Von digitalen Systemen, kolonialistischen Implikationen und nachhaltigen Lösungen für Technologie.

An introduction to Deep Space, Photo: Martin Hieslmair

Im ersten Kapitel des Fall Term thematisieren Fellows und Studierende gemeinsam Infrastrukturen digitaler Systeme. Das Fall Term ist Teil des FOUNDING LAB, ein kollaborativer Prototyp einer neuen Universität.

Nachdem das Ars Electronica Festival dem FOUNDING LAB als öffentliche Plattform diente, um erste Ideen und Ergebnisse aus Summer School und Forum zu präsentieren, geht ebendieser Prototyp einer neuen Universität jetzt in den Fall Term. Die Erkenntnisse des Sommers werden hier im Rahmen einer Seminarreihe mit sechs Kapiteln weiter erforscht. Wir nehmen euch hier am Blog mit durch diese einzelnen Kapitel, die sogenannten Chapters, und lassen euch an den Ideen und Projekten teilhaben, die dabei entstehen.

Themen:

  • Infrastructure (04.-07.10)
  • Data & Code (08.-11.10)
  • Machines, Robots & Tangibles (22.-25.11)
  • Interfaces & Visualizations (26.-29.11)
  • Media (17.-20.01)
  • Digital Society & Policy (21.-24.01)

Was ist das FOUNDING LAB Fall Term?

Wie eingangs bereits beschrieben, berücksichtigt das Fall Term als Prototyp der Visionen für eine neue Universität die Ideen, die während der diesjährigen FOUNDING LAB Summer School und des Forums entwickelt wurden. Projektbasiertes Lernen, Interdisziplinarität und transkulturelles Matchmaking, Kunst als Katalysator und Kommunikationsmethode sowie Mentoring und Beratung vor Ort und Online sind die Basis, die die Struktur des FOUNDING LAB Fall Term ausmachen. Es gibt sechs Fall Term-Kapitel, die in drei Blöcke von je acht Tagen gegliedert sind. Diese wiederum betrachten verschiedene Aspekte der digitalen Transformation aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln, wie rechts in der Infobox aufgelistet. Während des Fall Term konzipieren, planen und realisieren alle Studierenden außerdem ihr eigenes wissenschaftlich-künstlerisches Projekt. Die Chapters dienen als eine Art Buffet, das den Studierenden eine große Vielfalt an Inputs für ihre Projektentwicklung bietet. Die Abschlusspräsentation der Projekte findet am Ende des letzten Kapitels, am 25. Januar 2024, statt.

Credit: Martin Hieslmair

Wie ist das FOUNDING LAB Fall Term aufgebaut?

Jeder der Kapitelblöcke wird durch eine Online-Session eingeleitet. Unter Verwendung der Art Thinking Praxis, einem vom Futurelab entwickelten Konzept, bietet dieser Zoom-In-Call den Student*innen eine gemeinsame Wissensbasis und eröffnet lebhafte Diskussionen über die anstehenden Founding Themes. Ziel ist es, einen gemeinsamen Kompass und eine Fragenlandschaft zu entwickeln, die die Studierenden in die Themen der Kapitel hineinführen. Während des Kapitelblocks in Linz vor Ort steht dann der persönliche Austausch unter den Studierenden wie auch mit den Fellows im Mittelpunkt: In interessanten Vorträgen, Workshops, Diskussionen auf Augenhöhe, informellem Austausch, interaktiven Arbeitssitzungen und experimentellem Prototyping wird intensiv an den jeweiligen Fragestellungen gearbeitet.

Auf jeden Kapitelblock folgt ein Online-Zoom-Out-Call, der auf der Grundlage der Erfahrungen und Erkenntnisse der Studierenden während der Kapitel vor Ort die Student*innen und Fellows durch einen Metaprozess führt, der den ursprünglichen Kompass neu ausrichtet. Durch die weitere Erforschung und Reflexion von Wissen, Fähigkeiten und Strategien für die neue Universität werden die Themen in den größeren Kontext des Fall Term Programms und der Visionen für eine wegweisende Universität eingeordnet.

Zwischen den drei Kapitelblöcken konzentrieren sich die Studierenden auf die Entwicklung ihrer Semesterprojekte: In Peer-Groups unterstützen sie sich gegenseitig in ihrem Prozess und profitieren vom fachübergreifenden Austausch. Dabei werden sie nicht nur von den Facilitators und dem Ars Electronica Futurelab unterstützt, auch die Fellows beraten und begleiten die Projektentwicklung. In Online-Deep-Dive-Talks geben externe Vortragende wie Expertinnen, Innovatorinnen, Führungskräfte, Wissenschaftlerinnen, Philosophinnen und Künstler*innen weitere Einblicke in die vielfältigen Interessensgebiete, an denen die Studierenden in ihren Projekten arbeiten – und unterstützen nicht zuletzt dabei, sowohl Praxis- wie auch Theoriebezug herzustellen.

Kapitel 1: Geburt, Leben und Tod von Infrastruktur mit Gerhard Grimm, Darsha Hannah Hewitt und Vladan Joler

Das soeben zu Ende gegangene erste Kapitel, geleitet von den Fellows Gerhard Grimm, Darsha Hannah Hewitt und Vladan Joler, untersuchte die Geburt, das Leben und den Tod von Infrastruktur. Dabei ging es um nichts Geringeres als um digitale Systeme, kolonialistische Implikationen und nachhaltige Lösungen für Technologie.

„Infrastrukturen sind materielle Formen, die die Möglichkeit des Austauschs über den Raum hinweg ermöglichen. Sie sind die physischen Netzwerke, durch die Waren, Ideen, Abfall, Macht, Menschen und Finanzen transportiert werden.“

Larkin (2013)The Politics and Poetics of Infrastructure

Vladan Joler, Professor an der Kunstakademie der Universität Novi Sad und Gründer der SHARE Foundation, leitete die Diskussion über die Überwachungsarchitektur und das globale Routing ein, indem er sich auf die „Gegenkartographie“ bezog und betonte, wie wichtig es ist, die innere Funktionsweise der Infrastruktur zu verstehen. In der Diskussion wurde deutlich, dass Jolers Definition von Infrastruktur mit dem Periodensystem der Elemente beginnt und sich dann zu den größten vorstellbaren Einheiten aufbaut. Der Fellow etablierte eine offene Gesprächskultur und ermutigte Studierende ihre Ideen zu teilen, um sie gemeinsam weiterzudenken. Student*innen wandten sich an Joler, um über die Herausforderungen zu sprechen, die sie bei ihren Semesterprojekten beschäftigen. Gemeinsam wurde über Möglichkeiten nachgedacht, wie die Themen visualisiert werden können.

Der folgende Workshop untersuchte die Zentralisierung der Menschheit durch die Technologie und betonte die damit verbundenen sozialen Aspekte. Eine faszinierende Exkursion in den Deep Space des Ars Electronica Center unter der Leitung von Otto Naderer, FOUNDING LAB Katalysator und Key Researcher im Futurelab und Gerhard Grimm, FOUNDING LAB Fellow und Sr. Director Analyst bei Gartner enthüllte die Komplexität von Hardware, Lieferketten und innovativer Technologie. Auch für die spielerische Auseinandersetzung mit dem Deep Space 8K nahm sich die Gruppe Zeit, um Inspiration für eigene Projekte zu sammeln. Die Studierenden beschäftigten sich mit dem Lebenszyklus der Hardware im Deep Space, den komplizierten Strukturen der Lieferketten und der Technologie, die diese hochmoderne Umgebung antreibt. Sie erfuhren über über den wichtigsten Bilderzeugungs-Cluster, den Umgang mit enormen Auflösungen und die Herausforderungen bei der Steuerung einer Vielzahl verschiedener Geräte über eine mobile Schnittstelle. Die Exkursion ging weiter mit der Erforschung von Game-Engines, dem Gewicht der Hardware und Content-Management-Systemen.

Der von Vladan Joler geleitete Workshop „Anatomy of an AI„, der auf seinem Kunstwerk mit diesem Titel basiert, brachte den Studierenden die Dimensionen, die Sprache und die Klassifizierungen der Recherche von Infrastrukturen und der Erstellung von Karten näher. Er definierte das Paradoxon der Klassifizierung als eine Form der Gewalt und als Grundlage für wissenschaftliches Verständnis. Die Teilnehmer*innen setzten sich mit den Grenzen des menschlichen Verständnisses auseinander und damit, wie Topologie verschiedene Beziehungen gestalten. Der Workshop befasste sich mit dem Mapping als Denkprozess und den inhärenten Verzerrungen in der Wahrnehmung und der Datenverarbeitung. „Music Materiality and Media Archaeology“ von Darsha Hannah Hewitt markierte eine kreative Reise in die Welt des Klangs und der Technologie. Sie ist Künstlerin und Gastprofessorin für Medienkunst/Klang an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Ausgehend von einer Packung leerer Neun-Volt-Batterien, alten Lautsprechern, die auf den Müll geworfen wurden, und einfachen elektronischen Bauteilen, schlossen die Studenten die gebrauchten Lautsprecher an selbst gebaute analoge Schaltungen an und erzeugten so Rechteckoszillatoren. Sie manipulierten diese Oszillatoren kreativ und schufen so synchronisierte Klanglandschaften. Der Workshop betonte die Wiederverwendung von Technologie und erforschte die „Verschwendung von Musik“. Die Studierenden experimentierten auch mit leeren 9V-Batterien und schlossen Kapitel 1 mit einer „Dead Battery Disco“ ab.

Das erste Kapitel des FOUNDING LAB Herbstsemesters deckte somit ein breites Spektrum an Themen ab, von Infrastruktur und Technologie bis hin zu Verräumlichung, Kartierung und der kreativen Neuinterpretation von Klang und ausrangierter Technologie. Die Fellows Gerhard Grimm, Darsha Hannah Hewitt und Vladan Joler führten die Studierenden durch ein breites Spektrum an Erfahrungen und förderten Kreativität und kritisches Denken in der digitalen Realität. Sie bilden somit die Grundlage für die folgenden Kapitel des Fall Term, in denen Studierende ihre Fähigkeiten und Perspektiven weiter entwickeln werden.

Kurz nach dem ersten Kapitel schließt nahtlos das zweite Kapitel an, das sich auf Daten und Kodierung konzentriert und neue Erkenntnisse und Fähigkeiten verspricht. Die Fellows Arianna Salazar Miranda, Postdoc am Senseable City Lab des MIT und am Mansueto Institute der University of Chicago, Roland van Dierendock, Principal Investigator des Responsible Applied Artificial InTelligence (RAAIT)-Projekts an der Rotterdam University of Applied Sciences, und der Gewinner der Goldenen Nica und Senior Research Fellow an der Universität Ca Foscari, Paolo Cirio, werden die Studierenden anhand von realen Daten, die sie in der Stadt Linz gesammelt haben, in den Prozess der Datenanalyse einweisen. Die Ergebnisse werden wir in Kürze ebenfalls hier am Blog präsentieren.

Von 8.-11. Oktober folgt Chapter 2 des Fall Term. Mehr zum FOUNDING LAB findest Du hier.

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