Wir stehen am Mount Rushmore, die berühmten Präsidentenköpfe hängen schwer über uns. Sie sind direkt in die Felswand gemeißelt, überdimensional und schon von weitem erkennbar, trotzdem gehen wir näher ran – so nah, dass man noch kleine Details vom Aufbau erkennen kann. Aber halt, wie geht das eigentlich? Normalerweise ist hier abgesperrt.
Nicht so in „MasterWorks“, der Virtual Reality (VR) Applikation der Non-Profit-Organisation CyArk. Vier Weltkulturerbestätten wurden hier dank Laserscan, Fotogrammmetrie und aufwendiger Drohnenbilder digital nachgebaut und sind nun für BesucherInnen ganz einfach hautnah erlebbar. Wir haben mit Elizabeth Lee, Vizepräsidentin von CyArk, von Linz nach Kalifornien geskypt und mehr über die Applikation herausgefunden – denn schließlich kann man sie seit Kurzem auch im Ars Electronica Center ausprobieren.
Elizabeth, kannst du mir ein bisschen etwas darüber erzählen, was du und dein Team von CyArk macht?
Elizabeth Lee: Sicher! CyArk ist eine Non-Profit-Organisation. Uns gibt es seit 2003, wir haben die Mission, das Weltkulturerbe digital aufzuzeichnen, zu archivieren und zu teilen. Wir machen das, damit wir diese wunderbaren Orte einfangen können, die uns über unsere Vergangenheit erzählen und uns helfen, uns mit den Menschen um uns herum zu verbinden. Wir hoffen, damit Staunen und Neugierde in den Leuten zu erwecken.
Wir konzentrieren uns in unserer Arbeit auf drei Bereiche. Im ersten geht es um die Unterstützung von Wiederherstellungsaufwänden mittels unseres Archivs. Indem wir diese vielen Daten sammeln, versichern wir uns, dass wir sehr genaue Aufzeichnungen der Stätten haben. Falls also eine Katastrophe eintritt, könnten diese Daten zum Wiederaufbau verwendet werden. Wir arbeiten auch zur Unterstützung von aktiver Konservierung und Verwaltung der Standorte heutzutage. Das heißt, dass wir bessere Zeichnungen, Pläne und detaillierte Informationen an die Verwaltung der Stätten, Archäologen und Archäologinnen und Architekten und Architektinnen liefern, um ihnen bei ihren Jobs zu helfen. Letztlich benützen wir die Daten auch dazu, das Entdecken dieser Weltkulturerbestätten zu fördern, wie zum Beispiel mit MasterWorks. Wir benützten VR, um Menschen ganz nah an diese unglaublichen Orte zu bringen.
Credit: CyArk
MasterWorks ist eure erste öffentliche VR Installation. Wie kam es dazu?
Elizabeth Lee: Wir waren schon immer sehr interessiert am Potential für Virtuelle Realität, weil sie sehr gut mit unseren Daten in ihrer ursprünglichen Form funktioniert. Wir erfassen sehr hochauflösende 3D-Umgebungen, also macht es auch viel Sinn, sie in quasi-Lebensgröße in VR zu sehen. Ungefähr vor einem Jahr begannen wir, mit Oculus und ihrer Education Group zu arbeiten – sie waren sehr interessiert daran, Inhalte zu sehen, die für Bildung und lebenslanges Lernen entwickelt werden. Gemeinsam mit Oculus und einem weiteren Anbieter, FarBridge, erstellten wir also die MasterWorks-Erfahrung, wählten drei verschiedene Stätten aus, die Menschen virtuell besuchen und wo sie von Experten und Expertinnen, die wirklich vor Ort arbeiten, lernen können.
Credit: CyArk
Eine der Funktionen von MasterWorks ist also Bildung, aber es ist nicht die einzige. Ihr sammelt die Daten auch für die Menschen, die bei den Kulturstätten selbst arbeiten. Welche Rolle spielt hier VR?
Elizabeth Lee: Ich denke, dass die darunterliegenden Daten, die wir sammeln, beide dieser Funktionen gut bedienen. Um ein Beispiel aus MasterWorks zu nennen, den Ort Ayutthaya in Thailand: Dieses Projekt entstand deswegen, weil es dort 2011 eine schwere Flut gab. Vor Ort gibt es diese wunderschönen, glockenförmigen Chedis, und einer davon sinkt ab. Es findet also diese Absenkung statt, gleichzeitig gibt es aber keine gute Grundaufzeichnung von dem Zustand bevor der Flut, die zeigen könnte, wie weit das Monument vorher schieflag und wie sehr die Flut das Gebäude wirklich beeinflusste. Da kamen also wir ins Spiel – wir sollten mit der Dokumentation helfen, damit es solche Grundaufzeichnungen geben würde.
Wir sammelten also Laserscans und Fotogrammmetrie und Drohnenbilder, um ein 3D-Modell zu erstellen. Für die Restauratoren, Restauratorinnen, die Architekten und Architektinnen fertigten wir eine Serie von Zeichnungen mit Unterteilungen und Höhenprofil der Stätte an, die wirklich alle Maße beinhält, damit sie den Ort gut beobachten können. Wir benützten dasselbe 3D-Modell, um Ayutthaya in MasterWorks zu überführen. Die Daten werden vom thailändischen Department für Bildende Kunst verwendet, um Entscheidungen über die Stätte zu fällen, gleichzeitig hört man in der VR-Installation Stimmen des Departments, die über den Ort reden, seine Bedeutung und die damit verbundenen Herausforderungen.
Sammelt ihr so nicht mehr Daten, als man für eine VR-Applikation eigentlich brauchen würde?
Elizabeth Lee: Auf jeden Fall! Wir haben eine viel höhere Auflösung, als jetzige Headsets unterstützen können. Unser Team muss also jede Menge Datenverarbeitung machen. Wir beginnen mit einem sehr hochauflösenden Modell und verwenden es dazu, Zeichnungen für die Experten und Expertinnen vor Ort anzufertigen. Dann haben wir für jedes Gerät, auf dem MasterWorks veröffentlicht wird – Oculus Rift und Samsung Gear VR – bestimmte Zielvorgaben. Das heißt, dass wir zwei verschiedene Arten von Spezifizierungen haben, was die Anzahl von Polygonen und die Maximalanzahl von Texturen betrifft, die auf den jeweiligen Geräten unterstützt werden. Die Hoffnung ist natürlich, dass wir, wenn die VR-Technologie besser wird, schon die Daten haben, um noch höher auflösende VR-Erfahrungen zu unterstützen! Es genügt aber auch unseren Bedürfnissen heute, weil man an den Stätten Zeichnungen oft in einer viel höheren Auflösung benötigt, als jene, die man mit VR zeigen könnte.
Credit: CyArk
Worin siehst du die Vorteile von VR für Bildung, Kulturerbe und Kunstvermittlung?
Elizabeth Lee: Was für uns an der Veröffentlichung von MasterWorks unglaublich war, ist, dass es zwar noch sehr früh für VR ist, aber Museen die Arbeit trotzdem schon ausstellen. Das ermöglicht es Leuten, diese Erfahrung zu machen, obwohl sie vielleicht sonst niemals im Leben die Chance hätten, an diese Orte zu fahren. Diese Stätten sind vielleicht verboten oder wirklich schwer erreichbar, also ist es eine großartige Möglichkeit, einigen Menschen den Horizont zu erweitern oder ihnen etwas über diese Orte beizubringen.
In einer der Stätten in MasterWorks, Mesa Verda Nationalpark, kann man zum Beispiel in einer Gegend namens Balcony House spazieren gehen. Dieser Ort ist öffentlich zugänglich, aber es ist sehr schwer, dorthin zu kommen: Man muss eine 10-Meter-hohe Leiter erklimmen und es gibt sehr enge Gänge, durch die man sich quetschen muss. Nicht alle der Besucher und Besucherinnen, die zum Nationalpark kommen, haben die Möglichkeit, Balcony House zu besichtigen, aber dank VR kann man die Installation im Besucherzentrum aufbauen. Das gibt auch jenen, die körperlich nicht dazu in der Lage sind, zum Balcony House zu gelangen, die Gelegenheit, sich umzusehen. Ich denke in Bezug auf Zugänglichkeit birgt VR großes Potential.
Eines der Dinge, das für uns sehr wichtig war, ist, Stimmen von Experten und Expertinnen miteinzubauen. In allen VR-Erfahrungen, die man in MasterWorks machen kann, hört man von Menschen, die direkt bei den Stätten arbeiten. Das fügt eine völlig neue Perspektive hinzu. Man hört zum Beispiel von einem Archäologen, der vielleicht schon 30 Jahre lang an dem Ort arbeitet, der den Standort auch wirklich gut versteht und einige seiner Geschichten teilen kann.
Wie schätzt du die Entwicklungen von VR in der Zukunft ein?
Elizabeth Lee: Es ist noch früh, aber ich denke, wir werden viele neue Anwendungen für mobile Geräte sehen. Die Erfahrungen, die man jetzt mit Oculus Rift mit einem Laptop oder Rechner haben kann, sind fantastisch wegen ihrer Qualität, aber die Handhabung ist sperrig und daher limitierend. Mehr Technologien bewegen sich in Richtung von mobilen Plattformen und ungebundenen Erfahrungen, also wird VR auch sehr viel zugänglicher werden. Google hat schon so viel geleistet mit dem Google Cardboard, einem günstigen Headset aus Karton für Smartphones, und ich denke, damit wurde gezeigt, was alles möglich sein könnte. Natürlich ist die Qualität für diese Erfahrungen niedriger, aber ich denke trotzdem, wenn die mobile Technologie verbessert wird, werden wir bald zum Beispiel Klassenzimmer sehen, die 30 mobile Headsets für alle Schüler und Schülerinnen zur Verfügung haben, mit denen man auf virtuelle Ausflüge gehen kann.
Was muss man beachten, wenn man VR verantwortungsbewusst anwenden möchte?
Elizabeth Lee: Uns ist sehr wichtig, die Stätten verantwortungsbewusst zu repräsentieren. Es geht uns um das Verwenden von echten Daten und das Zeigen der Orte – so, wie sie jetzt sind. Von einer anderen Perspektive, außerhalb des Feldes des Kulturerbes, wäre es vielleicht einfacher, wunderschöne Rekonstruktionen der Stätten zu machen, die vielleicht nicht dieselbe Forschung dahinter haben und nicht so akkurat wären, aber ich denke, es ist gefährlich, Information so zu präsentieren. Vor allem, wenn die Erfahrung eine so immersive ist! Trotzdem – alles, was die Zugänglichkeit erhöht und Menschen davon begeistert, kulturelles Erbe und unsere gemeinsame Geschichte zu entdecken, ist positiv.
Zu guter Letzt sind wir natürlich neugierig – was kommt als nächstes für CyArk?
Elizabeth Lee: Wir haben gerade damit begonnen, ein richtiges, offenes Archiv zu starten! Gemeinsam mit Google haben wir eine Open Heritage Initiative gegründet, wo wir die vollständigen Daten von 25 Stätten zur Verfügung stellen. Das ist etwas, worüber wir uns besonders freuen, so wie auch über die Anwendungen, die damit möglich werden. Die Daten sind alle unter einer nicht-kommerziellen Lizenz verfügbar. Wir hoffen, bald eine neue VR-Erfahrung zu schaffen, die auf dem Erfolg von MasterWorks aufbaut und Menschen an neue, aufregende Orte bringt.
Elizabeth Lee ist Vizepräsidentin von CyArk, eine internationale Non-Profit-Organisation mit der Mission, das kulturelle Erbe der Welt zu erfassen, zu archivieren und virtuellen Zugang zu ermöglichen. Ihre Expertise umfasst das Entwickeln von internationalen Partnerschaften mit dem Einsatz technologieorientierten Lösungen für Bildung, Tourismus und zum Schutz des kulturellen Erbes. Als ursprünglich studierte Archäologin mit Erfahrung bei Ausgrabungen in der Türkei und in Ungarn, wendet sie bereits über ein Jahrzehnt die 3-D-Erfassungstechnologie im kulturellen Bereich an. Sie hat über 100 Projekte mit mehreren Kulturministerien, der UNESCO und Technologieunternehmen wie Microsoft, Autodesk, Seagate und Iron Mountain durchgeführt.
Die VR-Installation MasterWorks von Elizabeth Lee und ihrem Team von CyArk ist im VRLab des Ars Electronica Centers zu sehen – Ausprobieren mehr als erwünscht! Hier finden Sie mehr Informationen zum VRLab.
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