind sieben eingereichte Beiträge von Kunstschaffenden aus aller Welt, die als Honorary Mention ausgezeichnet wurden. Einige der Kreator*innen werden sogar während des Festivals vor Ort anzutreffen sein.
Indigene Corefio |Huuke Harris (ZA), /Xam Sam Fortuin (ZA), Xopher Wallace (ZA), Dr Diana Ferrus (ZA), Sthando Masuku (ZA) und Elder Nkosenathi Koela (ZA) versuchen mit ihrem Werk !Habesi die Landrechte der indigenen Gemeinschaften in Südafrika zu verdeutlichen. Resultat ist eine multidisziplinäre Ausstellung mit bildender Kunst, Poesie, Fotografie, Sound und Augmented Reality. Cosmic Land von Kira Xonorika, eine transsexuelle und indigene Kunstschaffende, konfrontiert homogenisierende Tendenzen von KI-Systemen und stellt die kulturelle Hegemonie und den Kolonialismus in Frage. Durch maschinelles Lernen wurden Kreaturen geschaffen, die Symbolik und Sprache der paraguayischen indigenen Guarani zusammen mit Trans-Ästhetik verwenden. Im Mittelpunkt des Filmprojekts Footprints of Ants des türkischen Künstler Ümit Güç stehen die Spannungen zwischen lokalen kurdischen Arbeitern und syrischen Flüchtlingen in der Grenzregion Hatay. Invasions 1.2.3, ein Filmprojekt im 360° Format, verarbeitet die Erfahrungen der Urkainerin Alevtina Kakhidze – vom Aufwachsen in der Ukraine bis hin zu den jüngsten Angriffen auf dieses Land mit einer äußerst turbulenten Geschichte. Long Nights von Kholod Hawash erzählt von der Verteidigung von Frauen und ihrer Freiheit sowie der Bekämpfung von Unterdrückung und Gewalt im Nahen Osten. Die großformatigen Textilien Jodaleias wurden in traditioneller, feministischer Technik handgenäht und spiegeln Leben, Träume und Ängste einer Frau wider, die der repressiven Gesellschaft entflieht. Mac Andre Arboleda und Rollyna Domingo zeigen mit ihrem Videoessay Pictures of Nothing die Verbindung zwischen Tierschutz und menschlicher Überwachung vor dem Hintergrund eines des philippinischen Regimes, das abweichende Meinungen einschließlich des Umweltaktivismus stark unterdrückt. Die Foto-Performance-Serie Where is a place for me to sleep in peace beschäftigt sich mit den Menschen in Kriegssituationen, die in Folge der Angst vor Bombardierungen Schwierigkeiten haben zu schlafen. Denn seit dem Staatsstreich am 1. Februar geht das Militär in Myanmar brutal gegen Menschen vor, die sich seiner Herrschaft widersetzen, viele können wegen des Lärms von über ihnen schwebenden Flugzeugen nicht zur Ruhe kommen.
Neben der Ausstellung über den gesamten Zeitraum des Festivals findet am Donnerstag, den 07.09.2023 zusätzlich eine zweiteilige Podiumsdiskussion zum Thema statt. Zunächst liegt der Fokus auf den Erfahrungen von Künstler*innen, die repressive Regime und staatliche Gewalt erlebten, dann werden Formen des Berichtens von und Handelns gegen den ökologischen Kollaps untersucht. In Future is Merely a Part of the Past Which Has Been Forgotten: Art under Political Repression sprechen unter anderem die Künstler*innen Indigene Corefio |Huuke Harris (ZA) und Mahsa Aleph (IR) über die Bedrohung kreativer Freiheit weltweit und darüber, wie Künstler*innen ungehörten Stimmen Gehör verschaffen. Außerdem ist auch das österreichische Außenministerium an der Podiumsdiskussion beteiligt. Der zweite Teil der Podiumsdiskussion When Home is a Forgotten Song: Art under Ecological Collapse behandelt nicht nur Formen, mit denen Künstler*innen den ökologischen Kollaps thematisieren, sondern bespricht auch künstlerisches Denken als Raum für die Entwicklung alternativer Beziehungen zwischen der menschlichen, natürlichen und technologischen Welt. Beteiligt sind hier unter anderem Taiye Ojo (NG) und Mac Andre Arboleda (PH). Darüber hinaus werde während den Diskussionen auch Juror*innen von State of the ART(ist) vor Ort sein.
Wer es nun nicht mehr erwarten kann, die Kunstwerke zu sehen, muss sich jedoch nicht bis zum Festival im September gedulden. Schon jetzt werden die Arbeiten hier in Form einer digitalen Kunsthalle für alle zugänglich präsentiert.
Die State of the ART(ist) Inititative ist eine Zusammenarbeit zwischen Ars Electronica und dem österreichischen Außenministerium.
Weitere Highlights des Ars Electronica Festivals 2023 findest Du hier. Details werden laufend am Blog und auf offiziellen Festivalwebsite veröffentlicht.